9ObA171/08z – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Irene Kienzl und Dr. Gerda Höhrhan Weiguni als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Andrzej L*****, vertreten durch Freimüller/Noll/Obereder/Pilz Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Friedrich H*****, vertreten durch Dr. Michael Prager Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Wien, wegen 7.651,18 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16. Oktober 2008, GZ 10 Ra 75/08k 34, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 16. Jänner 2008, GZ 17 Cga 185/06h 30, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.082,93 EUR bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin 180,49 EUR Umsatzsteuer) und die mit 1.910,27 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 123,71 EUR Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe :
Der Beklagte ist nicht protokollierter Einzelunternehmer und betreibt den Fahrzeugeinzel- und großhandel . Er beschäftigt dabei keine Mitarbeiter. Vom 1. 7. 1998 bis zum 31. 12. 2004 gehörte er der Fachgruppe Lebensmittelgroßhandel an; seit 1. 1. 2000 ist er der Fachgruppe Fahrzeugeinzel- und -großhandel zugehörig.
Der Beklagte ist Eigentümer eines Zinshauses mit 38 Wohneinheiten, von denen über 30 an Dritte vermietet sind. Verwaltet wird dieses Zinshaus von der Mutter des Beklagten, der ein Fruchtgenussrecht an der Liegenschaft zusteht und der die Mieteinnahmen zufließen. Ab 2003 wurde das Haus vom Beklagten generalsaniert. Er finanzierte die Sanierung mit Krediten, deren Raten mit den Mieteinnahmen seiner Mutter bedient werden.
Einen Teil der Sanierungsarbeiten vergab der Beklagte an Fremdfirmen. Für einen anderen Teil der Arbeiten - konkret für Bauarbeiter , Bauhilfsarbeits- und Installationstätigkeiten - beschäftigte er, je nach Bedarf, im eigenen Namen und auf eigene Rechnung maximal 14 bzw mindestens ein bis zwei Mitarbeiter. Die von diesen Mitarbeitern verrichteten Tätigkeiten hatten mit dem Kraftfahrzeughandel des Beklagten (bzw mit dem früheren Lebensmittelgroßhandel) nichts zu tun.
Der Kläger war ab 3. 5. 2004 beim Beklagten zur Sozialversicherung angemeldet. Zunächst wurde er als Handelsarbeiter zu 650 EUR für 20 Stunden angemeldet. Am 22. 12. 2004 wurde er abgemeldet, wobei als Abmeldegrund die einverständliche Lösung des Arbeitsverhältnisses und als zuletzt bezogenes Entgelt 1.535,57 EUR brutto ausgewiesen waren. Von 21. 2. 2005 bis 28. 2. 2005 war er als Hausinstallateur zu 323 EUR brutto für 7,5 Stunden pro Woche und ab 1. 3. 2005 bis 28. 6. 2005 wieder als Hausinstallateur, jedoch nun für 38,5 Stunden pro Woche zu 1.874,71 EUR brutto monatlich angemeldet. Tatsächlich wurde der Kläger aber vom Beklagten vom 3. 5. 2004 bis zum 30. 6. 2005 durchgängig im Rahmen der Sanierungsarbeiten am Zinshaus als Installateur vollzeitig beschäftigt. Vereinbarungsgemäß sollte er zunächst 1.100 EUR netto monatlich, ab 1. 3. 2006 1.300 EUR netto monatlich, je samt Sonderzahlungen, erhalten. Vom 20. 12. 2004 bis zum 10. 1. 2005 war der Kläger auf Urlaub. Am 30. 6. 2006 wurde das Arbeitsverhältnis einvernehmlich aufgelöst.
Der Kläger erhielt Lohnabrechnungen, die der sozialversicherungsrechtlichen Meldung entsprachen, aber nicht mit den erbrachten Arbeitsleistungen übereinstimmten. Er erhielt insgesamt 11.750 EUR ausgezahlt. Seine restlichen aus der Vereinbarung mit dem Beklagten resultierenden Ansprüche von 7.651,18 EUR haften unberichtigt aus.
Der Kläger begehrte zuletzt den Zuspruch des eben genannten Betrags von 7.651,18 EUR und berief sich auf die mit dem Beklagten getroffenen Vereinbarungen. Ein Kollektivvertrag sei auf das Arbeitsverhältnis nicht anzuwenden.
Der Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Im Revisionsverfahren von Interesse ist nur mehr der von ihm erhobene Einwand des Verfalls der geltend gemachten Ansprüche. Dazu brachte er Folgendes vor:
Auf das Arbeitsverhältnis sei der Kollektivvertrag für Handelsarbeiter anzuwenden. Die in diesem Kollektivvertrag vorgesehene dreimonatige Verfallsfrist habe der Kläger nicht eingehalten.
Der Kläger beharrte darauf, dass kein Kollektivvertrag auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden sei. Auch eine Vereinbarung über die Anwendung eines Kollektivvertrags sei nicht getroffen worden. Der Beklagte verfüge über keine Gewerbeberechtigung zur Durchführung von Installations- oder Bauarbeiten. Zudem wäre der Einwand des Verfalls sittenwidrig, weil dem Kläger die Anwendbarkeit des vom Kläger genannten Kollektivvertrags nicht bekannt gewesen sei und ihm keine Lohnabrechnungen ausgehändigt worden seien.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.
Die Sanierung und der Ausbau des im Eigentum des Beklagten stehenden Zinshauses habe mit seinem Handelsbetrieb weder eine fachliche noch eine organisatorische Verbindung. Die Sanierung könne auch nicht als Gewerbe iSd GewO qualifiziert werden, weil es an den Merkmalen der dauernden und nicht bloß vorübergehenden Ausübung fehle. Es fehle daher jeder Anhaltspunkt für die Anwendbarkeit eines Kollektivvertrags. Der Beklagte schulde daher den als angemessen anzusehenden vereinbarten Lohn samt Sonderzahlungen. Der auf die Anwendbarkeit des Kollektivvertrags gestützte Verfallseinwand sei nicht berechtigt. Überdies sei schon die Berufung auf den Verfall ein Verstoß gegen Treu und Glauben, weil der Beklagte den Kläger über die Abmeldungen bei der Sozialversicherung nicht aufgeklärt und ihm keine ordnungsgemäßen Lohnabrechnungen ausgefolgt habe.
Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.
Die Kollektivvertragszugehörigkeit richte sich zunächst nach § 8 ArbVG. Für die Kollektivvertragsangehörigkeit sei die - für die Gerichte nicht überprüfbare - Zuordnung durch die Kammer zu einem bestimmten Fachverband maßgebend. Im Allgemeinen genüge es für die Einwirkung eines Kollektivvertrags auf das Arbeitsverhältnis, dass der Arbeitgeber kollektivvertragsangehörig sei. Die Rechtswirkungen des Kollektivvertrags treten nämlich gemäß § 12 Abs 1 ArbVG auch für nicht kollektivvertragsangehörige Arbeitnehmer ein.
Aufgrund der Zuordnung des Beklagten zu den Fachgruppen Lebensmittelgroßhandel und Fahrzeugeinzel- und -großhandel, die beide zur Sparte Handel der Wirtschaftskammer Wien zählten, sei der Beklagten dem Kollektivvertrag der Handelsarbeiter Österreichs unterworfen. Für die Beurteilung, ob das Arbeitsverhältnis der Streitteile in den Geltungsbereich dieses Kollektivvertrags falle, seien die Bestimmungen des Kollektivvertrags über den räumlichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereich heranzuziehen. Art I Z 3 des Kollektivvertrags beziehe in den persönlichen Geltungsbereich „alle nicht der Angestelltenversicherungspflicht unterliegenden Arbeitnehmer im Handel" ein, „mit Ausnahme der dem Kollektivvertrag für die Betreuer der Firma Donauland unterliegenden Arbeitnehmer". Da der Kläger nicht als Angestellter tätig oder sozialversichert gewesen sei, sei er daher als Arbeitnehmer des Beklagten dem Kollektivvertrag der Handelsarbeiter unterlegen, obwohl er nicht im Fahrzeugeinzel- und -großhandelsbetrieb des Beklagten gearbeitet habe.
Der Kollektivvertrag gelte für alle Arbeitnehmer eines kollektivvertragsunterworfenen Arbeitgebers, wenn nicht einer der Fälle der §§ 9 oder 10 ArbVG vorliege, was hier nicht der Fall sei: § 2 Abs 13 GewO 1994 sei nicht anzuwenden, weil der Beklagte mit seiner Sanierungstätigkeit kein Gewerbe ausgeübt habe. Auch wenn sich die Sanierung über einen längeren Zeitraum gezogen habe, sei sie doch nur vorübergehender Natur - nach den Feststellungen „zeitlich begrenzt" - und auch nicht zu Erwerbszwecken erfolgt. Weil sie nicht auf Dauer angelegt sei, sei die Baustelle, auf der der Kläger im Zuge der Sanierung gearbeitet habe, auch kein Betrieb iSd § 34 ArbVG. Auch von einer Betriebsabteilung iSd § 9 ArbVG könne nicht die Rede sein. Mangels mehrfacher Kollektivvertragsangehörigkeit des Beklagten und mangels Ausübung eines unbefugten Gewerbes iSd § 2 Abs 13 GewO 1994 seien somit die kollisionsrechtlichen Normen der §§ 9 und 10 ArbVG nicht anzuwenden.
Damit unterliege aber das Arbeitsverhältnis dem Kollektivvertrag der Handelsarbeiter Österreichs. Nach dessen Art XIV. seien Ansprüche des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis bei sonstigem Verfall innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend zu machen. Da das Arbeitsverhältnis des Klägers am 30. 6. 2005 geendet, er seine Ansprüche aber erst mit der am 21. 12. 2006 eingebrachten Klage geltend gemacht habe, seien diese Ansprüche daher verfallen.
Die Berufung auf die Verfallsklausel sei sittenwidrig, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die rechtzeitige Geltendmachung eines Anspruchs in einer Art und Weise erschwere oder praktisch unmöglich mache, die die spätere Berufung auf die Verfallsklausel als rechtsmissbräuchlich erscheinen lasse. Dies sei den Feststellungen nicht zu entnehmen: Auch wenn die dem Kläger ausgefolgten Lohnabrechnungen nicht mit den tatsächlichen Leistungen übereingestimmt haben, so habe er doch - zumindest teilweise - der sozialversicherungsrechtlichen Meldung entsprechende Abrechnungen erhalten. Für die letzten Monate des Arbeitsverhältnisses haben diese Abrechnungen mit dem tatsächlich vereinbarten Nettolohn übereingestimmt. Selbst wenn man davon ausgehen wolle, dass sich der Fälligkeitstag für die Lohnauszahlungsansprüche des Klägers infolge der teilweise nicht ausgefolgten oder unrichtigen Lohnabrechnungen auf das Ende des Arbeitsverhältnisses iSd Art XIV. des Kollektivvertrags „verschoben" habe, so sei der Kläger nicht gehindert gewesen, seine Ansprüche nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses innerhalb des Zeitraums von drei Monaten schriftlich gegenüber dem Beklagten geltend zu machen. Schließlich seien ausschließlich Lohn (differenz )ansprüche Gegenstand der Klage und nicht etwa Überstunden oder andere nur aufgrund besonderer Aufzeichnungen nachvollziehbare Ansprüche. Dass sich der Beklagte auf die Verfallsklausel des Kollektivvertrags berufe, sei daher nicht sittenwidrig.
In Stattgebung der Berufung sei das Ersturteil iSd Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.
Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil die Entscheidung des Berufungsgerichts der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs entspreche.
Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers mit dem Antrag, es im Sinne der Stattgebung der Klage abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Beklagte beantragt, die Revision nicht zuzulassen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht die Rechtslage verkannt hat. Sie ist auch berechtigt.
Zu Recht hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass für die Beurteilung der Frage, ob das Arbeitsverhältnis der Streitteile in den Geltungsbereich des hier vom Beklagten ins Treffen geführten Kollektivvertrags der Handelsarbeiter Österreichs fällt, dessen Bestimmungen über den räumlichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereich heranzuziehen sind (§ 8 ArbVG; dazu näher Strasser , ArbVG Kommentar § 8 Rz 23; Reissner , ZellKomm § 8 Rz 2). Nach seinem Art I Z 3 (persönlicher Geltungsbereich) gilt der genannte Kollektivvertrag „Für alle nicht der Angestelltenversicherungspflicht unterliegende Arbeitnehmer im Handel, mit Ausnahme der dem Kollektivvertrag für die 'Betreuer' der Firma Donauland unterliegenden Arbeitnehmer". Im Gegensatz zur Rechtsauffassung des Erstgerichts ist damit aber klargestellt, dass der Kollektivvertrag der Handelsarbeiter Österreichs auf das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht anzuwenden ist: Der Kläger ist kein Arbeiter im Handel; er wurde nicht als Handelsarbeiter, sondern als Installateur aufgenommen und beschäftigt und hat keinerlei Tätigkeit „im Handel" bzw im vom Beklagten betriebenen Handelsgewerbe entfaltet.
Die dagegen vom Beklagten vorgebrachten Argumente überzeugen nicht. Es trifft zwar zu, dass der Kläger zunächst für eine gewisse Zeit als „Handelsarbeiter" zur Sozialversicherung angemeldet wurde. Ebenso steht aber fest, dass diese in der Anmeldung angeführte Qualifikation unrichtig und nur vorgeschoben war. In den späteren Anmeldungen wurde er auch nicht mehr als Handelsarbeiter, sondern als „Hausinstallateur" qualifiziert.
Der als Installateur aufgenommene und außerhalb des Handelsgewerbes des Beklagten bei dessen privaten Sanierungsarbeiten als Installateur tätige Kläger ist daher vom Geltungsbereich des Kollektivvertrags der Handelsarbeiter nicht erfasst, sodass die Verfallsbestimmungen dieses Kollektivvertrags nicht zur Anwendung kommen können. Auf die weiteren Ausführungen des Berufungsgerichts und die dazu in der Revisionsbeantwortung angestellten Überlegungen braucht daher nicht eingegangen zu werden.
Da somit klargestellt ist, dass die Klageforderung nicht verfallen ist, ist das erstgerichtliche Urteil, mit dem dem Klagebegehren stattgegeben wurde, wiederherzustellen. Sonstige Einwände gegen die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts wurden in der Berufung des Beklagten gegen dieses Urteil nicht erhoben. Auch die Ausführungen des Beklagten im Revisionsverfahren beschränken sich auf die Frage des Verfalls. Der in der Berufung des Beklagten enthaltenen Tatsachenrüge ist das Berufungsgericht nicht gefolgt.
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.