6Ob130/25y – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Hofer Zeni Rennhofer als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Faber, Mag. Pertmayr, Dr. Weber und Mag. Nigl, LL.M., in der Außerstreitsache des Antragstellers B*, Schweiz, vertreten durch Dr. Ulrich Willi, Rechtsanwalt in Egg, gegen die Antragsgegnerin A *, vertreten durch Mag. Markus Lechner, Rechtsanwalt in Lochau, wegen Rückführung der Minderjährigen K*, nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 29. Juli 2025, GZ 3 R 236/25s 31, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Die minderjährige K* ist das Kind des Antragstellers und der Antragsgegnerin. Die Minderjährige und die Antragsgegnerin besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit, der Antragsteller ist schweizer Staatsangehöriger. Die Eltern sind nicht verheiratet und lebten bis Ende Oktober 2023 in einer Lebensgemeinschaft in der Schweiz.
[2] Am 30. 10. 2023 reiste die Antragsgegnerin mit der Minderjährigen zu ihren Eltern nach Österreich, wo sie sich in der Folge aufhielt. Am 26. 1. 2024 verpflichtete sie sich, die Minderjährige bis 12. 2. 2024, 24:00 Uhr, in die Schweiz rückzuführen, kehrte allerdings in der Folge trotz mehrmaliger gerichtlicher Aufforderung nicht dauerhaft in die Schweiz zurück, sondern wohnte vorwiegend in Österreich. Mit Beschluss vom 1. 7. 2024 wurde der Vollzug der Rückführung angeordnet, die Minderjährige am 4. 7. 2024 durch den Gerichtsvollzieher an den Vater übergeben und in die Schweiz rückgeführt.
[3] In der Folge wurde die in der Entscheidung der Kindes und Erwachsenenschutzbehörde (in der Folge KESB) B* vom 12. 7. 2024 festgelegte gemeinsame Sorge (Obhut) gelebt. Dies in der Form, dass sich die Minderjährige jeweils eine Woche von Samstag, 11:00 Uhr, bis Dienstag, 17:00 Uhr, und eine Woche von Sonntag, 17:00 Uhr, bis Dienstag, 17:00 Uhr, beim Antragsteller befand. Die Übergaben der Minderjährigen fanden jeweils bei der Familienbegleitung in B* statt. Die KESB führte in der Entscheidung aus , dass sich die Antragsgegnerin in der Zeit, in der sie die Minderjährige betreue, mit dieser in Österreich aufhalten dürfe . Sie sei jedoch verpflichtet, die festgelegten Betreuungs zeiten des Antragstellers einzuhalten.
[4] Im Oktober 2024 ließ die Antragsgegnerin dem Antragsteller über ihre Rechtsanwältin mitteilen, dass sie die gemeinsame Sorge nicht mehr leben werde, weil sie der Meinung sei, dies sei nicht zum Wohl der Minderjährigen. In der Folge weigerte sich die Antragsgegnerin, die Minderjährige zum Antragsteller in die Schweiz zu bringen.
[5] Als der Antragsteller am 3. 11. 2024 nach Österreich fuhr, um die Minderjährige abzuholen, übergab die Antragsgegnerin ihm die Tochter nicht. Da auch das Hinzuziehen der Polizei die Meinung der Antragsgegnerin nicht änderte, verließ der Antragsteller Österreich ohne die Minderjährige.
[6] Der letzte Kontakt des Antragstellers zur Minderjährigen fand Ende Oktober 2024 statt.
[7] Das Erstgericht wies den Rückführungsantrag ab.
[8] Das Rekursgericht gab dem Rückführungsantrag infolge Rekurses des Antragstellers statt.
[9] Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragsgegnerin.
Rechtliche Beurteilung
[10]1. Die behaupteten Mängel des Rekursverfahrens wurden geprüft, liegen jedoch nicht vor (§ 71 Abs 3 Satz 3 AußStrG).
[11] 2.1. Ziel des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ)ist es, die sofortige Rückgabe widerrechtlich in einen Vertragsstaat verbrachter oder dort zurückgehaltener Kinder sicherzustellen (Art 1 lit a HKÜ). Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach klargestellt, es ergebe sich aus der Präambel des Übereinkommens (... um eine sofortige Rückgabe in „den Staat seines gewöhnlichen Aufenthalts sicherzustellen“ ...), dass sicherzustellen ist, dass das Kind in den Staat seines (bisherigen) gewöhnlichen Aufenthalts zurückkehrt. Das Kind, das sich an seinem gewöhnlichen Aufenthalt befindet, kann daher dorthin weder verbracht noch dort zurückgehalten werden (6 Ob 26/12k; 6 Ob 152/17x). Maßgeblich ist dabei, wo das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (EuGH ECLI:EU:C:2017:436, C 111/17 , PPU ( OL/PQ ); Nademleinsky in Gitschthaler , IFR Art 3 HKÜ Rz 21 ; Hausmann , IntEuFamR³ Art 4 HKÜ Rn U 149 ).
[12] 2.2. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist unter dem gewöhnlichen Aufenthalt eines Kindes der Ort zu verstehen, der Ausdruck einer gewissen sozialen und familiären Integration des Kindes ist. Hiefür sind insbesondere die Dauer, die Regelmäßigkeit und die Umstände des Aufenthalts sowie die Gründe für diesen Aufenthalt und den Umzug der Familie in diesen Staat, die Staatsangehörigkeit des Kindes, Ort und Umstände der Einschulung, die Sprachkenntnisse sowie die familiären und sozialen Bindungen des Kindes in dem betreffenden Staat zu berücksichtigen (vgl RS0126369 ; Weber , Der gewöhnliche Aufenthalt in der Rechtsprechung von EuGH und OGH, EF Z 2019, 196 [ 198 ]). Ob ein gewöhnlicher Aufenthalt nach Art 3 HKÜ vorliegt, stellt regelmäßig keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung dar ( RS0126369 [T8, T9]).
[13] 2.3. Die Rechtsansicht des Rekursgerichts, die Minderjährige verfügte (jedenfalls auch) unmittelbar vor dem Zurückhalten Ende Oktober 2024 über einen gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz, bedarf keiner Korrektur, war sie doch nach der (ersten) Rückführung der Minderjährigen in die Schweiz im Juli 2024 über einen maßgeblichen Teil der Woche – und nicht nur im Rahmen von Wochenendkontakten – beim Antragsteller in der Schweiz aufhältig (vgl 6 Ob 152/17x ). Die Minderjährige hatte dort auch regelmäßige Sozialkontakte mit der Familie des Antragstellers: So hatte sie etwa zum Sohn des Antragstellers eine Beziehung aufgebaut und überdies mit den Kindern des Bruders des Antragstellers Kontakt.
[14] 2.4. Gemäß dem im vorliegenden Fall anzuwendenden Art 301a Abs 2 lit a Schweizer Z ivilgesetzbuch (vgl Art 3 lit a iVm Art 5 lit a HKÜ) bedarf bei gemeinsamer Sorge ein Aufenthaltswechsel in das Ausland der Zustimmung des andern Elternteils oder der Entscheidung des Gerichts oder der Kindesschutzbehörde. Soweit die Antragsgegnerin behauptet, sie habe die Minderjährige lediglich „vorübergehend hintangehalten“, weicht sie vom festgestellten Sachverhalt ab. Warum die gegen den Willen des Antragstellers erfolgte dauerhafte Weigerung der Antragsgegnerin, die Minderjährige entsprechend der Entscheidung der Kindes und Erwachsenenschutzbehörde in dessen Obhut zu übergeben, keine Kindesentführung im Sinn von Art 3 HKÜ darstellen soll, kann der Revisionsrekurs nicht schlüssig darlegen.
[15] 3. Zusammengefasst bedarf daher die Entscheidung des Rekursgerichts, das die Rückführung der Minderjährigen in das Staatsgebiet der Schweiz angeordnet hat, keiner Korrektur durch den Obersten Gerichtshof. Warum diese Entscheidung angesichts der vorstehenden rechtlichen Ausführungen gegen Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung verstoßen soll, weil sie „einem Besuchsrecht zum Durchbruch [verhelfe], was mit der österreichischen Rechtsordnung nicht vereinbar sei“, ist nicht nachvollziehbar.
[16]4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).