JudikaturOLG Wien

11R13/25z – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
Schadenersatzrecht
29. Januar 2025

Kopf

Im Namen der Republik

Das Oberlandesgericht Wien erkennt als Berufungs- gericht durch die Senatspräsidentin des Oberlandes- gerichts Dr. Primus als Vorsitzende sowie die Richter des Oberlandesgerichts MMMag. Frank und Dr. Futterknecht, LL.M., BSc, in der Rechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, B*straße **, C* D*, vertreten durch Mag. Johannes Bügler, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei E* D* , **, ** D*, vertreten durch Mag. Dieter Kieslinger, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 25.000 sA und Feststellung (EUR 5.000), über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 5. Dezember 2024, GZ **-51, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei deren mit EUR 3.138,12 (darin EUR 523,02 USt) bestimmte Berufungsbeantwortungskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt insgesamt EUR 5.000, nicht aber EUR 30.000.

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger besuchte vom 1.9.2018 bis 31.8.2022 den von der Beklagten an der Adresse B*straße **, C* D*, betriebenen Kindergarten.

Der Kläger bringt im Wesentlichen vor, der im genannten Kindergarten als Pädagoge arbeitende F* G* habe den Kläger sexuell missbraucht, indem er ihn im Intimbereich berührt oder ihm den Finger in den Anus eingeführt habe. Der Kläger habe dadurch psychische Schmerzen von Krankheitswert erlitten, die ein Schmerzengeld von EUR 25.000 rechtfertigten. Darüber hinaus seien auch gesundheitliche Spät- und Dauerfolgen wahrscheinlich. Die Beklagte hafte für all diese Schäden aus dem Rechtsgrund des vertraglichen Schadenersatzes.

Alle Beweise für den in Rede stehenden Missbrauch seien der Beklagten leichter zugänglich als dem Kläger; denn sie habe Kenntnis von den Hintergründen der Suspendierung und der Arbeitsweise des Pädagogen. Darüber hinaus habe die Beklagte bereits am 24.3.2021 von gleichartigen Vorwürfen erfahren, die ein anderes Kind geäußert habe. F* G* sei deshalb unverzüglich suspendiert worden. Die Beklagte habe es aber verabsäumt, den Kläger (bzw. seine Mutter) sofort von diesem Umstand in Kenntnis zu setzen, sondern habe ihm erstmals am 12.5.2022 in einem E-Mail vage Informationen erteilt. Aufgrund all dieser Umstände sei eine Beweislastverschiebung zu Lasten der Beklagten geboten.

Der Kläger begehrt deshalb die Zahlung von EUR 25.000 sA und erhebt ein mit EUR 5.000 bewertetes Feststellungsbegehren.

Die Beklagte beantragt die Abweisung dieser Begehren, bestreitet die Ansprüche des Klägers dem Grunde und der Höhe nach und wendet – soweit dies für das Berufungsverfahren relevant ist – insbesondere ein, der vom Kläger behauptete sexuelle Missbrauch habe nicht stattgefunden.

Mit dem nun angefochtenen Urteil wies das Erstgericht die Klagebegehren ab. Der Erstrichter traf die auf den Seiten 2 und 3 der Urteilsausfertigung ersichtlichen Feststellungen, auf welche zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird. Auf die für das Rechtsmittelverfahren bedeutsamen Teile wird bei der Prüfung der Berufungsgründe zurückzukommen sein. Auf Basis dieser Konstatierungen kam der Erstrichter in seiner rechtlichen Beurteilung zum Ergebnis, die Schadenersatzansprüche des Klägers bestünden bereits dem Grunde nach nicht zu Recht, weil der Kläger den geltend gemachten sexuellen Missbrauch nicht nachgewiesen habe.

Dagegen wendet sich die vorliegende Berufung des Klägers aus den Gründen der unrichtigen Tatsachenfeststellungen infolge unrichtiger Beweiswürdigung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die bekämpfte Entscheidung dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte stellt in ihrer Berufungsbeantwortung den Antrag, diesem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

1. Zur Beweisrüge:

Der Kläger bekämpft die folgenden Feststellungen:

„An welchen Tagen der Kläger die Sammelgruppe besuchte ist nicht feststellbar. Nicht feststellbar ist, ob F* G* den Kläger überhaupt betreut hat, sei es im Rahmen der Sammelgruppen oder auf Grund von Ausfällen von anderen Pädagogen.

[…]

Es kann nicht festgestellt werden, dass F* G* oder sonstige Mitarbeiter des Kindergartens den Kläger sexuell missbraucht hätten. Insbesondere ist nicht feststellbar, dass F* G* den Kläger im Intimbereich berührte, ihm einen Finger in den Anus eingeführt hätte und mit ihm ‚Doktorspiele‘ gespielt hätte, mit dem Ziel, ihn unsittlich zu berühren. Auch sonstige (sexuelle) Übergriffe oder nicht adäquate Handlungen sind nicht feststellbar. Es ist auch nicht feststellbar, dass der Kläger Übergriffe irgendeiner Art von Mitarbeitern der Beklagten gegenüber anderen Kindern mitbekommen hätte.“

(UA S 2f und S 3 Mitte)

Stattdessen begehrt der Kläger die folgenden Ersatzfeststellungen:

„F* G* betreut [Anmerkung des Berufungsgerichts: gemeint offensichtlich betreute] den Kläger mehrfach, wobei es zu Übergriffen kam.

[…]

F* G*, Mitarbeiter des Kindergartens der beklagten Partei, hat den Kläger sexuell missbraucht. Insbesondere hat F* H* den Kläger im Intimbereich berührt und ihn auch sonst unsittlich berührt. Es kam zum unzulässigen, sexual übergriffigen Verhalten des Pädagogen F* G* in Bezug auf den Kläger. Die Verhaltensauffälligkeiten des Klägers, konkret Probleme beim Toilettengang und wiederholtes Einnässen, Einschlaf- und Durchschlafstörungen, Nachtschrecken, Wutanfälle, etc sind auf dieses Verhalten des Pädagogen F* G* zurückzuführen.“

Der Erstrichter hat alle zur Verfügung stehenden Beweisergebnisse sehr sorgfältig gewürdigt. In der vorliegenden Berufung zeigt der Kläger keine Aspekte auf, die das Erstgericht nicht zumindest im Kern in seine Beweiswürdigung einbezogen hätte. Da das Berufungsgericht die Ausführungen des Erstrichters in allen Punkten für überzeugend hält, kann darauf grundsätzlich verwiesen werden (§ 500a ZPO).

Die Erledigung der Beweisrüge kann sich deshalb darauf beschränken, dem Berufungswerber die folgenden wesentlichen Punkte (nochmals) entgegenzuhalten:

- Der Erstrichter hat nachvollziehbar dargelegt, dass eine Betreuung des Klägers durch den in Rede stehenden Pädagogen nicht objektivierbar ist (UA S 5, Abs 3). Dagegen führt der Kläger bloß Mutmaßungen ins Treffen (Berufung S 7f), die nicht geeignet sind, die Argumentation des Erstrichters zu entkräften.

- Die vom Kläger angeführten und aus dem Strafakt ersichtlichen Vorwürfe, welche sich auf andere Kinder beziehen (Beil ./D, dort ON 68), erlauben keine verlässlichen Rückschlüsse darauf, wie sich der Pädagoge gegenüber dem Kläger verhalten hat.

- Der Kläger weist zwar zutreffend darauf hin, dass die ihn betreffenden Entwicklungsberichte (Beil ./3) erst in der zweiten Streitverhandlungstagsatzung vorgelegt wurden (ON 22, S 8). Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass daraus Verhaltensauffälligkeiten hervorgehen, die der Kläger bereits vor dem Dienstantritt des Pädagogen (Mai 2020) zeigte (Beil ./3, ad 5.4.2019 [S 1]: „Er macht wieder vermehrt in die Hose“ ; ad 26.2.2020 [S 3]: „Er schlägt manchmal die Kinder, aber ‚er‘ weint dann! Bei jeder Aufforderung ist der direkte Weg aufs WC […]“ ; „Logopädin empfohlen“ ).

- Besonders ins Gewicht fällt die Einschätzung der vom Erstgericht beigezogenen Sachverständigen Mag. I*, wonach ein dem Pädagogen zur Last fallender Missbrauch nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit bejaht werden kann; insbesondere erlauben diverse Verhaltensauffälligkeiten des Klägers vor allem deshalb keine gesicherten Rückschlüsse, weil er selbst keine Missbrauchshandlungen geschildert hat (zusammenfassend ON 39, S 24; mündlich erläutert ON 49, S 2ff).

Die vorliegende Beweisrüge schlägt daher nicht durch.

2. Zur Rechtsrüge:

Der Erstrichter hat die von der höchstgerichtlichen Judikatur entwickelten Beweislastregeln in seiner rechtlichen Beurteilung zutreffend dargestellt (UA S 5f).

Dagegen führt der Kläger (in Übereinstimmung mit seiner bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgetragenen Argumentation) ins Treffen, eine Beweislastverschiebung zu Lasten der Beklagten sei geboten, weil sie es ab dem 24.3.2021 mehr als ein Jahr lang verabsäumt habe, den Kläger von den Missbrauchsvorwürfen zu informieren, die ein anderes Kind gegen den in Rede stehenden Pädagogen geäußert habe.

Dem ist jedoch zu entgegnen, dass selbst eine Beweisvereitelung grundsätzlich keine Beweislastverschiebung zu rechtfertigen vermag (RIS-Justiz RS0040182 [T17]). Umso weniger kann daher eine Beweislastverlagerung in der hier zu beurteilenden Konstellation zum Tragen kommen, in der die Beklagte den Pädagogen (ohnehin) unverzüglich nach den im Raum stehenden Vorwürfen vom Kindergartendienst abgezogen und eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft Wien übermittelt hat (UA S 3, Abs 2).

Auch die Rechtsrüge schlägt daher nicht durch, sodass der Berufung insgesamt kein Erfolg beschieden sein kann.

3. Die Entscheidung über die Berufungsbeantwortungskosten beruht auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

4. Der Bewertungsausspruch stützt sich auf § 500 Abs 2 Z 1 lit b ZPO und folgt der vom Kläger vorgenommenen, unbedenklichen Bezifferung seines Feststellungsbegehrens.

5. Die Revision ist mangels erheblicher Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.