JudikaturOLG Linz

9Bs12/25s – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
29. Januar 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Dr. Engljähringer als Vorsitzende, Mag. Hemetsberger und Mag. Kuranda in der Strafsache gegen A* B* wegen des Vergehens der beharrlichen Verfolgung nach § 107a Abs 1 und 2 Z 1 und 2 StGB über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Einzelrichters des Landesgerichts Salzburg (im Ermittlungsverfahren) vom 17. Jänner 2025, HR*-12, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:

Spruch

Der Beschwerde wird Folge gegeben; der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und die Sache wird zur neuen Entscheidung unter sinngemäßer Anwendung des § 293 Abs 2 StPO (§ 89 Abs 2a Z 4 StPO) an das Erstgericht verwiesen.

Begründung:

Die Staatsanwaltschaft Salzburg führt zu St* ein Ermittlungsverfahren wegen des Vergehens der beharrlichen Verfolgung nach § 107a Abs 1 und 2 Z 1 und 2 StGB gegen den ** geborenen Bosnier A* B*.

Demnach habe der Beschuldigte in der Zeit vom 10. Dezember 2024 bis 13. Jänner 2025 in C* seine von ihm getrennt lebende Noch-Ehefrau D* B* und seine am ** geborene Tochter E* B* durch mehrmaliges, teilweise durch Hinterlassen persönlicher Gegenstände teilweise verstörenden Inhalts, etwa eines ihn zeigenden Lichtbildes samt einer Sanduhr, unterstrichenes Aufsuchen der räumlichen Nähe im Bereich der Wohnung und der Schule der Tochter, sowie durch wiederholtes Zusenden elektronischer Nachrichten, somit im Wege einer Telekommunikation eine längere Zeit hindurch und in einer Weise, die geeignet gewesen sei, sie in ihrer Lebensführung unzumutbar zu beeinträchtigen, widerrechtlich beharrlich verfolgt.

Mit dem angefochtenen Beschluss (ON 12) wurde der Antrag der Staatsanwaltschaft vom 14. Jänner 2025 (ON 1.1) auf Bewilligung der Festnahmeanordnung abgewiesen.

Dagegen richtet sich die Beschwerde der Staatsanwaltschaft (ON 11), mit der sie die Kassation des angefochtenen Beschlusses und die Bewilligung der Festnahmeanordnung mit der Maßgabe, die in der Begründung angeführte Tatzeit beginne mit 10. Dezember 2024, beantragt.

Die Beschwerde ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 170 Abs 1 StPO setzt jede Festnahme das Vorliegen eines Tatverdachts und eines Haftgrundes voraus. Ein Tatverdacht liegt vor, wenn es aufgrund bestimmter Tatsachen wahrscheinlich ist, dass die zu verhaftende Person eine gerichtlich strafbare Handlung, also eine tatbildmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Handlung, begangen hat. Die Wahrscheinlichkeit kann bei der Festnahme einen geringeren Grad haben als bei der Untersuchungshaft, die nach § 173 Abs 1 StPO einen „dringenden“ Tatverdacht voraussetzt ( Kirchbacher, StPO 15 § 170 Rz 2).

Des Vergehens der beharrlichen Verfolgung nach § 107a Abs 1 und 2 StGB macht sich strafbar, wer eine Person widerrechtlich beharrlich verfolgt. Beharrlich verfolgt eine Person ua, wer in einer Weise, die geeignet ist, sie in ihrer Lebensführung unzumutbar zu beeinträchtigen, eine längere Zeit hindurch fortgesetzt ihre räumliche Nähe aufsucht. Die EBRV verweisen für die Auslegung der Beharrlichkeit auf § 53 Abs 2 StGB, wo ein wiederholtes oder andauerndes Verhalten verlangt wird. Auch eine gewisse Regelmäßigkeit ist erforderlich: Große Zeitabstände zwischen den einzelnen Stalking-Handlungen sprechen gegen die Beharrlichkeit. Zur Zeitspanne, ab der von einer längeren Zeit gesprochen werden kann, geben die Materialien keine näheren Hinweise: Der Begriff sei „in Relation zur Tathandlung“ und „jeweils nach den Besonderheiten des Einzelfalles zu deuten“. Aus dem Wort „fortgesetzt“ ergibt sich jedenfalls zwingend, dass ein wiederholtes Handeln notwendig ist ( Schwaighofer in Höpfel/Ratz,WK² StGB § 107a Rz 8, 9 mwN). Entscheidendes Kriterium ist die Belastung für das Opfer. Diese hängt – neben Art und Schwere der einzelnen Stalking-Handlungen – von deren Anzahl, Dauer und den dazwischen liegenden Zeitabständen ab. Maßgebend ist die Gesamtbetrachtung dieser Parameter, womit eine besonders starke Ausprägung eines davon unter dem Aspekt der Subsumtion eine Reduktion des Gewichts der anderen zulässt (RIS-Justiz RS0130054). Als Richtlinie für schwerere Fälle (zB Abs 2 Z 3, aber auch Z 4) könnte eine Mindestdauer von einem Monat und mindestens drei Einzelhandlungen gelten. Bei leichteren Fällen (insb Abs 2 Z 2) wird man erst bei einem Handeln über mehrere Wochen und mindestens zehn Einzelhandlungen von einer längeren Zeit sprechen können. Es ist auch ein großer Unterschied in der Belästigungswirkung, ob die gesendeten SMS oder E-Mails von einer unbekannten oder bekannten Person stammen, ob sie etwa sexuelle Anzüglichkeiten enthalten oder „neutrale“ Versuche, eine Beziehung wieder in Gang zu bringen. SMS und E-Mails sind generell wesentlich weniger belästigend als Telefonanrufe. Beharrlichkeit und Hartnäckigkeit ist bei der Werbung um einen Partner, aber auch Versuchen, eine beendete Beziehung wieder zu reaktivieren, oft geradezu Voraussetzung für den „Erfolg“ ( Schwaighofer in Höpfel/Ratz,WK² StGB § 107a Rz 10).

Über allem steht hier die schon vor über zwei Jahren vollzogene Trennung zwischen den Ehegatten B* und das Verhalten des Beschuldigten gegenüber seiner Ehefrau und Tochter seither. Wie im Wesentlichen bereits 2022 (ON 2.8) wurde dem Beschuldigten auch mit einstweiliger Verfügung vom 6. Mai 2024 (ON 2.9) der Aufenthalt an der Wohnadresse der Antragstellerinnen D* B* und E* B*, an der Schule der Antragstellerin E* B* sowie am Arbeitsplatz der D* B*, jeweils samt Umkreis von 100 m, verboten.

Mit (gekürzt ausgefertigtem) Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 8. November 2022, U*, wurde der Beschuldigte wegen eines am 24. Mai 2022 begangenen Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB zum Nachteil seiner Ehegattin verurteilt. Zuletzt wurde der Beschuldigte mit (gekürzt ausgefertigtem) Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 2. Juli 2024, Hv*, wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 erster Fall StGB sowie der Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB zu einer zwölfmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, wovon gemäß § 43a Abs 1 StGB ein Teil von zehn Monaten unter Bestimmung dreijähriger Probezeit bedingt nachgesehen wurde. Die Vorhaft vom 27. April 2024, 14.30 Uhr, bis 2. Juli 2024, 10.42 Uhr, wurde auf die verhängte Freiheitsstrafe angerechnet. Nach dem Schuldspruch hat A* B* in C*

I./ am 14. April 2024 seine elfjährige Tochter E* B* und seine Gattin D* B* durch die im Rahmen eines Ferngesprächs mit E* B*, bei welchem über Lautsprecher auch D* B* mithören konnte, getätigte Äußerung, „ Hör mal zu, was ich dir jetzt sagen werde. Ich werde deine Mama abschlachten, ich werde euch abschlachten, dich und sie. Ich werde euch bestrafen. “ gefährlich mit dem Tod bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen;

II./ durch gefährliche Drohung mit dem Tod seine elfjährige Tochter E* B* genötigt, und zwar

A./ am 14. April 2024 durch die fernmündliche Äußerung, „ Wenn du mir nicht zuhörst, hole ich die Waffe. “, zu einer Handlung, nämlich zur Fortsetzung des geführten Ferngesprächs;

B./ am 19. März 2024 durch die zweimal wiederholte Äußerung, „ Erzähl mir nichts von der Mama, sonst töte ich sie. “, zu einer Unterlassung, nämlich zur Abstandnahme von Äußerungen ihre Mutter betreffend.

Die im Sinne der obigen Kriterien für den Tatbestand erforderliche Belastung der Opfer ist durch die bisherigen Beweisergebnisse dringend indiziert. So befand sich D* B* aufgrund der aktuellen Vorfälle sogar im Krankenstand (ON 2.4, 6 iVm ON 2.17). Eine ernsthafte Einschüchterung der Opfer ist aber auch aus den im Amtsvermerk der Polizei vom 13. Jänner 2025 enthaltenen Wahrnehmungen einer Nachbarin und des Schuldirektors ableitbar (ON 2.15, 2f).

Ausgehend von den ersten in strafrechtlicher Hinsicht relevanten Tathandlungen vom 10. Dezember 2024, demnach der Beschuldigte an diesem Tag zweimal per Telefon Kontakt mit seiner Noch-Ehefrau aufgenommen und ihr Fotos übermittelt hat (ON 2.4, 4), und unter weiterer Berücksichtigung der von D* B* beschriebenen Vorfälle vom 24. Dezember 2024 (ON 2.4, 5) und 9. Jänner 2025 (ON 2.4, 5) sowie des Vorfalls in der Schule der E* B* vom 10. Jänner 2025 (ON 2.4, 4f) vermögen die telefonischen Kontaktaufnahmen und insgesamt zwei Annäherungen an die Mutter am 24. Dezember 2024 und am 9. Jänner 2025 sowie die zwei Annäherungen an die Tochter am 9. und am 10. Jänner 2025 fallbezogen bereits einen hinreichenden Tatverdacht zu begründen. In Übereinstimmung mit der Staatsanwaltschaft kann allerdings bei der hier anzustellenden Bewertung durchaus auch dem von D* B* beschriebenen Vorfall vom 11. Jänner 2025 vor der F* (ON 2.4, 5) Bedeutung zukommen, liegt doch dieser Ort nach den von der Staatsanwaltschaft getätigten Recherchen (ON 6 und ON 7) genau am Weg zwischen der Volksschule der Tochter und der Wohnung der beiden Opfer.

Da angesichts der auch durch Gerichtsverfahren belasteten Vorgeschichte ein Zuwarten über einen noch längeren Zeitraum bis zur Anzeigenerstattung wohl nicht verlangt werden kann, können fallbezogen schon wenige Handlungen ausreichen, um – deliktsspezifischen Vorsatz vorausgesetzt – das Erfordernis der „Beharrlichkeit“ zu erfüllen. Bei dieser Beurteilung darf neben der offenkundigen Belastung der Opfer auch nicht übersehen werden, dass nach der bisherigen Verdachtslage keinerlei Kontaktaufnahmen von den Opfern zum Beschuldigten stattgefunden haben. Ausgehend davon ist dann aber auch die subjektive Tatseite aufgrund des nach der Verdachtslage anzunehmenden objektiven Geschehens ausreichend indiziert.

Gemäß § 170 Abs 1 Z 4 StPO ist die Festnahme einer Person, die der Begehung einer strafbaren Handlung verdächtig ist, nur zulässig, wenn die Person einer mit mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe bedrohten Tat verdächtig und aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie werde eine ebensolche, gegen dasselbe Rechtsgut gerichtete Tat begehen, oder die ihr angelastete versuchte oder angedrohte Tat (§ 74 Abs 1 Z 5 StGB) ausführen. Bereits aufgrund der eingangs erwähnten Vorstrafen, die dieselben Opfer betreffen, liegt die Annahme dieses Haftgrundes derzeit nahe.

Von einer Unverhältnismäßigkeit der Festnahme wäre ebenfalls nicht auszugehen. Gelindere Mittel, die die Festnahme substituieren könnten, erscheinen nach den bisherigen Erkenntnissen nicht ausreichend.

Von einer Zustellung der Beschwerde an den Beschuldigten wurde gemäß § 89 Abs 5 StPO abgesehen, weil der Erfolg der durchzuführenden Maßnahme voraussetzt, dass sie dem Gegner der Beschwerde nicht vor ihrer Durchführung bekannt wird (§ 89 Abs 2a Z 4 StPO).

Der angefochtene Beschluss war daher aufzuheben und die Sache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung unter sinngemäßer Anwendung des § 293 Abs 2 StPO zu verweisen ( Tipold in Fuchs/Ratz, WK StPO § 89 Rz 14).

Anzumerken bleibt, dass die dargelegte Ansicht des Beschwerdegerichts durch das Erstgericht nur bei unveränderter Sachlage umgesetzt werden kann (vgl § 293 Abs 2 StPO). Neue Umstände, die im Beschwerdeverfahren nicht berücksichtigt werden konnten, sind vom Erstgericht jederzeit ohne Rücksicht auf die Beschwerdeentscheidung zu beachten.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).