3Ob6/24i – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P*bank *, vertreten durch die administrative Verwalterin D*, diese vertreten durch Mag. Markus Stender, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. S*, vertreten durch Knoetzl Haugeneder Netal Rechtsanwälte GmbH in Wien und Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH in Wien, 2. Verlassenschaft nach der am * 2019 verstorbenen N*, 3. Dr. L*, beide vertreten durch Lansky, Ganzger Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 11.302.308.158,02 RUB (= 154.178.378,76 EUR) sA und Feststellung, über die außerordentlichen Revisionsrekurse der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 30. November 2023, GZ 16 R 128/23w 52, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentlichen Revisionsrekurse werdengemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Die klagende russische Bank, vertreten durch eine in der Russischen Föderation ansässige Staatsagentur, begehrt mit ihrer im Jahr 2018 eingebrachten Klage von dem in den USA wohnhaften Erstbeklagten, dem Nachlass nach dessen mittlerweile verstorbener Mutter (der Zweitbeklagten) und dessen in Österreich lebenden Vater (dem Drittbeklagten) die Zahlung von insgesamt rund 154 Mio EUR; weiters erhebt sie ein Feststellungsbegehren.
[2] Das Rekursgericht wies in Abänderung der erstgerichtlichen Entscheidung die (im Mai 2022 bzw Februar 2023, also nach Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine gestellten) Anträge der Beklagten auf Erlag einer aktorischen Kaution ab und ließ die ordentliche Revision mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
[3] In ihren außerordentlichen Revisionsrekursen gelingt es den Beklagten nicht, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen:
[4] 1. Ausländer, die vor einem österreichischen Gericht als Kläger auftreten, haben gemäß § 57 Abs1 ZPO dem Beklagten auf dessen Verlangen für die Prozesskosten Sicherheit zu leisten, sofern nicht durch Staatsverträge etwas anderes festgesetzt ist. Gemäß § 57 Abs 2 Z1a ZPO tritt eine solche Verpflichtung zur Sicherheitsleistung unter anderem dann nicht ein, wenn eine gerichtliche Entscheidung, die dem Kläger den Ersatz von Prozesskosten an den Beklagten auferlegte, im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts des Klägers vollstreckt würde.
[5] 2. Ein Staatsvertrag iSd § 57 Abs1 ZPO ist insbesonderedas Übereinkommen betreffend das Verfahren in bürgerlichen Rechtssachen (HPÜ 1954, BGBl 1957/91). Sowohl Österreich als auch die Russische Föderation sind Vertragsstaaten des HPÜ (vgl 3 Nc 19/22g). Gemäß Art 17 HPÜ darf Angehörigen eines der Vertragsstaaten, die in einem anderen dieser Staaten als Kläger oder Intervenienten vor Gericht auftreten, sofern sie in einem der Vertragsstaaten ihren Wohnsitz haben, wegen ihrer Eigenschaft als Ausländer oder deswegen, weil sie keinen Wohnsitz oder Aufenthalt im Inland haben, eine Sicherheitsleistung oder Hinterlegung, unter welcher Benennung es auch sei, nicht auferlegt werden.
[6] 3. Das Rekursgericht hat mit seiner Auslegung, wonach es bei Vorhandensein eines Staatsvertrags iSd § 57 Abs1 ZPO (konkret des HPÜ) auf das Vorliegen eines der Ausnahmetatbestände des § 57 Abs2 ZPO und damit insbesondere auf das tatsächliche Vollstreckungsverhalten in der Russischen Föderation (§ 57 Abs 2 Z1a ZPO) im Gefolge des russischen Präsidialerlasses Nr 79 vom 28. Februar 2022 über die Anwendung von wirtschaftlichen Sondermaßnahmen wegen der „unfreundlichen Handlungen“ der USA und anderer ausländischer Staaten nicht mehr ankomme, angesichts des klaren Gesetzeswortlauts seinen Beurteilungsspielraum nicht überschritten (vgl auch Mosser in Fasching/Konecny 3 II/1 §57 ZPO Rz 108).
[7] 4. Dass die Teilnahme der Russischen Föderation am HPÜ von der Russischen Föderation selbst oder von den übrigen Vertragsstaaten explizit ausgesetzt worden wäre, behaupten die Beklagten gar nicht. Die von ihnen als erheblich bezeichnete Rechtsfrage, ob trotz formeller Geltung von Art 17 HPÜ im Fall der tiefgreifenden Missachtung von völkerrechtlichen Verpflichtungen durch die russischen Gerichte und demzufolge offenkundiger Aussichtslosigkeit der Vollstreckung von Kostenersatzentscheidungen in Russland eine aktorische Kaution verhängt werden könne, stellt sich ausgehend von den Feststellungen des Erstgerichts nicht. Diesen lässt sich nämlich lediglich entnehmen, dass russische Gerichte in (bloß) fünf Fällen unter Bezugnahme auf den Präsidialerlass Nr 79 Klagen von in „unfreundlichen“ Staaten ansässigen Unternehmen (offenbar rechtskräftig) abgewiesen und in einem (einzigen) weiteren Fall mit derselben Begründung die Anerkennung eines ausländischen Schiedsspruchs abgelehnt haben. Dies reicht aber nicht aus, um die Annahme zu begründen, die im HPÜ vorgesehene Vollstreckung einer (allfälligen) Kostenforderung der Beklagten gegenüber der Klägerin würde in der Russischen Föderation mit hoher Wahrscheinlichkeit abgelehnt.
[8]5. Das Rekursgericht hat mit seiner Beurteilung, dass die Klägerin als russische Staatsagentur vom weiten, nicht-physische Personen einschließlich der Vertragsstaaten selbst umfassenden Angehörigenbegriff des Art 17 HPÜ umfasst ist, seinen Beurteilungsspielraum ebenfalls nicht überschritten (vgl schon OLG Wien 1 R 30/16p = RW0000856).