8Rs15/25x – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Mag. Zacek als Vorsitzende, den Richter Mag. Zechmeister und die Richterin Dr. Heissenberger LL.M. sowie die fachkundigen Laienrichter Dipl.BW MBA Michael Choc und Christian Römer in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. A* B*, **, wider die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter , Eisenbahnen und Bergbau (BVAEB) , **, diese vertreten durch Mag. C*, ebendort, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 4.10.2024, **-6, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert , dass es lautet:
„Das Klagebegehren, er werde festgestellt, dass die Klägerin das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld für D* B*, geboren am **, im Ausmaß von täglich EUR 41,96 für dem Zeitraum 23.7.2023 bis 27.7.2023 zu Recht, in eventu nur im Zeitraum 26.7.2023 bis 27.7.2023 zu Unrecht bezogen habe, wird abgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 4 Wochen EUR 209,80 an im Zeitraum 23.7.2023 bis 27.7.2023 unberechtigt empfangenem Kinderbetreuungsgeld zurückzuzahlen.“
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 17.4.2024 widerrief die Beklagte die Gewährung des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes für das am ** geborene Kind der Klägerin D* für den Zeitraum 23.7.2023 bis 27.7.2023 und verpflichtete die Klägerin zur Rückzahlung des Betrages von EUR 209,80.
Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin fristgerecht Klage, alle Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung des Kinderbetreuungsgeldes seien zum Zeitpunkt der Antragstellung im Jahr 2023 vorgelegen. Der Hauptwohnsitz der Klägerin, ihrer drei minderjährigen Kinder und des Ehemanns sei zum Zeitpunkt der Antragstellung in ** gewesen. Im Sommer 2023 habe sich die Familie entschlossen, ihren Lebensmittelpunkt nach ** zu verlegen. Der Ehemann der Klägerin habe die Ummeldung des Hauptwohnsitzes bereits zwei Tage vor dem tatsächlichen Umzug, am 23.7.2023, online über das digitale Amtsservice „Meldewesen“ für sich selbst und alle gemeinsamen Kinder vorgenommen. Die Klägerin habe ihren Hauptwohnsitz erst am 28.7.2023 umgemeldet und dabei nicht bedacht, dass die asynchrone, aber nach dem Meldegesetz fristenkonforme Ummeldung des Hauptwohnsitzes, mit dem ihrer Tochter D* zu rechtlich nachteiligen Konsequenzen führen könnte. Da die Familie melderechtskonform vorgegangen sei, erfolge der Widerruf der Leistung zu Unrecht.
Die Beklagte bestritt. Die Änderung des Hauptwohnsitzes der Klägerin habe gemäß § 2 KBGG iVm § 3 Abs 1 Meldegesetz bis 26.7.2023 erfolgen müssen, um die Anspruchsvoraussetzungen eines gemeinsamen Haushaltes nach § 2 Abs 1 iVm Abs 6 KBGG zu erfüllen und somit den Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld zu wahren. Die Klägerin habe im Zeitraum 23.7.2023 bis 27.7.2023 nicht im gemeinsamen Haushalt im Sinne des KBGG mit ihrer Tochter D* gelebt. Es bestehe daher für diesen Zeitraum kein Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld.
Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem Klagebegehren statt, stellte fest, dass die Gewährung des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes für das Kind D* für den Zeitraum 23.7.2023 bis 27.7.2023 nicht widerrufen wird und sprach aus, dass die Klägerin nicht zur Rückzahlung von EUR 209,08 (offenbar gemeint: EUR 209,80) an Kinderbetreuungsgeld für den Zeitraum 23.7.2023 bis 27.7.2023 verpflichtet ist.
Es legte seiner Entscheidung die auf Seiten 2 bis 3 der Urteilsausfertigung ersichtlichen Feststellungen zugrunde, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird.
Rechtlich folgerte es, mit der Wendung „hauptwohnsitzlich gemeldet“ nehme das KBGG auf das Melderecht, somit auf die Vorgaben des Meldegesetzes Bezug. Gemäß § 3 Abs 1 MeldeG sei, wer in einer Wohnung Unterkunft nehme, binnen drei Tagen danach bei der Meldebehörde anzumelden. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 3 Abs 1 MeldeG beginne diese Frist mit der Unterkunftnahme zu laufen. Diese sei mit dem erstmaligen widmungsmäßigen Gebrauch der Unterkunft erfüllt und hänge bloß von objektiven, äußeren (faktischen) Umständen ab. Die Klägerin und ihre Tochter hätten am 25.07.2023 erstmalig von der neuen Unterkunft in **, widmungsgemäß Gebrauch genommen. Ihr Hauptwohnsitz an der neuen Unterkunft sei bis zum 28.07.2023 zu melden gewesen, um den Verpflichtungen nach § 3 Abs 1 MeldeG zu entsprechen. Die Änderung der Hauptwohnsitzmeldung der Tochter zwei Tage vor Bezug der neuen Unterkunft stehe in Einklang mit § 4 Abs 1 MeldeG, wonach eine Abmeldung des Hauptwohnsitzes bereits bis zu drei Tage vor der tatsächlichen Aufgabe der Unterkunft zulässig und möglich sei. Die Änderungen der Hauptwohnsitzmeldungen der Klägerin und ihrer Tochter stünden daher im Einklang mit den melderechtlichen Vorgaben.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Klagsabweisung abzuändern. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beteiligte sich nicht am Berufungsverfahren.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist berechtigt.
1. Die Beklagte wendet sich gegen die vom Erstgericht vorgenommene Auslegung des § 2 Abs 1 Z 2 KBGG iVm § 2 Abs 6 KBGG. Weder 10 ObS 19/19w noch 10 ObS 84/22h seien mit dem konkret vorliegenden Fall vergleichbar. Es gehe gegenständlich nicht um die Meldung eines Kindes, sondern um die verspätete Meldung eines Elternteils. § 2 Abs 6 KBGG verlange, dass Elternteil und Kind an derselben Adresse auch hauptwohnsitzlich gemeldet seien. Die fehlende gemeinsame hauptwohnsitzliche Meldung iSd § 2 Abs 6 KBGG bewirke für den betroffenen Zeitraum einen Anspruchsverlust.
2. Es entspricht Rechtsprechung und Schrifttum, dass das Kinderbetreuungsgeldgesetz auf den melderechtlichen Hauptwohnsitzbegriff abstellt und nicht auf jenen des Art 6 Abs 3 B-VG (10 ObS 121/18v mwN).
Das Meldegesetz verknüpft das Entstehen der Meldepflicht mit der Tatsache der Aufnahme oder Aufgabe einer Unterkunft. § 2 Abs 1 MeldeG begründet die Meldepflicht für vier Fälle, nämlich die Aufnahme der Unterkunft in einer Wohnung (§ 3 MeldeG) oder in einem Beherbergungsbetrieb (§ 5 MeldeG), sowie für die Aufgabe der Unterkunft in einer Wohnung (§ 4 MeldeG) oder in einem Beherbergungsbetrieb (§ 5 MeldeG). Die Unterkunftnahme beginnt mit dem erstmaligen widmungsmäßigen Gebrauch der Unterkunft und hängt bloß von objektiven, äußeren (faktischen) Umständen ab (10 ObS 121/18v mwN).
Wer in einer Wohnung Unterkunft nimmt, ist innerhalb von drei Tagen danach bei der Meldebehörde anzumelden (§ 3 Abs 1 MeldeG). Die Frist endet mit Ablauf des dritten Tages nach jenem Tag, an dem die Unterkunftnahme erfolgte.
Wer seine Unterkunft in einer Wohnung aufgibt, ist innerhalb von drei Tagen davor oder danach bei der Meldebehörde abzumelden (§ 4 Abs 1 MeldeG).
3. Das Erstgericht ging in rechtlicher Hinsicht von einer Unterkunftnahme der Klägerin und ihrer Tochter in der ** Wohnung am 25.7.2023 aus. Gegen diese rechtliche Beurteilung wendet sich die Beklagte in ihrer Berufung nicht.
Sie argumentiert mit der fehlenden gemeinsamen hauptwohnsitzlichen Meldung die zu einem fehlenden gemeinsamen Haushalt im Sinne des KBGG im Zeitraum 23.7.2023 bis 27.7.2023 führe. Die in § 2 Abs 6 KBGG normierte Toleranzfrist gelte nur für das Kind und nicht für die Eltern.
Der Beklagten ist darin beizupflichten, dass § 2 Abs 6 zweiter Satz KBGG nur auf die verspätete Hauptwohnsitzmeldung des Kindes Bezug nimmt und diesbezüglich auf § 3 Abs 1 MeldeG verweist. § 2 Abs 6 erster Satz KBGG enthält einen solchen Verweis auf § 3 Abs 1 MeldeG hingegen nicht. Aus dem Wortlaut des KBGG ist daher nicht abzuleiten, dass eine Anmeldung innerhalb der in § 3 Abs 1 MeldeG normierten Frist von drei Tagen zu einem gemeinsamen Haushalt im Sinne des KBGG schon ab dem Tag der Unterkunftnahme führt. Auch aus dem MeldeG ist nicht abzuleiten, dass eine Anmeldung innerhalb der Frist des § 3 Abs 1 MeldeG auf den Tag der Unterkunftnahme zurückwirkt und daher schon ab diesem Tag eine hauptwohnsitzliche Meldung bestünde.
Daraus folgt aber, dass für den Zeitraum 23.7.2023 bis 27.7.2023 keine gemeinsame hauptwohnsitzliche Meldung an derselben Wohnadresse für die Klägerin und ihre Tochter vorliegt. Es mangelt daher in diesem Zeitraum an einem gemeinsamen Haushalt im Sinne des KBGG, sodass für diesen Zeitraum auch kein Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld besteht.
4. Gemäß § 30 Abs 2 KBGG ist die Zuerkennung von Kinderbetreuungsgeld zu widerrufen, wenn sie sich nachträglich als gesetzlich nicht begründet herausstellt. Gemäß § 31 Abs 1 KBGG ist der Leistungsbezieher zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unrichtige Angaben oder durch Verschweigung von Tatsachen herbeigeführt hat oder wenn er erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte. Die Verpflichtung zum Ersatz der empfangenen Leistung besteht gemäß § 31 Abs 2 KBGG auch dann, wenn Anspruchsvoraussetzungen nachträglich weggefallen sind.
Es besteht kein Anspruch auf Auszahlung des Kinderbetreuungsgeldes für den Zeitraum 23.7.2023 bis 27.7.2023. Die Klägerin musste erkennen, dass die Leistung an diesen Tagen wegen des Fehlens eines gemeinsamen gemeldeten Hauptwohnsitzes nicht gebührte. Es wurde im Übrigen festgestellt, dass diese Anspruchsvoraussetzung nachträglich weggefallen ist.
Die Klägerin ist daher zum Rückersatz der für die genannten Tage empfangenen Leistung verpflichtet.
5. Der Berufung kommt daher Berechtigung zu. Das angefochtene Urteil war im Sinn einer Klagsabweisung und einer Verpflichtung der Klägerin zur Rückzahlung abzuändern.
Kostenentscheidungen konnten entfallen, da in beiden Instanzen keine Kosten verzeichnet wurden.
6. Die ordentliche Revision war nicht zuzulassen, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO abhing.