JudikaturOGH

10ObS37/25a – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. April 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, den Vizepräsidenten Hon. Prof. PD Dr. Rassi, den Hofrat Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Anja Pokorny (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Wolfgang Kozak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei *, vertreten durch Mag. Christof Brunner, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist Straße 1, vertreten durch Dr. Anton Ehm und andere, Rechtsanwälte in Wien, wegen Entziehung des Rehabilitationsgeldes, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. Jänner 2025, GZ 11 Rs 106/24y-130, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 4. September 2024, GZ 18 Cgs 80/21d-125 bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Für die 1964 geborene Klägerin, die in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag (1. 2. 2018) bis zu ihrer Kündigung im Jänner 2018 überwiegend (175 Versicherungsmonate) als diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin bzw -schwester beschäftigt war, besteht (als DGKP bzw DGKS) unstrittig Berufsschutz. Ihr wurde ab 1. 2. 2018 Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung wegen vorübergehender Berufsunfähigkeit zuerkannt.

[2] Nach Besserung ihres gesundheitlichen Zustands wurde mit dem klagsgegenständlichen Bescheid der beklagten Pensionsversicherungsanstalt vom 9. 2. 2021 ausgesprochen, dass vorübergehende Berufsunfähigkeit nicht mehr vorliege, weshalb das Rehabilitationsgeld daher mit 31. 3. 2021 entzogen werde. Zudem sprach die Beklagte im Bescheid aus, dass Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation nicht mehr zweckmäßig seien und auch kein Anspruch auf berufliche Maßnahmen der Rehabilitation bestehe.

[3] Aufgrund des Leistungskalküls zum Zeitpunkt der Entziehung per 31. 3. 2021 kann die Klägerin die zuletzt ausgeübte Tätigkeit nicht mehr ausüben. Sie wäre aber wieder in der Lage, Ambulanztätigkeiten in Spezialambulanzen (zB Ambulanzschwester in einer Pränatalambulanz oder für Diabetes- oder Adipositasberatungen) durchzuführen. Diesbezüglich existiert ein ausreichender Arbeitsmarkt. Eine Verbesserung des nunmehr vorliegenden Leistungskalküls kann nicht ausgeschlossen werden und ist (bei Intensivierung der bisherigen Therapie oder medikamentösen Umstellung) innerhalb von einem Jahr möglich.

[4]Mit Bescheid der Gesundheit Österreich GmbH vom 28. 9. 2023 wurde der Antrag der Klägerin auf Eintragung in das Gesundheitsberuferegister als Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin abgewiesen (auch bei einer früheren Antragstellung wäre die Klägerin nicht eingetragen worden). Der Antragsabweisung lag zugrunde, dass der Klägerin die für die gesundheitliche Eignung im Sinne des § 27 Abs 1 Z 2 GuKG (Gesundheits- und Krankenpflegegesetz) erforderliche Fähigkeit fehle, den Beruf der DGKP entsprechend den beruflichen Anforderungen fachgerecht auszuüben.

[5]Im Berufsfeld der berufsschutzerhaltenden Teiltätigkeiten (gehobener Gesundheitsbereich) gibt es keine Tätigkeit, die man in Österreich ausüben darf, wenn man nicht in das Gesundheitsberuferegister eingetragen ist (vgl § 27 Abs 1 Z 5 GuKG).

[6] Die Vorinstanzen sprachen im dritten Rechtsgang in Stattgabe des Klagebegehrens aus, dass die Klägerin aufgrund und für die Dauer der vorübergehenden Berufsunfähigkeit über den 31. 3. 2021 hinaus Anspruch auf Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation und Anspruch auf Gewährung eines Rehabilitationsgeldes dem Grunde nach im gesetzlichen Ausmaß durch den Krankenversicherungsträger hat.

[7] Das Berufungsgericht vertrat unter Hinweis auf § 15 GBRG(Gesundheitsberuferegister-Gesetz) und § 27 GuKG die Ansicht, dass es der Klägerin mangels Eintragung in das Gesundheitsberuferegister nicht möglich sei, im Berufsfeld der berufsschutzerhaltenden Teiltätigkeiten im gehobenen Gesundheitsbereich eine Tätigkeit auszuüben. Beim Wegfall der gesundheitlichen Eignung für die weitere Ausübung des Berufes handle es sich um kein unbeachtliches persönliches Moment, zumal die Klägerin weder zum Eignungswegfall beigetragen noch die Erlangung eines Nachweises der gesundheitlichen Eignung (§ 15 Abs 4 GBRG ) vereitelt habe. Für die zum Zeitpunkt der ursprünglichen Gewährung von Rehabilitationsgeld aufgrund der seinerzeitigen Krankenstandsprognose vom Arbeitsmarkt gänzlich ausgeschlossene Klägerin habe daher auch zum Zeitpunkt der Entziehung dieser Leistung aufgrund ihres weiterhin besserbaren Zustands keine berufsschutzerhaltende und damit zumutbare Verweisungstätigkeit bestanden.

[8]Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zur Klärung der Auswirkungen des Wegfalls der erforderlichen gesundheitlichen Eignung nach § 27 Abs 1 Z 2 GuKG im Zusammenhang mit dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit bei bestehendem Berufsschutz zu.

[9] Die Beklagte bekämpft mit ihrer Revision das Berufungsurteil. Sie strebt die gänzliche Klagsabweisung an; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[10] Die Klägerin hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

[11] Das Rechtsmittel ist mit Blick auf die Zulassungsfrage zulässig, aber nicht berechtigt.

[12] 1. Die Minderung der Arbeitsfähigkeit wird (auf der Verweisungsebene, vgl Födermayr in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 255 ASVG Rz 7) auch im Anwendungsbereich des § 273 Abs 1 ASVG grundsätzlich nicht konkret, sondern abstrakt ermittelt ( 10 ObS 124/13b , ErwGr 2; 10 ObS 43/14t , ErwGr 5; 10 ObS 33/22h , Rz 9; RS0084939 [T9]; RS0107503 [Invalidität]; RS0088972 [Versehrtenrente]; dazu auch Födermayr , Grundsatz der abstrakten Prüfung der Voraussetzungen für die Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit, JAS 2017, 285). Persönliche Umstände, wie die Sprache, familiäre Situation, die konkreten Arbeitschancen, aber auch die persönlichen Einkommensverhältnisse und Vermögensverhältnisse oder die Krankenversicherung, sind bei Prüfung der geminderten Arbeitsfähigkeit nicht zu berücksichtigen ( 10 ObS 139/89 ; 10 ObS 54/16p , ErwGr 1.1; 10 ObS 33/22h , Rz 9; RS0107503 ), auch dann nicht, wenn sie faktisch eine geminderte Arbeitsfähigkeit nach sich ziehen, mit dem Gesundheitszustand des Versicherten aber nicht zusammenhängen (wie zB Unkenntnis der deutschen Sprache, Führerscheinentzug bei einem Berufskraftfahrer) ( 10 ObS 7/15z, ErwGr 6 ). Die Ursache für die geminderte Arbeitsfähigkeit muss nämlich der körperliche und geistige Zustand des Versicherten sein ( 10 ObS 7/15z, ErwGr 6 ; 10 ObS 54/16p , ErwGr 1.3). Umstände, die mit dem Gesundheitszustand nicht im Zusammenhang stehen, sind bei Prüfung der geminderten Arbeitsfähigkeit von vornherein nicht zu berücksichtigen (10 ObS 2455/96v). Hintergrund dieser Vorgehensweise ist die damit erzielte Rechtssicherheit und Gleichbehandlung ( 10 ObS 124/13b , ErwGr 2; 10 ObS 43/14t , ErwGr 5; 10 ObS 33/22h , Rz 9; Neumayr in Pfeil , Geminderte Arbeitsfähigkeit 33 [40]; Födermayr in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 255 ASVG Rz 7). Eine andere Betrachtungsweise würde zu einer systemwidrigen Privilegierung zB einkommens- und vermögensloser oder nicht krankenversicherter Personen führen ( 10 ObS 2455/96v ; 10 ObS 54/16p , ErwGr 1.3).

[13]2. § 27 GuKG regelt die Berufsberechtigung zur Ausübung des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege. Nur solche Personen sind dazu berechtigt, die ua die für die Erfüllung der Berufspflichten erforderliche gesundheitliche Eignung und Vertrauenswürdigkeit besitzen (§ 27 Abs 1 Z 2 GuKG) und in das Gesundheitsberuferegister gemäß GBRG eingetragen sind (Z 5 leg cit). Dieses Register wird auch für Angehörige der Gesundheits- und Krankenpflegeberufe gemäß GuKG geführt (§ 1 Abs 2 Z 1 GBRG). Personen, die einen solchen Gesundheitsberuf in Österreich auszuüben beabsichtigen und die in den jeweiligen berufsrechtlichen Bestimmungen normierten Voraussetzungen für die Berufsausübung erfüllen, haben vor Aufnahme ihrer beruflichen Tätigkeit bei der dafür zuständigen Registrierungsbehörde die Aufnahme in das Gesundheitsberuferegister mittels eines von den Registrierungsbehörden zur Verfügung zu stellenden Formulars zu beantragen ( § 15Abs 1 GBRG). Dabei ist nach § 15 Abs 1a Z 6 iVm Abs 4 GBRG als Nachweis der gesundheitlichen Eignung ein ärztliches Zeugnis vorzulegen.

[14] 3. Entgegen den Ausführungen in der Revision sind die Vorinstanzen im Anlassfall nicht von einer Bindungswirkung des Bescheids der Gesundheit Österreich GmbH ausgegangen, sondern haben die Voraussetzung des § 27 Abs 1 Z 2 GuKG selbst geprüft. Die Revision tritt dem Ergebnis dieser Prüfung nicht entgegen. Die Beklagte argumentiert im Rechtsmittel im Wesentlichen vielmehr (nur) damit, dass der Umstand der Nichterlangung einer Registrierung im Gesundheitsberuferegister (mangels gesundheitlicher Eignung) zu den persönlichen Umständen zu zählen sei, die für die Frage der Berufsunfähigkeit nicht maßgeblich sei. Damit ist die Beklagte nicht im Recht.

[15] 4. Anknüpfend an die zu Punkt 1. referierte Rechtsprechung sind die gesundheitliche Eignung iSd § 15 Abs 1a Z 6 iVm Abs 4 GBRG bzw § 27 Abs 1 Z 2 GuKG und die daran geknüpfte Eintragung in das Gesundheitsberuferegister nicht als (für die geminderte Arbeitsfähigkeit irrelevante) persönliche Umstände anzusehen. Vielmehr hängen diese Umstände mit dem Gesundheitszustand der Klägerin eng zusammen und sind damit schon deshalb für die Prüfung der geminderten Arbeitsfähigkeit zu berücksichtigen.

[16]5.1 Die Vorinstanzen sind davon ausgegangen, dass keine Tätigkeit als DGKP nach dem GuKG ausgeübt werden darf, wenn die gesundheitliche Eignung nicht für alle Tätigkeiten nach dem GuKG gegeben ist. Diese Ansicht, die von der Revision nicht angegriffen wird, ist zutreffend.

[17]5.2 Weder das GBRG noch das GuKG sehen eine (explizite) Teileintragung oder eine teilweise Berufsberechtigung vor. Das korrespondiert mit dem Zweck des Registers, klarzustellen, wer aller in diesen Berufen tätig ist bzw sein darf. Daran anknüpfend bestimmt § 27 Abs 1 GuKG die Berufsberechtigung auch gesamthaft, ohne diese abzustufen. Wer nicht gesund genug für alle Tätigkeitendes GuKG ist (vgl § 13 GuKG ), darf demnach auch keine Teilbereiche dieser Tätigkeiten ausüben.

[18] 5.3 Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn – mit Blick auf dieses „Alles oder nichts“-Prinzip – die Klägerin nicht auf berufsschutzerhaltende Teiltätigkeiten verwiesen wurde, weil auch diese ebenfalls nur dann ausgeübt werden können, wenn die gesundheitlichen Voraussetzungen des § 27 Abs 1 Z 2 GuKG gegeben wären.

[19]5.4 Es liegt im Rahmen des gesetzlichen Handlungsspielraums, für bestimmte Berufe spezielle Voraussetzungen zu verlangen, die aus Sicht der Berufsunfähigkeit nach § 273 ASVG nicht notwendig wären. Es wäre damit systemwidrig, im Anlassfall eine Berufsfähigkeit zu fingieren, obwohl die Klägerin aufgrund der Entscheidung des Gesetzgebers (Einführung eines Gesundheitsberuferegisters, das an die gesundheitliche Eignung anknüpft) keinen der möglichen Verweisungsberufe legal ausüben könnte. Die hier vorliegende Berufsunfähigkeit ist gerade Folge ihres körperlichen Zustands, auf den § 273 Abs 1 ASVG abstellt.

[20] 6. Gegen die hier vertretene Lösung kann auch nicht die Entscheidung 10 ObS 33/22h ins Treffen geführt werden, weil sich die jeweiligen Sachverhaltskonstellationen nicht vergleichen lassen.

6.1 Der dortigen Klägerin wäre es mit Blick auf ihr damaliges Leistungskalkül möglich gewesen, das für den Nachweis der gesundheitlichen Eignung erforderliche ärztliche Zeugnis nach § 15 Abs 4 GBRG zu erlangen. In Rz 9 dieser Entscheidung wurde nur ergänzend festgehalten, dass aus § 15 GBRG nicht abgeleitet werden kann, dass das vorzulegende Zeugnis keine gesundheitlichen Einschränkungen beinhalten darf. Die Situation, dass eine Eintragung wegen gesundheitlicher Einschränkungen nicht mehr in Betracht kommt, musste in der Entscheidung 10 ObS 33/22hnicht geklärt werden. Darüber hinaus lagen die dortigen Verweisungsberufe außerhalb des Anwendungsbereichs des GuKG (10 ObS 33/22h, Rz 10).

[21]6.2 Demgegenüber sind im hier zu beurteilenden Fall alle möglichen Verweisungsberufe vom GuKG erfasst und daher ohne entsprechenden (generellen) Registereintrag nicht ausübbar.

[22] 7. Zusammengefasst erweist sich die bekämpfte Entscheidung als fehlerfrei. Die hier relevante Voraussetzung der gesundheitlichen Eignung und die daran angeknüpfte Eintragung in das Gesundheitsberuferegister sind wegen des notwendigen Zusammenhangs mit dem Gesundheitszustand der Klägerin bei der Prüfung ihrer Arbeitsfähigkeit daher zu berücksichtigen, weshalb die angefochtene Entscheidung zu bestätigen war.

[23] 8. Eine Kostenentscheidung entfällt, weil die Klägerin keine Revisionsbeantwortung erstattet hat.