JudikaturOGH

7Nc20/24m – OGH Entscheidung

Entscheidung
Zivilrecht
11. Oktober 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende sowie den Hofrat Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Mag. Malesich als weitere Richter in der Pflegschaftssache des Minderjährigen T* P*, geboren am * 2019, Mutter S* P*, geboren am * 1983, vertreten durch Mag. Silvia Fahrenberger, Rechtsanwältin in Scheibbs, Vater M* P*, geboren am * 1970, *, vertreten durch Dr. Christian Reiter, Rechtsanwalt in St. Pölten, wegen Obsorge und Kontaktrecht, AZ 8 Ps 152/22s des Bezirksgerichts St. Pölten, infolge Vorlage zur Entscheidung nach § 111 Abs 2 JN den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die mit Beschluss des Bezirksgerichts St. Pölten vom 25. Juli 2024, GZ 8 Ps 152/22s242, gemäß § 111 Abs 1 JN verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache hinsichtlich des mj T* P* an das Bezirksgericht Weiz wird nicht genehmigt.

Text

Begründung:

[1] Der Minderjährige ist der Sohn von M* P* und S* P*. Die Obsorge kommt der Mutter alleine zu, sein Hauptaufenthalt ist bei der Mutter.

[2] Aufgrund der Verhaltensweisen des Vaters, die zu seiner strafgerichtlichen Verurteilung wegen beharrlicher Verfolgung geführt hatten, sind besondere Sicherheitsmaßnahmen notwendig, um zu gewährleisten, dass der Vater den Aufenthaltsort der Mutter nicht ausfindig macht, um seine Verfolgungshandlungen fortzusetzen. In weiterer Folge wurden die Kontakte zwischen dem Vater und der Minderjährigen bis auf weiteres ausgesetzt, unter anderem weil keine Besuchseinrichtungen existierten, die sich in der Lage sehen, die Sicherheit von Mutter und Kind zu gewährleisten und der Vater entgegen der strafrechtlichen Verurteilung auch nicht in der Lage ist, sein Verfolgungsverhalten einzustellen. Die Mutter hat Angst vor dem unberechenbaren Wahnverhalten des Vaters, diese Angst kann dazu führen, dass sie selbst psychisch destabilisiert wird, was auch das Kindeswohl beeinträchtigt.

[3] Mit Beschluss vom 25. 7. 2024 übertrug das Bezirksgericht St. Pölten die Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Weiz. Dies begründete es damit, dass die Mutter mit dem Minderjährigen „auf der Flucht vor dem Vater“ nach Weiz gezogen sei. Es sei zweckmäßiger, wenn das Bezirksgericht Weiz diese Pflegschaftssache führe.

Rechtliche Beurteilung

[4] Das Bezirksgericht Weiz erklärte, das gegenständliche Verfahren nicht zu übernehmen.

[5]1.1 Das Pflegschaftsgericht kann gemäß § 111 Abs 1 JN die Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse des Minderjährigen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird.

[6]1.2 Ausschlaggebendes Kriterium für eine Übertragung der Zuständigkeit ist stets das Kindeswohl (vgl RS0047074). Dabei ist in der Regel das Naheverhältnis zwischen Pflegebefohlenem und Gericht von wesentlicher Bedeutung, sodass im Allgemeinen das Gericht am besten geeignet ist, in dessen Sprengel der Minderjährige seinen Wohnsitz oder (gewöhnlichen Aufenthalt) hat (RS0047074 [T18]). Der Aufenthalt des Pflegebefohlenen mit der erziehungsberechtigten Mutter in einem anderen Gerichtssprengel muss aber nicht in allen Fällen die Übertragung der Zuständigkeit nach § 111 Abs 1 JN zur Folge haben (RS0047300). Eine Zuständigkeitsübertragung an das Wohnsitzgericht setzt einen stabilen Aufenthalt des Pflegebefohlenen voraus. Steht dessen Lebensmittelpunkt noch nicht fest, wird die Übertragung als unzweckmäßig erachtet, etwa dann, wenn der Aufenthalt des Kindes instabil und die zukünftige Lebenssituation unklar ist (RS0047300 [T30]).

[7] 1.3 Im vorliegenden Fall geht das übertragende Gericht selbst davon aus, dass sich die Mutter und der Minderjährige „auf der Flucht vor dem Vater“ befinden. Nach dem Akteninhalt versucht auch bereits die väterliche Großmutter durch Anrufe bei mehreren Jugendämtern im Umkreis des aktuellen Aufenthaltsorts des Minderjährigen und der Mutter, deren neuen Aufenthaltsort in Erfahrung zu bringen, sodass eine weitere Veränderung des Wohnsitzes nicht ausgeschlossen und eine stabile Verfestigung des Aufenthalts des Minderjährigen im Sprengel des Bezirksgerichts Weiz noch nicht absehbar ist. Aus diesem Grund regt auch die zuständige Sozialarbeiterin der BH St. Pölten an, den Akt weiterhin beim Bezirksgericht St. Pölten zu führen. Aufgrund der unterschiedlichen Größe von St. Pölten und Weiz könnte die Führung des Verfahrens vor dem Bezirksgericht Weiz die Gefahr der Kenntnisnahme des Aufenthaltsorts des Minderjährigen und der Mutter durch den Vater insoweit vergrößern, als dem Vater beispielsweise eine Verfolgung nach einem Gerichtstermin erleichtert würde. Dies entspricht aber nicht dem Kindeswohl.

[8] Die Übertragung der Zuständigkeit an das Bezirksgericht Weiz war daher die Genehmigung zu versagen.