JudikaturOLG Innsbruck

4R20/25k – OLG Innsbruck Entscheidung

Entscheidung
Zivilrecht
27. Februar 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Innsbruck als Rekursgericht hat durch die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Dr. Prantl als Vorsitzende sowie die Richter des Oberlandesgerichts Mag. Schallhart und Mag. Eppacher als weitere Mitglieder des Senats in der Rechtssache der klagenden Partei A* , vertreten durch Doshi Akman Partner Rechtsanwälte OG in 6800 Feldkirch, wider die beklagte Partei B* , vertreten durch Achammer Mennl Rechtsanwälte OG in 6800 Feldkirch, wegen (eingeschränkt und ausgedehnt) EUR 19.144,34 s.A. und Feststellung (Streitwert: EUR 10.000,00), über den Rekurs der beklagten Partei gegen die im Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 7.1.2025, **-29, enthaltene Kostenentscheidung (Rekursinteresse: EUR 6.746,84), in nicht öffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

1. Dem Rekurs wird teilweise Folge gegeben und die angefochtene Kostenentscheidung dahin abgeändert , dass sie unter Einschluss des in Rechtskraft erwachsenen Teils insgesamt zu lauten hat:

„4. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen zu Handen der Klagsvertreterin die mit EUR 6.176,58 (darin enthalten EUR 753,00 an Umsatzsteuer und EUR 1.658,56 an umsatzsteuerfreien Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens 1. Instanz zu ersetzen.“

2. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen zu Handen der Beklagtenvertreterin die mit EUR 502,70 (darin EUR 83,78) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens zu ersetzen.

3. Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig .

Text

Beschluss:

Zwischen den Streitteilen ereignete sich am 9.3.2024 ein Skiunfall, bei dem die Klägerin einen Riss des vorderen Kreuzbandes am rechten Kniegelenk, einen Einriss des Innenseitenbandes am rechten Kniegelenk und einen Teilriss des Außenseitenbandes am rechten Kniegelenk erlitt.

Mit Klage vom 8.5.2024 begehrte die Klägerin die mit EUR 10.000,00 bewertete Feststellung der Haftung für „sämtliche ihr aus dem Unfall entstehenden Kosten und Folgen“ sowie den Zuspruch einer Schadenersatzzahlung von insgesamt EUR 24.167,16 s.A. In diesem Betrag war unter anderem eine (globale) Schmerzengeldforderung von EUR 18.000,00 enthalten.

Im Schriftsatz vom 10.9.2024 (ON 10) dehnte die Klägerin ihr Leistungsbegehren um diverse von ihr getragene Kosten sowie um eine Pflegehilfe auf insgesamt EUR 25.941,20 s.A. aus.

Der gerichtlich bestellte Sachverständige gelangte in seinem schriftlichen Gutachten zum Ergebnis, dass die Schmerzperioden, die auf die unfallbedingt erlittenen Verletzungen der Klägerin zurückzuführen seien, noch nicht abschließend beurteilt werden könnten. Nachdem der Sachverständige diese Einschätzung auch im Rahmen der mündlichen Erörterung aufrecht erhalten hatte, brachte die Klägerin in der 2. Stunde der Tagsatzung vom 19.12.2024 (ON 27) vor, dass ihr aufgrund des bisherigen Beweisverfahrens - näher aufgeschlüsselte - Schadenersatzpositionen von EUR 19.144,34 s.A. zustünden, wozu unter anderem ein Teilschmerzengeld von EUR 7.150,00 gehöre.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit dem angefochtenen Urteil zur Gänze statt. Unter anderem gelangte es zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen für eine Globalbemessung des Schmerzengelds nicht vorlägen. Ausgehend von den bis zum Schluss der Verhandlung in erster Instanz erlittenen Schmerzen sei der Zuspruch eines Teilschmerzengelds von EUR 7.150,00 angemessen.

Darüber hinaus sprach das Erstgericht der Klägerin Prozesskosten von EUR 12.593,20 (darin enthalten EUR 1.700,20 an Umsatzsteuer und EUR 2.392,00 an Barauslagen) zu. Diese Kostenentscheidung stützte das Erstgericht auf § 43 Abs 2 ZPO. Da die Schmerzengeldforderung von der Ausmittlung durch einen Sachverständigen abhängig gewesen sei, stünden der Klägerin 100 % ihrer Kosten zu. Mit Ausnahme einer Urkundenvorlage vom 19.12.2024 (ON 26) seien auch alle verzeichneten Leistungen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewesen. Für die zweite Stunde der Verhandlung vom 19.12.2024 stünde zwar grundsätzlich nur die eingeschränkte Bemessungsgrundlage zu. Allerdings habe die Beklagte kein Alternativkostenverzeichnis angeführt.

Während die Entscheidung in der Hauptsache unbekämpft in Rechtskraft erwuchs, richtet sich der Kostenrekurs der Beklagten gegen die darin enthaltene Kostenentscheidung. Gestützt auf den Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung beantragt die Beklagte die Abänderung der Kostenentscheidung im Sinn der Reduktion der ihr auferlegten Kosten um EUR 6.746,84 auf insgesamt EUR 5.846,36.

Die Klägerin beantragt, dem Rechtsmittel keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Kostenrekurs ist weitgehend berechtigt.

1. Das Rechtsmittel macht geltend, das Erstgericht habe § 43 Abs 2 ZPO zu Unrecht angewandt, weil die Klägerin die Klagsposition Schmerzengeld überklagt habe. Das Erstgericht habe zudem übersehen, dass selbst bei Anwendbarkeit des Kostenprivilegs nur Kosten auf Basis des obsiegten Betrags zugesprochen werden hätten dürfen.

2. § 43 Abs 2 2. Fall ZPO privilegiert Kläger, denen es objektiv gesehen von vornherein kaum möglich ist, die Höhe der behaupteten Forderung einigermaßen exakt festzustellen. Wollen solche Kläger Forderungen nicht zum Teil durch übergroße Vorsicht verlieren, ist es ihnen oft unmöglich, ein Mehrbegehren zu vermeiden ( M. Bydlinski in Fasching/Konecny ³ § 43 ZPO Rz 18).

3. Wie die Rekurswerberin aber zutreffend aufzeigt, vermag der Umstand, dass die Höhe der Schmerzengeldforderung (unter anderem) von der Ausmittlung eines Sachverständigen abhängig war, die Rechtsansicht des Erstgerichts für sich allein nicht zu stützen. Kläger sind nämlich nur so weit geschützt, als sich deren Begehren im Rahmen des vernünftigerweise zu erwartenden Entscheidungsspielraums des Gerichts hält ( M. Bydlinski , Kostenersatz, 250; derselbe in Fasching/Konecny ³ § 43 ZPO Rz 19). Der Anspruch darf nicht übermäßig oder offenkundig zu hoch eingeklagt werden. Die Überklagung wird als erkennbare, offenbare Zuvielforderung, als außerhalb einer vernünftigen Einschätzung gelegene Einklagung verstanden. Ist von einer „Überklagung“ auszugehen, kippt die Kostenentscheidung und erfolgt dann ausschließlich durch Quotenkompensation nach § 43 Abs 1 ZPO (RS0035993; Obermaier , Kostenhandbuch 4 Rz 1.160). Die Rechtsprechung nimmt als grobe Faustregel Überklagung dann an, wenn mehr als doppelt so viel eingeklagt als zugesprochen wird ( Obermaier , aaO Rz 1.161).

3.1 Entscheidend für die Ermittlung der Erfolgsquote ist stets der Vergleich des eingeklagten Betrags mit jener Summe, die im Urteil letztlich zugesprochen wurde. Bei Geltendmachung mehrerer (privilegierter) Forderungen ist jede einzelne Forderung auf Überklagung hin zu überprüfen ( Obermaier , aaO Rz 1.161).

3.2 Die Frage der Überklagung ist somit für das Schmerzengeldbegehren allein zu beurteilen. Die Klägerin begehrte ursprünglich ein Schmerzengeld von EUR 18.000,00, der gerichtliche Zuspruch lautet auf EUR 7.150,00. Insoweit war sie lediglich mit ca 40 % erfolgreich.

3.3 Zwar nimmt die Rechtsprechung keine „Überklagung“ an, wenn die Ermittlung des angemessenen Schmerzengelds besonders schwierig ist (RS0035903). Diese besondere Schwierigkeit könnte im konkreten Fall darin erblickt werden, dass die Klägerin das Schmerzengeld zunächst global begehrte und letztendlich ein Teilschmerzengeldzuspruch erfolgte. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass nach der Aussage des medizinischen Sachverständigen belastungsabhängige Beschwerden sowie ein vorhandenes Spannungsgefühl einer abschließende Einschätzung der Schmerzen entgegenstanden. Diese Umstände waren der Klägerin, wie sich dies aus dem Gutachten ergibt, seit längerem bekannt.

3.4 Außerdem brachte die Klägerin die Klage schon knapp 2 Monate nach dem Unfall ein. Ob ihrer in der Klage erhobenen Schmerzengeldforderung ein Privatgutachten oder eine fachärztliche Expertise zugrundelag, ist nicht aktenkundig. Derartiges wurde von der Klägerin auch nicht behauptet. Vielmehr brachte sie in der Klage vor, dass ihre Beschwerden noch nicht abgeklungen seien. Im Ergebnis wollte die Klägerin mit ihrem ursprünglichen Klagebegehren im Sinn einer Globalbemessung erkennbar auch zukünftige Schmerzen abgegolten haben. Um diese zukünftigen Schmerzen schränkte sie ihr Schmerzengeldbegehren letztlich in der Tagsatzung vom 19.12.2024 ein. Diese Beschränkung der Schmerzperioden auf den Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung war für die Klägerin bei richtiger rechtlicher Beurteilung vorhersehbar. Bereits im Hinblick auf die kurze zwischen Unfall und Klagseinbringung liegende Zeitspanne hätte die Klägerin nämlich damit rechnen können und auch müssen, dass sich bei ihr angesichts der Schwere der von ihr erlittenen Verletzungen noch kein Behandlungsendzustand eingestellt hatte, der eine abschließende Beurteilung der Schmerzen ermöglicht. § 43 Abs 2 ZPO ist aber all jenen Fällen unzugänglich, in denen das teilweise Unterliegen bei richtiger rechtlicher Beurteilung für den Kläger vorhersehbar war (vgl Obermaier , aaO Rz 1.161, 1.170, 1.172).

3.5 Da die Klägerin somit für eine Überklagung einzustehen hat, erübrigen sich Überlegungen zur Frage, ob das Erstgericht der Kostenentscheidung eine überhöhte Bemessungsgrundlage zugrunde legte. Vielmehr stützt sich die Kostenentscheidung bis zur 2. Stunde der Verhandlung auf § 43 Abs 1 ZPO und danach auf § 41 ZPO.

4. In der ersten Phase betrug der Gesamtstreitwert EUR 34.167,16. Davon drang die Klägerin mit insgesamt EUR 23.317,46 und somit mit ca. 68 % durch. In diesem Umfang gebührt der Klägerin Barauslagenersatz. Zudem stehen ihr 36 % der vom Erstgericht berücksichtigten Vertretungskosten zu. Dabei ist entgegen der Rekursansicht für die Klage der doppelte Einheitssatz anzusetzen.

4.1 Der zweite Abschnitt begann mit dem Schriftsatz vom 10.09.2024 (ON 10). Ausgehend vom Gesamtstreitwert von EUR 35.940,00 betrug die Obsiegensquote der Klägerin ca. 70 %. Demzufolge gebühren der Klägerin 40 % der Vertretungskosten und 70 % der Barauslagen.

4.2 Ab der zweiten Stunde der Verhandlung vom 19.12.2024 unterlag die Beklagte zur Gänze. Der Klägerin stehen volle Kosten auf Basis des eingeschränkten Streitwerts zu. Dass die Beklagte in ihren Einwendungen nicht darlegte, um welchen Betrag das Kostenverzeichnis der Klägerin rechnerisch zu kürzen ist, schadet im konkreten Fall nicht. Die Judikatur verlangt zwar, dass die Einwendungen zu begründen sind und zu jeder beanstandeten Kostenposition Stellung zu nehmen ist; hohe Anforderungen bestehen in diesem Zusammenhang jedoch nicht. Die rechnerisch nachvollziehbare Gestaltung der Einwendungen ist in Abhängigkeit von den Gesamtumständen, insbesondere der Komplexität oder dem Umfang der kritisierten Kosten, nicht nur durch ein Alternativkostenverzeichnis, sondern auch durch eine klare Formulierung zu erreichen (vgl dazu 3 R 145/10p, 4 R 139/19a, 4 R 168/17p, alle OLG Innsbruck). Diesen Anforderungen genügen die Einwendungen der Beklagten, in denen zutreffend darauf hingewiesen wurde (§ 12 Abs 3 RATG), dass die zweite Verhandlungsstunde auf Basis des eingeschränkten Streitwertes zuzüglich Feststellungsbegehren zu entlohnen sei.

5. Insgesamt stehen der Klägerin für das erstinstanzliche Verfahren somit folgende Kosten zu:

Datum Leistung Tarif/Dauer Verdienst Bar

1. Abschnitt

22.04.24 Klage 943,30

100 % Einheitssatz 943,30

ERV-Zuschlag 5,00

1.891,60 792,00

36,00 % 680,98

68,00 % 538,56

2. Abschnitt

09.09.24 Schriftsatz 978,40

50% Einheitssatz 489,20

ERV-Zuschlag 2,60

19.09.24 Verhandlung 1h 978,40

50% Einheitssatz 489,20

14.11.24 Schriftsatz 978,40

50% Einheitssatz 489,20

ERV-Zuschlag 2,60

19.12.24 Verhandlung (1. Stunde) 1h 978,40

50% Einheitssatz 489,20

5.875,60 1.600,00

40,00 % 2.350,24

70,00 % 1.120,00

3. Abschnitt

19.12.24 Verhandlung (2. Stunde) 489,20

50% Einheitssatz 244,60

100,00 % 733,80

Vertretung netto 3.765,02

20 % USt% 753,00

4.518,02

Barauslagen 1.658,56

Gesamt 6.176,58

6. Die Kostenentscheidung im Rekursverfahren stützt sich auf §§ 50, 43 Abs 2 1. Fall ZPO. Die Klägerin ist mit ihrem Kostenrekurs mit einem Teilbetrag von EUR 6.416,62 obsiegend, das entspricht einem Obsiegen mit rund 95% des Rekursinteresses. Sie ist damit nur geringfügig unterlegen, sodass sie Anspruch von 100 % der Rekurskosten auf Basis des Rechtsmittelerfolgs hat (= EUR 502,70; darin EUR 83,78 an USt), wobei von EUR 6.746,84 auf EUR 6.416,62 im RATG kein Tarifsprung vorgesehen ist.

7. Die absolute Unzulässigkeit des weiteren Rechtswegs ergibt sich aus § 528 Abs 2 Z 3 ZPO.