17Ob14/24v – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Präsidenten Univ. Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Stefula und MMag. Sloboda, die Hofrätin Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Philipp Casper, Rechtsanwalt, Kalchberggasse 1, 8010 Graz, als Masseverwalter im Konkursverfahren über das Vermögen der S* GmbH *, vertreten durch Kaan Cronenberg Partner Rechtsanwälte GmbH Co KG in Graz, gegen die beklagte Partei Ing. J*, vertreten durch KWR Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 956.873,26 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 22. August 2024, GZ 2 R 88/24i 74, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Über das Vermögen der Schuldnerin wurde im April 2019 das (zweite) Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Masseverwalter bestellt. Der Beklagte war Alleingeschäftsführer und Minderheitsgesellschafter der Schuldnerin sowie Alleingesellschafter der (ebenfalls insolventen) Mehrheitsgesellschafterin der Schuldnerin. Er gewährte der Schuldnerin am 21. Februar 2017 ein Darlehen über 1.000.000 EUR ohne nähere Vereinbarung über die Rückzahlungsmodalitäten. Im August 2017 schloss die Schuldnerin mit einer Vertragspartnerin im Rahmen eines Gerichtsverfahrens in Deutschland einen Vergleich, in dem sich die Vertragspartnerin zur Zahlung von 7.150.000 EUR verpflichtete. Die Schuldnerin überwies aus diesem Vergleichsbetrag am 14. September 2017 946.873,26 EUR zur (teilweisen) Tilgung des gewährten Darlehens an den Beklagten.
[2] Die Vorinstanzen gaben dem (unter anderem) auf eine Verletzung der Rückzahlungssperre nach § 14 EKEG gestützten Zahlungsbegehren im Umfang von 946.873,26 EUR sA statt.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die außerordentliche Revisiondes Beklagten zeigt das Vorliegen einer iSd § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage nicht auf:
[4]1. Die behauptete Aktenwidrigkeit des Berufungsurteils wurde vom Obersten Gerichtshof geprüft; sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Vielmehr versucht der Beklagte mit seinen Revisionsausführungen insoweit unzulässiger Weise die beweiswürdigenden Überlegungen der Vorinstanzen zu erschüttern.
[5] 2. Zentraler Streitpunkt im Revisionsverfahren ist die Frage, ob die Schuldnerin bei Gewährung des Darlehens im Februar 2017 (bereits) in der Krise (§ 2 EKEG) war.
[6]Das Vorliegen der von den Vorinstanzen als Krisenindikator bejahten Zahlungsunfähigkeit (§ 2 Abs 1 Z 1 EKEG) ist anzunehmen, wenn der Schuldner mangels bereiter Zahlungsmittel nicht in der Lage ist, alle seine fälligen Schulden zu bezahlen und er sich die erforderlichen Zahlungsmittel voraussichtlich auch nicht alsbald verschaffen kann (RS0064528 [insb T4]). Sie ist im Regelfall gegeben, wenn der Schuldner mehr als 5 % aller fälligen Schulden nicht begleichen kann (RS0126559).
[7] Der Nachweis des objektiven Tatbestandsmerkmals der Zahlungsunfähigkeit gelingt dem Masseverwalter durch den Beweis, dass der Schuldner zum maßgeblichen Zeitpunkt mehr als 5 % aller fälligen Schulden nicht zahlen konnte. Dem Prozessgegner steht bei einer 5 % übersteigenden Liquiditätslücke der Gegenbeweis über das Vorliegen bzw die Wahrscheinlichkeit einer bloßen Zahlungsstockung offen. Der Nachweis der Zahlungsstockung gelingt nur, wenn eine ex antePrüfung ergibt, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür bestand, dass der Schuldner in einer kurzen, für die Beschaffung der erforderlichen Geldmittel erforderlichen Frist alle seine Schulden pünktlich zu zahlen in der Lage sein wird. Diese Frist darf im Durchschnittsfall drei Monate nicht übersteigen. Eine noch längere Frist, höchstens aber etwa fünf Monate, setzt voraus, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit der Beseitigung der Liquiditätsschwäche zu rechnen ist (3 Ob 99/10w Punkt VIII. [zum Anfechtungsprozess]).
[8]Da es bei Beurteilung des Vorliegens von Zahlungsunfähigkeit auf die Gesamtsituation im Einzelfall ankommt, sind insoweit regelmäßig – von Fällen gravierender Fehlbeurteilung abgesehen – keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO zu beantworten (vgl 8 Ob 127/21s Rz 5).
[9] 2.1. Wieso nach den Feststellungen zum Zeitpunkt der Kreditgewährung fällige Verbindlichkeiten der Schuldnerin gegenüber verbundenen Unternehmen außer Betracht bleiben sollten (vgl zur an sich uneingeschränkten Berücksichtigung fälliger Zahlungsverpflichtungen im Konzern Schopper in Haberer/Krejci , Konzernrecht Kap 16.59), stellt der Beklagte nicht nachvollziehbar dar. Er behauptet lediglich, dass diese fälligen Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen selbst der Rückzahlungssperre unterliegen würden, ohne auch nur im Ansatz darzustellen, welche konkreten Gesellschafter (§§ 5, 8, 9 EKEG) der Schuldnerin in welchem Umfang Kredit (§§ 1 und 3 EKEG) in der Krise (§ 2 EKEG) gewährt haben sollten.
[10] Das Vorliegen einer bloßen Zahlungsstockung vermochte der Beklagte im Hinblick auf die getroffene Negativfeststellung zur Verschiebung von Fälligkeiten nicht nachzuweisen.
[11]2.2. Da die Revision keine gravierende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts im Zusammenhang mit der Berücksichtigung der fälligen Verbindlichkeiten gegenüber verbundenen Unternehmen aufzeigt, kommt der vom Beklagten als erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO angesehenen Frage, ob fällige Forderungen der Schuldnerin bei Prüfung von deren Zahlungsunfähigkeit als parate Zahlungsmittel zu beurteilen sind, keine für den Verfahrensausgang entscheidende Bedeutung zu. Selbst wenn man die Forderungen der Schuldnerin als parate Mittel qualifizierte, ergäbe sich nach den Feststellungen des Erstgerichts nämlich per 02/2017 eine Deckungslücke von 72 % (Urteil des Erstgerichts S 52).
[12] 2.3. Die Ausführungen zur angeblich mangelnden Fälligkeit der Verbindlichkeiten gegenüber zwei namentlich angeführten (Fremd )Unternehmen gehen nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Sekundäre Feststellungsmängel liegen in diesem Zusammenhang schon deswegen nicht vor, weil die ins Treffen geführten Bankgarantien (weit überwiegend) erst nach Februar 2017 ausgestellt wurden und damit für die Frage des Vorliegens von Zahlungsunfähigkeit im Februar 2017 keine Relevanz haben können.
[13] 2.4. Den Ausführungen zum angeblich rechtlich unrichtigen Ansatz des Werts eines Teilbetriebs in der Überschuldungsbilanz kommt wegen der nicht korrekturbedürftigen Bejahung von Zahlungsunfähigkeit keine Bedeutung für den Verfahrensausgang zu.
[14]3. Eine in einem selbständig beurteilbaren Teilbereich – hier in der Frage der (Höhe der) Zinsen – in zweiter Instanz unterlassene Rechtsrüge kann in der Revision nicht nachgeholt werden (RS0043573 [T33]). Die Frage, ob dem Kläger unternehmerische Zinsen zuzusprechen waren, kann die Zulässigkeit der Revision daher nicht begründen (vgl 2 Ob 204/20v Rz 6).
[15] 4. Insgesamt war die außerordentliche Revision zurückzuweisen.