JudikaturJustizBsw51772/99

Bsw51772/99 – AUSL EGMR Entscheidung

Entscheidung
25. Februar 2003

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer IV, Beschwerdesache Roemen und Schmit gegen Luxemburg, Urteil vom 25.2.2003, Bsw. 51772/99.

Spruch

Art. 8 EMRK, Art. 10 EMRK - Schutz von journalistischen Quellen. Verletzung von Art. 8 EMRK (einstimmig).

Verletzung von Art. 10 EMRK (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK: Jeweils EUR 4.000,- für immateriellen Schaden, EUR 11.629,41 für Kosten und Auslagen an den ErstBf. (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

1.) Der ErstBf. ist Journalist. Am 21.7.1998 veröffentlichte er in der Tageszeitung Lëtzëbuerger Journal einen Artikel mit dem Titel „Minister W. der Steuerhinterziehung überführt". Darin wurde berichtet, dass über letzteren eine Geldstrafe in Höhe von LUF 100.000,-- (etwa EUR 2.500,--) wegen Steuerhinterziehung verhängt worden war. Der Artikel schloss mit der Bemerkung, dass gerade von einem Politiker erwartet werde, dass er die zehn Gebote einhalte und ein solches Verhalten umso schändlicher sei, wenn es von einer im öffentlichen Leben stehenden Person gesetzt werde. Die Verurteilung von W. war auch Gegenstand von Kommentaren in anderen Tages- und Wochenzeitungen. In der Folge erhob W. Einspruch gegen die Geldstrafe. Am 3.3.1999 stellte das zuständige Gericht fest, dass ein Verstoß gegen steuerrechtliche Vorschriften nicht nachzuweisen sei. Der Fall wurde vor das Höchstgericht gebracht, der Ausgang des Verfahrens ist nicht bekannt.

Am 24.7.1998 erhob W. Schadenersatzklage gegen den ErstBf. wegen ehrenrühriger und unwahrer Behauptungen. Die Klage wurde im Instanzenzug mit der Begründung abgewiesen, dass der ErstBf. in Ausübung der Pressefreiheit gehandelt hätte.

Am 21.8.1998 brachte W. Strafanzeige gegen den ErstBf. ein. In der Folge wurde der Untersuchungsrichter vom StA ersucht, Vorerhebungen gegen den ErstBf. und gegen unbekannt wegen Verletzung des Berufsgeheimnisses durch Gebrauch und Weitergabe von Informationen einzuleiten: Die Untersuchung solle die Identifikation jener Beamten ermöglichen, die den Steuerakt über W. angelegt und Zugang zu den relevanten Unterlagen gehabt hatten.

Am 19.10.1998 fanden über Anordnung des Untersuchungsrichters sowohl in der Wohnung des ErstBf. als auch an seinem Arbeitsplatz Hausdurchsuchungen statt, die jedoch beide ohne Ergebnis blieben. Die vom ErstBf. erhobenen Rechtsmittel, worin er sich insb. auf sein durch Art. 10 EMRK geschütztes Recht auf Schutz seiner journalistischen Quellen berief, wurden sowohl in erster als auch in zweiter Instanz abgewiesen.

2.) Die ZweitBf. war die Rechtsvertreterin des ErstBf. in den gegenständlichen Verfahren. Am 19.10.1998 wurde auch in ihrer Kanzlei eine Hausdurchsuchung durchgeführt, in deren Zuge ein vom Direktor der Fiskalverwaltung an den Premierminister adressierter Brief mit dem handschriftlichen Vermerk „An die Abteilungsleiter. Vertrauliche Information zu Ihrer Orientierung" beschlagnahmt wurde. (Anm.: Vor dem GH gaben die Bf. an, dass dieses Schreiben der Redaktion des Lëtzëbuerger Journal von einem anonymen Absender übermittelt wurde. Der ErstBf. hatte hierauf das Schreiben an die ZweitBf. weitergeleitet.) Die Beschlagnahme wurde in der Folge vom zuständigen Gericht wegen Verstoßes gegen Art. 35 (3) des Gesetzes vom 10.8.1991 über den Berufsstand der Rechtsanwälte (Anm.: Danach sind in das im Anschluss an die Hausdurchsuchung anzufertigende Gerichtsprotokoll auch die im Zuge der Hausdurchsuchung gemachten Wahrnehmungen des Präsidenten der Anwaltskammer oder seines Stellvertreters aufzunehmen.) für nichtig erklärt und die Rückgabe des Schriftstücks angeordnet. Letzteres wurde der ZweitBf. am 11.1.1999 ausgefolgt, jedoch noch am selben Tag im Rahmen einer weiteren Hausdurchsuchung neuerlich beschlagnahmt.

Die ZweitBf. erhob dagegen Einspruch und behauptete eine Verletzung des Grundsatzes der Unantastbarkeit des Arbeitsplatzes von Rechtsanwälten und der Geheimhaltung von Gesprächen zwischen diesen und ihren Mandanten. Der Einspruch wurde abgewiesen: Der Untersuchungsrichter könne eine Beschlagnahme auch hinsichtlich von Personen anordnen, die von Berufs wegen Mitwisser anvertrauter Geheimnisse und gesetzlich zur Verschwiegenheit verpflichtet seien. Außerdem sei die Hausdurchsuchung in Übereinstimmung mit den durch Art. 35 (3) des oben genannten Gesetzes vorgegebenen Garantien erfolgt. Die Entscheidung wurde von der zweiten Instanz bestätigt. Gegen den ErstBf. wurde am 30.11.2001 Anklage erhoben. Am 14.1.2003 erhielt er Nachricht, dass das Verfahren gegen ihn eingestellt worden sei.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Der ErstBf. behauptet eine Verletzung von Art. 10 EMRK (Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung), die ZweitBf. eine solche von Art. 8 EMRK (hier: Recht auf Achtung des Privatlebens).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 10 EMRK:

Der ErstBf. behauptet, die Hausdurchsuchungen hätten sein Recht auf Schutz seiner journalistischen Quellen iSv. Art. 10 EMRK verletzt. Der Schutz von journalistischen Quellen ist einer der Eckpfeiler der Pressefreiheit. Ohne diesen Schutz ist es der Presse nicht möglich, die Öffentlichkeit über Fragen von allgemeinem Interesse zu informieren.

Die in der Wohnung und am Arbeitsplatz des ErstBf. durchgeführten Hausdurchsuchungen stellen einen Eingriff in seine gemäß Art. 10 (1) EMRK garantierten Rechte dar. Dieser war gesetzlich vorgesehen und verfolgte ein legitimes Ziel, nämlich die Aufrechterhaltung der Ordnung und die Verhinderung von strafbaren Handlungen. Zu prüfen ist, ob der Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war.

Der GH hält fest, dass die Hausdurchsuchungen nicht zum Ziel hatten, allfällige Gesetzesübertretungen des ErstBf. außerhalb seiner journalistischen Funktionen festzustellen. Zweck der Aktionen war vielmehr, die potentiellen Urheber der Verletzung von Berufsgeheimnissen ausfindig zu machen, um den ErstBf. dann später der Begehung unrechtmäßiger Handlungen in seiner Eigenschaft als Journalist überführen zu können. Die gerügten Maßnahmen fallen daher in den Bereich des Schutzes von journalistischen Quellen. Im vorliegenden Fall beruhte der Zeitungsartikel auf einer wahren Tatsache, nämlich der Verhängung einer Geldstrafe gegen einen Minister wegen Steuerhinterziehung. Der Artikel betraf auch eine Angelegenheit von allgemeinem Interesse, sodass ein Eingriff in die durch Art. 10 EMRK geschützten Rechte nur im Fall überwiegender öffentlicher Interessen gerechtfertigt werden konnte. In diesem Zusammenhang verweist der GH auf das – im Übrigen von der Reg. unbestrittene – Vorbringen des ErstBf., wonach dem Untersuchungsrichter statt einer Hausdurchsuchung auch andere Maßnahmen zur Identifikation der Urheber der strafbaren Handlungen, wie etwa die Befragung der in der Fiskalverwaltung tätigen Beamten, zur Verfügung gestanden wären.

Nach Ansicht des GH unterscheidet sich der vorliegende Fall in einem wesentlichen Punkt von der dem Urteil Goodwin/GB zugrundeliegenden Sachlage. Dieser Fall betraf die gerichtliche Anordnung an einen Journalisten, die Identität seines Informanten preiszugeben, während beim ErstBf. ohne weiteren Vorschub Hausdurchsuchungen sowohl in seiner Wohnung als auch an seinem Arbeitsplatz erfolgten. Es versteht sich von selbst, dass eine Hausdurchsuchung zum Zweck der Auffindung von journalistischen Quellen, auch wenn sie ohne Ergebnis bleiben sollte, einen massiveren Eingriff als die gerichtliche Anordnung der Bekanntgabe einer Informationsquelle darstellt. In der Tat wird Kriminalbeamten, die mit einem Hausdurchsuchungsbefehl ausgestattet sind und einen Journalisten an seinem Arbeitsplatz unangemeldet aufsuchen, vom Gesetz her ein sehr weiter Handlungsspielraum eingeräumt, da sie Zugang zu jeglichen, im Gewahrsam des Journalisten befindlichen Dokumenten haben. Der GH hat bereits im oben zitierten Urteil hervorgehoben, dass „Beschränkungen der Vertraulichkeit von journalistischen Quellen einer besonders sorgfältigen Prüfung seitens der Konventionsorgane unterliegen". Die vorliegenden Hausdurchsuchungen hatten somit vergleichsweise folgenschwerere Auswirkungen auf den journalistischen Quellenschutz als im Fall Goodwin/GB.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Gleichgewicht zwischen den beiderseitigen Interessen nicht gewahrt wurde. Die von den Gerichten angeführten Gründe waren zwar „erheblich", jedoch nicht „ausreichend", um die beim ErstBf. durchgeführten Hausdurchsuchungen rechtfertigen zu können. Verletzung von Art. 10 EMRK (einstimmig).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 8 EMRK:

Die ZweitBf. erachtet sich durch die in ihrer Kanzlei durchgeführte Hausdurchsuchung in ihrem Recht auf Achtung der Wohnung gemäß Art. 8 EMRK verletzt. Sie behauptet ferner, dass die Beschlagnahme des Briefes ihr durch Art. 8 EMRK geschütztes Recht auf Achtung des Briefverkehrs mit ihrem Mandanten verletzt hätte.

Der GH erinnert an seine Feststellungen im Urteil Niemietz/D, wonach sich der Schutz des Art. 8 EMRK auch auf die Geschäftsräume von Angehörigen freier Berufe erstreckt. Es ist unbestritten, dass die Hausdurchsuchung und die Beschlagnahme des Briefes einen Eingriff darstellen. Der Eingriff war durch §§ 65 und 66 Code d'instruction criminelle bzw. Art. 35 (3) des Gesetzes vom 10.8.1991 über den Berufsstand der Rechtsanwälte vorgesehen und verfolgte dasselbe legitime Ziel wie beim ErstBf.

Was die Notwendigkeit des Eingriffs anlangt, ist festzustellen, dass die hier bekämpfte Hausdurchsuchung – im Gegensatz zum zuvor zitierten Urteil Niemietz/D – von speziellen verfahrensrechtlichen Garantien begleitet war. Sie erfolgte im Beisein des Untersuchungsrichters und von Vertretern der StA und der Anwaltskammer, überdies wurden die Wahrnehmungen von Letzterem über die Wahrung des Berufsgeheimnisses während der Beschlagnahmehandlungen im Gerichtsprotokoll vermerkt. Andererseits war der Hausdurchsuchungsbefehl von seinem Wortlaut her, insb. was den Gegenstand der Beschlagnahme angeht, ziemlich weit gefasst und übertrug den mit der Hausdurchsuchung betrauten Kriminalbeamten sehr weitreichende Befugnisse. Die gerügten Maßnahmen hatten offenbar zum Ziel, an die Informationsquelle eines Journalisten über den Weg einer Hausdurchsuchung bei seinem Rechtsvertreter zu gelangen, was letztlich auch Auswirkungen auf die Rechte des ErstBf. gemäß Art. 10 EMRK hatte. Die bekämpfte Hausdurchsuchung war somit nicht verhältnismäßig zum verfolgten Ziel, insb. auch angesichts der Eile, in der sie durchgeführt wurde. Verletzung von Art. 8 EMRK (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK:

Jeweils EUR 4.000,-- für immateriellen Schaden, EUR 11.629,41 für

Kosten und Auslagen an den ErstBf. (einstimmig).

Vom GH zitierte Judikatur:

Niemietz/D v. 16.12.1992, A/251-B (= NL 1993/1, 17 = EuGRZ 1993, 65 =

ÖJZ 1993, 389).

Crémieux/F v. 25.2.1993, A/256-B (= ÖJZ 1993, 534).

Goodwin/GB v. 27.3.1996 (= NL 1996, 83 = ÖJZ 1996, 795).

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 25.2.2003, Bsw. 51772/99, entstammt der Zeitschrift „ÖIM-Newsletter" (NL 2003, 74) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im französischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/03_2/Roemen_Schmit.pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.