JudikaturOLG Linz

10Bs81/25w – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
EU-Recht
11. April 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Dr. Henhofer als Vorsitzende und Mag. Höpfl sowie den Richter Mag. Graf im Verfahren zur Übergabe des A* B* zur Strafvollstreckung an die Republik Ungarn über dessen Beschwerde gegen Spruchpunkt 2. des Beschlusses des Landesgerichts Wels vom 2. April 2025, HR*-22, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Die über A* B*, geboren am C*, verhängte Übergabehaft wird aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 173 Abs 1 und 2 Z 1 StPO iVm § 18 EU-JZG, § 29 Abs 1 ARHG fortgesetzt.

Dieser Beschluss ist durch eine Haftfrist nicht mehr beschränkt.

Text

Begründung:

Aufgrund des Europäischen Haftbefehls des Gerichtshofs Budapest-Umgebung vom 4. März 2025, AZ **, leitete die Staatsanwaltschaft Wels am 18. März 2025 gemäß § 16 EU-JZG gegen den am ** geborenen ungarischen Staatsangehörigen A* B* ein Übergabeverfahren zwecks Strafvollstreckung an Ungarn ein und beantragte die Verhängung der Übergabehaft über A* B* gemäß §§ 17, 18 EU-JZG, 173 Abs 1 und 2 Z 1 StPO (ON 1.4).

Nach dem vorliegenden Europäischen Haftbefehl des Gerichtshofs Budapest-Umgebung vom 4. März 2025, AZ **, war A* B* mit Urteil des Bezirksgerichtes Vac vom 29. Juni 2022, AZ: **, bestätigt durch das Berufungsurteil des Gerichtshofs Budapest-Umgebung vom 22. Mai 2023, AZ **, wegen des Vergehens des Diebstahls, begangen als Mittäter, nach § 370 Abs 1 und 2.b) Unterpunkt bc) des ungarischen Strafgesetzbuchs zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt worden, weil er und C* D* am 13. September 2019 gegen 14.15 Uhr den E*-Supermarkt in **, ** betraten und dabei zunächst C* D* die Etiketten zweier Salami Stangen (Wert 2.500,00 HUF/Stück), einer 0,5 kg Packung Käse (Wert 1.250 HUF), einer im Laufe der Ermittlungen nicht identifizierbaren Süßigkeit sowie die Sicherheitsetiketten zweier Schokoladenliköre (Wert 3.000,00 HUF/Stück) entfernte und die Produkte anschließend in seinem Rucksack versteckte, währenddessen B* die Sicherungsetiketten von einer 0,7 Liter Flasche Bourbon Whiskey (Wert 3.599 HUF) und einer 0,7 Liter Flasche Jagdbitter-Likör (Wert 2.599 HUF) – wobei es teilweise beim Versuch geblieben ist – entfernte, wobei sie auf frischer Tat von einem Sicherheitsmitarbeiter betreten wurden, woraufhin D* mit den Produkten das Geschäft fluchtartig verließ und B* die Waren ins Regal zurückzustellen versuchte und sich anschließend vom Ort entfernte. Sowohl bei der Verhandlung in erster Instanz vor dem Bezirksgericht Vác am 29. Juni 2022 als auch in der Berufungsverhandlung am 22. Mai 2023 war der Beschwerdeführer nicht persönlich erschienen, aber durch den von ihm bevollmächtigten Rechtsvertreter verteidigt worden.

Mit Beschluss des Landesgerichts Wels vom 19. März 2025 wurde über A* B* die Übergabehaft aus dem Haftgrund der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 1 und 2 Z 1 und 3 lit b und c StPO iVm § 17,18 EU-JZG mit längster Wirksamkeit bis 2. April 2025 verhängt (ON 15).

Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss wurde die Übergabe des A* B* an die ungarischen Behörden zum Zweck der Strafvollstreckung der noch zu verbüßenden Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten und 29 Tagen gemäß §§ 4 Abs 1, 21 Abs 1 EU-JZG für zulässig erklärt (Spruchpunkt 1.) und die Übergabehaft aus den genannten Haftgründen fortgesetzt (Spruchpunkt 2.).

Die dagegen in der Haftverhandlung erhobene, schriftlich ausgeführte Beschwerde richtet sich gegen die Bewilligung der Übergabe (darüber ist gesondert in einer Übergabeverhandlung zu entscheiden) und gegen die Fortsetzung der Übergabehaft.

Die Beschwerde zu Spruchpunkt 2. ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 18 Abs 1 EU-JZG gilt ein Europäischer Haftbefehl als Ersuchen um Durchführung eines Übergabeverfahrens und Verhängung der Übergabehaft. Für die Übergabehaft gelten gemäß § 18 Abs 2 EU-JZG die Bestimmungen über die Auslieferungshaft gemäß § 29 ARHG sinngemäß.

Nach § 4 Abs 2 EU-JZG kann ein Europäischer Haftbefehl zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme erlassen oder vollstreckt werden, wenn noch mindestens vier Monate zu vollstrecken sind und die zugrunde liegende Handlung unabhängig von ihrer gesetzlichen Bezeichnung auch nach dem Recht des Vollstreckungsstaats eine mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlung darstellt.

Die dem Europäischen Haftbefehl zugrunde liegenden Handlungen stellen nach österreichischem Recht das Vergehen des Diebstahls nach § 127 StGB dar, weshalb sie als übergabefähig iSd § 4 Abs 2 EU-JZG anzusehen sind, zumal mehr als vier Monate Freiheitsstrafe zur Vollstreckung anstehen.

Von dieser Verdachtslage ausgehend bejahte das Erstgericht der Beschwerdeargumentation zuwider zutreffend das Vorliegen des Haftgrunds der Fluchtgefahr.

Beim Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 173 Abs 1 Z 1 StPO ist im Übergabeverfahren die Befürchtung maßgebend, die betroffene Person werde sich der Durchführung der Auslieferung entziehen (vgl Nimmervoll , Haftrecht ³ Z 1822).

A* B* ist trotz in Ungarn anhängigem Strafverfahren im Jahr 2020 nach Deutschland gezogen und lebt nunmehr seit eineinhalb Jahren in Österreich. Er geht hier keiner sozialversicherungspflichtigen Arbeit nach. Seine sozialen Bindungen im Inland beschränken sich auf seine ebenfalls seit eineinhalb Jahren in Österreich lebende Lebensgefährtin und das gemeinsame Kind, sowie die beiden weiteren Kinder der Lebensgefährtin. Im Zuge eines anhängigen Strafverfahrens in Österreich (es gilt die Unschuldsvermutung) gab die Lebensgefährtin an, sich vom Beschwerdeführer trennen zu wollen (S 5 in ON 20.5). Mit Blick auf die Bevollmächtigung eines Verteidigers, ist davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer der Verfahrensausgang und der notwendige Vollzug einer noch offenen restlichen Freiheitsstrafe bekannt waren.

Vor diesem Hintergrund und den Angaben des Betroffenen, die Strafe nicht in Ungarn verbüßen zu wollen (ON 14), besteht die konkrete Befürchtung er werde sich dem Übergabeverfahren, so wie bisher der Strafvollstreckung in Ungarn, zu entziehen versuchen.

Dem Haftgrund der Fluchtgefahr kann im Hinblick auf sein Gewicht zur effektiven Hintanhaltung durch gelindere Mittel des § 173 Abs 5 StPO nicht zweckentsprechend begegnet werden. Ein Vorgehen nach § 180 Abs 1 letzter Satzteil StPO (obligatorische Kaution) kommt – den Beschwerdeausführungen zuwider - bei Übergabehaft zur Strafvollstreckung nicht in Betracht (RIS-Justiz RS0128943).

Da bereits der Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 173 Abs 1 Z 1 StPO vorliegt, kann fallkonkret das Vorliegen des weiteren Haftgrunds der Tatbegehungsgefahr nach Z 3 lit b und c leg cit dahingestellt bleiben (nach dem Akteninhalt hat der Betroffene seit der dem Übergabeverfahren zugrunde liegenden Tathandlung im Jahr 2019 keine weiteren strafbaren Handlungen begangen).

Die erst knapp ein Monat andauernde Übergabehaft erweist sich angesichts der im Zielstaat zu vollstreckenden Unrechtsfolge auch nicht als unverhältnismäßig, da sie auf letztere anzurechnen ist.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diese Entscheidung steht kein weiteres Rechtsmittel zu.