JudikaturJustizDs25/13

Ds25/13 – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. März 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Richter und Staatsanwälte hat durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende sowie die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Pimmer, Dr. Baumann, Dr. Prückner und Dr. Hopf als weitere Richter in der Disziplinarsache des Präsidenten des Obersten Gerichtshofs ***** nach Anhörung des Generalprokurators als Disziplinaranwalt den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Einleitung der Disziplinaruntersuchung wird gemäß § 123 Abs 4 erster Fall RStDG abgelehnt.

Text

Gründe:

Der Präsident des Obersten Gerichtshofs übermittelte mit Note vom 17. September 2013 der Stellvertreterin des Vorsitzenden des Disziplinargerichts die zu AZ 1 Präs ***** und 1 Präs ***** geführten Akten zur dienststrafrechtlichen Beurteilung. Ausgangspunkt des zu beurteilenden Sachverhalts ist die Entscheidung des Senats ***** vom 2. Juli 2013, AZ *****, und die dort unter anderem zu erörternde Rechtsfrage, ob gegen die gesetzliche Regelung des § 126 Abs 4 StPO, der die Ablehnung des in der Hauptverhandlung tätigen Sachverständigen wegen Befangenheit ausschließt, obwohl der Sachverständige im Vorverfahren vom Staatsanwalt bestellt wurde („Zeuge der Anklage“), verfassungsrechtliche Bedenken bestehen. Der Präsident bejaht unter Hinweis auf zwei Anregungen der Vollversammlung des Obersten Gerichtshofs derartige Bedenken und befürwortet eine Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof.

Der Präsident verfasste zunächst eine ausführliche Analyse der Entscheidung des Senats ***** und teilte am 20. August 2013 den Mitgliedern des Strafrichterkollegiums unter Anschluss der Analyse seinen Standpunkt mit, der Senat ***** habe entgegen den Tätigkeitsberichten des Obersten Gerichtshofs aus den Jahren 2011 und 2012 den Rechtsmittelwerbern den Zugang zum Verfassungsgerichtshof (rechtsirrig) verwehrt. Der Präsident führte aus, wenn er richtig informiert sei, solle auch der Senat ***** die Ansicht der Vollversammlung verworfen haben. Als Präsident dürfe er nicht tatenlos zusehen, wenn zwei Senate ganz offensichtlich die in zwei Beschlüssen der Vollversammlung einhellig geäußerte Meinung konterkarierten. Am Ende des Schreibens bekundet der Präsident seine Bereitschaft, bei Bedarf an einer mündlichen Diskussion teilzunehmen.

Am 21. August 2013 richtete der Präsident an das Gremium der Strafrichter neuerlich ein E Mail. Sein Ziel, „mit seinem gestrigen Schreiben kreative Unruhe zu erzeugen“, sei aufgegangen. In einem Gespräch mit dem Vorsitzenden des Senats ***** habe er den Eindruck gewonnen, dass manchen möglicherweise die für die Justizverwaltung geltenden Vorschriften nicht unmittelbar bewusst seien. § 73 Abs 1 Z 3 GOG verpflichte alle Organe der Justizverwaltung, Richter zur Besorgung ihrer Aufgaben anzuhalten und erforderlichenfalls Hilfe anzubieten. Sein (erstes) Schreiben sei im Sinn des ersten Auftrags von § 73 Abs 1 Z 3 GOG, die anderen Anhänge (gemeint vor allem die Analyse) als Hilfsangebot zu verstehen. Aufgrund dieses Schreibens wandte sich der Vorsitzende des Senats ***** mit einem E Mail an den Präsidenten dagegen, dass ganz offensichtlich versucht werde, Druck auf die unabhängige Rechtsprechung auszuüben.

Am 17. September 2013 richteten 12 (von 17) Strafrichtern ein Schreiben an den Präsidenten, in dem sie auf die richterliche Unabhängigkeit (Art 87 Abs 1 B VG) sowie die Trennung von Rechtsprechung und Verwaltung (Art 94 B VG) verwiesen und verwahrten sich „aus gegebenem Anlass gegen jeden Versuch von Justizverwaltungsorganen, in dieser Funktion Einfluss auf die richterliche Entscheidungsfindung zu nehmen“.

Darauf reagierte der Präsident am 17. September 2013 mit der schon angeführten Übermittlung der beiden Präs Akten zur dienststrafrechtlichen Beurteilung. Er ergänzte seine Überlegungen mit einem umfangreichen Aktenvermerk vom 19. September 2013 im Wesentlichen zum Thema der Unrichtigkeit der Entscheidungsbegründung des Senats ***** und äußerte für den Fall, der Senat hätte (mehrheitlich) verfassungsrechtliche Bedenken bejaht, den Verdacht des wissentlichen Fehlgebrauchs der Normanfechtungsbefugnis wegen bewusster Missachtung des Antragsvorbringens der Verteidiger in der Hauptverhandlung.

Am selben Tag verfügte der Präsident, die Eingabe der 12 Strafrichter vom 17. September 2013, die Disziplinaranzeige vom 17. September 2013 und weitere Schriftstücke jeweils in den Personalakt eines jeden Unterzeichners einzulegen.

Das Verfahren vor dem Disziplinargericht wurde getrennt. Im mittlerweile beendeten Verfahren Ds 24/13 wurde mit Beschluss des Disziplinargerichts vom 10. Februar 2014 die Einleitung der Disziplinaruntersuchung gegen die Mitglieder des Senats ***** entsprechend dem Antrag der Generalprokuratur abgelehnt. Das Disziplinargericht erachtete die Vorwürfe des Anzeigers, der Senat ***** habe die Anfechtung des § 126 Abs 4 StPO beim Verfassungsgerichtshof pflichtwidrig und bewusst unterlassen und das Antragsvorbringen der Verteidiger in der Hauptverhandlung bewusst fehlinterpretiert, um die Normanfechtung zu vermeiden, als unberechtigt. Selbst wenn man die Anregungen an den Gesetzgeber durch die Vollversammlung des Obersten Gerichtshofs in den Tätigkeitsberichten der Jahre 2011 und 2012 als zum Ausdruck gebrachte verfassungsrechtliche Bedenken ansähe, wäre der Senat ***** daran nicht gebunden gewesen und hätte gegenteiliger Auffassung sein können. Im Sinn der ständigen Rechtsprechung könne nicht jede allfällige Verletzung des materiellen Rechts oder von Verfahrensbestimmungen Gegenstand des Dienststrafrechts sein. Voraussetzung wäre eine bewusste oder eine wiederholt grob fahrlässige Rechtsverletzung. Hiefür fehle es nach der Aktenlage an irgendeinem Anhaltspunkt. Die Entscheidung des Senats ***** sei nicht unvertretbar.

Die Generalprokuratur äußerte sich am 21. Jänner 2014 zu Ds 25/13 zur durch das Schreiben von 12 Richtern des Obersten Gerichtshofs vom 17. September 2013 veranlassten „Selbstanzeige“ des Präsidenten dahin, dass die Einleitung einer Disziplinaruntersuchung gemäß § 123 Abs 4 erster Fall RStDG abzulehnen wäre. Das an den Präsidenten gerichtete Schreiben enthalte keinen konkreten Vorwurf einer versuchten Einflussnahme des Präsidenten auf die richterliche Entscheidungsfindung, sondern nur die Erklärung, dass man (allfälligen) Versuchen in diese Richtung entschieden entgegentreten werde. Eine solche Einflussnahme sei auch nicht dem an das Strafrichtergremium gerichteten E Mail des Präsidenten zu entnehmen. Darin werde nicht das Ergebnis der Entscheidungsfindung zu ***** beanstandet und für die Zukunft eine den Argumenten des Präsidenten Rechnung tragende Entscheidung gefordert, sondern lediglich das Fehlen einer die Argumente der Vollversammlung angemessen beachtenden Begründung kritisiert. Damit habe der Präsident aber in keiner Weise gegen § 73 Abs 2 GOG verstoßen.

Mit Note vom 11. Februar 2014 hat das Disziplinargericht dem Präsidenten Gelegenheit gegeben, sich zur Stellungnahme der Generalprokuratur sowie zum gesamten Akteninhalt zu äußern. Davon hat der Präsident zweimal Gebrauch gemacht.

Rechtliche Beurteilung

Das Disziplinargericht hat erwogen:

1. Der Präsident meint in seiner Äußerung gemäß § 123 Abs 1 zweiter Satz RStDG vom 12. Februar 2014, das RStDG kenne anders als § 111 BDG den für die Zulässigkeit disziplinarrechtlicher Entscheidung wesentlichen Begriff „Selbstanzeige“ nicht. Er habe keineswegs in tatsächlicher Hinsicht einen Sachverhalt mitgeteilt, den er wenn als erwiesen angenommen als Verletzung einer eigenen Dienst und Standespflicht beurteilt hätte.

Richtig ist, dass der Präsident nicht ausdrücklich Selbstanzeige erstattet, sondern dem Disziplinargericht am 17. September 2013 die zu AZ 1 Präs ***** und 1 Präs ***** geführten Akten zur dienststrafrechtlichen Beurteilung übermittelt hat. Im zweitgenannten Akt befindet sich eine Mitteilung des Präsidenten vom 17. September 2013 an den Vorsitzenden des Senats ***** (zu dessen Vorwurf von Pflichtverletzung durch das zum erstgenannten Akt dokumentierte Vorgehen des Präsidenten), dass der Präsident diesen Vorwurf dem zuständigen Disziplinargericht zur dienststrafrechtlichen Beurteilung weitergeleitet hat. Wegen dieses Vorwurfs zeigte der Präsident anlässlich der Übersendung der genannten Akten seine Ausgeschlossenheit (in Bezug auf den zweitgenannten Akt) an.

Es ist aber gleichgültig, ob man diesen Vorgang als „Selbstanzeige“ (so die Generalprokuratur in ihrer Stellungnahme) oder als „Weiterleitung eines gegen den Präsidenten erhobenen Vorwurfs von Pflichtverletzung“ auffasst: Das Disziplinargericht hat bei seiner Tätigkeit den gesamten aktenkundigen Sachverhalt zu berücksichtigen. Zu prüfen ist, ob der Verdacht einer disziplinarrechtlich relevanten Pflichtwidrigkeit des Präsidenten besteht und ob bejahendenfalls das Vorverfahren zu ergänzen oder gleich ein Einleitungsbeschluss oder Verweisungsbeschluss zu fassen oder aber ob auch hier von der Einleitung einer Disziplinaruntersuchung abzusehen ist.

Der ergänzenden Stellungnahme des Präsidenten vom 17. Februar 2014 ist entgegenzuhalten, dass es keine Rechtsgrundlage dafür gibt, das Disziplinargericht wäre bei seiner Tätigkeit von einer Willenserklärung des Dienstgebers (Bundesministeriums für Justiz) abhängig. Das Disziplinargericht ist auch an die eingeholte Stellungnahme der Generalprokuratur nicht gebunden; diese hat gemäß § 118 Abs 1 RStDG die dienstlichen Interessen zu vertreten, ist aber nicht mit dem Dienstgeber gleichzusetzen. Zum in der Stellungnahme des Präsidenten angestellten Vergleich mit der amtswegigen Tätigkeit eines Gewerbeinspektors oder eines patrouillierenden Polizisten ist darauf hinzuweisen, dass der Präsident selbst die Akten zur dienststrafrechtlichen Beurteilung übermittelt, also selbst das Verfahren vor dem Disziplinargericht das nicht von sich aus tätig wurde in Gang gesetzt hat (zur Amtswegigkeit im Disziplinarverfahren vgl auch ErläutRV 506 BlgNR 9. GP 41).

Der Verfassungsgerichtshof führte in seinem veröffentlichten Erkenntnis vom 6. Jänner 2002, Dv 1/01, dem in der Öffentlichkeit gegen den damaligen Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs erhobene Vorwürfe des damaligen Kärntner Landeshauptmanns und die Forderung des damaligen Präsidenten nach Klärung in einem Verfahren nach § 10 VfGG zugrunde lagen, aus: „5.4 Ein Einleitungsbeschluss ist dann zu fassen, wenn sich ausreichende Verdachtsmomente ergeben, dass das betroffene Mitglied eine Verfehlung im Sinn des § 10 Abs 1 lit c VfGG begangen haben könnte. Für die Fassung des Einleitungsbeschlusses sowie im Falle der Durchführung eines Amtsenthebungsverfahrens des Erkenntnisses sind die (übrigen) Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs zuständig (§ 10 Abs 4 VfGG), also wie bei den beiden anderen Höchstgerichten Richter jenes Gerichts, dem der Betroffene angehört (für die Richter des Verwaltungsgerichtshofs § 7 Abs 2 VwGG, für die Richter des Obersten Gerichtshofs § 111 Z 5 RDG).“ Der Verfassungsgerichtshof hatte offenbar keine Bedenken, ohne Einschaltung eines „Dritten“ (abgesehen davon, dass die Generalprokuratur eine Stellungnahme erstattete) über die Frage der Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens, dies mit inhaltlicher Begründung, abzusprechen.

Auch hier hat der Präsident eine klarstellende Entscheidung des Disziplinargerichts angestrebt. Zu seinen Argumenten hat sich die Generalprokuratur inhaltlich geäußert.

2. Es ist nicht Aufgabe des Disziplinargerichts, darüber zu befinden, ob gegen § 126 Abs 4 letzter Satz StPO verfassungsrechtliche Bedenken bestehen (welche Frage der Ausgangspunkt der aktenkundigen Auseinandersetzungen ist). Zu Ds 24/13 hat das Disziplinargericht anlässlich der Ablehnung der Einleitung der Disziplinaruntersuchung gegen die fünf Mitglieder des Senats ***** dargelegt, dass es jedenfalls vertretbar ist, solche Bedenken nicht zu haben. Wie aus FN 1 der Zusammenfassung der verfassungsrechtlichen Bedenken des Präsidenten (Anhang zum E Mail des Präsidenten an die Strafrichter vom 20. August 2013) hervorgeht, hatte der Präsident selbst zunächst 2008 im WK StPO noch keine Bedenken, während er 2010 Skepsis äußerte und schließlich 2012 explizit zur Gegenposition überging.

3. Im vorliegenden Fall steht die Frage im Vordergrund, ob der Präsident bloß die ihm zustehende Dienstaufsicht ausgeübt oder bereits in die richterliche Unabhängigkeit eingegriffen hat.

Die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen lauten:

im B VG:

Art 87 Abs 1: Die Richter sind in Ausübung ihres richterlichen Amtes unabhängig.

im GOG:

§ 73 Abs 1: Die Organe der Justizverwaltung haben in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereichen

1. ...

2. in Ausübung ihres Aufsichtsrechts (§ 76) eine die Rechtsschutzinteressen der Bevölkerung wahrende Rechtspflege sicherzustellen und

3. die Richter, die Staatsanwälte, die Beamten des gehobenen Dienstes einschließlich der Rechtspfleger und das übrige Personal der Gerichte und Staatsanwaltschaften zur Besorgung ihrer Aufgaben anzuhalten und erforderlichenfalls Hilfe anzubieten.

Abs 2: Alle Organe der Justizverwaltung haben darauf zu achten, dass kein Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit erfolgt.

§ 76 Abs 1: Im Rechte der Aufsicht liegt die Befugnis, die ordnungsmäßige Ausführung der Geschäfte zu überwachen, die Gerichte und Staatsanwaltschaften zur Erfüllung ihrer Pflichten anzuhalten und wahrgenommene Gebrechen abzustellen oder bei dem zur Anordnung der erforderlichen Vorkehrungen berufenen übergeordneten Gerichte darüber Anzeige zu erstatten.

Abs 2: Das Recht der Aufsicht erstreckt sich auf alle Personen, die bei den der Aufsicht unterworfenen Gerichten angestellt oder verwendet werden.

Abs 3: Die Gerichte und deren Personal haben die Anordnungen der mit der Aufsicht betrauten Behörden und Organe genau zu befolgen und denselben auf Verlangen über alle Amtsgeschäfte Auskunft und Rechenschaft zu geben.

im OGHG:

§ 3 Abs 1: Der Präsident leitet den Obersten Gerichtshof, er übt die Dienstaufsicht über das gesamte Personal des Gerichtshofs aus und führt die anderen Justizverwaltungsgeschäfte für den Gerichtshof, soweit diese nicht auf Grund des Gesetzes durch Senate zu erledigen sind. Insbesondere nimmt er auch die ihm übertragenen dienstbehördlichen Aufgaben wahr.

4. Für die vorzunehmende Beurteilung sind aus dem aktenkundigen Sachverhalt zusammenfassend folgende Umstände besonders hervorzuheben:

In seinem E Mail an die Strafrichter vom 20. August 2013 kritisierte der Präsident, dass der Senat ***** § 126 Abs 4 letzter Satz StPO nicht beim Verfassungsgerichtshof angefochten habe, bezog sich in diesem Zusammenhang dann aber auch auf einen Fall des Senats *****, wobei mit der Ausfertigung der Entscheidung noch längere Zeit nicht zu rechnen sei.

In seinem E Mail an die Strafrichter vom 21. August 2013 äußerte der Präsident seine Zufriedenheit, dass sein Ziel, mit seinem „gestrigen Schreiben kreative Unruhe zu erzeugen“, aufgegangen sei.

Am 17. September 2013 übersandte der Präsident dem Disziplinargericht die beiden mehrfach erwähnten Präs Akten, was er selbst in seiner Verfügung vom 19. September 2013 als Disziplinaranzeige verstand. Ein wesentlicher Vorwurf war die pflichtwidrige Unterlassung einer Anfechtung des § 126 Abs 4 letzter Satz StPO. Das führte in der Folge zu Vorerhebungen gegen die fünf Mitglieder des Senats ***** (vgl Ds 24/13).

Mit der eben erwähnten Verfügung vom 19. September 2013 ordnete der Präsident an, in den Personalakt jedes Unterzeichners einer am 17. September 2013 eingelangten Eingabe von 12 Strafrichtern die sich gegen jeden Versuch von Justizverwaltungsorganen, in dieser Funktion Einfluss auf die richterliche Entscheidungsfindung zu nehmen, verwehrt hatten ihre Eingabe, die Disziplinaranzeige vom 17. September 2013 und weitere Schriftstücke einzulegen. Nach den Angaben des Präsidenten in seiner Äußerung vom 12. Februar 2014 wurde die Eingabe später wieder aus den meisten Personalakten genommen (nicht bei zwei Strafrichtern, die das nicht wollten).

5. Der Präsident rechtfertigt sein Verhalten mit den Rechten und Pflichten der Dienstaufsicht gemäß § 73 Abs 1 Z 3 GOG, legt diese Bestimmung aber zu weit aus. Hatte der Präsident des Obersten Gerichtshofs im 19. Jahrhundert noch einen weitgehenden Einfluss auf die Rechtsprechung (Einberufung des Plenarsenats zur Erwirkung eines Judikats; Einberufung des Plenissimarsenats; Berichtspflicht gegenüber dem Präsidenten, wenn ein Referent von einer im Judikatenbuch aufgenommenen Entscheidung abgehen wollte; Sistierungsrecht von Entscheidungen einfacher Senate), so gibt es nach der geltenden Rechtslage diesen Einfluss nicht mehr ( Zechner in Fasching/Konecny 2 IV/1 Vor §§ 502 ff ZPO Rz 91 96).

Wenn der Präsident nach § 73 Abs 1 Z 3 GOG „erforderlichenfalls Hilfe anzubieten“ hat, ist damit neben der unterstützenden Hilfe der Justizverwaltung im Bezug auf Sachaufwand (Bibliothek) und Personalaufwand (Schreibkräfte) allenfalls auch das Anbot einer juristischen Fachdiskussion gemeint, das allerdings vom angesprochenen Richter erst angenommen werden muss. In diesem Licht ist hier die Übermittlung einer Analyse der Entscheidung des Senats ***** nicht zu beanstanden, genauso wenig aber auch die erfolgte Ablehnung weiterer, insistierender Belehrungen des Präsidenten durch 12 Strafrichter des Gremiums.

Soweit der Präsident Richter „zur Besorgung ihrer Aufgaben anzuhalten“ hat, liegt der Zweck dieser Bestimmung primär darin, Verfahrensverzögerungen entgegenzuwirken. Im Vorfeld richterlicher Entscheidungsfindung darauf als Dienstaufsichtsorgan Einfluss zu nehmen, wie die Entscheidung auszufallen hat, steht dem Präsidenten nicht zu. Er kann zwar seine Rechtsansichten kundtun, mehr aber auch nicht. Die Auslegung, der Präsident könne Richter zur Fällung einer aus seiner Sicht einzig richtigen Entscheidung „anhalten“, widerspricht dem Verfassungsgebot richterlicher Unabhängigkeit.

6. Betrachtet man nun das Verhalten des Präsidenten in seiner Gesamtheit, so ergibt sich, dass er auf die übrigen Strafrichter insbesondere auch auf die Mitglieder des Senats *****, der nach der Entscheidung des Senats ***** mit der strittigen Frage in einem offenen Verfahren befasst war unzulässigen Druck ausgeübt hat, um im Sinn seiner geänderten Rechtsansicht von der Verfassungswidrigkeit des § 126 Abs 4 letzter Satz StPO eine Anfechtung dieser Bestimmung beim Verfassungsgerichtshof zu erreichen. Strafrichter, die sich dem Druck des Präsidenten nicht beugen wollen, müssen demnach insbesondere damit rechnen, dass auch gegen sie schon wegen einer vertretbaren Rechtsansicht (vgl Ds 24/13) Disziplinaranzeigen erstattet werden. Die Mittel des Dienstrechts (Disziplinarrechts, Dienstaufsichtsrechts) sind aber kein zulässiges Mittel, um die eigene Rechtsansicht gegen eine andere vertretbare Rechtsansicht durchzusetzen. Nicht zu vernachlässigen ist schließlich auch die Belastung, der die Mitglieder des Senats ***** von der Anzeigeerstattung vom 17. September 2013 bis zur Kenntnis vom Beschluss des Disziplinargerichts zu Ds 24/13 vom 10. Februar 2014 durch ein anhängiges Verfahren mit grundsätzlich ungewissem Ausgang ausgesetzt waren.

Der Präsident hat mit seinem Verhalten über § 73 Abs 1 Z 2 und 3 GOG iVm § 3 Abs 1 OGHG hinausgehend entgegen § 73 Abs 2 GOG in die richterliche Unabhängigkeit eingegriffen.

7. Verallgemeinernd kann gesagt werden:

Justizverwaltungsorgane sind wie jedermann berechtigt, gerichtliche Entscheidungen zu kritisieren und von der Rechtsprechung abweichende Rechtsansichten zu vertreten. Justizverwaltungsorgane sind aber nicht berechtigt, insbesondere mit den Mitteln des Dienstrechts Druck auf unabhängige Richter auszuüben, um eine von ihnen gewünschte Anfechtung eines Gesetzes beim Verfassungsgerichtshof zu erreichen. Im Fall von Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes hat die Justizverwaltung ohnehin die Möglichkeit, Reformwünsche direkt an den Gesetzgeber heranzutragen.

8. Obwohl aus den dargelegten Gründen ein Verstoß gegen § 73 Abs 2 GOG zu bejahen ist, sind keine weiteren disziplinarrechtlichen Verfahrensschritte zu setzen:

Da der Sachverhalt hinreichend geklärt ist, bedarf es keiner Disziplinaruntersuchung.

Die Verhängung einer Disziplinarstrafe (oder ein Schuldspruch ohne Strafe gemäß § 101 Abs 3 RStDG) kommt hier nicht in Betracht, weil nicht jede Pflichtverletzung auch ein Dienstvergehen begründet. Gemäß § 101 Abs 1 RStDG ist eine Disziplinarstrafe (nur) zu verhängen, wenn die Pflichtverletzung mit Rücksicht auf die Art oder Schwere der Verfehlung, auf die Wiederholung oder auf andere erschwerende Umstände ein Dienstvergehen darstellt.

Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass die Grenzen zwischen zulässiger Dienstaufsicht und unzulässigem Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit ex ante nicht immer leicht zu ziehen sind und dass bisher keine einschlägige Judikatur des Disziplinargerichts existierte, an der sich der Präsident hätte orientieren können.

Da somit mangels der in § 101 Abs 1 RStDG genannten Umstände kein Dienstvergehen des Präsidenten vorliegt, war die Einleitung der Disziplinaruntersuchung gemäß § 123 Abs 4 RStDG abzulehnen.