9Bs108/25h – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Dr. Engljähringer als Vorsitzende und Mag. Kuranda sowie den Richter Mag. Huemer-Steiner in der Strafsache gegen A* wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz vom 1. April 2025, Hv1*-30, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:
Spruch
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Mit (gekürzt ausgefertigtem) Urteil vom 24. März 2025 (ON 25) wurde A* des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB (1.), des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (2.1.) und des Vergehens des Betrugs nach § 146 StGB (2.2.) schuldig erkannt und unter Anwendung der §§ 28 Abs 1, 39 Abs 1a, 39a Abs 1 Z 4 iVm Abs 2 Z 3 StGB nach dem Strafsatz des § 84 Abs 4 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Gleichzeitig wurde gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO die dem Angeklagten im Verfahren Hv2* des Landesgerichts Linz gewährte bedingte Nachsicht einer zwölfmonatigen Freiheitsstrafe, die dort über ihn wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG und Vergehen nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG verhängt worden war (vgl Pos 02 in ON 22), widerrufen.
Nach dem (nunmehrigen) Schuldspruch hat A* in B*
1. am 30. September 2024 C* am Körper verletzt, und zwar durch Stich- und Schnittbewegungen mit einem Bastelmesser mit 2 cm Klingenlänge gegen Oberkörper und Arme und dadurch, wenn auch nur fahrlässig, eine schwere Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung (§ 84 Abs 1 StGB) in Form von einer Schnittverletzung am linken Oberarm und von Schnittverletzungen mit Durchtrennung der Strecksehne des Mittel- und Ringfingers links herbeigeführt, wodurch C* bis 31. Oktober 2024 eine Unterarmschiene und sodann für sechs Wochen einen Gips tragen musste;
2. am 8. November 2024
2.1. eine fremde Urkunde, über die er nicht oder nicht allein verfügen durfte, mit dem Vorsatz unterdrückt zu verhindern, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werde, indem er den Identitätsnachweis und die e-card des D* ohne dessen Einverständnis an sich nahm;
2.2. mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, Verfügungsberechtigte des E* B* als Rechtsträger des F*-Hospitals B* durch Täuschung über Tatsachen durch Verwendung der unterdrückten e-card des D*, während er selbst über keine aufrechte Krankenversicherung verfügte, zu einer Handlung, nämlich zur Verbringung ins Krankenhaus mit dem Rettungswagen und dortigen (intensiv)medizinischen Behandlung wegen einer Lungenentzündung vom 8. bis zum 11. November 2024 verleitet, die den E* B* (bzw nach Verrechnung die Österreichische Gesundheitskasse) in nicht mehr festgestellter Höhe an seinem Vermögen schädigte.
Diese Strafe(n) im Gesamtausmaß von drei Jahren (vgl Strafvollzugsanordnung ON 26.2) trat der Verurteilte am 17. April 2025 an (ON 34 und ON 33).
Bereits mit Schreiben vom 25. März 2025 hatte er die Gewährung eines Strafaufschubs gemäß § 39 SMG im Wesentlichen mit der Begründung begehrt, dass er seit 15 Jahren drogenabhängig sei und ohne Hilfe seine Sucht nicht zu bewältigen vermöge. Da er im nächsten Monat Vater werde, möchte er ein drogenfreies Leben führen (ON 28).
Die Staatsanwaltschaft sprach sich gegen die Gewährung eines Haftaufschubs gemäß § 39 SMG mit der Begründung aus, dass keine von dieser Bestimmung erfasste Straftat (Straftat nach dem SMG oder im Zusammenhang mit der Beschaffung von Suchtmitteln) vorliege (ON 1.16).
Diese Rechtsauffassung vertrat auch das Erstgericht und wies mit dem angefochtenen Beschluss vom 1. April 2025 (ON 30) den Antrag des Verurteilten, ihm Strafaufschub gemäß § 39 SMG zu gewähren, ab; ebensowenig sei der mit dem Urteil beschlussmäßig ergangene Widerruf der dem Angeklagten zu Hv2* des Landesgerichts Linz gewährten bedingten Strafnachsicht strafsatzbestimmend gewesen.
Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des Verurteilten, in der er betont, dass er zur Bewältigung seiner Sucht dringend einer Therapie bedürfe. Die Tat (gemeint die schwere Körperverletzung) habe er nur begangen, weil er schon mehrere Tage ohne Schlaf gewesen sei. Zugestochen habe er, weil er Angst und Panik gehabt habe. Aufgrund seines Drogenkonsums habe er unbewusst gehandelt, ohne an eine Strafe zu denken (ON 36 und ON 40).
Die Beschwerde, zu der sich die Oberstaatsanwaltschaft inhaltlich nicht geäußert hat, ist letztlich ohne Erfolg.
Rechtliche Beurteilung
Wie vom Erstgericht zutreffend dargelegt, setzt die Gewährung eines Strafaufschubs nach § 39 SMG neben einer Gewöhnung an Suchtmittel primär voraus, dass über den Verurteilten eine Strafe wegen einer nach dem SMG – nicht jedoch nach § 28a Abs 2, 4 oder 5 leg cit – oder wegen einer Straftat, die mit der Beschaffung von Suchtmitteln im Zusammenhang steht, verhängt wurde. Dabei kommt es grundsätzlich auf die höchste Strafdrohung an, nach der die Strafe zu bestimmen ist (§ 28 Abs 1 StGB). Bei einer Verurteilung wegen mehrerer Taten, von denen einzelne keines der beiden Kriterien erfüllen, muss die höchste Strafdrohung also entweder aus dem SMG – ausgenommen § 28a Abs 2, 4 und 5 leg cit – stammen oder Beschaffungskriminalität betreffen ( Matzka/Zeder/Rüdisser SMG 3 § 39 Rz 11 mN; Schwaighofer in WK 2 SMG § 39 Rz 9 ff).
Unter solchen Versorgungs- oder Beschaffungsdelikten sind grundsätzlich Straftaten zu verstehen, die begangen werden, um unmittelbar Drogen zu erlangen (direkte Beschaffungskriminalität), und ferner Vermögensdelikte aller Art, die verübt werden, um Geld- und Tauschmittel für den Erwerb von Drogen zu beschaffen (indirekte Beschaffungskriminalität), einschließlich strafbarer Handlungen, die im engsten sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einer Beschaffungstat „begleitend“ verwirklicht werden, sofern der Täter an Suchtmittel gewöhnt ist. Sonstige Begleitkriminalität, das sind andere Taten, bei denen auch bei großzügiger Interpretation kein Zusammenhang mit der Suchtgiftbeschaffung herzustellen ist, fallen aus dem Anwendungsbereich des § 39 Abs 1 SMG ebenso (vgl § 35 Abs 2 SMG) heraus wie Straftaten, die als Folge des Suchtmittelmissbrauchs begangen werden (Folgekriminalität; Schwaighofer in WK² SMG § 35 Rz 27 ff mwN).
Vorliegend resultiert der strafsatzbestimmende Schuldspruch der Primärverurteilung (Pkt 1.) aus einer Körperverletzungshandlung, hinsichtlich derer sich der (geständige, ON 25, 4) Verurteilte selbst, ebenso wie im Übrigen das Opfer (ON 2.7), zu keiner Zeit damit verantwortet hatte, dass Hintergrund der tätlichen Auseinandersetzung ein Suchtgiftankauf gewesen sei (ON 2.8). Soweit die Verfahrensergebnisse Tatbegehung unter dem Einfluss des Suchtmittelmissbrauchs nahelegen (zuletzt ON 40), steht für solcherart angesprochene Folgekriminalität die Möglichkeit eines Strafaufschubs nach § 39 Abs 1 SMG aber nicht offen.
Zwar fußte die gleichzeitig iSd § 494a Abs 1 Z 4 StPO ergangene Widerrufsentscheidung auf einem (dort strafsatzbestimmenden) Schuldspruch wegen Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG. Dahingestellt bleiben kann jedoch in der aktuellen Konstellation, ob die konkret zu den zeitlichen Strafaufschubsvoraussetzungen entwickelte höchstgerichtliche Judikatur, der zufolge nicht nur die in der Primärverurteilung ausgesprochene (unbedingte) Freiheitsstrafe, sondern auch die durch einen zugleich damit gefassten Widerruf aktualisierte Strafe im Sinn des § 39 Abs 1 SMG „verhängt“ wurde (RIS-Justiz RS0132035 [T1 und T2] = 11 Os 98/19z), in nächster Konsequenz den Schluss zuließe, dass die Aufschubsvoraussetzungen gleichermaßen erfüllt sind, wenn – wie hier – einzig die der Widerrufsentscheidung zugrunde liegende Delinquenz eine solche nach dem SMG oder wegen Beschaffungskriminalität iSd § 39 Abs 1 SMG war. Denn nach Lage der Dinge wäre in einer Gesamtschau der Schuldsprüche gemäß § 84 Abs 4 StGB (Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis fünf Jahren) und § 28a Abs 1 SMG (Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren) dennoch das (fallbezogen nicht aufschubsgeeignete) Körperverletzungsdelikt nach § 28 Abs 1 StGB „strafsatzbestimmend“ geblieben (so RIS-Justiz RS0122195 = 14 Os 102/06s für mehrere Schuldsprüche wegen Taten mit gleicher Höchststrafdrohung in einer Verurteilung; aA Schwaighofer in WK 2 SMG § 39 Rz 12 mH).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).