JudikaturOLG Linz

9Bs88/25t – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
Strafrecht
29. April 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Dr. Engljähringer als Vorsitzende, Mag. Hemetsberger und Mag. Kuranda in der Maßnahmenvollzugssache des A*wegen § 25 Abs 3 StGB und bedingter Entlassung aus einer strafrechtlichen Unterbringung nach § 21 Abs 1 StGB über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts Steyr vom 31. März 2025, BE1*-22, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Der am ** geborene A* wurde mit Urteil des Landesgerichts Linz als Jugendschöffengericht vom 11. Juni 2021, Hv*, in einem (nunmehr) forensisch-therapeutischen Zentrum gemäß § 21 Abs 1 StGB untergebracht, weil er am 7. November 2020 in ** unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades, nämlich einer Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis (F20.0) und einem schädlichen Gebrauch von Cannabis (F12.1) beruht, den Betreuer B*

I./ gefährlich mit dem Tode bedrohte, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er sich Stirn an Stirn gegenüber B* aufbaute, ihn schubste und sagte: „I gib da die Faust!“, und sich anschließend vor das Fenster des Büros stellte, lautstark schrie, B* soll rauskommen und das mit ihm klären und sodann mit einem Messer in der Hand Stichbewegungen in Richtung B* führte;

II./ durch gefährliche Drohung mit dem Tod zu einer Handlung, nämlich ihm Einlass zu gewähren, zu nötigen versuchte, indem er schrie, er (B*) solle aufmachen, er wolle in die Küche und sich etwas zu essen machen, nachdem B* den Einlass verweigerte, gegen die Tür trat und schrie: „Mach jetzt sofort auf oder ich stech dich ab!“,

somit Taten beging, die ihm außer diesem Zustand als das Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB und als das Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 15 Abs 1, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB zuzurechnen gewesen wären.

A* befand sich ab 19. Mai 2021 in der Forensischen Abteilung des C* Klinikums/**. Seit 20. November 2023 wird die Maßnahme im Forensisch-Therapeutischen Zentrum ( kurz: FTZ) D* vollzogen (vgl ON 4,3).

Zuletzt stellte das Landesgericht Linz als Vollzugsgericht mit Beschluss vom 22. März 2024, BE2*, die Notwendigkeit der weiteren Unterbringung des Betroffenen in einem FTZ gemäß § 21 Abs 1 StGB fest. Das Oberlandesgericht Linz gab der dagegen erhobenen Beschwerde des Betroffenen mit Beschluss vom 30. April 2024, 9 Bs 101/24b, nicht Folge.

Mit dem nun angefochtenen Beschluss vom 31. März 2025 (ON 22) stellte auch das Landesgericht Steyr als Vollzugsgericht fest, dass die weitere Unterbringung des Betroffenen in einem FTZ gemäß § 21 Abs 1 StGB noch notwendig ist.

Die dagegen wiederum erhobene Beschwerde des Betroffenen (ON 24), mit der er primär seine bedingte Entlassung anstrebt, ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Vorbeugende Maßnahmen sind auf unbestimmte Zeit anzuordnen und solange zu vollziehen, wie es ihr Zweck erfordert (§ 25 Abs 1 StGB). Die bedingte Entlassung aus einer mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme ist zu verfügen, wenn nach der Aufführung und der Entwicklung des Angehaltenen in der Anstalt, nach seiner Person, seinem Gesundheitszustand, seinem Vorleben und nach seinen Aussichten auf ein redliches Fortkommen anzunehmen ist, dass die Gefährlichkeit gegen die sich die vorbeugende Maßnahme richtet, nicht mehr besteht (§ 47 Abs 2 StGB).

Betreffend die übrigen gesetzlichen Voraussetzungen ist der Betroffene mit seiner in weiten Teilen auf die durch das MVAG 2022 geänderten Bestimmungen des JGG (im Wesentlichen § 5 Z 6b, § 17b; § 63 Abs 16 iVm § 17c JGG) abzielenden Beschwerdeargumentation auf die Entscheidung dieses Beschwerdegerichts vom 30. April 2024, 9 Bs 101/24b, zu verweisen (BS 3 f).

Das Erstgericht hat in der angefochtenen Entscheidung die Entwicklung des Betroffenen im Maßnahmenvollzug und den Inhalt der maßgeblichen Entscheidungsgrundlagen, insbesondere die psychiatrische Stellungnahme des C* Klinikums ** vom 11. Dezember 2023 (ON 16), die – am 28. Februar 2025 (ON 14) und in der Anhörung vom 11. März 2025 (ON 18, 2) ergänzte – Stellungnahme des FTZ D* vom 20. November 2024 (ON 4), das kinder- und jugendpsychiatrische Gutachten des Sachverständigen Prim. Dr. E* vom 1. Februar 2025 (ON 11) samt Ergänzungsgutachten vom 28. März 2025 (ON 20) sowie die Mitteilung des Grünen Kreises vom 11. März 2025 (ON 17) am Akt orientiert in den wesentlichen Punkten wiedergegeben, sodass zur Vermeidung von Wiederholungen auch darauf verwiesen werden kann (ON 22, 2 ff).

Ausgehend von der Entscheidung dieses Beschwerdegerichts vom 30. April 2024 ist insbesondere unter weiterer Berücksichtigung der schlüssigen und nachvollziehbaren Stellungnahmen der genannten Einrichtungen, des persönlichen Eindrucks vom Betroffenen im Rahmen der Anhörung sowie der zumindest zum Teil damit in Einklang zu bringenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen in Übereinstimmung mit dem Erstgericht davon auszugehen, dass die Unterbringung des Betroffenen vor dem Hintergrund seiner nach wie vor geltenden schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung notwendig ist. Dass das FTZ D* in diesem Zusammenhang von einer kombinierten Persönlichkeitsstörung (F61), einer psychischen Verhaltensstörung durch andere Stimulanzien (Amphetamine): Entzugssyndrom (F15.3), psychischen und Verhaltensstörung durch Tabak mit Abhängigkeitssyndrom – ständiger Substanzgebrauch (F17.25), psychischen und Verhaltensstörung durch multiplen Substanzgebrauch und Konsum anderer psychotroper Substanzen: schädlicher Gebrauch (F19.1) und Zustand nach psychotischer Störung (F19.5; vgl ON 4,1) ausgeht, während der aktuell bestellte Sachverständige Prim. Dr. E* eine nach wie vor bestehende komplexe Traumafolgestörung mit Symptomen einer Persönlichkeitsstörung (ON 11, 30) diagnostiziert, ändert an dieser Einschätzung noch nichts.

Soweit der Sachverständige zu den Prognosetaten isoliert hervorhebt, dass sich aus jugendpsychiatrischer Sicht das geforderte „hohe Risiko“ in absehbarer Zeit für Taten mit schweren Folgen, also Taten gegen Leib und Leben anderer oder gegen die sexuelle Integrität nicht bestätigen lasse (ON 11, 31), wird allein dadurch die Einschätzung des FTZ D*, demnach die Gefährlichkeit, gegen die sich die vorbeugende Maßnahme richtet, noch nicht abgebaut sei und aktuell außerhalb der schützenden Strukturen des FTZ nicht hintangehalten werden könne, nicht entscheidend relativiert. Abgesehen davon, dass – worauf aber ohnehin auch bereits das Erstgericht hinweist – der vom Sachverständigen offenbar bedachte § 21 Abs 3 zweiter Satz StGB hier keine Anwendung findet, führt das FTZ D* nämlich basierend auf dem gut dokumentierten bisherigen Vollzugsverlauf (wie auch das nur zeitlich begrenzte bessere Verhalten des Betroffenen und der Drogenkonsum im FTZ über mehrere Monate hinweg) schlüssig aus, dass derzeit bei Wegfall des hoch strukturierten Settings die Symptomatik der Persönlichkeitsstörung rasch und gegebenenfalls aufgrund des Alters des Betroffenen auch weiter aggraviert und es zu weiterem Substanzkonsum kommen kann. Unter diesen Bedingungen ist mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einem relativ raschen Rückfall (innerhalb eines halben Jahres) in gewalttätiges Verhalten zu rechnen. Unter dem maßgeblichen Einfluss seiner psychischen Störung sind mit Strafe bedrohte Handlungen mit schweren Folgen (analog zum Einweisungsdelikt wie zB schwere Körperverletzungen und schwere Nötigungen) mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten (ON 4, 12 f). Diese Annahme ist nicht nur mit der psychiatrischen Stellungnahme des C* Klinikums ** vom 11. Dezember 2023 (ON 16), wo der Betroffene zuvor über zwei Jahre betreut wurde, sondern auch mit dem im Verfahren BE2* des Landesgerichts Linz eingeholten forensisch-psychologischen Gutachten des Sachverständigen Mag. F*, MSc erst vom 21. Februar 2024 in Einklang zu bringen. Auch den Ausführungen dieses Sachverständigen zufolge ist nämlich vorerst nach wie vor mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten, der Betroffene werde sonst in absehbarer Zeit (innerhalb von einem halben Jahr) unter dem maßgeblichem Einfluss seiner psychischem Störung erneut eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen (schwere Körperverletzungen oder schwere Nötigungen) begehen.

Mit der Einschätzung des Erstgerichts ist also die Gefährlichkeit, gegen die sich die vorbeugende Maßnahme richtet, noch nicht abgebaut und kann zumindest derzeit auch außerhalb der schützenden Strukturen eines FTZ nicht hintangehalten werden.

Wenngleich die Problematik mit der vom Sachverständigen Prim. Dr. E* in den Vordergrund gerückten Suchterkrankung (die sich offenbar aktuell nicht in Form von häufigen Konsum sondern im großen Verlangen nach Substanzen zeige [ON 20, 3]), die bereits zu intensiven Bemühungen des FTZ D* geführt hat, nicht übersehen wird, so dürfen auch beim immer noch sehr jungen Betroffenen die Zwecke und die gesetzlichen Bestimmungen des Maßnahmenvollzugs nicht ignoriert werden. Zutreffend führt dazu bereits das Erstgericht aus, dass die vom Sachverständigen empfohlene stationäre Drogentherapie aufgrund der bisherigen Entwicklung nicht ausreichend sein kann, den Maßnahmenvollzug zu substituieren. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass selbst nach Ansicht der Therapieeinrichtung Grüner Kreis bei einer vorgezogenen stationären Therapie ein rascher Therapieabbruch erwartet werden könne und vorerst eine Wohnweisung samt engmaschiger ambulanter Betreuung zur Stabilisierung bzw Bewährung in diesem Rahmen empfohlen werde (ON 17).

Wenn in der Beschwerde nun primär kritisiert wird, dass das Erstgericht nicht den Empfehlungen des Sachverständigen, sondern jenen des FTZ und der Vorgutachter gefolgt sei, werden die gut und gesetzeskonform begründeten Ausführungen des Erstgerichts zu den ohnehin augenscheinlichen Abweichungen in den genannten Entscheidungsgrundlagen und den teilweise mit dem Maßnahmenvollzug inkompatiblen Empfehlungen des Sachverständigen übergangen. Abgesehen davon, dass auch der gerichtliche Sachverständige von einer nach wie vor geltenden schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung ausgeht und selbst davon spricht, dass die Weiterbetreuung im Maßnahmenvollzug Sicherheit für andere bringen würde, wären seine Empfehlungen zu einer Hintanhaltung der Gefährlichkeit extra muros derzeit, wie erwähnt, mit den gesetzlichen Voraussetzungen nämlich nicht vereinbar, weshalb lediglich der Vollständigkeit halber angemerkt wird, dass die vom Grünen Kreis empfohlene vorherige Wohnweisung schon an der Verfügbarkeit eines entsprechenden Platzes scheiterte.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).