JudikaturOLG Linz

8Bs82/25b – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
01. Juli 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterin Mag. Reinberg als Vorsitzende, die Richterin Mag. Haidvogl, BEd, und den Richter Mag. Grosser in der Strafsache gegen A* B*wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über dessen Einspruch gegen die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Steyr vom 15. April 2025, St* (= Hv*-17 des Landesgerichts Steyr), in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:

Spruch

Der Einspruch wird abgewiesen.

Die Anklageschrift ist rechtswirksam.

Text

BEGRÜNDUNG:

Mit Anklageschrift vom 15. April 2025 legt die Staatsanwaltschaft Steyr dem am ** geborenen Jugendlichen A* B* die Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (zu I./), des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (zu II./) und der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, 2 und 3a Z 1 StGB (zu III./) zur Last. Demnach habe er

Dagegen richtet sich der rechtzeitige Einspruch des Angeklagten vom 25. April 2025, mit dem er auf Grundlage von § 212 Z 3 StPO die Zurückweisung der Anklageschrift zur Wiedereröffnung des Ermittlungsverfahrens beantragt (ON 18).

Der Rechtsbehelf, zu dem sich die Oberstaatsanwaltschaft nicht geäußert hat, ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 212 Z 3 StPO steht dem Angeklagten Einspruch gegen die Anklageschrift zu, wenn der Sachverhalt nicht soweit geklärt ist, dass eine Verurteilung des Angeklagten nahe liegt. Zur Beurteilung dieser Frage hat das Oberlandesgericht nicht bloß die staatsanwaltliche Begründung zu überprüfen, sondern selbst den Beweiswert der be- und entlastenden Beweismittel in angemessener Weise zu würdigen, mithin die Ermittlungsergebnisse originär zu bewerten ( Birklbauerin WK-StPO § 212 Rz 13 unter Hinweis auf RIS-Justiz RL0000086).

Damit eine Verurteilung des Angeklagten nahe liegt, muss bei Gegenüberstellung der belastenden und entlastenden Indizien mit einfacher Wahrscheinlichkeit (11 Os 124/19y; Ratz, Verfahrensführung und Rechtsschutz nach der StPO 2 Rz 521; Hinterhofer/Oshidari , Strafverfahren Rz 8.14) ein Schuldspruch zu erwarten sein (vgl auch Birklbauer aaO § 212 Rz 15). Nicht hinreichend aufgeklärt ist der Sachverhalt dagegen, wenn auf Grundlage der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens eine Verurteilung zwar grundsätzlich möglich, aber rein spekulativ wäre ( Kirchbacher, StPO 15 § 212 Rz 5).

Denn während die öffentliche (§ 12 Abs 1 StPO) Hauptverhandlung den Schwerpunkt des Verfahrens bildet und der unmittelbaren Beweisaufnahme dient, auf Grund derer das Urteil zu fällen ist (§ 13 Abs 1 StPO), verfolgt das Ermittlungsverfahren primär das Ziel, eine Grundlage für die Entscheidung herauszuarbeiten, ob der Tatverdacht hinreicht um Anklage zu erheben (§ 13 Abs 2 StPO, vgl auch § 91 Abs 1 StPO; Schmoller in WK-StPO § 13 Rz 42). Soweit nicht späterer Beweismittelverlust droht, ist die Beweisaufnahme in diesem Verfahrensstadium daher an dieser Funktion zu orientieren und durch diese begrenzt ( Schmoller aaO § 13 Rz 41; Voglin WK-StPO § 91 Rz 3). Eine „allumfassende“ Beweisaufnahme ist nicht erforderlich. Vielmehr können Beweisanträge ebenso wie Beweisaufnahmen der Hauptverhandlung vorbehalten werden, sofern es weder für das Verfahrensergebnis noch für die Verfahrensbeteiligten auf den Zeitpunkt der Beweisaufnahme ankommt, insbesondere falls selbst ein dem Beschuldigten günstiges Ergebnis der einzelnen Beweisaufnahme nichts daran ändern würde, dass der Verdacht insgesamt für eine Anklage ausreicht. In solchen Fällen spricht der Grundsatz der Unmittelbarkeit sogar für eine Verlagerung der Beweisaufnahme in die Hauptverhandlung. Umgekehrt wäre ein derartiger Vorbehalt (nur) dann unzulässig, wenn entweder die Gefahr eines Verlusts des Beweismittels droht oder wenn durch die Beweisaufnahme möglicherweise der Tatverdacht unmittelbar beseitigt und deshalb das Verfahren beendet werden kann, mithin eine Senkung des Tatverdachts unter jenes Maß zu erwarten wäre, ab dem die Staatsanwaltschaft zur Anklageerhebung berechtigt ist (§ 55 Abs 3 StPO; Schmoller aaO § 55 Rz 93 f; Haißl in Schmölzer/Mühlbacher, StPO² § 55 Rz 20). Geboten ist eine Beweisaufnahme im Ermittlungsverfahren ferner in jenen Fällen, in denen davon Hinweise auf die Existenz und Beschaffenheit weiterer Beweismittel zu erwarten sind oder sie der Vorbereitung und Entlastung der Hauptverhandlung dienen und deren zügige Durchführung erst ermöglichen (wie etwa in manchen Konstellationen die Beiziehung von Sachverständigen; vgl Schmoller aaO § 55 Rz 95; Rami in Kier/Wess , HB Strafverteidigung² Rz 12.43).

Der Einspruchswerber sieht eine bloß unzureichende Sachverhaltsklärung darin begründet, dass der von ihm in seiner Beschuldigtenvernehmung erwähnte K* weder im Ermittlungsverfahren als Zeuge vernommen noch von der Staatsanwaltschaft für die Hauptverhandlung als Zeuge beantragt worden sei. K* sei in jener Nacht, in dem es zu dem unter Punkt I./ der Anklageschrift umschriebenen Geschehen gekommen sein soll, anwesend gewesen und könne Angaben zu Zustand und Verhalten der C* D* und des Angeklagten machen. Nachdem (abgesehen von D*) niemand das unmittelbare Tatgeschehen bezeugen könne, komme diesen Umständen eine erhöhte Relevanz zu (vgl ON 18, 3 f).

Die Anklageschrift stützt sich insoweit auf die Angaben der C* D* vor der Kriminalpolizei (ON 2.4) und im Rahmen ihrer kontradiktorischen Vernehmung durch das Gericht (ON 9), in deren Zuge sie das Geschehen im Wesentlichen widerspruchsfrei darlegte. Der Staatsanwaltschaft ist auch insoweit zuzustimmen, als die Aussage des Angeklagten, der die Tat bestreitet und angibt, er habe zu keiner Zeit mit D* Geschlechtsverkehr gehabt (ON 5.4), in einem Spannungsverhältnis zu dem im Akt enthaltenen Chatverkehr (ON 5.7 und ON 5.8) steht. Inwieweit seine Behauptung, er habe diese Nachrichten nicht geschrieben (ON 5.4, 7), überzeugt, wird in der Hauptverhandlung zu klären sein. Das gleiche gilt für die Abweichungen sowohl der Aussage des Angeklagten als auch jener der C* D* von den Angaben der übrigen beiden im Ermittlungsverfahren befragten Zeugen L* (ON 5.5) und M* N* (ON 5.6). Vor diesem Hintergrund könnte die Einvernahme des K*, so es sich dabei um den Freund des Angeklagten, dessen Anwesenheit an jenem Abend sowohl von N* (ON 5.6, 5) als auch von D* (ON 2.4, 4, ON 9, 3) bestätigt wird, handelt, tatsächlich relevant sein (vgl insbesondere RIS-Justiz RS0098429). Dass seine Aussage den Tatverdacht unter jenen Grad der Verurteilungswahrscheinlichkeit drücken könnte, der eine Anklageerhebung (erlaubt und) gebietet, ist jedoch bereits nach dem Einspruchsvorbringen („war fast die ganze Zeit anwesend, kann vor allem Angaben zu Zustand und Verhalten des vermeintlichen Opfers machen und auch seine Eindrücke zum Angeklagten schildern“) und den dort genannten Beweisthemen nicht anzunehmen.

Ausgehend davon wurde seine Befragung zu Recht der Hauptverhandlung vorbehalten. Dass sein Name im (bloßen) Beweismittelverzeichnis der Anklageschrift (vgl dazu: BirklbaueraaO § 211 Rz 37) nicht angeführt ist, schadet nicht; steht es dem Angeklagten doch frei, selbst bei Gericht entsprechende Anträge zu stellen (§ 222 Abs 1 StPO).

Zu den Punkten II./ und III./ der Anklageschrift moniert der Einspruch, dass Erhebungen in der Wohneinrichtung durchgeführt und die Betreuer der Wohneinrichtung befragt hätten werden müssen (vgl ON 18, 4).

Nach den Angaben der G* H* habe sie einer Pädagogin der Einrichtung von den Vorfällen erzählt und haben Pädagogen diese fallweise auch wahrgenommen (ON 104, 5). I* J* verneinte eine diesbezügliche Nachfrage (ON 10.5, 5; ON 14, 3). Der Angeklagte bestätigte entsprechende Gespräche (ON 11.4, 6). In Anbetracht der die unter Anklage gestellten Taten auch in rechtlicher Hinsicht tragenden (vgl RIS-Justiz RS0127377) Aussagen der beiden Opfer (H*: ON 10.4 und ON 15; J* ON 10.5 und ON 14) und der die Übergriffe (zumindest in objektiver Hinsicht) einräumenden Verantwortung des Angeklagten (ON 11.4), die darüber hinaus durch die Depositionen der Brüder O* (ON 11.6 und ON 11.7) sowie des P* (ON 11.5) gestützt werden, waren weitere Ermittlungen jedoch tatsächlich entbehrlich.

Nachdem auch sonst kein Einspruchsgrund auszumachen ist, ist gemäß § 215 Abs 6 StPO die Rechtswirksamkeit der Anklageschrift festzustellen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).