JudikaturOLG Wien

13R144/24b – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
28. März 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Häckel als Vorsitzenden sowie die Richterin Dr. Reden und den Richter Mag. Wessely in der Rechtssache der klagenden Partei A* , **, vertreten durch Mag. Michael Nierla, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei B* Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit , **, vertreten durch Mag. Erik Focke, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 16.000,- s.A., über die Berufung der beklagten Partei (Berufungsinteresse: EUR 8.393,35) gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 21.8.2024, ** 49, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 1.458,67 (darin EUR 243,11 USt) bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung zu ersetzen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig .

Entscheidungsgründe:

Text

Am 2.3.2019 ereignete sich gegen 19:45 Uhr in **, ein Verkehrsunfall, an dem C* (im Folgenden: Beklagtenlenker) als Lenker eines bei der Beklagten haftpflichtversicherten PKW und der Kläger als Lenker eines weiteren PKW beteiligt waren. Das Alleinverschulden an dem Verkehrsunfall trifft den Beklagtenlenker.

Der Kläger begehrt die Zahlung von EUR 16.000,- (EUR 3.000,- Schmerzengeld; EUR 13.000,- Verdienst-/Gewinnentgang). Soweit im Berufungsverfahren relevant, brachte er zusammengefasst vor, die geltend gemachten Schäden seien ihm durch den Verkehrsunfall entstanden.

Die Beklagte beantragt Klagsabweisung. Soweit im Berufungsverfahren von Bedeutung, wendete sie im Wesentlichen ein, unfallkausale Verletzungen hätten sich nicht in einer Beeinträchtigung der Feinmotorik des Klägers niedergeschlagen und sich nicht negativ auf dessen Fähigkeit zur Berufsausübung ausgewirkt; der Kläger hätte seinen Beruf trotz der behaupteten Verletzungen uneingeschränkt ausüben können.

Die von der Beklagten eingewendete Gegenforderung von EUR 130,- ist unstrittig.

Mit dem angefochtenen Urteil verpflichtete das Erstgericht die Beklagte mit dreigliedrigem Spruch unter Abzug der Gegenforderung von EUR 130,- zur Zahlung von EUR 8.393,35 samt Zinsen und wies das Mehrbegehren von EUR 7.606,65 ab.

Es ging dabei von dem auf den Seiten 1 und 3 bis 5 des Ersturteils stehenden (oben, eingangs der Entscheidungsgründe auszugsweise wiedergegebenen) Sachverhalt aus, auf den verwiesen wird. Rechtlich würdigte es die Sache mit ausführlicher Begründung zusammengefasst dahingehend, dass dem Kläger aufgrund der bei dem Verkehrsunfall erlittenen Verletzungen ein Schmerzengeld von EUR 1.440,- und der Ersatz seines mit EUR 7.083,35 brutto festgestellten eigenen Gewinnverlusts als mitarbeitender Gesellschafter einer Personengesellschaft gebühre.

Gegen den klagsstattgebenden Teil dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Verfahrens mit dem Abänderungsantrag auf gänzliche Klagsabweisung, hilfsweise einem Aufhebungsantrag.

Der Kläger beantragt, der Berufung keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

1. Unrichtige rechtliche Beurteilung

1.1. Gegen den Zuspruch von Verdienstentgang gewendet macht die Beklagte geltend, die Feststellung: „Ab dem Folgetag des Unfalls fühlte der Kläger sich in seiner Feinmotorik gestört“ beschreibe nur ein subjektives Empfinden einer Person, daraus lasse sich die Kausalität des Verkehrsunfalls für die Feinmotorikstörung des Klägers nicht ableiten. Ob das subjektive Empfinden des Klägers aus der Kollision hergerührt oder auf degenerativen Vorerkrankungen beruht habe, bleibe unklar. Es sei nicht auszuschließen, dass das subjektive Empfinden allein der psychischen Sphäre des Klägers entsprungen sei. Den Feststellungen lasse sich auch eine Verschlimmerung der vorbestehenden Erkrankung des Klägers nicht entnehmen. Der für einen Schadenersatzanspruch erforderliche Kausalzusammenhang zwischen dem fehlenden Feingefühl und dem Verkehrsunfall bestehe daher den Feststellungen nach nicht.

1.1.1. Die in der Berufung zitierte Feststellung lässt im Zusammenhalt mit der weiteren Feststellung: „Der Kläger konnte ab dem Unfall dieses entsprechende Fingergefühl nicht aufbringen“ (US 3 f) und den beweiswürdigenden Erwägungen: „Dass das Kribbeln in den Fingern tatsächlich als unmittelbare Folge des Unfalls auftrat und zwar in der Dauer, die der Kläger angegeben hat, erschien logisch. Anhaltspunkte, dass die Defizite auch schon vor dem Unfall bestanden hätten gab es nicht“ keinen Zweifel daran, dass das Erstgericht in seinem Urteil von der Kausalität des Verkehrsunfalls für eine tatsächlich bestehende Feinmotorikstörung des Klägers ausging und dies als feststehend annahm. Damit geht die Rechtsrüge an der erkennbaren Sachverhaltsgrundlage des Ersturteils vorbei.

2. Mangelhaftigkeit des Verfahrens

2.1. Als Verfahrensmangel rügt die Beklagte die Nichteinholung der vom Kläger beantragten Gutachten eines Verkehrssachverständigen und aus dem Bereich der Neurologie und Psychiatrie.

2.1.1.Die Mangelhaftigkeit des Verfahrens kann nicht aus einem Grund geltend gemacht werden, der nur die prozessrechtliche Stellung des Gegners betrifft (RS0043041 [T1] [konkret zur Berufung auf einen gegnerischen Beweisantrag in einer Verfahrensrüge] ). Die Übergehung eines Beweisantrags des Gegners kann nicht als Verfahrensmangel geltend gemacht werden ( Klauser/Kodek, JN – ZPO 18§ 496 ZPO E 39).

Der behauptete Verfahrensmangel liegt nicht vor.

2.2.Eine Verletzung der Anleitungspflicht (§§ 182, 182a ZPO) sieht die Berufungswerberin darin, dass das Erstgericht die Nichteinholung der oben genannten Gutachten nicht mit den Parteien erörtert und die Beklagte durch die Abweisung der Beweisanträge überrascht habe. Wäre ihr mitgeteilt worden, dass das Erstgericht keine weiteren Gutachten zur Kausalität einzuholen beabsichtige, hätte die Beklagte die Einholung der beiden Sachverständigengutachten selbst beantragt.

2.2.1.Die Anleitungspflicht des Richters geht gegenüber anwaltlich vertretenen Parteien keineswegs so weit, dass der Rechtsanwalt aufzufordern wäre Beweise anzubieten (RS0037127 [T1]).

Die fehlende Absicht des Erstgerichts, die beiden vom Kläger beantragten Gutachten einzuholen, war schon aufgrund der Erörterung der weiteren Vorgehensweise in der Tagsatzung am 12.9.2022 (ON 8.1, 11) erkennbar, dass [dem Antrag der Beklagten entsprechend, Anm] als nächstes eine unfallchirurgische Sachverständige und allenfalls ein Buchsachverständiger bestellt würden.

Unabhängig davon ist nicht nachvollziehbar, wie der Klagevertreter angesichts der protokollierten Vorgänge in der Tagsatzung am 21.3.2024 (ON 48.4):

„[…] Keine weiteren Anträge

Beschluss

Auf Abweisung der offenen Beweisanträge wegen Spruchreife

[…]“

in einer Weise von der Nichteinholung der von der Gegenseite beantragten Gutachten hätte überrascht sein können, die ihn daran gehindert hätte, einen eigenen Antrag auf Einholung der Gutachten zu stellen. Schon die Protokollierung der abschließenden Formulierung „Keine weiteren Anträge“ hätte einen Rechtsanwalt erkennen lassen, dass der Schluss der Verhandlung ohne weitere Beweisaufnahme bevorstand und allfällige weitere Beweisanträge umgehend zu stellen gewesen wären.

Die behauptete Verletzung des Anleitungspflicht liegt nicht vor.

Der unberechtigten Berufung war nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

Die Berufungsentscheidung hing nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ab, die ordentliche Revision war daher nicht zuzulassen.