Das Oberlandesgericht Wien hat durch die Senatspräsidentin Mag. Mathes als Vorsitzende sowie den Richter Mag. Hahn und die Richterin Mag. Pasching als weitere Senatsmitglieder in der Auslieferungssache der A* B* zur Strafverfolgung an die Republik Bosnien und Herzegowina über deren Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 19. Dezember 2024, GZ ** 24, nichtöffentlich den
Beschluss
gefasst:
Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und das Verfahren zur neuen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Begründung:
Beim Landesgericht für Strafsachen Wien ist gegen die am ** geborene serbische Staatsangehörige A* B* ein Auslieferungsverfahren zur Strafverfolgung an die Republik Bosnien und Herzegowina anhängig. Dem Verfahren liegt ein Auslieferungsersuchen zur Strafverfolgung des Justizministeriums von Bosnien und Herzegowina vom 15. Oktober 2024 zugrunde, dem unter anderem die Anklageschrift der Bezirksstaatsanwaltschaft Banja Luka Nr. ** vom 4. Mai 2016, ein Haftbeschluss des Grundgerichts in Banja Luka Nr. ** vom 2. November 2017 sowie die maßgeblichen Gesetzesbestimmungen zu dem im ersuchenden Staat einschlägigen Tatbestand und zur Verjährung angeschlossen sind (ON 15; Übersetzung der Beilagen ON 20).
Den Unterlagen zufolge steht die Betroffene zusammengefasst im Verdacht, sie habe gemeinsam mit C* B* vom Februar 2015 bis 30. März 2015 in ** mit dem Vorsatz, sich unrechtmäßig zu bereichern, D* durch Täuschung über Tatsachen, nämlich unter Vorgabe, eine Wohnung in ** zu verkaufen, über die sie tatsächlich nicht verfügten, zu Handlungen verleitet, nämlich zu mehreren Geldübergaben in Höhe von insgesamt 55.000 Euro als Teil des Kaufpreises von 105.000 Euro, womit sie D* in dieser Höhe am Vermögen geschädigt und damit die Straftat des Betrugs gemäß Art 239 Abs 3 iVm Abs 1 des StGB der Republik Bosnien und Herzegowina begangen hätten, die gemäß Abs 3 des StGB der Republik Bosnien und Herzegowina strafbar ist.
Mit dem angefochtenen Beschluss erklärte das Erstgericht die Auslieferung der A* B* unter Einhaltung des Schutzes der Spezialität für zulässig.
Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde der Betroffenen (ON 25).
Dem Rechtsmittel kommt im Sinne des Aufhebungsbegehrens Berechtigung zu.
Für die Beurteilung des gegenständlichen Auslieferungsersuchens kommen die Bestimmungen des Europäischen Auslieferungsübereinkommens (EuAlÜbk), ergänzt durch das zweite und dritte Zusatzprotokoll sowie subsidiär der Vertrag vom 1. Februar 1982 zwischen der Republik Österreich und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über die Auslieferung zur Anwendung.
Gemäß Art 2 Abs 1 EuAlÜbk wird ausgeliefert wegen Handlungen, die sowohl nach dem Recht des ersuchenden als auch nach dem des ersuchten Staates mit einer Freiheitsstrafe oder die Freiheit beschränkenden Maßnahme der Sicherung und Besserung im Höchstmaß von mindestens einem Jahr oder mit einer strengeren Strafe bedroht sind.
Zutreffend führte das Erstgericht zunächst aus, dass der Sachverhalt nach österreichischem Recht gerichtlich strafbar ist, als Vergehen des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB zu qualifizieren und mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist. Zudem ist die Tat – angesichts des vorliegenden Haftbeschlusses vom 2. November 2017 (ON 20.2, 11 ff) - weder nach österreichischem, noch nach bosnischem Recht (ON 20.2, 18) verjährt, sodass grundsätzlich eine auslieferungsfähige strafbare Handlung im Sinn des Art 2 Abs 1 EuAlÜbk vorliegt.
Beizupflichten ist dem Erstgericht auch dahingehend, dass eine Überprüfung des Tatverdachts im Auslieferungsverfahren nur dann stattfindet, wenn erhebliche Bedenken bestehen, insbesondere wenn Beweise vorliegen oder angeboten werden, durch die der Verdacht ohne Verzug entkräftet werden könnte (RIS-Justiz RS0125233), was gegenständlich nicht der Fall ist.
In Übereinstimmung mit dem Beschwerdevorbringen und der Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft Wien ergeben sich jedoch Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Auslieferungshindernisses nach Art 8 MRK, die einer näheren Aufklärung bedürfen.
Dazu ist vorweg festzuhalten, dass entsprechend dem Grundsatz des Vorrangs zwischenstaatlicher Vereinbarungen (§ 1 ARHG) eine Auslieferung im vertraglichen Bereich unter Berufung auf die Härteklausel des § 22 ARHG nicht abgelehnt werden kann, wenn eine vergleichbare Bestimmung im anzuwendenden Vertrag fehlt. Österreich hat zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen, das kein entsprechendes Auslieferungshindernis kennt, keinen Vorbehalt erklärt, wonach eine Auslieferung aus humanitären Gründen abgelehnt werden kann, sodass grundsätzlich von der Erfüllung der vertraglichen Auslieferungsverpflichtung auszugehen ist (Göth
Dennoch können einer Auslieferung Grundsätze des zwingenden Völkerrechts wie beispielsweise die Achtung des Privatund Familienlebens (Art 8 MRK) entgegenstehen. Die Einhaltung der von der MRK gewährten und in Österreich verfassungsgesetzlich verankerten Grundrechte ist daher auch im vertraglichen Auslieferungsverkehr, unabhängig vom Vorliegen einer ausdrücklichen Härteklausel, zu beachten. Der Vorrang zwischenstaatlicher Vereinbarungen (§ 1 ARHG), denen eine ausdrückliche Härteklausel fehlt, entbindet somit nicht von einer Prüfung der in Art 8 EMRK verankerten Rechte in Abwägung zur Schwere der Straftat (Göth Flemmich/Riffel aaO Rz 5).
Dabei kommt im Rahmen der gemäß Art 8 Abs 2 MRK geforderten Notwendigkeits und Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Abwägung privater bzw familiärer gegen öffentliche Interessen der Schwere der Tat maßgebliche Bedeutung zu und ist zu berücksichtigten, dass den Interessen der betroffenen Person nicht allein wie in Fällen der Ausweisung und Abschiebung das öffentliche Interesse des ausweisenden Staates an der Verteidigung der Ordnung und der Verhinderung von künftigen Straftaten, sondern auch dasjenige des ersuchenden Staates an der Verfolgung bereits begangener Straftaten und der Vollstreckung dafür verhängter Sanktionen gegenübersteht. Weiters ist eine konkret gegebene Möglichkeit, für die Angehörigen, dem Betroffenen nachzufolgen, entscheidend. Familiäre Bindungen zwischen Erwachsenen können eine Auslieferung unter dem Aspekt des Art 8 MRK aber nur dann hindern, wenn über die üblichen (emotionalen) Bindungen hinaus Merkmale einer Abhängigkeit bestehen (Göth Flemmich/Riffel aaO Rz 6).
Ausgehend von diesen Grundsätzen mangelt es bisher an ausreichenden Verfahrensergebnissen zur Vornahme dieser Notwendigkeitsund Verhältnismäßigkeitsprüfung. Die dem Auslieferungsbegehren zugrundeliegende Tat liegt bereits rund zehn Jahre zurück und wäre nach inländischem Recht als nach § 147 Abs 2 StGB qualifizierter Betrug mit einem Schadensbetrag von 55.000 Euro nicht von außergewöhnlichem Gewicht (zur Beurteilung der Schwere der Straftat ausschließlich nach österreichischem Recht siehe Göth Flemmich/Riffel aaO Rz 1).
Nach dem bisherigen Vorbringen der Betroffenen und und den vorgelegten medizinischen Unterlagen (ON 22) sowie den mit der Beschwerde verbundenen aktualisierten Unterlagen ergeben sich konkrete Hinweise auf eine schwerwiegende Erkrankung des Ehegatten der Betroffenen samt daraus ableitbarer Abhängigkeit durch die Notwendigkeit täglicher Verbandwechsel und bestehender Reiseunfähigkeit, wodurch in Zusammenhang mit den vorliegenden weiteren Erkrankungen und einer drohenden Beinamputation ein durchaus erheblicher Betreuungsbedarf zumindest naheliegt.
Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich weiters eine vollständige Integration der (bereits in ** geborenen) Betroffenen und ihrer Angehörigen ohne jeden Bezug zum ersuchenden Staat.
Neben Beweisaufnahmen zur maßgeblichen Frage, ob der Abhängigkeit ihres Ehegatten durch die Betreuung anderer Familienmitglieder wirksam begegnet werden kann (in diesem Sinn 13 Os 156/11g), wie es vor dem Hintergrund der Beschwerdebehauptung zu einem schlechten Verhältnis zwischen dem Ehemann und dem im gemeinsamen Haushalt lebenden (aber nicht gemeinsamen) Sohn fraglich und solcherart weiter aufklärungsbedürftig ist, bedarf es außerdem einer Auseinandersetzung mit der Frage, ob ihrem – auf Grund eines möglichen Abhängigkeitsverhältnissen in den Schutz des Art 8 MRK einbezogenen – Ehemann (dessen Reisefähigkeit vorausgesetzt) eine Niederlassung in der Republik Bosnien und Herzegowina zugemutet werden kann. Die gesundheitliche Situation des möglicherweise reiseunfähigen Ehemanns, die behauptete drohende Beinamputation, der sich daraus ergebende hohe Betreuungsaufwand und die (zukünftige) Pflegesituation sind bislang jedoch weitgehend unerörtert geblieben. Bei der ergänzend durchzuführenden Interessensabwägung wäre sodann auch der Umstand, dass die Beschwerdeführerin in Österreich geboren, seither in ** aufhältig ist, (behauptet) keinen weiteren Bezug zu Bosnien und Herzegowina pflegt und auch ihr Sohn als österreichischer Staatsbürger keine Bindung zum ersuchenden Staat aufweist (ON 22.2, ON 23 und ON 25.2) in die Notwendigkeits- und Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen eines „beweglichen Systems“ einzubeziehen.
Dagegen wäre die (in der Beschwerde weiter aufgeworfene) Frage, ob ihrem Sohn eine Niederlassung in Bosnien und Herzegowina zugemutet werden kann, grundsätzlich unbeachtlich, untersteht die Beziehung der Betroffenen zu ihrem volljährigen Kind auch nicht ohne weiteres dem spezifischen Schutz des Art 8 MRK (RIS-Justiz RS0123230 [T8]).
Im Übrigen zeigt sich - ebenfalls in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft Wien -, dass allenfalls auch das Auslieferungshindernis inländischer Gerichtsbarkeit (Art 7 EuAlÜbk) vorliegen könnte.
Nach dem Inhalt des Auslieferungsersuchens (ON 20.2, 6) ist die Betroffene verdächtig, sie habe „im Zeitraum vom Februar 2015 bis 30. März 2015 in **, mit dem Vorsatz, sich unrechtmäßig zu bereichern, gegenüber der Geschädigten (...) fälschlicherweise behauptete, sie würde ihr den Kauf einer Wohnung in ** vermitteln, indem sie nach Erhalt einer Kaution von 10.000 Euro aus ** den gefälschten formlosen Vertrag mit einem Memorandum der Firma E* (...) die Projektpläne und Fotos der Wohnung brachte und sie dem Opfer vorlegte, wobei sie von der Geschädigten im Namen eines Teils des Kaufpreises den Betrag von insgesamt 55.000 Euro übernahmen (...).“
Die vorliegende (insgesamt eine nur mittelmäßige Qualität aufweisende) Übersetzung lässt ungeachtet des Anführens eines Tatortes in ** auf eine mögliche (teilweise) Tatbegehung in Österreich schließen. Für das Vorliegen eines inländischen Handlungsorts genügt es, wenn auch nur ein Teil des deliktischen Verhaltens im Inland gesetzt wird (Salimi in WK² StGB § 67 Rz 21 f).
Nach Art 7 EuAlÜbk kann der ersuchte Staat die Auslieferung ablehnen, soweit die Tat ganz oder zum Teil in seinem Hoheitsgebiet begangen wurde. Nach einer Zusatzerklärung der Republik Österreich zu dieser Bestimmung wird die Auslieferung einer Person wegen einer strafbaren Handlung, die nach den österreichischen Rechtsvorschriften der österreichischen Gerichtsbarkeit unterliegt, nur bewilligt, wenn – was gegenständlich nicht der Fall ist - die betroffene Person wegen einer anderen strafbaren Handlung ausgeliefert wird und ihre Aburteilung wegen aller strafbaren Handlungen durch die Justizbehörden des ersuchenden Staates im Interesse der Wahrheitsfindung oder aus Gründen der Strafzumessung und des Strafvollzuges zweckmäßig ist.
Zumal sich somit aus den Auslieferungsunterlagen zumindest geringe Anhaltspunkte für ein allfälliges Vorliegen inländischer Gerichtsbarkeit ergeben, werden im Wege des noch fortzuführenden Beweisverfahrens die Auslieferungsunterlagen im Sinn des Art 13 EuAlÜbk zu ergänzen sein.
Im Hinblick auf das weitere Beweisverfahren zum Gesundheitszustand des Ehemanns (und mutmaßlichen Mittäters) der Betroffenen C* B* wird auf das bereits weiter oben Gesagte sowie auf das gegen ihn anhängige Auslieferungsverfahren hingewiesen, in welchem sein Gesundheitszustand vermutlich ebenfalls thematisiert werden wird (** des Landesgerichts für Strafaschen Wien).
Da im erstgerichtlichen Verfahren somit nicht alle erforderlichen Beweise aufgenommen wurden, war der Beschwerde Folge zu geben, der angefochtene Beschluss gemäß § 89 Abs 2a Z 3 StPO iVm § 9 Abs 1 ARHG aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO iVm § 9 Abs 1 ARHG).
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