3Ob53/23z – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache des Betroffenen L*, über die außerordentlichen Revisionsrekurse des Betroffenen und der gesetzlichen Erwachsenenvertreterin B*, beide vertreten durch Dr. Burghard Seyr, Rechtsanwalt in Innsbruck, sowie der Einschreiter 1.) V*, 2.) M*, 3.) J*, 4.) K*, alle vertreten durch Dr. Burghard Seyr, Rechtsanwalt in Innsbruck, 5.) Ing. K*, 6.) B*, 7.) Ing. F*, sowie 8.) B*, gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 9. Februar 2023, GZ 54 R 8/23g 58, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
I. Die außerordentlichen Revisionsrekurse der Einschreiter zu 5.) bis 8.) werden zurückgewiesen.
II. Die übrigen außerordentlichen Revisionsrekurse werden mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Text
Begründung:
zu I. :
Rechtliche Beurteilung
[1] Bei den Einschreitern zu 5.) bis 8.) handelt es sich um die Geschwister des Betroffenen. Diesen kommt gemäß § 127 Abs 3 iVm Abs 1 AußStrG kein Rekursrecht gegen die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters zu. Ihre Rechtsmittel sind daher als unzulässig zurückzuweisen, ohne dass es eines vorherigen Verbesserungsverfahrens zur Nachholung der fehlenden Anwaltsunterschrift bedurft hätte (vgl RS0120029).
zu II. :
[2] Den übrigen Revisionsrekurswerbern – bei den Einschreitern zu 1.) bis 4.) handelt es sich um die drei volljährigen Kinder und den Vater des Betroffenen – gelingt es nicht, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen:
[3] 1.1. Gemäß § 246 Abs 3 Z 1 ABGB hat das Gericht die Beendigung der gesetzlichen Erwachsenenvertretung anzuordnen und erforderlichenfalls einen gerichtlichen Erwachsenenvertreter zu bestellen, wenn der Vertreter nicht oder pflichtwidrig tätig wird oder es sonst das Wohl der vertretenen Person erfordert.
[4] 1.2. Die Beurteilung, ob die Voraussetzungen des § 246 Abs 3 Z 1 ABGB erfüllt sind, hängt naturgemäß stets von den Umständen des Einzelfalls ab. Dass die Vorinstanzen die Beendigung der gesetzlichen Erwachsenenvertretung anordneten, stellt keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung dar:
[5] Die Gattin des Betroffenen stellte in ihrer Funktion als gesetzliche Erwachsenenvertreterin Mitte Jänner 2022 beim Erstgericht den – in der Folge rechtskräftig abgewiesenen – Antrag, eine Schenkung in Höhe von 300.000 EUR an die beiden gemeinsamen Töchter pflegschaftsgerichtlich zu genehmigen. Bei dem Geldbetrag handelt es sich im Wesentlichen um die dem Betroffenen aufgrund der Dauerfolgen seines schweren Unfalls aus der privaten Unfallversicherung der Ehegatten zugekommene Versicherungsleistung; beabsichtigt war, dass die Töchter mit diesem Geld eine (noch in Bau befindliche) barrierefreie Eigentumswohnung erwerben, in der der Betroffene und seine Gattin in der Folge wohnen sollten. Ohne die Entscheidung des Gerichts abzuwarten, überwies die gesetzliche Erwachsenenvertreterin wenige Tage nach Stellung des Antrags je 100.000 EUR an die beiden Töchter. Dass der früher zuständige Pflegschaftsrichter dieser Schenkung des Betroffenen nach dem Bekunden der gesetzlichen Erwachsenenvertreterin mündlich zugestimmt habe, kann nichts daran ändern, dass der Erwachsenenvertreterin im Zeitpunkt der Überweisungen bekannt war, dass nun eine andere Pflegschaftsrichterin zuständig ist und diese noch nicht über den anhängigen Antrag entschieden hat. Festzuhalten ist auch, dass der Gattin des Betroffenen entgegen ihrer Ansicht nicht deshalb die Hälfte der dem Betroffenen ausbezahlten Versicherungsleistung zusteht, weil die Versicherungsprämien stets vom gemeinsamen Konto der Ehegatten bezahlt wurden; entscheidend ist vielmehr, dass der Versicherungsfall (dauernde Invalidität) ausschließlich beim Betroffenen eingetreten ist.
[6] 2.1. Gemäß § 274 Abs 1 ABGB ist zum (gerichtlichen) Erwachsenenvertreter vorrangig mit deren Zustimmung eine Person zu bestellen, die aus einer Vorsorgevollmacht, der Vereinbarung einer gewählten Erwachsenenvertretung oder einer Erwachsenenvertreter-verfügung hervorgeht. Ist eine solche Person – wie hier – nicht verfügbar oder geeignet, so ist nach Abs 2 leg cit mit deren Zustimmung eine der volljährigen Person nahestehende und für die Aufgabe geeignete Person zu bestellen. Kommt auch eine solche Person nicht in Betracht, so ist nach Abs 3 leg cit ein Erwachsenenschutzverein mit dessen Zustimmung zu bestellen. Ist auch die Bestellung eines solchen (wie hier) nicht möglich, so ist nach Abs 4 leg cit ein Notar (Notariatskandidat) oder Rechtsanwalt (Rechtsanwaltsanwärter) oder mit deren Zustimmung eine andere geeignete Person zu bestellen. Das Pflegschaftsgericht ist grundsätzlich an diesen gesetzlichen „Stufenbau“ gebunden, weshalb ein Abgehen davon sachlich gerechtfertigt sein muss (5 Ob 40/23b mwN).
[7] 2.2. Bei der Beurteilung der Eignung einer dem Betroffenen nahestehenden Person für die Erwachsenenvertretung ist auf mögliche Interessenkollisionen Bedacht zu nehmen (vgl RS0048982). Zur Annahme einer Interessenkollision reicht ein objektiver Tatbestand und die Wahrscheinlichkeit einer Interessenverletzung des Betroffenen bereits aus (RS0048982 [T1]). Ein Interessenwiderspruch kann sich auch aus den Interessen anderer Personen als des Vertretungsbefugten ergeben, weil Letzterer geneigt sein könnte, deren Interessen denen des von ihm Vertretenen vorzuziehen. Ob eine Interessenkollision zu befürchten ist, hängt grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls ab (5 Ob 40/23b mwN).
[8] 2.3. Das Rekursgericht hat die Eignung des – von der beabsichtigten Schenkung zwar nicht unmittelbar, wohl aber mittelbar berührten – Sohnes des Betroffenen wegen einer Interessenkollision vertretbar verneint. Nichts anderes kann im Ergebnis für den Vater und die Geschwister des Betroffenen gelten, weil deren Rechtsmitteln klar zu entnehmen ist, dass sie die – von den Vorinstanzen zutreffend als nicht dem Wohl des Betroffenen dienend beurteilte – beabsichtigte Schenkung an die Töchter des Betroffenen (zum Erwerb einer Eigentumswohnung, an der dem Betroffenen lediglich ein Wohnrecht eingeräumt werden soll) für richtig halten.
[9] 3. Die von den Einschreitern jeweils gerügte Verletzung ihres rechtlichen Gehörs wirkt im Außerstreitverfahren nicht absolut (RS0120213 [T4]); sie ist nur dann wahrzunehmen, wenn sie Einfluss auf die Richtigkeit der Entscheidung haben konnte (RS0120213 [T20]). Dies ist hier nicht der Fall. Die Einschreiter hatten nämlich Gelegenheit, ihre Einwendungen im außerordentlichen Revisionsrekurs darzulegen und nutzten diese auch. Selbst die Berücksichtigung dieses Vorbringens hätte aber, wie oben dargelegt, an der Entscheidung des Rekursgerichts nichts ändern können. Der behaupteten Gehörverletzung mangelt es daher jedenfalls an der erforderlichen Relevanz.