6Ob714/76 – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Sperl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Petretto, Dr. Samsegger, Dr. Resch und Dr. Vogel als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H*, Private, *, vertreten durch Dr. Romeo Nowak, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Dr. H*, Hotelier, *, vertreten durch Dr. Ernst Czerny und Dr. Rudolf Hanifle, Rechtsanwälte in Zell am See, wegen 35.000,-- S samt Anhang infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgerichtes vom 11. August 1976, GZ. 32 R 401/76 21, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Zell am See vom 5. Mai 1976, GZ. C 282/75 16, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.989,60 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 129,60 S Umsatzsteuer und 240,-- S Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin begehrte die Verurteilung des Beklagten zur Bezahlung des Betrages von 35.000,-- S samt Anhang. Sie behauptete, mit ihrem Gatten im Jänner 1975 im Hotel des Beklagten einen Urlaub verbracht zu haben. Das gesamte Reisegepäck, aber auch Bargeld und Schmuck hätten sich in dem „vom Wirt zugewiesenen Zimmer“ befunden. In der Nacht vom 4. auf den 5. Jänner 1975 habe die Klägerin mit ihrem Gatten das Hotel verlassen und ein Lokal besucht, vorher das Zimmer versperrt und dem Portier persönlich den Zimmerschlüssel übergeben. Dieser habe ihn in Empfang genommen und verwahrt. Nach der Rückkehr habe die Klägerin feststellen müssen, daß das Zimmer während ihrer Abwesenheit von einem Unbekannten geöffnet worden sei. Ein Bargeldbetrag von 20.000,-- S sowie Schmucksachen im Wert von 15.000,-- S seien abhanden gekommen. Es habe sich herausgestellt, daß der Unbekannte sich während der Abwesenheit der Klägerin des Zimmerschlüssels bemächtigt, das Zimmer geöffnet und den Schaden angerichtet habe. Die Klägerin habe den Beklagten sofort von dem Vorfall verständigt. Der Beklagte hafte gemäß § 970 a ABGB. Überdies werde der Klagsanspruch auf die Bestimmungen der §§ 957 ff ABGB gestützt. Die Klägerin habe innerhalb der Frist des § 967 ABGB den Beklagten aufgefordert, ihre Forderung zu erfüllen. Der Beklagte habe dies abgelehnt.
Der Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens. Er brachte vor, die Klägerin sei „durch Aushang in ihrem Zimmer“ aufgefordert worden, „Geld und Wertpapiere“ in der Rezeption abzugeben. Diese Gegenstände wären im hauseigenen Tresor diebstahlssicher aufbewahrt worden. Für die Nichtbefolgung dieser Aufforderung sei die Ablehnung der Haftung angedroht worden. Der Zimmerschlüssel sei beim Portier abgegeben und „an der Portierloge aufs Schlüsselbrett gehängt“ worden, wie es der allgemeinen Gewohnheit entspreche. Er sei allerdings nicht ständig bewacht worden. D as Schlüsselbrett sei für jeden anderen Hotelgast frei zugänglich. Der Täter habe nicht den Original-, sondern einen Nachschlüssel verwendet.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:
Die Klägerin verbrachte Anfang Jänner 1975 mit ihrem Gatten einige Tage und Nächte als zahlender Gast im Hotel * des Beklagten in Zell am See. Der Beklagte wies „als Gastwirt“ der Klägerin und deren Gatten das Zimmer Nr. 20 zu. Die Klägerin und ihr Gatte brachten das gesamte Reisegepäck in dieses Zimmer. Sie verließen am Abend des 4. Jänner 1975 das Zimmer, um ein Lokal in Zell am See aufzusuchen. Die Klägerin versteckte vorher einen von ihr eingebrachten Geldbetrag von 20.000,-- S in 1.000-Schilling-Noten und zwei Schmuckstücke im Wert von zusammen 15.000,-- S zwischen ihrer Wäsche in dem im Zimmer befindlichen Kasten, ohne diesen jedoch zu versperren. Die beiden Schmuckstücke, ein in Gliedern gearbeitetes Weißgoldkollier mit dazupassendem Armband, waren Geschenke des Gatten der Klägerin. Er hatte sie vor ca. 2 1/2 Jahren bei der Firma Beer auf der Mariahilferstraße in Wien gekauft und für das Kollier 9.000,-- S und für das Armband 6.000,-- S bezahlt. Auch „im Klagszeitpunkt“ hatten die Schmuckstücke einen Wert von zusammen 15.000,-- S. Die Klägerin und ihr Gatte sperrten das Zimmer ab und übergaben den Zimmerschlüssel der diensthabenden Rezeptionsangestellten, welche ihn auf das bei der Rezeption befindliche Schlüsselbrett hängte. In der Nacht zum 5. Jänner 1975 nahmen bisher unbekannte Täter in einem unbewachten Augenblick vom Schlüsselbrett bei der Rezeption den Schlüssel des Zimmers der Klägerin sowie zwei andere Zimmerschlüssel, sperrten damit die entsprechenden Zimmer auf und stahlen daraus verschiedene Gegenstände. Der Klägerin wurden 20.000,-- S und die beiden Schmuckstücke gestohlen. Sie erlitt einen Schaden von 35.000,-- S. Als sie und ihr Gatte am 5. Jänner 1975 gegen 1 Uhr in das Hotel zurückkehrten, bemerkten sie den Diebstahl und teilten dies sofort dem Beklagten mit. Der Beklagte verständigte die Gendarmerie. Der Originalschlüssel des Zimmers der Klägerin war nach dem Vorfall verschwunden.
Im Zimmer der Klägerin befand sich ein sogenannter ca. 21 x 15 cm großer „Zimmeranschlag“, welcher der Zimmerpreisauszeichnung dient. Im unteren Viertel des Anschlages befand sich folgender in deutscher, englischer und französischer Sprache verfaßter Text: „Bitte, Wertgegenstände deponieren – sonst keine Haftung. – Wünsche und Beschwerden an die Leitung des Hauses. – Bei Verlassen des Zimmers absperren und Schlüssel abgeben. – Abreise bis 12 Uhr mittag melden. – Bei Abreise Zimmer bis 13 Uhr räumen, weil wir den Tag sonst anrechnen müßten. – Zimmermiete gilt, wenn nicht anders vereinbart, für einen Tag.“
Die Klägerin wurde nicht gesondert darauf hingewiesen, daß Geld und Wertsachen im Haussafe an der Rezeption bei sonstigem Haftungsausschluß zu hinterlegen seien. Es konnte nicht festgestellt werden, daß die Klägerin vom Inhalt des Zimmeranschlages, insbesondere vom angedrohten Haftungsausschluß, Kenntnis hatte.
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, die Klägerin stütze ihr Begehren auf die „strenge Gastwirtehaftung der §§ 970 f ABGB“ und insbesondere darauf, daß einer der Leute des Beklagten schuldhaft die nötige Obsorge bei der Verwahrung des übergebenen Schlüssels außer acht gelassen habe, wodurch dieser in unbefugte Hände geraten und der geltend gemachte Schaden entstanden sei. Durch die Übernahme des Schlüssels durch einen Erfüllungsgehilfen des Beklagten sei im Rahmen des Gastaufnahmevertrages „konkludent ein Spezialvertrag zwischen den Streitteilen“ abgeschlossen worden, welcher die ordnungsgemäße Aufbewahrung des Schlüssels betroffen habe. Auf diesen „Schlüsselverwahrungsvertrag“ seien die Bestimmungen der §§ 957 ff ABGB anzuwenden. Der Verwahrer habe die Pflicht, die ihm anvertraute Sache vor Schaden zu sichern, und hafte gemäß § 964 ABGB dem Hinterleger für den aus der Unterlassung der pflichtgemäßen Obsorge verursachten Schaden. Er hafte jedoch nicht für Zufall. Es möge im Gastgewerbe der allgemeinen Gewohnheit entsprechen, daß Schlüssel, welche bei Rezeption abgegeben werden, auf ein Schlüsselbrett gehängt und dort nicht ständig beaufsichtigt würden. Bemächtige sich ein Unbefugter eines solchen in Verwahrung gegebenen Schlüssels in einer Weise wie im vorliegenden Fall und gelange er damit in das Zimner und stifte dort Schaden, könne von einem Zufall nicht gesprochen werden. Bei pflichtgemäßer Obsorge des Beklagten wäre die Ansichnahme des Schlüssels durch einen Unbefugten ohne weiteres zu verhindern gewesen. Überdies habe bei der Geltendmachung von Ersatzansprüchen aus vertragsmäßigen Verbindlichkeiten der aus dem Vertrag Verpflichtete die unverschuldete Unmöglichkeit der Leistung zu beweisen. Deshalb sei im vorliegenden Fall die Beweislastverteilung des § 970 a zweiter Satz ABGB, nach welcher der die unbeschränkte Haftung des Gastwirtes in Anspruch nehmende Gast ein Verschulden des Wirtes beweisen müsse, nicht anzuwenden. Der Beklagte habe nicht einmal versucht, einen ausreichenden Entlastungsbeweis anzutreten.
Die von der Rechtsprechung zugelassene Ablehnung der Haftung des Gastwirtes für den Fall, daß durch Anschlag die Hinterlegung von Wertsachen bei sonstigem Haftungsausschluß verlangt werde, stelle eine „entscheidende Einschränkung der Rechte des Gastes“ dar. Sie müsse daher den Gästen auf eine solche Weise mitgeteilt werden, daß sie nicht unbemerkt bleiben könne. Am geeignetsten erscheine ein diesbezüglicher Anschlag in der Rezeption des Hotels in solcher Größe, daß er auch aus einiger Entfernung noch ohne weiteres gelesen werden könne und gleichsam in die Augen falle. Sei jedoch, wie im vorliegenden Fall, ein Haftungsausschluß nur im Kleindruck unter anderen Empfehlungen für den Gast zu finden, „gleichsam als Fußnote auf dem vom diesbezüglichen Verwaltungsgesetz geforderten Preisauszeichnungszimmeranschlägen“, müsse im Bestreitungsfall die Kenntis des Gastes vom behaupteten Haftungsausschluß bewiesen werden. Dies habe der Beklagte nicht getan, so daß ein rechtswirksamer Haftungsausschluß nicht vorliege. Da der Schaden infolge mangelnder Obsorge der Rezeptionsangestellten des Beklagten „zumindest mitverschuldet“ worden sei, komme dem Beklagten die Betragsbeschränkung der Haftung gemäß § 970 a ABGB nicht zugute. Ein Mitverschulden der Klägerin oder ihres Gatten sei „nicht ausdrücklich eingewendet“ worden und könne in dem festgestellten Sachverhalt auch nicht gefunden werden.
Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab. Es führte aus, es müsse von jedem Gast erwartet und verlangt werden, daß er einen Zimmeranschlag, wie er im vorliegenden Fall angebracht gewesen sei, lese. Es könne dem Gastwirt nicht angelastet werden, wenn ein Gast zu bequem oder zu nachlässig sei, einen solchen Anschlag in dem ihm zugewiesenen Zimmer überhaupt anzusehen. Die Klägerin habe bei ihrer Einvernahme als Partei zugegeben, daß an der Türe des ihr zugewiesenen Zimmers ein Zettel gehangen sei, sie aber beim Beziehen des Hotelzimmers solche Zettel nie ansehe, weil sie den Preis schon wisse und an weitere Informationen nicht interessiert sei. Hätte die Klägerin die von einem Gast zu fordernde Aufmerksamkeit angewendet, hätte sie durch Lesen des ersten Satzes des in höflicher Form abgefaßten Zimmeranschlages davon Kenntnis nehmen können, daß der Beklagte als Hotelier eine Haftung für die vom Gast eingebrachten Geldbeträge und Wertgegenstände ablehne, falls diese nicht bei ihm bzw. in der Rezeption deponiert werden sollten. Der Forderung, der Anschlag, nach welchem Wertgegenstände und Geldbeträge bei sonstigem Haftungsausschluß zu deponieren seien, müsse so angebracht sein, daß er von jedem Gast ohne weiteres bemerkt werden könne, habe der Beklagte entsprochen. Die Klägerin sei daher nicht berechtigt, vom Beklagten den Ersatz des ihr erwachsenen Schadens zu begehren. Sie könne im Hinblick auf die besonderen Bestimmungen des Gastaufnahmevertrages aber auch nicht die Haftung des Beklagten zufolge eines „Schlüsselverwahrungsvertrages“ nach den Bestimmungen der §§ 957 ff ABGB in Anspruch nehmen.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das Urteil im Sinne der Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteiles abzuändern, allenfalls es aufzuheben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht gerechtfertigt.
Die Klägerin wendet sich nur gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß eine wirksame Anweisung, Wertgegenstände bei sonstigem Haftungsausschluß zu deponieren, vorliege, welche bewirke, daß entgegen dieser Anordnung im Zimmer verwahrte Gegenstände als nicht eingebracht anzusehen seien. Sie führt dazu aus, in der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung werde nicht nur gefordert, der Anschlag nach welchem Wertgegenstände und Geldbeträge bei sonstigem Haftungsausschluß zu deponieren seien, müsse so angebracht sein, daß er von jedem Gast ohne weiteres bemerkt werden könne. Es ergebe sich aus dieser Entscheidung vielmehr auch, daß dieser Haftungsausschluß in deutlicher, in die Augen springender Form zu erfolgen habe. Dies sei hier nicht der Fall, weil der Haftungsausschluß lediglich im Kleindruck erfolgt sei. Der Meinung des Berufungsgerichtes, von jedem Gast müsse erwartet und verlangt werden, daß er einen solchen Zimmeranschlag lese, könne nicht gefolgt werden. Anderenfalls müßte man aus dieser Rechtsmeinung eine Pflicht des Gastes ableiten, sämtliche im Zimmer befindliche Anschläge des Vermieters zu lesen, „nur weil sich unter diesen, allenfalls kleingedruckt, ein Haftungsausschluß befinden könnte“.
In der Entscheidung SZ 12/51 wurde lediglich ausgesprochen, entscheidend sei, ob der Anschlag so angebracht war, daß er von jedem Gast ohne weiteres zu bemerken war. Wenn das Berufungsgericht angenommen hat, daß der in dem von der Klägerin bewohnten Zimmer angebrachte Anschlag dieser Anforderung entsprochen hat, kann darin eine Fehlbeurteilung nicht erblickt werden. Anweisungen der vorliegenden Art sind in Hotels nicht ungewöhnlich. Der ca. 21 x 15 cm große „Zimmeranschlag“, welcher in seinem größeren mit grünem Untergrund versehenen Teil die Bekanntgabe der Preise für Pension, Nächtigung, Frühstück und die Zuschläge für Service, Heizung, Ortstaxe, Notbett, Bad und Garage vorsieht, enthält im unteren ca. 6 x 15 cm großen Teil in deutscher, englischer und französischer Sprache verfaßte Anweisungen an den Zimmergast. Der deutsche Text beginnt mit dem in größeren Buchstaben gedruckten Wort „Bitte“. Unmittelbar nach diesem Wort findet sich in kleinerem Druck die Aufforderung „Wertgegenstände deponieren – sonst keine Haftung“. Der Zimmeranschlag dient ausschließlich der Information des Gastes und enthält für ihn bedeutsame Bestimmungen, wie z.B. jene, das Zimmer am Abreisetag bis 13 Uhr zu räumen, weil sonst der Tag berechnet werden müßte. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, der „Haftungsausschluß“ (richtig die Anweisung an den Gast, Wertgegenstände zu deponieren, widrigenfalls keine Haftung übernommen werde) finde sich „gleichsam als Fußnote“ unter anderen Verhaltensempfehlungen für den Gast. Wurde aber der Gast in einer für ihn ohne weiteres erkennbaren Art angewiesen, Wertgegenstände nicht im Zimmer aufzubewahren, sondern zu deponieren, könne entgegen dieser Anweisung im Zimmer gelassene Gegenstände nicht als „eingebracht“ im Sinne des § 970 ABGB angesehen werden (vergl. Koziol , österr. Haftpflichtrecht, II, S. 292).
Das Berufungsgericht hat aber auch mit Recht die Annahme einer Haftung des Beklagten zufolge eines „Schlüsselverwahrungsvertrages“ abgelehnt. Durch die Übergabe des Zimmerschlüssels an die Rezeptionsangestellte kam kein besonderer Vertrag über die Haftung des Gastwirtes für die im Hotelzimmer belassenen Gegenstände zustande. Es konnte dadurch also auch nicht die Anweisung an den Gast, Wertgegenstände zu deponieren, unwirksam werden.
Da in der Entscheidung des Berufungsgerichtes somit eine Fehlbeurteilung nicht zu erblicken ist, mußte der Revision der Erfolg versagt bleiben.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO