JudikaturOGH

9Ob66/25h – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. Mai 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Hargassner, die Hofrätin Mag. Korn und die Hofräte Dr. Stiefsohn und Mag. Böhm in der Rechtssache der klagenden Partei B*, vertreten durch die Reif und Partner Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei A* GmbH, *, vertreten durch Dr. Nina Ollinger, Rechtsanwältin in Purkersdorf, wegen 28.641,20 EUR sA, aus Anlass der Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. Jänner 2025, GZ 3 R 154/24z 35, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 27. Juni 2024, GZ 43 Cg 20/22x 29, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Akten werden dem Erstgericht zur Durchführung eines Verbesserungsverfahrens zurückgestellt.

Text

Begründung:

[1] Der Kläger begehrte von der Beklagten die Zahlung von 28.641,20 EUR sA. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und sprach aus, dass die Revision zulässig sei.

[2] Der Kläger beantragte die Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Erhebung der Revision und ua auch die einstweilige Befreiung von den Kosten für die Vertretung durch einen Rechtsanwalt. Erkennbar beantragte er die vorläufige unentgeltliche Beigebung des bereits bisher für die Klagevertreterin einschreitenden Rechtsanwalts als Verfahrenshelfer.

[3] Das Erstgericht bewilligte dem Kläger antragsgemäß die Verfahrenshilfe für die „beabsichtigte Erhebung einer ordentlichen Revision“, und zwar (ua) „im Ausmaß der einstweiligen Befreiung von den Kosten für die Vertretung durch einen Rechtsanwalt“. Es übersandte den Beschluss an den Kläger, die Klagevertreterin – die bis dahin als bevollmächtigte Vertreterin des Klägers eingeschritten war –, die Revisorin und die Beklagtenvertreterin. Die Benachrichtigung des Ausschusses der nach dem Sitz des Prozessgerichts zuständigen Rechtsanwaltskammer unterblieb, weshalb für den Kläger bisher kein Verfahrenshelfer bestellt wurde.

[4] Die Klagevertreterin brachte eine Revision ein, in der sie sich darauf berief, den Kläger „im Rahmen der bewilligten Verfahrenshilfe“ zu vertreten.

[5] Die Beklagte beantwortete die Revision.

[6] Die Vorinstanzen legten die Akten dem Obersten Gerichtshof vor.

Rechtliche Beurteilung

[7] Die Aktenvorlage ist verfrüht .

[8]Die Bewilligung der Verfahrenshilfe „im Ausmaß der einstweiligen Befreiung von den Kosten für die Vertretung durch einen Rechtsanwalt“ kann nur als Bewilligung der Begünstigung nach § 64 Abs 1 Z 3 ZPO (vorläufig unentgeltliche Beigebung eines Rechtsanwalts) gewertet werden. Hat aber das Gericht die Beigebung eines Rechtsanwalts beschlossen, hat es den Ausschuss der nach dem Sitz des Prozessgerichts zuständigen Rechtsanwaltskammer zu benachrichtigen, damit dieser einen Rechtsanwalt zum Vertreter bestellt (§ 67 erster Satz ZPO). Das ist bisher unterblieben; der Kläger hat (noch) keinen Verfahrenshelfer.

[9]Beantragt eine Prozesspartei die Bewilligung der Verfahrenshilfe und im Zuge dessen die Beigebung eines Rechtsanwalts, so wird zwar grundsätzlich das bis dahin bestandene Vollmachtsverhältnis der Partei zu ihrem bis zu diesem Zeitpunkt für sie einschreitenden, frei gewählten Vertreter nicht aufgelöst, doch obliegt es dem Prozessgericht, eine durch einen Rechtsanwalt vertretene Partei, die die Bewilligung der Verfahrenshilfe einschließlich der Beigebung eines Rechtsanwalts beantragt über die allfällige Auflösung des Vollmachtsverhältnisses zu ihrem bisherigen Rechtsvertreter zu befragen und zu einer Anzeige im Sinne des § 36 Abs 1 ZPO anzuleiten. Unterlässt es eine solche Anleitung, so ist der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe als Anzeige des Erlöschens des Vollmachtsverhältnisses zum bisherigen Vertreter zu werten (RS0014579 [T1]; RS0035752 [T3]). Wiewohl diese Auflösung im Rechtsstreit mit Anwaltspflicht (grundsätzlich) erst mit Bekanntgabe eines neuen Vertreters Wirkungen entfaltet, ist – weil der Schutzzweck dieser Bestimmung es erfordert – nach ganz herrschender Rechtsprechung § 464 Abs 3 ZPO (über die Unterbrechung der Rechtsmittelfrist durch Stellung eines Antrags auf Beigebung eines Verfahrenshelfers) auch im Verfahren mit Anwaltspflicht auf eine Partei, die (bisher) durch einen frei gewählten Anwalt vertreten war, anzuwenden (RS0035752). Dies hat zur Konsequenz, dass die bei rechtzeitiger Antragstellung unterbrochene Rechtsmittelfrist entweder mit Zustellung des Bestellungsbescheids (samt der zu bekämpfenden Entscheidung) an den Verfahrenshelfer oder mit Eintritt der Rechtskraft des abweisenden Beschlusses über die Verfahrenshilfe neu zu laufen beginnt (6 Ob 142/22h).

[10]Die Akten sind daher dem Erstgericht zurückzustellen, damit dieses ein Verbesserungsverfahren durchführt. Es wird zunächst zu klären haben, ob die Klagevertreterin die Revision als bevollmächtigte Vertreterin des Klägers eingebracht hat oder nur deshalb, weil sie (irrtümlich) davon ausging, aufgrund des Beschlusses über die Bewilligung der Verfahrenshilfe die Verfahrenshelferin des Klägers zu sein. Sollte die Klagevertreterin nachträglich erklären, die Revision aufgrund der ihr vom Kläger erteilten Vollmacht eingebracht zu haben, läge kein Vertretungsmangel vor; die Akten wären erneut dem Obersten Gerichtshof vorzulegen. Sollte die Klagevertreterin dagegen erklären, nicht als bevollmächtigte Vertreterin des Klägers eingeschritten zu sein, hätte das Erstgericht das in § 67 ZPO vorgesehene Verfahren zur Bestellung eines Verfahrenshelfers einzuleiten. Zweckmäßigerweise hätte es dann dem vom Ausschuss der zuständigen Rechtsanwaltskammer bestellten Verfahrenshelfer die Gelegenheit zu geben, die eingebrachte Revision zu genehmigen, wodurch der Vertretungsmangel saniert wäre. Jedenfalls hätte das Erstgericht die Akten nach der Sanierung eines allfälligen Vertretungsmangels (oder nach einem erfolglosen Sanierungsversuch) erneut dem Obersten Gerichtshof vorzulegen.