Der Oberste Gerichtshof hat am 12. November 2025 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger als Vorsitzende sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon.Prof. Dr. Oshidari, Dr. Setz-Hummel LL.M., Dr. Haslwanter LL.M. und Dr. Sadoghi PMM in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Hinteregger in der Strafsache gegen * M* wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 2 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 8 St 130/22i der Staatsanwaltschaft Wels, über die von der Generalprokuratur gegen die Beschlüsse des Landesgerichts Wels vom 24. April 2023, AZ 42 Bl 19/23m, und vom 31. Mai 2023, AZ 42 Bl 20/23h, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Stani, zu Recht erkannt:
Die in den Beschlüssen des Landesgerichts Wels vom 24. April 2023, AZ 42 Bl 19/23m, und vom 31. Mai 2023, AZ 42 Bl 20/23h, geäußerte Rechtsansicht, wonach dem Verfahrenshilfeantrag des Fortführungswerbers im Fall seiner Privatbeteiligung eine Unterbrechungswirkung nur im Hinblick auf die jeweils in § 195 Abs 2 StPO normierte Frist von 14 Tagen, nicht jedoch auch in Ansehung jener von drei Monaten zukomme, verletzt § 195 Abs 2 erster Satz iVm §§ 67 Abs 7, 63 Abs 1 StPO.
Gründe:
[1]Die Staatsanwaltschaft Wels führte zu AZ 8 St 130/22i ein Ermittlungsverfahren (auch) gegen * M* wegen des Verdachts der Körperverletzung nach § 83 Abs 2 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung. Dem Verfahren lag der Verdacht zugrunde, der Genannte habe * S* am 9. Mai 2022 in W* im Zuge seiner Anhaltung wegen des Verdachts des Ladendiebstahls am Körper verletzt (ON 2.2).
[2]Am 11. Dezember 2022 stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren sowohl gegen M* als auch gegen S* gemäß § 190 Z 2 StPO ein, wovon sie S* als Opfer erst mit Verfügung vom 25. Jänner 2023 verständigte (ON 1.125). Am 3. Februar 2023 verlangte dieser eine Begründung für die erfolgte Einstellung und beantragte unter einem „Verfahrenshilfe für die Abfassung und Einbringung des Fortführungsantrags“ (ON 127).
[3]Mit Beschluss vom 24. April 2023, AZ 42 Bl 19/23m, wies der Vorsitzende des Dreirichtersenats des Landesgerichts Wels den Verfahrenshilfeantrag des S* (der sich dem Verfahren nicht als Privatbeteiligter angeschlossen hatte) ab (ON 129). Begründend führte das Gericht (ua) aus, dass „es sich bei der dreimonatigen Frist des § 195 Abs 2 erster Satz StPO um eine absolute Höchstfrist“ handle, die – anders als die vierzehntägige Frist – einer Unterbrechung „nicht zugänglich“ sein könne (BS 2 f).
[4] Mit Beschluss vom 31. Mai 2023, AZ 42 Bl 20/23h, wies der Dreirichtersenat des Landesgerichts Wels den Antrag des S* auf Fortführung des Ermittlungsverfahrens als verspätet zurück, wobei der Senat auf die im Beschluss vom 24. April 2023, AZ 42 Bl 19/23m, vertretene Rechtsmeinung verwies (ON 132.3).
[5]Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, steht die in den Beschlüssen des Landesgerichts Wels vom 24. April 2023, AZ 42 Bl 19/23m (ON 129), und vom 31. Mai 2023, AZ 42 Bl 20/23h (ON 132.3), geäußerte Rechtsansicht, wonach dem Verfahrenshilfeantrag des Fortführungswerbers eine Unterbrechungswirkung nur im Hinblick auf die jeweils in § 195 Abs 2 StPO normierte Frist von 14 Tagen, nicht jedoch auch in Ansehung jener von drei Monaten zukomme, mit dem Gesetz nicht im Einklang.
[6]Ein Antrag auf Fortführung ist binnen 14 Tagen ab Verständigung von der Einstellung (§ 194 StPO) oder im Fall eines fristgerecht eingebrachten Verlangens auf Bekanntgabe der Einstellungsbegründung (§ 194 Abs 2 StPO) nach deren Zustellung an das Opfer bei der Staatsanwaltschaft einzubringen, jedenfalls jedoch – unabhängig vom Zeitpunkt der Zustellung einer Einstellungsbegründung – innerhalb der dreimonatigen Frist des § 195 Abs 2 erster Satz StPO (vgl RISJustiz RS0127939).
[7]Einem Opfer, das sich als Privatbeteiligter angeschlossen hat, ist – bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen – gemäß § 67 Abs 7 StPO Verfahrenshilfe durch unentgeltliche Beigebung eines Rechtsanwalts zu bewilligen ( Nordmeyer,WK-StPO § 195 Rz 31). In diesem Fall kommt dem Verfahrenshilfeantrag des Fortführungswerbers Unterbrechungswirkung zu (§ 67 Abs 7 iVm § 63 Abs 1 StPO).
[8]Diese Unterbrechungswirkung gilt – lege non distinguente (vgl ErläutRV 17 BlgNR 26. GP 21) – auch für die Dreimonatsfrist des § 195 Abs 2 StPO (zur Unterbrechung der Viermonatsfrist des Art 35 MRK bei der Stellung eines Erneuerungsantrags gemäß § 363a Abs 1 StPO vgl etwa RISJustiz RS0122736 [T2]).
[9]Die dem Beschuldigten M* nicht zum Nachteil gereichende Gesetzesverletzung war festzustellen (§ 292 vorletzter Satz StPO).
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