JudikaturOGH

10ObS56/25w – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. Oktober 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hargassner als Vorsitzenden, den Vizepräsidenten Hon. Prof. PD Dr. Rassi und die Hofrätin Dr. Wallner Friedl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Manfred Joachimsthaler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Jelinek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Korn Gärtner Rechtsanwälte OG in Salzburg, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Anton Ehm, Dr. Simone Metz, LL.M, Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung von Schwerarbeitszeiten, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 26. März 2025, GZ 11 Rs 12/25a 38, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits und Sozialgericht vom 25. November 2024, GZ 20 Cgs 172/23a 30, teilweise Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 502,70 EUR (darin 83,78 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Der im August 1970 geborene Kläger ist seit August 1993 ohne Unterbrechung als Brauer und Mälzer (Facharbeiter) bei der * GmbH beschäftigt. Im Zeitraum vom 1. 9. 2010 bis 28. 2. 2023 betrug die Arbeitszeit des Klägers (Regelarbeitszeit) 38,5 Wochenstunden. Die Verteilung der Arbeitszeit auf die Wochentage erfolgte in einem Schichtrhythmus in Form eines 3-Schicht-Betriebs mit einer Nachtschicht (20:00 Uhr bis 4:00 Uhr), gefolgt von einer Frühschicht (4:00 Uhr bis 12:00 Uhr) und anschließender Nachmittagsschicht (12:00 Uhr bis 20:00 Uhr).

[2] Die Ruhepause des Klägers beträgt pro Schicht 30 Minuten. Der Kläger konsumiert diese vom Arbeitgeber bezahlte Pause in der Form, dass er während der gleichzeitigen Verrichtung seiner Tätigkeit am Leitstand (Kontrolle der Monitore) eine Jause zu sich nimmt. Der Kläger kann während der Schicht den Arbeitsplatz nicht verlassen, um seine Pause in einem Aufenthaltsraum zu konsumieren, da es sich um 1-Mann-Schichten handelt. Die zeitliche Lage der Pause während einer Schicht wird von jedem Mitarbeiter (so auch vom Kläger) individuell gewählt und ist vom jeweiligen Betriebsablauf abhängig. Die Lage der Ruhepause des Klägers ist weder im Vorhinein noch innerhalb eines bestimmten Zeitraums festgelegt. In die Arbeitszeit des Klägers fällt keine Arbeitsbereitschaft.

[3] Mit Bescheid vom 5. 5. 2023, der auch eine Feststellung der zum Stichtag 1. 3. 2023 vom Kläger erworbenen Versicherungszeiten enthält, lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers vom 6. 2. 2023 auf Anerkennung von Schwerarbeitszeiten im Zeitraum vom 1. 9. 2010 bis 28. 2. 2023 ab.

[4] Der Kläger begehrte mit der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage, die im oben angeführten Zeitraum erworbenen Versicherungsmonate als Schwerarbeitszeiten festzustellen. Die Anspruchsvoraussetzungen im Sinn des § 1 Abs 1 Z 1 Schwerarbeitsverordnung (im Folgenden: SchwerarbeitsV) seien erfüllt, weil der Kläger stets zumindest an 6 Arbeitstagen im Kalendermonat jeweils im Ausmaß von mindestens 6 Stunden im Schicht und Wechseldienst auch während der Nacht zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr gearbeitet habe. Eine echte Ruhepause sei nicht möglich und liege nicht vor.

[5] Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Der Kläger habe täglich 30 Minuten Arbeitspausen konsumiert. Es sei davon auszugehen, dass bei einer Arbeitszeit von 20:00 Uhr bis 4:00 Uhr die Arbeitspausen zwischen 22:00 Uhr und 4:00 Uhr fallen, weshalb keine 6 Stunden innerhalb von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr geleistet würden.

[6] Das Erstgerichtgab dem Klagebegehren teilweise statt und stellte 99 Schwerarbeitsmonate fest, das Mehrbegehren wurde rechtskräftig abgewiesen. Da der Kläger keine Arbeitspause im Sinn des AZG während seiner Arbeit verrichtet habe, sei auch diese Zeit als Arbeitszeit zu rechnen. Der Verstoß gegen das AZG habe im vorliegenden Fall keine Auswirkungen auf die Feststellung als Schwerarbeitsmonate.

[7] Das Berufungsgerichtgab der Berufung der Beklagten teilweise Folge und wies aufgrund geänderter Feststellungen das Klagebegehren hinsichtlich der vor dem Jahr 2015 liegenden Monate (rechtskräftig) ab, im Übrigen bestätigte es die Entscheidung des Erstgerichts und schloss sich dessen rechtlicher Beurteilung an. Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil der Oberste Gerichtshof zur Frage, ob die Kohärenz der Bestimmungen der SchwerarbeitsV und des AZG so weit gehe, dass nur dem Arbeitszeitrecht entsprechende Dienste Schwerarbeitszeiten begründen können, bislang noch nicht Stellung genommen habe.

[8] Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, die Klage zur Gänze abzuweisen, in eventu die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben.

[9] Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung die Zurückweisung der Revision, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10]Die Revision der Beklagten ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig.

[11]Im vorliegenden Fall ist lediglich noch strittig, ob die Nichteinhaltung des AZG dahingehend, dass Ruhepausen nicht eingehalten wurden, zur Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen des § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV führen kann.

1. Das Vorliegen einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen (RS0112921; RS0112769). Eine im Zeitpunkt der Einbringung des Rechtsmittels tatsächlich aufgeworfene erhebliche Rechtsfrage fällt somit weg, wenn diese durch eine andere Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bereits vorher geklärt wurde (RS0112921 [T23]). Dies ist hier der Fall:

[12]2. Die in der Revision als erheblich im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO bezeichnete Rechtsfrage hat der Senat bereits davor in seiner Entscheidung zu 10 ObS 46/25z mit ausführlicher Begründung geklärt. Demnach hindert die Verletzung der arbeitszeitrechtlichen Vorschriften für Ruhepausen die Feststellung als Schwerarbeit nicht. Der Senat hat dazu wie folgt ausgeführt:

„2.2.2. Zum einen ist grundsätzlicher Zweck der 'Schwerarbeitspension', eine durch besondere Belastung verursachte verminderte Lebenserwartung auszugleichen. Dies entspricht einem weiteren Begriffsverständnis, das sämtliche vom Versicherten in einem bestimmten Zeitraum tatsächlich (versicherungspflichtig) ausgeübten Verrichtungen umfasst (vgl dazu bereits 10 ObS 64/22t Rz 19; 10 ObS 81/22t Rz 20).

Auch für den Erwerb von Schwerarbeitszeiten im Sinn des § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV kommt es daher auf die Ausübung von Tätigkeiten im Sinn des dargestellten Begriffsverständnisses an (siehe bereits 10 ObS 81/22t Rz 21). Bei der Beurteilung, ob Schwerarbeitszeiten vorliegen, kommt es zudem auf die konkrete Ausgestaltung der vom Versicherten im maßgebenden Zeitraum verrichteten Tätigkeit an. Die besonders belastende Tätigkeit muss tatsächlich geleistet worden sein.

2.3. Dass die Nichteinhaltung der gesetzlichen Ruhebestimmungen nach dem AZG allenfalls zur Nichtanrechnung von Schwerarbeitszeiten führen müsste, ist zudem weder aus dem Wortlaut der Verordnung und den Bestimmungen zur 'Schwerarbeiterpension', noch aus dem Zweck dieser Bestimmungen abzuleiten:

Zum einen enthält die SchwerarbeitsV – im Gegensatz zur Arbeitsbereitschaft (vgl § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV; siehe dazu auch ausführlicher 10 ObS 81/22t Rz 34) – keine Regelung zu Ruhepausen.

Zum anderen ist Zweck des AZG im Wesentlichen der Schutz der Arbeitnehmer vor übermäßiger Inanspruchnahme ihrer Arbeitskraft durch den Arbeitgeber (AB NR 1463 Blg XI GP 3; Brandstetter , 24-Stunden-Dienste eines Tierkrankenpflegers und SchwerarbeitsV, JAS 2018, 66 [73]).

2.4. Die Nichteinhaltung der Bestimmungen des AZG ist auch nur gegenüber dem Arbeitgeber strafbewehrt (§ 28 Abs 2 AZG). Eine 'Sanktionierung' des Arbeitnehmers dadurch, dass bei Verletzung der arbeitszeitrechtlichen Schutzbestimmungen die Anrechnung von Schwerarbeitsmonaten verwirkt werden soll, ist somit gesetzlich nicht vorgesehen. Wie Schrank (Leitentscheidungen der Höchstgerichte zum Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht 63.6.1. Nr 29, Schicht oder Wechseldienst auch während der Nacht [unregelmäßige Nachtarbeit]? Taxilenker – OGH 14. 5. 2024, 10 ObS 145/23f) richtig anmerkt, entspricht es dem arbeitszeit und entgeltrechtlichen Grundsatz des Arbeitsrechts, dass arbeitgeberseitig geduldete Rechtsverstöße keine negativen Auswirkungen für Arbeitnehmer auf die Anerkennung und Abgeltung tatsächlich geleisteter Arbeit haben.“

[13] 3. Mangels Aufzeigens sonstiger erheblicher Rechtsfragen war die Revision zurückzuweisen.

[14]4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a iVm Abs 2 ASGG.