JudikaturOLG Wien

3R156/24v – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
21. Januar 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Iby als Vorsitzenden, den Richter Mag. Guggenbichler und die Richterin Mag. a Müller in der Rechtssache der klagenden Partei A*, geboren am **, **, vertreten durch die Gottgeisl Leinsmer Weber Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei B* Limited, **, Malta, vertreten durch die DSC Doralt Seist Csoklich Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen EUR 34.565,04 samt Anhang, über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau vom 27.8.2024, GZ **-19, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 3.531,42 (darin EUR 588,57 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte ist eine Kapitalgesellschaft mit Sitz in Malta. Sie bietet über ihre auch auf Deutsch abrufbare Website Online-Glücksspiele in Österreich an. Sie verfügt über eine Glücksspiellizenz in Malta, aber über keine Glücksspielkonzession nach österreichischem Recht.

Die Klägerin ist Verbraucherin. Sie spielte auf der Website der Beklagten Glücksspiele und verlor dabei im Zeitraum von 5.11.2020 bis 30.12.2023 insgesamt EUR  34.565,04.

Die Klägerinbegehrt die Rückzahlung ihrer Spielverluste von EUR 34.565,04 samt 4 % Zinsen ab dem Folgetag der letzten Einzahlung, somit ab dem 31.12.2023 aus den Titeln der ungerechtfertigten Bereicherung und des Schadenersatzes. Die geschlossenen Verträge seien unwirksam, weil die Beklagte über keine Konzession nach dem GSpG verfüge.

Die Beklagtebestritt und beantragte Klagsabweisung. Sie verfüge in Malta über eine aufrechte Lizenz der Malta Gaming Authority (MGA) und dürfe daher und aufgrund der in Art 56 AEUV normierten Dienstleistungsfreiheit in der gesamten Europäischen Union Online-Glücksspiel anbieten. Das österreichische Glücksspielrecht greife massiv in die unionsrechtlich gewährleistete Dienstleistungsfreiheit ein und sei aufgrund des Primats des Unionsrechts in diesem Fall nicht zu berücksichtigen. Die dazu ergangene Rechtsprechung der österreichischen Höchstgerichte sei im Lichte der Judikatur des EuGH verfehlt.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem Klagebegehren statt. Es traf die eingangs wiedergegebenen und die weiteren auf den Seiten 3 bis 4 des Urteils ersichtlichen Feststellungen, auf die verwiesen wird.

Soweit für das Berufungsverfahren relevant, führte es in rechtlicher Hinsicht zusammengefasst aus, dass das österreichische Glücksspielmonopol nach stRsp dem Unionsrecht entspreche, somit die zwischen den Streitteilen geschlossenen Glücksspielverträge wegen Verstoßes gegen das GlSpG nichtig seien und daher ein bereicherungs- und schadenersatzrechtlicher Rückforderungsanspruch der Klägerin bestehe.

Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, das angefochtene Urteil im klagsabweisenden Sinn abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

1. Zur Verfahrensrüge:

Als Stoffsammlungsmangel rügt die Beklagte die unterbliebene Einholung des beantragten Sachverständigengutachtens aus dem Bereich Marketing und Werbung, wodurch unter Beweis hätte gestellt werden können, dass der österreichische Monopolist mit seiner Werbung darauf abziele, den Spieltrieb der Verbraucher zu fördern, sowie dass die jährlichen Umsatzsteigerungen des Monopolisten deutlich über der Inflation lägen. Daraus hätte sich bei gesamthafter Betrachtung die Unionsrechtswidrigkeit der Glücksspielmonopolregelungen für den hier relevanten Zeitraum ableiten lassen.

Falls aufgrund eines primären Verfahrensmangels, etwa der Zurückweisung von Beweisanträgen, andere als die vom Beweisführer behaupteten Tatsachen festgestellt wurden, ist dies mit Mängelrüge geltend zu machen ( Pimmer in Fasching/Konecny 3§ 496 ZPO Rz 57). Hat es das Erstgericht unterlassen, trotz entsprechenden Tatsachenvorbringens für die rechtliche Beurteilung relevante Feststellungen zu treffen, so liegt ein mit Rechtsrüge geltend zu machender sekundärer Feststellungsmangel vor ( Pimmer, aaO Rz 58).

Das Erstgericht hat zu den von der Beklagten angeführten Beweisthemen keine Feststellungen getroffen. Sie ist daher auf die Behandlung der Rechtsrüge zu verweisen; ein Verfahrensmangel liegt nicht vor.

2. Zur Rechtsrüge:

2.1 Die Beklagte macht geltend, dass das österreichische Glücksspielmonopol dem unionsrechtlichen Kohärenzgebot widerspreche. Sie rügt das Fehlen von Feststellungen zu den vom EuGH vorgegebenen Kohärenzkriterien als sekundäre Feststellungsmängel. Insbesondere vermisst sie Feststellungen zum Markt- und Werbeverhalten des österreichischen Monopolisten. Die Prüfung der Unionsrechtskonformität der Monopolregelungen dürfe sich nicht auf deren Norminhalt beschränken, vielmehr seien auch die tatsächlichen Wirkungen der Monopolregelungen nach ihrer Erlassung in die Beurteilung miteinzubeziehen.

2.2Der OGH geht in ständiger Judikatur davon aus, dass das im GSpG normierte Monopol- bzw Konzessionssystem bei gesamthafter Würdigung sämtlicher damit verbundener Auswirkungen (insbesondere der Werbemaßnahmen der Konzessionäre) auf dem Glücksspielmarkt allen vom EuGH aufgezeigten Vorgaben des Unionsrechts entspricht (RS0130636 [T7]). Diese Rechtsprechung bezieht sich insbesondere auch auf Online-Glücksspiele.

2.3 Dem Verlangen der Beklagten nach Tatsachenfeststellungen zur Frage der Unionsrechtswidrigkeit ist entgegenzuhalten:

Grundsätzlich ist die Vereinbarkeit von nationalem Recht mit Unionsrecht als Rechtsfrage von Amts wegen zu prüfen, sodass sich Fragen zu einer Darlegungspflicht (Behauptungslast) nicht stellen. Können aber bei Regelungen, bei denen sowohl der Wortlaut als auch die erklärte Zielsetzung des Gesetzgebers gegen die Annahme eines Unionsrechtsverstoßes sprechen, ausnahmsweise tatsächliche Umstände zu einem anderen Ergebnis führen, so hat sich diese Prüfung grundsätzlich an diesbezüglichen Parteienbehauptungen zu orientieren. Dabei trifft hier die Beklagte die Verpflichtung zur Behauptung entsprechender Tatsachen, weil es sich beim Einwand der Unionsrechtswidrigkeit um eine anspruchsvernichtende Einwendung handelt (vgl RS0129945).

2.4 Nach der Rechtsprechung des EuGH sind zwar auch die tatsächlichen Auswirkungen der nationalen Regelungen in die Kohärenzprüfung einzubeziehen (vgl C 390/12, Pfleger, Rn 56), der Begriff „tatsächlich“ ist aber nicht dahin auszulegen, dass die nationalen Gerichte angeleitet werden, „empirisch mit Sicherheit“ das Vorhandensein von bestimmten Auswirkungen der nationalen Regelung nach ihrem Erlass festzustellen (C-464/15, Admiral CasinosEntertainment AG ua, Rn 29). Der Rechtsprechung des EuGH lässt sich gerade nicht entnehmen, dass die Kohärenz jeder einzelnen Differenzierung im nationalen Glücksspielrecht durch eine empirische Studie untermauert werden müsste (3 Ob 72/21s mwN).

2.5 Der EuGH setzte sich in einer neueren Entscheidung (C-920/19, 18.5.2021, Fluctus/Fluentum) wieder mit dem österreichischen Glücksspielmonopol auseinander und bestätigte seine bisherige Rechtsprechung zu den Grenzen der Zulässigkeit wettbewerbsbeschränkender Maßnahmen. Er ging davon aus, dass für die Prüfung der Kohärenz einer expansiven (Werbe-)Politik des Monopolisten auch Umstände wie aggressive Werbemaßnahmen privater Anbieter zugunsten rechtswidriger Aktivitäten oder die Heranziehung neuer Medien wie des Internets durch private Anbieter zu berücksichtigen seien und eine Inkohärenz von das Glücksspielangebot beschränkenden Maßnahmen nicht allein deshalb anzunehmen sei, weil die Werbepraktiken des Monopolisten darauf abzielen, zur aktiven Teilnahme an den Spielen anzuregen, etwa indem das Spiel verharmlost, ihm wegen der Verwendung der Einnahmen für im Allgemeininteresse liegende Aktivitäten ein positives Image verliehen oder seine Anziehungskraft durch zugkräftige Werbebotschaften, die bedeutende Gewinne verführerisch in Aussicht stellen, erhöht wird (Rn 52 f; vgl 1 Ob 229/20p).

2.6Die Beklagte bringt demgegenüber keine in der Rechtsprechung unberücksichtigten Tatsachen vor, die eine geänderte Beurteilung rechtfertigen könnten, zumal der Sachverhalt einen (von der Rsp des OGH abgedeckten, vgl die Entscheidungen zu RS0130636) Zeitraum in den Jahren von 2020 bis Ende 2023 betrifft.

Entgegen der Ansicht der Beklagten lässt sich aus der von ihr zitierten Entscheidung 4 Ob 124/17i gerade nicht ableiten, dass in jedem einzelnen von dieser Frage berührten Fall eine entsprechende Tatsachengrundlage festzustellen wäre.

2.7Auch der Hinweis auf die Aufhebung von Teilen des § 25 Abs 3 GSpG durch den VfGH (G 259/2022) ändert an dieser Beurteilung nichts. Mag der Gesetzgeber durch das (primäre) Abstellen (nur) auf die Einholung einer Bonitätsauskunft den unionsrechtlich gebotenen Spielerschutz von Spielbankbesuchern auch nicht in einer dem Sachlichkeitsgebot entsprechenden Weise verwirklicht haben, bedeutet dies noch nicht, dass dieses Anliegen im Glücksspielrecht als Ganzem nicht in kohärenter Weise verfolgt würde. Aus der teilweisen Verfassungswidrigkeit bloß einer Einzelregelung zum Spielerschutz im Bereich der Spielbanken kann nicht abgeleitet werden, dass das österreichische System der Glücksspiel-Konzessionen – entgegen der bisher ständigen Rechtsprechung – unionsrechtswidrig wäre (1 Ob 25/23t [Rz 8]; 2 Ob 23/23f [Rz 8]).

An der Unionsrechtskonformität der österreichischen Regelungen zum Glücksspiel ist daher festzuhalten.

2.8 Zuletzt vertritt die Berufungswerberin die Rechtsansicht, der Klägerin stünden Zinsen für länger als 3 Jahre vor Klagseinbringung zurückliegende Verluste erst ab Fälligstellung zu, die durch die Zustellung des Europäischen Zahlungsbefehls am 20.5.2024 erfolgt sei.

Dabei übersieht die Berufungswerberin jedoch, dass der Bereicherungsschuldner nach ständiger Rechtsprechung die mit dem gesetzlichen Zinssatz pauschalierten Nutzungen eines von ihm zu erstattenden Geldbetrags unabhängig vom Eintritt des Verzugs herauszugeben hat (4 Ob 46/13p; 7 Ob 10/20a). Nach ständiger Rechtsprechung hat selbst der redliche Bereicherungsschuldner – außer bei Vorliegen einer Gegenleistung – die mit dem gesetzlichen Zinssatz pauschalierten Nutzungen eines vom ihm zu erstattenden Geldbetrags unabhängig vom Eintritt des Verzugs herauszugeben („Vergütungszinsen“). Auch bei Redlichkeit des Bereicherten ist nämlich die Nutzungsmöglichkeit des Kapitals inter partes dem Bereicherungsgläubiger zugeordnet. Es wäre daher nicht zu rechtfertigen, wenn der Schuldner den Nutzungsvorteil bis zum Einlangen eines Rückzahlungsbegehrens behalten könnte; § 1000 ABGB ist in diesem Zusammenhang ganz generell als Pauschalierung des gewöhnlichen Nutzungsentgelts für Geld („Zinsen“) zu verstehen (10 Ob 2/23a unter Hinweis auf 7 Ob 10/20a ErwGr II.E.1.2.; und 4 Ob 46/13p ErwGr 4.2.). Damit ist auch der Zinsenzuspruch durch das Erstgericht nicht zu beanstanden.

3. Die Anregung der Beklagten auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens war nicht aufzugreifen, weil die relevanten Prüfungskriterien vom EuGH bereits ausreichend festgelegt wurden und zu den Voraussetzungen der unionsrechtlichen Zulässigkeit eines Glücksspielmonopols sowie der dadurch bewirkten Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit bereits umfangreiche Rechtsprechung sowohl des EuGH als auch der Höchstgerichte in Österreich vorliegt.

4.Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

5.Die Revision ist mangels erheblicher Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.