10Bs159/25w – OLG Graz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Richter Mag a . Haas (Vorsitz), Mag. Wieland und Dr. Sutter in der Strafsache gegen A* wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB über dessen Einspruch gegen die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Graz vom 6. Juni 2025, AZ ** (ON 25 der Akten AZ ** des Landesgerichts für Strafsachen Graz) in nichtöffentlicher Sitzung den
BESCHLUSS
gefasst:
Spruch
Der Einspruch wird abgewiesen und die Rechtswirksamkeit der Anklageschrift festgestellt.
Die mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 15. April 2025 über A* verhängte Untersuchungshaft wird aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a, b und c StPO fortgesetzt.
Die Wirksamkeit des Beschlusses auf Fortsetzung der Untersuchungshaft ist durch eine Haftfrist nicht begrenzt.
Gegen diese Entscheidungen steht ein Rechtsmittel nicht zu.
Text
begründung:
Mit der beeinspruchten Anklageschrift legt die Staatsanwaltschaft Graz dem am ** geborenen rumänischen Angehörigen A* das Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB zur Last.
Ihm wird vorgeworfen, er habe am 13. April 2025 in ** mit Gewalt gegen eine Person eine fremde bewegliche Sache mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er B* an der Schulter stieß und ihm sodann sein Mobiltelefon im Wert von EUR 960,00 aus der Hand riss.
Zur näheren Darstellung des Sachverhalts und zu den beweiswürdigenden Erwägungen der Anklagebehörde wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Begründung der Anklageschrift verwiesen.
Gegen sie richtet sich der Einspruch des Angeklagten mit dem Antrag „das Verfahren gemäß § 212 Abs 2 StPO einzustellen, in eventu ... dem Einspruch gegen die Anklageschrift gemäß § 215 Abs 3 StPO Folge zu geben, die Anklageschrift zurückzuweisen und den Angeklagten zu enthaften“ (ON 26).
Die Oberstaatsanwaltschaft äußerte sich dazu inhaltlich nicht.
Rechtliche Beurteilung
I. Zum Einspruch:
Der Rechtsbehelf hat keinen Erfolg.
Bei Erhebung eines Anklageeinspruchs hat das Oberlandesgericht die Zulässigkeit der Anklage und die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts von Amts wegen nach allen Richtungen auf das Vorliegen der Voraussetzungen zu prüfen ( Birklbauer in WK StPO § 215 Rz 4).
Der Einspruchsgrund des § 212 Z 1 StPO liegt nicht vor, nachdem die Anklagebehörde eine mit gerichtliche Strafe bedrohte Tat zur Darstellung bringt und rechtliche Ausschlussgründe nicht vorliegen. Der dem Angeklagten in der Anklageschrift zur Last gelegte Lebenssachverhalt ist, hypothetisch als erwiesen angenommen, der gerichtlich strafbaren Handlung des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB zu subsumieren.
Die relevierten Einspruchsgründe der nicht hinreichenden Verurteilungswahrscheinlichkeit und Sachverhaltsklärung (§ 212 Z 2 und Z 3 StPO) sind ebenfalls nicht verwirklicht. Eine Anklage wäre mangelhaft, wenn entweder Dringlichkeit und Gewicht des Tatverdachts trotz hinreichend geklärten Sachverhalts nicht ausreichen, um eine Verurteilung des Angeklagten auch nur für möglich zu halten und von weiteren Ermittlungen eine Intensivierung des Verdachts nicht zu erwarten ist (Z 2), oder der Sachverhalt nicht soweit geklärt ist, dass eine Verurteilung des Angeklagten nahe liegt (Z 3).
Fallbezogen ist der Sachverhalt hinreichend geklärt. Die den Ermittlungsbehörden zugänglichen Beweise wurden allesamt aufgenommen. Soweit im Anklageeinspruch hierzu vermeint wird, es sei die „Standortpeilung des Handies des Angeklagten“ für den Tatzeitraum ebenso zu Unrecht unterlassen worden wie die Vernehmung von Beschäftigten des Café C* zum Aufenthalt des Angeklagten bis kurz vor seiner Festnahme, wird zum einen verkannt, dass sich Telefonate des Angeklagten im relevanten Zeitraum aus den Akten nicht ergeben, sodass entsprechend §§ 160 Abs 3 Z 9, 161 Abs 1 und 3 TKG gar keine Standortdaten erhebbar sind, und zum anderen, dass die Befragung von (ersichtlich) dem Angeklagten nicht näher bekannten Personen zu (auch) seinem Aufenthalt in einem stark frequentierten Lokal vor über zwei Monaten bei üblicher Erinnerungsfähigkeit von Personen kein verwertbares Ergebnis erwarten lässt (wobei hier anzumerken ist, dass entsprechende Beweisanträge im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht gestellt wurden).
Bei dem somit als hinreichend geklärt anzusehenden Sachverhalt kann eine Verurteilung des Angeklagten für möglich gehalten werden (zu diesem Maßstab siehe ErläutRV StPRefG 25 BlgNR 22. GP 246; Birklbauer in WK StPO § 212 Rz 18; Kirchbacher , StPO 15 § 212 Rz 4). Im Gegenstand ist er sogar zur Dringlichkeit (im Sinne des § 173 Abs 1 StPO) verdichtet. Er ergibt sich aus den in der Anklageschrift aktenkonform dargestellten Beweismitteln und Ermittlungsergebnissen, deren vorläufige Würdigung das Rechtsmittelgericht teilt und auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird. Im Besonderen ist es unbedenklich, den a prima vista einwandfreien Angaben des auf einem morgendlichen Weg befindlichen B* zur konkreten Situation und zur Art der Tatausführung sowie dessen Erfolg und letztlich auch zu seinen Wahrnehmungen bezüglich des – ihm zuvor unbekannten - Täters zu folgen. Aufgrund seiner Angaben zum Erscheinungsbild des Täters wurde A* im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Nahebereich des Tatorts festgenommen. Auf ihn traf die Täterbeschreibung zu (vgl ON 2, 2). Das Opfer bestätigte dann auch, dass es sich beim nunmehr Angeklagten um den Täter handle (vgl ON 5.9, 2 iVm ON 2, 3). Der Angeklagte bestritt zwar von Anfang an seine Täterschaft, berief sich aber nicht auf Alibibeweismittel (vgl hierzu insbesondere ON 24), was nicht nachvollziehbar wäre, hätte er sich tatsächlich, wie von ihm behauptet, bis unmittelbar vor seiner Festnahme im Café C* aufgehalten.
Der Versuch im Anklageeinspruch, die Glaubwürdigkeit des Opfers zu relativieren und die leugnende Verantwortung des Angeklagten als zumindest nicht unplausibel darzustellen, scheitert: Der als Alibizeuge genannte „D*“ konnte nicht ermittelt werden, eine Videoaufnahme von über zwei Stunden zuvor lässt keine Rückschlüsse auf die Gegebenheiten zur Tatzeit und die Tatsituation zu, die sinngemäße Behauptung, der Angeklagte habe von vornherein alle Zeugen genannt, widerspricht - wie angeführt - den einvernehmlichen Bekundungen der Beamten (ON 24), Spekulationen über mögliche Flucht- und Verfolgungswege sowie das Aufzeigen von möglicherweise unrichtigen Details der Täterbeschreibung übergehen völlig die Dynamik der Situation und letztlich ändert die Unterlassung angeblich indizierter Beweisaufnahmen nicht die Beweislage. Somit muss, auch wenn das weggenommene Mobiltelefon nicht sichergestellt wurde, davon ausgegangen werden, dass der Einspruchswerber dieses hochwahrscheinlich raubte und sich dessen in der Folge auf der Flucht (beim Auftauchen von Polizei) entledigte.
Aus dem objektiven Geschehen, konkret der gewaltsamen, gezielten Wegnahme eines dem Täter nicht einmal mutmaßlich zustehenden hochpreisigen Mobiltelefons mit anschließender Flucht des Täters ist auch die subjektive Tatseite, vor allem der erweiterte Vorsatz, sich oder einen Dritten durch die Zueignung der gewaltsam weggenommenen Sache unrechtmäßig zu bereichern, zu erschließen; dies umso mehr, als der Angeklagte auch in schlechten wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnissen lebt.
Inwieweit die in der Anklageschrift dargestellten Belastungsmomente genügen, um den Angeklagten im Sinne des Anklagevorwurfs zu überführen, ist dem erkennenden Gericht nach den Grundsätzen der freien richterlichen Beweiswürdigung vorbehalten.
Es liegen auch die Einspruchsgründe nach § 212 Z 4 bis 8 StPO nicht vor. Die Anklagebehörde bezeichnet das angenommene objektive und subjektive Tatgeschehen nach Maßgabe des § 211 StPO deutlich. Die Anklageschrift leidet damit nicht an wesentlichen formellen Mängeln (§ 212 Z 4 StPO). Die Staatsanwaltschaft Graz hat als hiezu berechtigte öffentliche Anklägerin aufgrund des im Sprengel des Landesgerichts für Strafsachen Graz gelegenen Tatorts das örtlich und sachlich zuständige Landesgericht für Strafsachen Graz als Schöffengericht angerufen (§§ 36 Abs 3, 31 Abs 3 Z 1 StPO). Eine unberechtigte nachträgliche Fortsetzung des Verfahrens nach § 205 Abs 2 StPO erfolgte nicht.
Der Einspruch war daher abzuweisen und die Rechtswirksamkeit der Anklageschrift festzustellen (§ 215 Abs 6 StPO).
II. Zur Fortsetzung der Untersuchungshaft:
Wenn der Einspruch gegen die Anklageschrift von einem Angeklagten erhoben wird, der sich – wie hier – in Untersuchungshaft befindet, hat das Oberlandesgericht von Amts wegen über die Haft zu entscheiden (§ 214 Abs 3 StPO).
Über A* wurde über Antrag der Staatsanwaltschaft mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 15. April 2025 die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 2 und 3 lit a, b und c StPO verhängt (ON 8) und zuletzt am 28. Mai 2025 fortgesetzt (ON 19).
Die Voraussetzungen für eine weitere Fortsetzung der Untersuchungshaft liegen vor. Die Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung im inkriminierten Sinn ist hoch im Sinn des § 173 Abs 1 erster Satz StPO; insoweit genügt der Verweis auf das Vorgesagte.
Verdunkelungsgefahr ist mittlerweile entfallen.
Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a, b und c StPO liegt jedoch weiterhin vor:
Der Angeklagte weist mehrfache Verurteilungen in Österreich wegen Eigentums- und schwerer Aggressionsdelinquenz auf (ON 3). Als Folge seiner letzten Verurteilung im Inland erhielt er ein Aufenthaltsverbot. Erst einen Monat vor der Tat kam er wieder nach Österreich (eigene Angaben ON 5.5, 7). Er war zuletzt ohne Beschäftigung, sorgepflichtig für vier Kinder und hatte Schulden (ON 5.3, 2). Sozialleistungen bezog er nicht (ON 5.5, 4). Im Zeitpunkt seiner mutmaßlichen Tatbegehung hatte er Kokain und Marihuana konsumiert (ON 5.2, 2 iVm 5.7). Zusätzlich war er auch noch deutlich alkoholisiert (ON 2, 3 iVm ON 5.7, 11: bei entsprechender Rückrechnung ergibt sich ein Alkoholisierungswert von rund 1,5 Promille Blutalkoholgehalt). Die Tat erfolgte auf offener Straße und gegenüber einem Unbekannten.
Das Vorleben des Angeklagten lässt im Verein mit seiner schlechten wirtschaftlichen und finanziellen Situation, der Tatbegehung ohne äußeren Anlass und seinem zugestandenen nicht unerheblichen Drogenkonsum konkret erwarten, er würde auf freiem Fuße ungeachtet des hier wegen des Verbrechens des Raubes gegen ihn geführten Strafverfahrens neuerliche Raubtaten, mithin strafbare Handlungen mit schweren Folgen, die gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet sind wie die ihm hier angelastete Straftat mit schweren Folgen (mithin auch ähnliche strafbare Handlungen mit leichten Folgen), begehen, wobei er bereits zweimal wegen einschlägiger Straftaten verurteilt ist (vgl ON 3). Dieses Zusammenspiel der negativen Faktoren einer gewalttätigen und rücksichtslosen Persönlichkeit einerseits und eines hohen und durch den Suchtmittelkonsum auch aktualisierten sonst nicht zu deckenden Geldbedarfs andererseits macht die erwähnte Tatbegehungsgefahr so wahrscheinlich, dass ihr nicht mit gelinderen Mitteln entgegengewirkt werden könnte.
Eine Unverhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft liegt mit Blick auf die im Fall einer verdachtskonformen Verurteilung zu erwartende Freiheitsstrafe, die bisherige Haftdauer von rund zwei Monaten und die bereits erfolgte Anklageerhebung nicht vor. In Anbetracht der gesetzlichen Vorbewertung des § 142 Abs 1 StGB und des mit einer derartigen Tat verbundenen erhöhten sozialen Störwerts steht die Fortsetzung der Untersuchungshaft auch in angemessenem Verhältnis zur Bedeutung der Sache.
Der Entfall einer zeitlichen Befristung der Wirksamkeit des Beschlusses ergibt sich aus § 175 Abs 5 StPO.
Der Rechtsmittelausschluss gründet in Ansehung der Einspruchsentscheidung auf § 214 Abs 1 StPO und hinsichtlich des Haftbeschlusses auf § 89 Abs 6 StPO.