JudikaturOLG Wien

18Bs380/24z – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
07. Januar 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat durch die Senatspräsidentin Mag. Frohner als Vorsitzende sowie die Richterinnen Mag. Lehr und Mag. Primer als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A*wegen § 87 Abs 1 und Abs 1a StGB und weiterer strafbarer Handlungen über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 17. Dezember 2024, GZ **-8, nichtöffentlich den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Die Untersuchungshaft ist wegen Flucht- und Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit a und lit b StPO fortzusetzen.

Die Haftfrist endet am 7. März 2025.

Text

B e g r ü n d u n g :

Über Antrag der Staatsanwaltschaft Wien (ON 1.3) verhängte der Haft- und Rechtsschutzrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien über den am 20. Jänner 1999 geborenen syrischen Staatsangehörigen A* nach dessen Festnahme am 16. Dezember 2024, 00:58 Uhr (ON 4.2, 2), und Einlieferung in die Justizanstalt Wien-Josefstadt am selben Tag um 16:50 Uhr (ON 4.4, 1) wegen des dringenden Verdachts des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB (I./), des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 und Abs 1a StGB (II./) und des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB (III./) die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit b und StPO mit Wirksamkeit bis 31. Dezember 2024 (ON 7, 3 und ON 8).

Gegen diesen Beschluss richtet sich die fristgerecht unmittelbar nach der Verkündung erhobene (ON 7, 3), unausgeführt gebliebene Beschwerde des Beschuldigten.

Rechtliche Beurteilung

Die Beschwerde ist nicht berechtigt.

Die Untersuchungshaft darf nach § 173 Abs 1 StPO nur dann verhängt oder fortgesetzt werden, wenn der Beschuldigte einer bestimmten Tat dringend verdächtig, sohin mit hoher Wahrscheinlichkeit der Täter ist. Ein solcher Verdacht besteht, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens von bestimmten Umständen rechtfertigen. Dringender Tatverdacht ist mehr als eine bloße Vermutung und mehr als einfacher oder gewöhnlicher Verdacht ( Kirchbacher/Rami , WK-StPO § 173 Rz 3). Es genügt das Vorliegen von Indizien, die zwar nicht für sich allein, jedoch in ihrem Zusammenhang eine logisch und empirisch einwandfreie und tragfähige Begründung der Annahme der Täterschaft darstellen ( Mayerhofer/Salzmann , Strafprozessordnung 6§ 173 Rz 4) bzw die Kenntnis von Tatsachen, aus denen nach der Lebenserfahrung auf die Begehung eines Vergehens oder Verbrechens geschlossen werden kann. Ein Schuldbeweis ist nicht erforderlich (RIS-Justiz RS0107304).

Das Beschwerdegericht geht – ebenso wie das Erstgericht - im Rahmen seiner reformatorisch zu treffenden Entscheidung (§ 174 Abs 4 zweiter Satz StPO; RIS-Justiz RS0116421) vom Vorliegen des folgenden dringenden Tatverdachtes (§ 173 Abs 1 StPO) des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB (I./), des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 und Abs 1a StGB (II./) und des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB (III./) aus:

Demnach habe am A* am 16. Dezember 2024 in Wien versucht (§ 15 StGB),

I./ Beamte mit Gewalt an einer Amtshandlung zu hindern, indem er die Polizeibeamten Insp. B* und Insp. C* mit Fäusten und Fußtritten attackierte sowie mit einer Nagelfeile auf Insp. B* einstach, um sie von seiner Identitätsfeststellung sowie der Durchführung seiner Festnahme abzuhalten;

II./ einem Beamten während oder wegen der Vollziehung seiner Aufgaben oder der Erfüllung seiner Pflicht eine schwere Körperverletzung (§ 84 StGB) absichtlich zuzufügen, indem er die Polizeibeamtin Insp. B* während der zu I./ angeführten Amtshandlung mit Fäusten und Fußtritten attackierte und mit einer Nagelfeile gezielt auf den Arm- und Kopfbereich der Genannten einzustechen trachtete, wobei es nur deshalb beim Versuch blieb, weil die Genannte den Bereich mit den Armen schützte und so nur eine Prellung und Abschürfungen im Schulterbereich erlitt;

III./ Insp. C*, somit einen Beamten, während oder wegen der Vollziehung seiner Aufgaben am Körper zu verletzten, indem er ihn mit Fäusten und Fußtritten attackiert, wobei der Genannte keine Verletzungen erlitt und es deshalb lediglich beim Versuch blieb.

Da der bekämpfte Beschluss keine expliziten Sachverhaltsgrundlagen zur inneren Tatseite enthält (lediglich zu deren Begründung), ist zu ergänzen:

Auf der Ebene der inneren Tatseite besteht der dringende Verdacht, dass es der Beschuldigte zumindest ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden habe, durch sein Vorgehen Beamte an Amtshandlungen zu hindern (I./) und dadurch eine Verletzung am Körper zuzufügen (III./). Außerdem ist er qualifiziert verdächtig, er habe in der Absicht gehandelt, der Beamtin Insp B* während oder wegen der Vollziehung ihrer Aufgaben oder der Erfüllung ihrer Pflicht eine schwere Körperverletzung (§ 84 StGB) absichtlich zuzufügen, indem er sie mit Fäusten und Fußtritten attackierte und mit einer Nagelfeile gezielt auf den Arm- und Kopfbereich der Genannten einzustechen trachtete, wobei es nur aufgrund der Abwehrhandlungen der Genannten beim Versuch blieb.

Der dringende Tatverdacht zur objektiven Tatseite gründet sich auf die Ermittlungen des LKA **, GZ ** (ON 2), insbesondere die dienstlichen Wahrnehmungen der Insp. B* im ausführlichen Amtsvermerk vom 16. Dezember 2024 (ON 2.9), in welchem auch das aggressive Verhalten des Beschuldigten beschrieben wird, die Sicherstellung der Tatwaffe (ON 2.16) sowie die objektivierten Verletzungen der Insp. B* (ON 2.12).

Den aufgezeigten belastenden Umständen vermag der Beschuldigte mit seinem Vorbringen, er könne sich an den Vorfall nicht erinnern (ON 2.3; ON 7, 3) bzw er habe sich nicht aggressiv verhalten, die Polizeibeamten nicht mit Fußtritten und Faustschlägen attackiert und nicht mit einer Nagelfeile auf die Beamtin eingestochen (ON 7, 3), nichts Stichhaltiges entgegen zu setzen.

Der dringende Tatverdacht zur subjektiven Tatseite folgt aus dem objektiven Tathergang – bei einem leugnenden Täter ist der Schluss vom gezeigten Verhalten auf dessen subjektive Tatseite methodisch gar nicht zu ersetzen und rechtsstaatlich vertretbar ( Ratz, WK-StPO § 281 Rz 452; RIS-Justiz RS0098671, RS0116882). Aus dem Umstand, dass der Beschuldigte mit einer spitz zulaufenden Nagelfeile (ON 2.6) auf den Kopfbereich der Beamtin einzustechen versuchte, lässt sich zweifelsfrei ableiten, dass er in der Absicht gehandelt habe, diese absichtlich schwer zu verletzen (Faktum II./).

Neben der qualifizierten Verdachtslage liegen auch die Haftgründe der Fluchtgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 StPO und der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a und lit b StPO vor.

Unter Fluchtgefahr ist die Gefahr zu verstehen, der Beschuldigte werde sich der Strafverfolgung als solcher entziehen, also dem Strafverfahren insgesamt oder zumindest der ihm allenfalls drohenden Strafe ( Kirchbacher/Rami,aaO Rz 31). Angesichts des Umstands, dass der Beschuldigte syrischer Staatsangehöriger ohne festen Unterstand (ON 7, 1) und ohne soziale Integration in Österreich ist, steht konkret zu befürchten, dass er sich auf freiem Fuß dem Strafverfahren zumindest durch Verborgenhalten zu entziehen suchen werde (§ 173 Abs 2 Z 1 StPO).

Außerdem liegt der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a und lit b StPO vor, weil zu befürchten ist, der Beschuldigte werde hinkünftig ungeachtet des wegen einer mit mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe bedrohten Straftat gegen ihn geführten Strafverfahrens weiterhin ohne Anlass aufgrund seiner psychischen Verfassung (vgl ON 2.4, 3 f; ON 2.9; ON 10) erneut strafbare Handlungen mit schweren Folgen, die gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet sind, wie das ihm zu Faktum II./ angelastete (wenn auch nur versuchte) Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung begehen, welches als Straftat mit schweren Folgen iSd § 173 Abs 2 Z 3 lit a StPO anzusehen ist (siehe RIS-Justiz RS0108487 [insbesondere T4]; Nimmervoll, Haftrecht³ Rz 655; K irchbacher/Rami, aaO Rz 43), bzw eine strafbare Handlung mit nicht bloß leichten Folgen begehen, die gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet ist wie die ihm gegenständlich angelasteten wiederholten strafbaren Handlungen.

Den angeführten Haftgründen kann aufgrund ihrer Intensität auch nicht effektiv ( Mayerhofer/Salzmann, aaO E 192) durch gelindere Mittel des § 173 Abs 5 StPO begegnet werden. Ein Sachverständigengutachten zur Feststellung des aktuellen psychiatrischen Zustandes des Beschuldigten wurde bereits in Auftrag gegeben (ON 10).

Im Hinblick auf das Gewicht der Straftaten und der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden Sanktion angesichts eines relevanten Strafrahmens einer Freiheitsstrafe von zwei bis zu zehn Jahren (§ 87 Abs 1a StGB) steht der seit 17. Dezember 2024 andauernden Haft auch keine Unverhältnismäßigkeit entgegen (OGH 12 Os 139/04).

Der Beschwerde ist daher ein Erfolg zu versagen.

Der Ausspruch über die Wirksamkeit dieses Beschlusses gründet sich auf § 174 Abs 4 iVm § 175 Abs 2 Z 3 StPO, wobei über eine darüber hinausgehende Fortsetzung der Untersuchungshaft in einer neuerlichen Haftverhandlung zu entscheiden ist, soweit nicht einer der Fälle des § 175 Abs 3 bis 5 StPO eintritt.