11Rs16/25i – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Richter Senatspräsident Dr. Robert Singer als Vorsitzenden, Mag. Herbert Ratzenböck und Dr. Patrick Eixelsberger sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Wolfgang Christian Schneckenreither (Kreis der Arbeitgeber) und KR Dietmar Hochrainer (Kreis der Arbeitnehmer) in den verbundenen Sozialrechtssachen der klagenden Partei A* , geboren am **, **, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt , Landesstelle B*, **, **, vertreten durch ihren Angestellten Mag. C*, jeweils wegen Versehrtenrente, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 8. November 2024, Cgs1*, Cgs2* 22, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird mit der Maßgabe bestätigt, dass es zu lauten hat:
„1. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei für die Folgen des Arbeitsunfalls vom 15. Juni 2022 ab 1. Februar 2023 eine vorläufige Versehrtenrente in Höhe von netto EUR 636,48 monatlich unter Zugrundelegung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 % und anstelle dieser vorläufigen Versehrtenrente ab 1. Mai 2024 eine Dauerrente von 25 % der Vollrente in Höhe von EUR 581,85 monatlich zu zahlen.
2. Die Klagebegehren auf Gewährung einer Versehrtenrente in einem jeweils höheren Ausmaß werden abgewiesen.
3. Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Vertretung selbst zu tragen.“
Die klagende Partei hat die Kosten des Berufungsverfahrens selbst zu tragen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 23.5.2023 gewährte die Beklagte dem Kläger für die Folgen des Arbeitsunfalls vom 15.6.2022 eine vorläufige Versehrtenrente in Höhe von netto EUR 636,48 monatlich ab 1.2.2023 unter Zugrundelegung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 %.
Mit Bescheid vom 28.2.2024 gewährte die Beklagte dem Kläger für die Folgen des Arbeitsunfalls vom 15.6.2022 anstelle der vorläufigen Versehrtenrente ab 1.5.2024 eine Dauerrente von 25 % der Vollrente in Höhe von EUR 581,85 monatlich.
Der Kläger begehrte mit den gegen diese Bescheide erhobenen Klagen die Gewährung einer Rentenleistung in einem jeweils darüber hinaus gehenden Ausmaß, weil seine unfallskausalen Beeinträchtigungen zu einer jeweils wesentlich höheren Minderung der Erwerbsfähigkeit führen würden.
Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klagen. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit sei von ihr jeweils korrekt ausgemessen worden.
Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht die Klagen jeweils ohne Bescheidwiederholung ab. Es traf folgende Feststellungen :
Beim Unfall am 15.6.2022 erlitt der Kläger ein Schädel-Hirn-Trauma, einen Bruch des Speichenköpfchens rechts, einen Trümmerbruch der Beckenpfanne mit zentraler Hüftluxation rechts und einen oberen und unteren Schambeinastbruch rechts.
Wegen der Gehirnerschütterung und des Speichenköpfchenbruches rechts ist es zu keiner Minderung der Erwerbsfähigkeit gekommen.
Insgesamt beträgt die Minderung der Erwerbsfähigkeit bezüglich der rechten Hüfte, die auf den Unfall vom 15.6.2022 zurückzuführen ist, von 1.2.2023 bis 30.4.2024 30 %, ab 1.5.2024 25 %.
In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Auffassung, dass die festgestellten Grade der Minderung der Erwerbsfähigkeit von der Beklagten im jeweiligen Bescheid gewährt worden seien, weshalb kein Anspruch auf eine Versehrtenrente in einem höheren Ausmaß bestehe.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens mit dem Abänderungsantrag auf Klagsstattgebung; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt in ihrer Berufungsbeantwortung, der Berufung keine Folge zu geben.
Die Berufung ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung wendet sich nur gegen die unterbliebene, vom Kläger beantragte Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachgebiet der Neurologie. Dadurch hätte sich ergeben, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit bezüglich der rechten Hüfte unter Berücksichtigung der auf den Unfall vom 15.6.2022 zurückzuführenden neurologischen Ausfälle von 1.2.2023 bis 30.4.2024 zumindest 45 % und ab 1.5.2024 zumindest 40 % betragen habe.
Dazu ist auszuführen:
1. Das Gericht kann grundsätzlich davon ausgehen, dass medizinische Sachverständige die Notwendigkeit allfälliger weiterer Untersuchungen oder weiterer Gutachten aus anderen medizinischen Fachgebieten beurteilen können (vgl bloß Neumayrin ZellKomm³ § 75 ASGG Rz 9 mwN). Sofern vom Sachverständigen daher nicht die Einholung weiterer Gutachten angeregt wird, begründet das Unterbleiben der Einholung weiterer Gutachten im Regelfall keinen Verfahrensmangel, auch wenn dies vom Kläger beantragt wurde.
2.1 Der beigezogene unfallchirurgische Sachverständige erachtete ein weiteres neurologisches Sachverständigengutachten für nicht notwendig, weil keine relevanten neurologischen Ausfälle vorliegen würden und solche auch in den Berichten des Rehabilitationszentrums und in den im Akt befindlichen Gutachten nicht angeführt seien.
2.2 Ausgehend von diesen schlüssigen Ausführungen des beigezogenen unfallchirurgischen Sachverständigen gelingt es der Berufung nicht darzulegen, warum die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens aus dem Fachgebiet der Neurologie erforderlich wäre. Die Berufungsausführungen beschränken sich im gegebenen Zusammenhang nämlich darauf, dass der unfallchirurgische Sachverständige (unter anderem) auf das neurologische (Anstalts-)Gutachten Beilage ./1.10 verweist. Daraus ist aber entgegen der Berufung nicht abzuleiten, dass der unfallchirurgische Sachverständige durch diese Bezugnahme selbst die Relevanz einer neurologischen Begutachtung dargelegt habe. Vielmehr hat der unfallchirurgische Sachverständige damit nur zu erkennen gegeben, dass seinen eigenen Untersuchungsergebnissen entsprechend nicht einmal den von ihm konkret angeführten, im Akt befindlichen Unterlagen, darunter auch das neurologische Anstaltsgutachten, Anhaltspunkte für relevante neurologische Ausfälle zu entnehmen seien. Ein unfallchirurgischer Sachverständiger ist im Rahmen seiner Fachkenntnisse zweifellos in der Lage, aufgrund seiner eigenen Untersuchung und der weiteren ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen die Erforderlichkeit einer neurologischen Untersuchung und Begutachtung zur weiteren Abklärung der Unfallfolgen abzuschätzen. Gegenteiliges wird auch von der Berufung nicht behauptet. Vor diesem Hintergrund war die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachgebiet der Neurologie nicht indiziert, weshalb dessen Nichteinholung keine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens begründet.
3. Andere Berufungsgründe werden nicht ausgeführt. Der Berufung war daher ein Erfolg zu versagen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die bekämpften Bescheide gemäß § 71 Abs 1 ASGG durch die Einbringung der Klagen auch im jeweils stattgebenden Teil außer Kraft getreten sind. Dies hat zur Folge, dass dem Kläger auch dann, wenn ihm wie hiernur die den außer Kraft getretenen Bescheiden jeweils entsprechende Leistung zusteht, diese Leistungen im Urteil neuerlich zuzusprechen gewesen wären, weil das Urteil an die Stelle der Bescheide tritt; andernfalls fehlte die Grundlage für die Erbringung der den Bescheiden entsprechenden Leistung (vgl RS0085721).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Mangels tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten des Verfahrens kommt ein Kostenersatzanspruch des Klägers nach Billigkeit nicht in Betracht. Für eine amtswegige Berichtigung eines Urteils im Wege einer Maßgabebestätigung aus Anlass eines zulässigen Rechtsmittels steht in Bezug auf eine dadurch erfolgte Wiederholung des bereits im Bescheid Zuerkannten ein Kostenersatz nicht zu (vgl 10 ObS 117/16b zur Feststellung von Schwerarbeitszeiten).
5. Die ordentliche Revision ist gemäß § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig, weil ein vom Berufungsgericht verneinter Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens auch in Sozialrechtssachen nicht an das Höchstgericht herangetragen werden kann (RS0043061).