6Rs30/25s – OLG Graz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen hat durch die Senatspräsidentin Mag a . Fabsits als Vorsitzende, die Richterin Dr in . Meier und den Richter Mag. Schweiger sowie die fachkundigen Laienrichter Färber (Arbeitgeber) und Zimmermann (Arbeitnehmer) als weitere Senatsmitglieder in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* Mag. pharm. B* KG , **, vertreten durch die Schubert Schaffler Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Wien, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt , p.A. Landesstelle **, **, vertreten durch deren Angestellten Mag. C*, wegen Zuschuss nach Entgeltfortzahlung, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 12. Februar 2025, **-20, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen (I.) und zu Recht erkannt (II.):
Spruch
I. Das Berufungsverfahren wird fortgesetzt.
II. Der Berufung, deren Kosten die klagende Partei selbst zu tragen hat, wird nicht Folge gegeben.
Die Revision ist nichtnach § 502 Abs 1 ZPO zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGGRÜNDE:
Die Klägerin beschäftigte im Zeitraum 7. Jänner 2022 bis 6. Jänner 2023 durchschnittlich 60,08 Dienstnehmer/innen. Ihre Dienstnehmerin Mag. a pharm. D* befand sich vom 7. Jänner 2023 bis 14. Februar 2024 im Krankenstand.
Mit Anträgen vom [richtig: jeweils] 2. Mai 2024 beantragte die Klägerin bei der Beklagten Zuschüsse nach Entgeltfortzahlungen an Mag. a pharm. D* während deren Arbeitsverhinderung für die Zeit vom 7. Jänner bis zum 29. März 2023 und vom 30. August bis zum 23. November 2023. Am 24. Mai 2024 wurde ihr von der Beklagten ein Zuschuss für den Zeitraum 9. September bis 20. Oktober 2023 von EUR 3.655,17 ausbezahlt.
Mit Bescheid vom 22. Mai 2024 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Zuschuss nach Entgeltfortzahlung bei Arbeitsverhinderung von Mag. apharm. D* in der Zeit vom 7. Jänner bis zum 29. August 2023 unter Berufung auf §§ 53b und 173 ASVG sowie § 2 EFZ-DV-VO mit der Begründung ab, dass die Klägerin im Jahr vor Beginn der Entgeltfortzahlung durchschnittlich 60,08 Dienstnehmer/innen beschäftigt habe; anspruchsberechtigt seien jedoch nur Unternehmen, welche in diesem Zeitraum durchschnittlich nicht mehr als 50 Dienstnehmer/innen beschäftigten.
Dagegen richtet sich die Klage mit dem (zuletzt) Begehren, die Beklagte zur Zahlung von EUR 6.789,98 als Zuschuss nach Entgeltfortzahlung an die Dienstnehmerin Mag. apharm. D* im Zeitraum 7. Jänner 2023 bis 29. August 2023 zu verpflichten. Zur Begründung führt die Klägerin aus, dass die gemäß § 2 Abs 2 EFZ-DV-VO für das Jahr vor Beginn der Entgeltfortzahlung vorgenommene Ermittlung der durchschnittlichen Anzahl an Dienstnehmer/innen wirtschaftlich den „Status 2022“, nicht aber den Entgeltfortzahlungszeitraum „spiegle“ und daher sachlich nicht gerechtfertigt und gleichheitswidrig sei. Es seien die „Unternehmensdaten“ für den Entgeltfortzahlungszeitraum heranzuziehen, und es sei auch nicht auf die Anzahl der oft nur teilzeitbeschäftigten Dienstnehmer/innen, sondern auf die für das Betriebsergebnis und die Wertschöpfung maßgebliche Jahresstundenleistung der Beschäftigten abzustellen; die ratio legis - die Entlastung von Dienstgeber/inne/n bei Entgeltfortzahlung - werde bei einer „Kopf-Berechnung“ nicht erreicht. Sie habe im Jahr 2022 eine Corona-Teststation betrieben und wegen der prekären Arbeitsmarktsituation viele Teilzeitkräfte beschäftigt. Der Bemessungszeitraum „Jahr vor Beginn der jeweiligen Entgeltfortzahlung“ sei mit „der Rechtsordnung“ nicht vereinbar und führe zu einer Verfälschung der wirtschaftlichen Tatsachen. Die Entgeltfortzahlung müsse wie der Lohn aus dem laufenden Betriebsjahr finanzierbar sein. Referenzjahr könne daher nur das Jahr der Leistung der Entgeltfortzahlung sein. Es sei mit dem „Willen des Gesetzes“ vereinbar und zur Gleichbehandlung erforderlich, den Anspruch auf Zuschuss nach Entgeltfortzahlung an die Anzahl der erbrachten Arbeitsstunden und damit an das Betriebsergebnis als objektives Maß der Wertschöpfung zu knüpfen.
Die Beklagtebeantragt Klagsabweisung. Wegen Überschreitung der in § 53b Abs 2 Z 1 ASVG gesetzlich festgelegten Höchstzahl von 50 Dienstnehmer/innen im Jahr vor Beginn der jeweiligen Entgeltfortzahlung sei der angefochtene Bescheid zu Recht ergangen.
Mit dem angefochtenen Urteil weist das Erstgerichtdas Klagebegehren ab. Auf Grundlage des eingangs wiedergegebenen Sachverhalts führt es rechtlich zusammengefasst aus, dass nach § 53b Abs 2 Z 1 ASVG idF SRÄG 2015, BGBl I 2015/162, und § 2 Abs 2 EFZ-DV-VO der Ermittlung der durchschnittlichen Anzahl der Dienstnehmer/innen das Jahr vor Beginn der jeweiligen Entgeltfortzahlung zu Grunde zu legen sei. Wie in den Gesetzesmaterialien festgehalten, sei nach der zur früheren Rechtslage ergangenen Rechtsprechung als Durchrechnungszeitraum für die Ermittlung der Arbeitnehmerzahl das Kalenderjahr herangezogen worden, in dem vom Dienstgeber für einen Dienstnehmer Entgeltfortzahlung geleistet worden sei. Die alte Regelung habe in der Praxis Schwierigkeiten bereitet, weshalb sie geändert und die nach wie vor geltende Formulierung eingefügt worden sei. Seit der Novelle sei für die Ermittlung der durchschnittlichen Dienstnehmerzahl auf das Jahr vor Beginn der tatsächlichen Entgeltfortzahlung durch den/die Dienstgeberin abzustellen. Der Jahresdurchschnitt sei anhand der Anzahl der gemeldeten Dienstnehmer/innen aus dem Jahr vor dem „Stichtag“ zu ermitteln. Die Heranziehung eines anderen Beurteilungszeitraums komme wegen des Wortlauts und der klaren gesetzgeberischen Absicht nicht in Betracht. Der Oberste Gerichtshof habe in 10 ObS 145/16w ausgeführt, dass die Ermittlung der Anzahl der im Unternehmen regelmäßig beschäftigten Dienstnehmer/innen unabhängig vom Beschäftigungsausmaß nach Köpfen zu erfolgen habe; dafür spreche auch § 2 Abs 4 EFZ-DV-VO, nach dem auch geringfügig Beschäftigte als Dienstnehmer gälten. Die Klägerin habe im relevanten Zeitraum durchschnittlich 60,08 Dienstnehmer/innen beschäftigt und daher keinen Anspruch auf einen Zuschuss nach Entgeltfortzahlung.
Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin aus dem Grund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil in Klagsstattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt, der Berufung keine Folge zu geben; von der Ausführung einer Berufungsbeantwortung nahm sie Abstand.
Rechtliche Beurteilung
I. Zur Fortsetzung des Berufungsverfahrens:
1. Mit Beschluss des Berufungsgerichts vom 14. Mai 2025 wurde die Innehaltung mit der Fortführung des Berufungsverfahrens bis zur Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs über den Antrag der Klägerin auf Aufhebung von § 53b Abs 2 Z 1 ASVG und § 2 Abs 2 EFZ-DV-VO als verfassungs- bzw. gesetzwidrig angeordnet (§ 62a Abs 6 VfGG).
2. Der Verfassungsgerichtshof hat nunmehr mit Beschluss vom 5. Juni 2025, G 65/2025-9, V 74/2025-9, die Behandlung des Antrags der Klägerin mit der Begründung abgelehnt, dass vor dem Hintergrund seiner ständigen Rechtsprechung zum rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers das Antragsvorbringen die behaupteten Verfassungswidrigkeiten als so wenig wahrscheinlich erkennen lasse, dass der Antrag keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe.
3. Das Berufungsverfahren ist daher fortzusetzen.
II. Zur Berufung:
Die Berufung, über die gemäß § 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu entscheiden war, ist nicht berechtigt .
1. Die Beklagte rügt die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts, weil es seine Entscheidung auf § 53b Abs 2 Z 1 ASVG und § 2 Abs 2 EFZ-DV-VO gestützt habe, obwohl die mit diesen Bestimmungen getroffene Anordnung, der Ermittlung der durchschnittlichen Anzahl an Dienstnehmer/innen das Jahr vor Beginn der jeweiligen Entgeltfortzahlung zu Grunde zu legen, aus den schon im erstinstanzlichen Verfahren ausgeführten Gründen unsachlich und gleichheitswidrig sei; dasselbe gelte für die Berechnung der Dienstnehmeranzahl nach Köpfen. Bei verfassungsrechtlich richtiger Betrachtung sei auf das Jahr der Entgeltfortzahlung und auf die Anzahl der von den Dienstnehmer/innen geleisteten Arbeitsstunden abzustellen.
2. Dem ist nicht zu folgen. Der Berufungssenat hat keine Bedenken gegen die Anwendung der § 53b Abs 2 Z 1 ASVG und § 2 Abs 2 EFZ-DV-VO aus dem Grund der Verfassungs- bzw Gesetzwidrigkeit, zumal der Verfassungsgerichtshof bereits die Behandlung der Anträge der Klägerin auf Normenkontrolle mangels ausreichender Erfolgswahrscheinlichkeit abgelehnt hat. Ein Gerichtsantrag auf Verordnungs- und Gesetzesprüfung nach Art 139 Abs 1 Z 1, 140 Abs 1 Z 1 lit a B-VG ist daher nicht zustellen.
3.1 Ein Fehler des Erstgerichts bei der Anwendung der bezeichneten Bestimmungen wird von der Klägerin nicht geltend gemacht und ist auch nicht ersichtlich. Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
3.1.1 Nach § 53b Abs 2 Z 1 ASVG in der geltenden Fassung gebühren Zuschüsse,
„nur jenen Dienstgeber/inne/n, die in ihrem Unternehmen durchschnittlich nicht mehr als 50 Dienstnehmer/innen beschäftigen, wobei der Ermittlung des Durchschnitts das Jahr vor Beginn der jeweiligen Entgeltfortzahlung zu Grund zu legen ist [...];“;
nach Abs 2 EFZ-DV-VO
„(2) [ist] ein Unternehmen im Sinne des § 53b Abs 2 Z 1 ASVG […] ein Unternehmen, in dem durchschnittlich nicht mehr als 50 Dienstnehmer/innen nach Abs. 4 beschäftigt werden, wobei der Ermittlung des Durchschnitts das Jahr vor Beginn der jeweiligen Entgeltfortzahlung zu Grunde zu legen ist.
[…]
(4) [gelten] als Dienstnehmer/innen im Sinne des Abs. 2 und 3 [...] Dienstnehmer/innen nach § 4 Abs. 2 ASVG, auch wenn sie geringfügig beschäftigt sind , sowie Lehrlinge; alle diese, wenn für sie die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt zur Durchführung der Unfallversicherung zuständig ist.
3.1.2 Das Erstgericht hat hinsichtlich des Ermittlungszeitraums zutreffend auf den eindeutigen Wortlaut des § 53b Abs 2 Z 1 ASVG und die Absicht des Gesetzgebers des SRÄG 2015, BGBl 2015/162, verwiesen, welche zusammengefasst darin besteht, durch Umstellung auf eine eindeutige und klare Methode einer schnellere und zeitgemäßere Erledigung der Zuschussanträge herbeizuführen, die Rechtssicherheit für die Antragstellerin oder den Antragsteller zu erhöhen und durch Verwendung tatsächlicher Dienstnehmerzahlen in höherem Ausmaß die Unterstützung von mit Entgeltfortzahlungen belasteten Klein- und Mittelunternehmen sicherzustellen (vgl ErläutRV 900 BlgNR 25. GP 17 f).
3.1.3 In der vom Erstgericht zitierten Entscheidung 10 Obs 145/16w hat sich der Oberste Gerichtshof mit der Zählung der Dienstnehmer/innen befasst und unter Berufung auf das Schrifttum ausgeführt, dass die Ermittlung der für die Unternehmensgröße maßgeblichen Anzahl der im Unternehmen regelmäßig beschäftigten Dienstnehmer/innen unabhängig vom Beschäftigungsausmaß nach Köpfen zu erfolgen hat (vgl. Rz 8.1; RS0131387). In einer Glosse hat Schnittler(DRdA 2018/12, Heft 2, 130 ff) die Entscheidung gebilligt und als Zusatzargument zur Zählweise auf § 2 Abs 3 EFZV (vgl nunmehr § 2 Abs 4 EFZ-DV-VO) verwiesen, wonach eine geringfügige Beschäftigung - und damit eine Teilversicherung in der Unfallversicherung - , die regelmäßig in Teilzeit unter Anspruch auf Entgeltfortzahlung ausgeübt wird, ausreichend ist. Wenn auch die Entscheidung 10 Obs 145/16w zu § 53b ASVG idF BGBl I 2013/139 ergangen ist, nach dessen Abs 2 Z 1 Zuschüsse nur jenen Dienstnehmern gebührten, die „in ihrem Unternehmen regelmäßig weniger als 51 Dienstnehmer/innen beschäftigten“, lässt sich doch aus der vom Obersten Gerichtshof dort bereits ins Kalkül gezogenen Novellierung des § 53b ASVG durch das SRÄG 2015 (vgl Rz 5) keine Änderung der Zählweise ableiten.
3.2 Die Beklagte stellt auch nicht in Abrede, dass sie nach dieser Zählweise im Jahr vor dem Beginn der Entgeltfortzahlung an die Dienstnehmerin Mag. a pharm. D* (an Köpfen) durchschnittlich 60,08 Dienstnehmer/innen beschäftigte.
3.3 Somit ist die rechtliche Schlussfolgerung des Erstgerichts, dass ihr kein Zuschuss zur ersten Entgeltfortzahlung gebührt, nicht zu beanstanden und der Berufung ein Erfolg zu versagen.
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch aus Billigkeit wurden weder behauptet und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.
5. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil mit den von der Beklagten aufgeworfenen Fragen nach der Verfassungsmäßigkeit der bezeichneten Bestimmungen bereits der Verfassungsgerichtshof befasst war und im Übrigen keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO zu lösen waren.