JudikaturOGH

10ObS93/25m – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. Oktober 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hargassner als Vorsitzenden, den Vizepräsidenten Hon. Prof. PD Dr. Rassi und den Hofrat Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Manfred Joachimsthaler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Jelinek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*, vertreten durch Mag. Franz Eckl, Rechtsanwalt in Zwettl, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1100 Wien, Wienerbergstraße 11, vertreten durch Dr. Anton Ehm ua, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. Mai 2025, GZ 10 Rs 15/25m 13, mit dem das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Arbeits- und Sozialgericht vom 29. Oktober 2024, GZ 8 Cgs 112/24x 8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]Der Kläger bezog von der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen (SVS) für die Folgen des Arbeitsunfalles vom 11. 11. 2005 eine Betriebsrente (nach dem BSVG) im Ausmaß von 10 % der Vollrente.

[2]Von der beklagten Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt bezog er (nach dem ASVG) für die Folgen der Versicherungsfälle vom 27. 11. 1991, 19. 9. 1997 und 8. 1. 2004 seit 7. 10. 2015 eine Gesamtrente in Höhe von 65 % der Vollrente und eine Zusatzrente von 50 % der Versehrtenrente.

[3]Mit rechtskräftigem Bescheid der SVS vom 31. 7. 2024 wurde ausgesprochen, dass die Betriebsrente mit 1. 8. 2024 wegfalle und an deren Stelle eine Abfertigung von 28.546,87 EUR gebühre. Die SVS begründete ihre Entscheidung damit, dass der Kläger am 14. 7. 2024 das Regelpensionsalter erreicht habe (§ 148i BSVG).

[4] Mit Bescheid vom 16. 8. 2024 setzte die Beklagte die Gesamtrente ab 1. 8. 2024 auf 65 % der Vollrente zuzüglich einer Zusatzrente von (nur mehr) 20 % der Versehrtenrente herab. Sie wies darauf hin, dass der Prozentsatz der Gesamtrente infolge Wegfalls der Betriebsrente nicht mehr die Zahl 70 erreiche.

[5] Der Klägerbegehrt die Weitergewährung einer Zusatzrente von 50 % der Versehrtenrente. Durch den Wegfall der Betriebsrente habe sich die Minderung der Erwerbsfähigkeit von insgesamt 75 % nicht verändert. Auch seine körperlichen Verhältnisse hätten sich nicht geändert; die Minderung der Erwerbsfähigkeit sei trotz Abfindung immer noch gleich hoch. Im Unterschied zu § 205 Abs 4 ASVG stelle § 205a ASVG bei der Bemessung der Zusatzrente nicht darauf ab, in welcher Höhe die Versehrtenrente gewährt werde, sondern lediglich darauf, dass bei einem Schwerversehrten eine um 70 % verminderte Erwerbsfähigkeit bestehe.

[6] Die Beklagtewandte ua ein, dass die Schwerversehrteneigenschaft nicht auf den festgestellten Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit, sondern auf den Anspruch des Versehrten auf eine entsprechende Versehrtenrente abstellte. Die Leistung der kapitalisierten Einmalzahlung nach § 148j Abs 2 BSVG habe den laufenden Leistungsbezug des Versehrten aus der Unfallversicherung der SVS beendet; somit sei mit dem Wegfall der Betriebsrente auch der Anspruch auf diese Leistung untergegangen.

[7] Das Erstgericht wiederholte den angefochtenen Bescheid und wies das auf eine Zusatzrente von 50 % anstelle von 20 % gerichtete Klagebegehren ab.

[8] Das Berufungsgerichtbestätigte das Ersturteil. Es führte aus, dass zwar der Wortlaut des § 205a Abs 1 Z 2 ASVG den Standpunkt des Klägers decke. Neben den Gesetzesmaterialien sprächen aber systematische Aspekte dafür, dass – ebenso wie bei § 205 Abs 4 ASVG – nicht allein auf den festgestellten Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit des Versehrten, sondern auf seinen Anspruch des Versehrten auf eine entsprechende Versehrtenrente abzustellen sei. Der Wegfall einer Betriebsrente bei Pensionsanfall führe daher dazu, dass der verbleibende Anspruch auf Versehrtenrente mindestens 70 % betragen müsse, damit ein Schwerversehrter nach § 205a Abs 1 Z 2 ASVG eine Zusatzrente von 50 % (anstelle von 20 %) der Versehrtenrente erhalte.

[9]Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Auslegung der in § 205a Abs 1 Z 2 ASVG normierten Voraussetzungen der Gewährung einer erhöhten Zusatzrente zu.

[10] Dagegen richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, die Entscheidung im klagsstattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[11] Die Beklagte beantragt, das Rechtsmittel mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung zurückzuweisen, hilfsweise der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[12] Das Rechtsmittel ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig , die Revision ist aber nicht berechtigt .

[13]1. Es ist in dritter Instanz unstrittig, dass der Kläger als Schwerversehrter nach § 205 Abs 4 ASVG anzusehen ist. Im Revisionsverfahren ist allerdings zu klären, ob sich die Höhe der Zusatzrente für Schwerversehrte an der Höhe der Versehrtenrente oder (davon unabhängig und ausschließlich) an der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu orientieren hat.

[14]2. Nach § 205a ASVG gebührt einem Schwerversehrten eine Zusatzrente in Höhe von 50 % seiner Versehrtenrente „bei um einer zumindest 70 % verminderten Erwerbsfähigkeit“.

[15] 3.1 Während die Gesetzesmaterialien ( ErlRV 311 BlgNR XXI. GP 239) zur Novelle des § 205a ASVG für die hier zu beurteilende Frage keinen Hinweis geben, könnte aus dem Wortlaut der hier anzuwendenden Bestimmungen vertretbar der Standpunkt des Klägers abgeleitet werden, dass bei der Bemessung der Zusatzrente (nur) auf die Minderung der Erwerbsfähigkeit und nicht auf die Höhe der Versehrtenrente abzustellen ist.

[16]3.2 Allerdings muss der Wortlaut des § 205a ASVG nicht zwingend in diesem Sinn dahin verstanden werden, dass das Gesetz damit auf die tatsächlich verminderte Erwerbsfähigkeit anknüpft. Vielmehr wäre vom Wortlaut auch eine Interpretation umfasst, wonach auf die Höhe der gewährten Versehrtenrente(n) abzustellen ist, in der sich ohnedies das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit widerspiegelt.

[17] 4. Die in diesem Sinne von den Vorinstanzen vertretene Rechtsansicht findet vor allem in einer systematischen und teleologischen Interpretation Deckung.

[18]4.1 Aus systematischer Sicht ist darauf hinzuweisen, dass nach § 205a Abs 2 ASVG die Bestimmungen über die Versehrtenrente auf die Zusatzrente entsprechend anzuwenden sind. Von diesem Verweis ist auch § 205 Abs 4 ASVG umfasst, zumal diese Norm auch in § 205a Abs 1 ASVG ausdrücklich erwähnt ist. Für die Definition eines Schwerversehrten zieht das Gesetz in § 205 Abs 4 ASVG auf die Hundertsätze aller gewährten Versehrtenrenten an. Die Höhe der Renten wird wiederum durch den Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit bestimmt (§ 205 Abs 1 und 2 ASVG). Damit entspricht es der Gesetzessystematik, die Zusatzrente für einen Schwerversehrten auch nach der Höhe der Versehrtenrente(n) zu bestimmen. Die Beurteilung als Schwerversehrter und die Prüfung der Zusatzrente soll demnach nicht nach unterschiedlichen Grundlagen erfolgen.

[19]4.2 Es wäre auch aus teleologischer Sicht nicht gerechtfertigt, aus § 205a Abs 1 ASVG abzuleiten, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit genuin (und nochmals) bei einer bloßen Zusatzrente zu prüfen ist, worauf das Rechtsmittel abzielt. Zutreffend argumentiert hingegen die Beklagte dahin, dass innerhalb eines Regelungskomplexes (hier: Zusatzrente) von einer einheitlichen Systematik und Logik auszugehen sei.

[20] 5. Schließlich hat auch der Senat in der Entscheidung 10 ObS 175/10ybereits den Standpunkt vertreten, dass die Eigenschaft als Schwerversehrter (§ 205 Abs 4 ASVG)und die damit verbundene Gewährung einer Zusatzrente nach § 205a ASVG einen bestehenden Anspruch auf eine Versehrtenrente in einem bestimmten Ausmaß voraussetzt.

[21]6. Damit ist festzuhalten, dass § 205a Abs 1 ASVG (ebenso wie § 205 Abs 4 ASVG) an die Höhe des Anspruchs auf die Versehrtenrente(n) anknüpft.

[22] 7. Das hier erzielte Auslegungsergebnis führt – entgegen der Ansicht der Revision – auch nicht zu einem gleichheitswidrigen Ergebnis; Gegenteiliges lässt sich aus der Argumentation im Rechtsmittel nicht ansatzweise ableiten. Es ist insbesondere nicht erkennbar, warum im Abstellen auf Höhe des Anspruchs auf die Versehrtenrente(n) eine Ungleichbehandlung verbunden sein soll.

[23] 8. Der Revision ist daher nicht Folge zu geben.

[24]9. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.