10Bs81/25w – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Dr. Henhofer als Vorsitzende und Mag. Höpfl sowie den Richter Mag. Graf in der Übergabesache des A* B* zur Strafvollstreckung an die Republik Ungarn über dessen Beschwerde gegen Spruchpunkt 1. des Beschlusses des Landesgerichts Wels vom 2. April 2025, HR*-22, nach der am 16. April 2025 in Anwesenheit des Oberstaatsanwalts Mag. Zentner, des Betroffenen und seines Verteidigers Mag. Strasser durchgeführten öffentlichen Verhandlung beschlossen:
Spruch
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Beim Landesgericht Wels ist gegen den am ** geborenen ungarischen Staatsangehörigen A* B* aufgrund des Europäischen Haftbefehls des Gerichtshofs Budapest-Umgebung vom 4. März 2025, AZ **, ein Übergabeverfahren zur Vollstreckung der mit seit 22. Mai 2023 rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichts Vác vom 29. Juni 2022, AZ **, verhängten Freiheitsstrafe von acht Monaten, wovon noch sieben Monate und 29 Tage zu verbüßen sind, anhängig.
Nach diesem Europäischen Haftbefehl beging er das Vergehen des Diebstahls, begangen als Mittäter nach § 370 Abs 1 und 2b) Unterpunkt bc) des ungarischen Strafgesetzbuchs, weil er und C* D* am 13. September 2019 gegen 14.15 Uhr den E*-Supermarkt in **, **, betraten und dabei zunächst C* D* die Etiketten zweier Salami-Stangen (Wert: 2.500,00 HUF/Stück), eine 0,5 kg Packung Käse (Wert: 1.250 HUF), einer im Laufe der Ermittlungen nicht identifizierbaren Süßigkeit sowie die Sicherheitsetiketten zweier Schokoladenliköre (Wert: 3.000,00 HUF/Stück) entfernte und die Produkte anschließend in seinem Rucksack versteckte, währenddessen B* die Sicherungsetiketten von einer 0,7 Liter Flasche Bourbon Whiskey (Wert: 3.599,00 HUF) und einer 0,7 Liter Flasche Jagdbitter-Likör (Wert: 2.599,00 HUS) – wobei es teilweise beim Versuch geblieben ist – entfernte, wobei sie auf frischer Tat von einem Sicherheitsbeamten betreten wurden, woraufhin D* mit den Produkten das Geschäft fluchtartig verließ und B* die Waren ins Regal zurückzustellen versuchte und sich anschließend vom Ort entfernte.
Mit dem angefochtenen Beschluss bewilligte das Erstgericht die Übergabe des Betroffenen unter Wahrung des Spezialitätsgrundsatzes zur Strafvollstreckung an die ungarischen Behörden (Spruchpunkt 1. in ON 22).
Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des Betroffenen.
Die Beschwerde ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Von der im Hoheitsgebiet der Republik Ungarn erfolgten Verurteilung sind noch mehr als vier Monate zu vollstrecken und stellen die zugrunde liegenden Handlungen nach den österreichischen Strafbestimmungen das Vergehen des Diebstahls nach § 127 StGB dar, sodass die für eine Übergabe zur Strafvollstreckung erforderlichen Voraussetzungen nach § 4 Abs 2 EU-JZG erfüllt sind.
Es trifft zu, dass die Belehrung nach § 16a Abs 1 Satz 1 EU-JZG, darunter auch das Recht, im Ausstellungsstaat durch einen Verteidiger vertreten zu werden (Z 5), sogleich, also unmittelbar nach der Festnahme der aufgrund eines Europäischen Haftbefehls angehaltenen Person zu ergehen hat. Allerdings kennt das EU-JZG keine Bestimmung, wonach bei einem Verstoß gegen diese Belehrungspflicht eine Übergabe unzulässig wäre.
Die vom Beschwerdeführer geforderte Anrechnung der Übergabehaft auf den noch offenen Strafrest hat durch den Ausstellungsstaat zu erfolgen.
Der – unbekämpft gebliebene – Umstand, dass es sich bei der zugrunde liegenden Verurteilung um ein Abwesenheitsurteil handelt, wurde dadurch saniert, dass der Betroffene in Kenntnis vom Verhandlungstermin war und einen Verteidiger beauftragte, von dem er auch tatsächlich vertreten wurde.
Soweit der Beschwerdeführer eine ihn betreffende konkrete Gefährdung für seine Sicherheit und sein Leben im ungarischen Strafvollzug anspricht, ist ihm zu entgegnen, dass nach ständiger Rechtsprechung des EGMR der Beschwerdeführer die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen, ernsthaften (gewichtigen) Gefahr schlüssig nachzuweisen hat, wobei der Nachweis hinreichend konkret sein muss. Demnach muss ein konkretes Risiko bestehen, die betreffende Person würde im Empfangsstaat der tatsächlichen Gefahr einer Art 3 MRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt sein und dies muss anhand stichhaltiger Gründe belegbar sein. Geht die Gefahr für Leib und Leben nicht von staatlicher Seite aus, muss der Beschwerdeführer nicht nur nachweisen, dass die Gefahr eine unmittelbar bedrohende ist, sondern auch, dass die staatlichen Autoritäten nicht in der Lage sind, ihn ausreichend vor dieser Gefahr zu schützen (RIS-Justiz RS0123229). Nach den der Beschwerdeausführung angeschlossenen Angaben der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers wird dieser von ihrem Ex-Mann – zugleich sein Bruder – gefährlich bedroht. Eine Anzeige bei den ungarischen Behörden ist bislang nicht erfolgt. Diese durch nichts bescheinigten bloßen Behauptungen stellen jedenfalls den geforderten Nachweis nicht dar und vermochte der Beschwerdeführer auch nicht schlüssig darzustellen, weshalb dieser Schutz im ungarischen Strafvollzug nicht möglich sein sollte.
Darüber hinaus gibt es seinem Beschwerdestandpunkt zuwider hinsichtlich der Republik Ungarn keine objektiven, zuverlässigen, genauen und gebührend aktualisierten Angaben über die Haftbedingungen im Ausstellungsmitgliedsstaat, die das Vorliegen systemischer oder allgemeiner, bestimmte Personengruppen oder bestimmte Haftanstalten betreffende Mängel belegen. Somit unterblieb die vom EuGH mit Entscheidung vom 5. April 2016, AZ C-404/15 und C-659/15 PPU, und 25. Juli 2018, C-220/18 PPU, dargestellte – und vom Betroffenen nunmehr auch konkret eingeforderte – zweistufige Prüfung der Haftbedingungen im Zielstaat zu Recht. Soweit der Beschwerdeführer vermeint, das Erstgericht wäre verpflichtet gewesen abzuklären, in welcher Haftanstalt die Freiheitsstrafe vollzogen werden wird und welche Haftbedingungen dort herrschen würden, ist ihm zu entgegnen, dass Übergabe- bzw Auslieferungsverfahren weder den Garantien des Art 6 MRK unterliegen (13 Os 150/07v) noch der Aufklärung von Straftaten dienen, mithin amtswegiges Vorgehen (§ 2 StPO) grundsätzlich nicht geboten ist.
Die Beschwerde blieb daher erfolglos.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 21 Abs 1 EU-JZG iVm § 31 Abs 6 ARHG iVm § 89 Abs 6 StPO).