11Bs282/24v – OLG Innsbruck Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Innsbruck hat durch den Senatspräsidenten Mag. Dampf als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. a Hagen und Mag. a Obwieser als weitere Mitglieder des Senats in der Strafsache gegen A*wegen des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Innsbruck gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 5.12.2024, GZ ** 13, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:
Spruch
Der Beschwerde wird F o l g e gegeben, der angefochtene Beschluss a u f g e - h o b e n und dem Landesgericht Innsbruck die Anordnung der Hauptverhandlung a u f g e t r a g e n .
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nichtzu (§ 89 Abs 6 StPO).
Text
Begründung:
Die Staatsanwaltschaft Innsbruck legt dem ** geborenen A* mit Strafantrag vom 4.12.2024, AZ **, ein in rechtlicher Hinsicht dem Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB subsumiertes Verhalten zur Last (ON 12).
Danach habe er „am 2.10.2023 in ** die B* mit Gewalt zu einer Unterlassung, nämlich der Weiterfahrt mit ihrem Fahrrad genötigt, indem er der Genannten hinterherlief, sie an ihrem Kragen erfasste, sie sodann von ihrem Fahrrad zog und am Arm festhielt“ .
Mit dem angefochtenen Beschluss wies eine Einzelrichterin des Landesgerichts Innsbruck diesen Strafantrag gemäß §§ 485 Abs 1 Z 2 iVm 212 Z 3 StPO mit der Begründung zurück, die Anzeigerin B* sei von der Polizei aus unbekannten Gründen nicht einvernommen worden, vielmehr sei einfach die Sachverhaltsdarstellung (ON 2) der Frau im Wortlaut in der Zeugenvernehmung abgetippt worden. Der Beschuldigte A* habe die Tat in Abrede gestellt, der Zeuge C* habe dessen Angaben bestätigt. Der Sachverhalt sei somit keineswegs soweit geklärt, dass von einer Verurteilung des Angeklagten ausgegangen werden könne, weshalb die Geschädigte als Zeugin unter Wahrheitspflicht einzuvernehmen sei, wobei sie neben der behaupteten Tat auch die näheren Umstände und die Örtlichkeit zu schildern hätte sowie zu einem möglicherweise von ihr wahrgenommenen Beifahrer zu befragen wäre.
Dagegen richtet sich die rechtzeitige, schriftlich ausgeführte Beschwerde der Staatsanwaltschaft mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufzutragen. Argumentativ wird unter Hinweis auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts zu 11 Bs 217/24k vorgebracht, dass der Sachverhalt im vorliegenden Fall vollständig ausermittelt sei, weil sämtliche zur Verfügung stehenden Beweismittel erhoben worden seien. So seien im Ermittlungsverfahren der Angeklagte A* als Beschuldigter sowie B* und C* jeweils als Zeugen einvernommen worden, weitere Beweismittel zur Intensivierung des Tatverdachts stünden derzeit nicht zur Verfügung. Entgegen den Ausführungen des Erstgerichts sei die Anzeigerin B* gemäß den Bestimmungen der StPO unter Wahrheitspflicht einvernommen worden und habe sie die Richtigkeit ihrer Angaben auch durch ihre Unterschrift bestätigt. Etwaige rechtliche Gründe, warum B* die Angaben in ihrer Sachverhaltsdarstellung nicht auch zu ihrer Zeugenaussage erheben könne, seien nicht ersichtlich. Auch seien von einer neuerlichen Einvernahme dieser Zeugin keine anderslautenden bzw neuen Angaben zu erwarten. Die Angaben der Zeugin B* seien (aus von der Beschwerdeführerin näher dargelegten Überlegungen) glaubwürdig, wohingegen die Verantwortung des Angeklagten als unglaubwürdige Schutzbehauptung zu qualifizieren sei. Ob der Zeuge C* den Angeklagten entsprechend entlasten werde können, obliege der freien Beweiswürdigung des Gerichts. Und ob sich der (einfache) Tatverdacht letztlich zu einem Schuldnachweis verdichten lassen werde, sei dem erkennenden Gericht vorbehalten (ON 15).
Rechtliche Beurteilung
Der Beschwerde, zu der sich die Oberstaatsanwaltschaft einer Stellungnahme enthielt und sich der Angeklagte nicht äußerte, kommt Berechtigung zu.
Zur Wahrung der Interessen des Angeklagten sieht § 485 StPO die amtswegige Überprüfung des Strafantrags vor, da das Einzelrichterverfahren im Gegensatz zum Verfahren vor Kollegialgerichten kein Einspruchsrecht kennt. Abs 1 leg cit orientiert sich am für Anklageeinsprüche geltenden § 215 StPO sowie an den zugrunde liegenden Gründen des § 212 StPO ( Bauer in Fuchs/Ratz, WK StPO § 485 Rz 1 f).
§ 485 Abs 1 Z 2 iVm § 212 Z 3 StPO dient dazu, ein Hauptverfahren zu vermeiden, wenn der Sachverhalt nicht so weit geklärt ist, dass eine Verurteilung des Angeklagten naheliegt. Damit dieser Zurückweisungsgrund nicht vorliegt, muss ein einfacher Tatverdacht eine Verurteilung nahelegen und die Ermittlungen so weit gediehen sein, dass sie die Anordnung einer Hauptverhandlung rechtfertigen. Dazu gehört, dass die für die Hauptverhandlung relevanten Beweismittel überblickt werden können und so vorbereitet sind, dass sie in der Hauptverhandlung ohne wesentliche Verzögerung unmittelbar durchgeführt werden können ( Birklbauer in Fuchs/Ratz, WK StPO § 212 Rz 14).
Entgegen der Ansicht des Erstgerichts wurde die Zeugin B* am 3.11.2023 unter Einhaltung der Bestimmungen über die Befragung von Zeugen (§§ 154 ff StPO) von einem Beamten der PI D* unter ausdrücklichem Hinweis auf ihre Aussage- und Wahrheitspflicht hinreichend einvernommen (ON 3.4). Dass sie dabei den Inhalt ihrer schriftlichen Sachverhaltsdarstellung beinahe wortgleich wiederholte, ändert nichts am Umstand, dass sie kriminalpolizeilich als Zeugin vernommen wurde. Der Beschwerde ist somit darin beizupflichten, dass der Sachverhalt fallaktuell vollständig ausermittelt ist, weil im Hinblick auf die Sachverhaltsdarstellung (ON 2), die Vernehmungen der Zeugen B* (ON 3.4) und C* (9.5) sowie die Identifizierung des Angeklagten durch das Opfer anhand einer Wahllichtbildkonfrontation (ON 7.2) sämtliche zur Verfügung stehenden Beweismittel erhoben und der Angeklagte zudem im Ermittlungsverfahren als Beschuldigter vernommen wurde. Weitere Beweismittel zur Intensivierung des einfachen Tatverdachts stehen (soweit ersichtlich) nicht zur Verfügung. Es bedurfte daher vor Einbringung des Strafantrags nicht der vom Erstgericht für notwendig erachteten neuerlichen Vernehmung der Zeugin B* zur Tat und zur leugnenden Verantwortung des Angeklagten und diese stützenden des Zeugen C*; diese kann unmittelbar in der Hauptverhandlung durchgeführt werden.
Ob die genannten Beweisergebnisse einen Schuldspruch des Angeklagten zu begründen vermögen, wird letztlich vom erkennenden Erstgericht selbst nach den Grundsätzen der Unmittelbarkeit, Mündlichkeit und der freien Beweiswürdigung zu beurteilen sein.
Der Beschwerde war daher Folge zu geben, der angefochtene Beschluss aufzuheben und dem Erstgericht die Anordnung der Hauptverhandlung nach § 485 Abs 1 Z 4 StPO aufzutragen.