JudikaturJustizBsw35394/97

Bsw35394/97 – AUSL EGMR Entscheidung

Entscheidung
12. Mai 2000

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer III, Beschwerdesache Khan gegen das Vereinigte Königreich, Urteil vom 12.5.2000, Bsw. 35394/97.

Spruch

Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 8 EMRK, Art. 13 EMRK - Verwertung eines rechtswidrig erlangten Beweismittel im Strafprozess. Verletzung von Art. 8 EMRK (einstimmig).

Keine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (6:1 Stimmen). Verletzung von Art. 13 EMRK (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK: GBP 11.500,- für Kosten und Auslagen, abzüglich der im Wege der Verfahrenskostenhilfe des Europarates gewährten FF 11.090,30 (6:1 Stimmen).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Nach Ankunft auf dem Flughafen Manchester am 17.9.1992 wurden der Bf. sowie sein Vetter N., der im selben Flugzeug aus Pakistan angereist war, einer Personenkontrolle unterzogen. Bei N. wurde Heroin im Verkaufswert von GBP 100.000,-- gefunden. Er wurde festgenommen und wegen illegaler Einfuhr von Rauschmitteln angeklagt. Beim Bf. wurden keine Drogen gefunden, er wurde nach einem Verhör freigelassen. Vier Monate später begab sich der Bf. zum Haus seines Freundes B. in Sheffield. B. wurde von der Polizei verdächtigt, mit Heroin zu handeln. Die Polizei hatte an der Außenwand dieses Hauses eine Abhörvorrichtung angebracht. Im Laufe der abgehörten und auf Tonband aufgenommenen Unterredung zwischen dem Bf., B. und mehreren anderen Personen machte der Bf. Äußerungen, die seine Beteiligung am Drogenschmuggel durch seinen Vetter N. ergaben. In der Hauptverhandlung vor dem Crown Court Sheffield gab der Bf. zu, sich zum maßgeblichen Zeitpunkt in dem Haus aufgehalten zu haben, und er bestätigte, dass es sich bei der auf Tonband aufgenommenen Stimme um seine eigene handelte. Die Anklage räumte ein, die Abhöranlage in Verletzung der Rechte des Hauseigentümers (trespass) angebracht und eine Sachbeschädigung begangen zu haben. Nachdem der Richter den Verteidiger und den Anklagevertreter angehört hatte, entschied er, die Tonbandaufnahme als Beweismittel zuzulassen und der Anklage die Erweiterung der Anklageschrift zu gestatten. Daraufhin bekannte sich der Bf. schuldig; er erklärte, sein Schuldbekenntnis allein aufgrund der Entscheidung des Richters, die Tonbandaufnahme als Beweismittel zuzulassen, abgegeben zu haben und behielt sich vor, diese Entscheidung im Rechtsmittelverfahren überprüfen zu lassen. Er wurde zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Der Court of Appeal wies sein Rechtsmittel zurück, ließ aber wegen der Bedeutung der Rechtsfrage die Bsw. an das House of Lords zu. Dieses wies die Bsw. ebenfalls zurück.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Die Bf. behaupten eine Verletzung von Art. 8 EMRK (hier: Recht auf Achtung des Privatlebens, der Wohnung und des Briefverkehrs), von Art. 6 (1) EMRK (Recht auf ein faires Verfahren) und von Art. 13 EMRK (Recht auf eine wirksame Bsw. vor einer nationalen Instanz).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 8 EMRK:

Das Abhören der Gespräche des Bf. war ein Eingriff in die aus Art. 8 EMRK erfließenden Rechte des Bf. Zu prüfen bleibt, ob der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war. Zur Zeit der fraglichen Ereignisse gab es keine gesetzliche Regelung für den Einsatz von Abhöreinrichtungen wie den mittlerweile geltenden Police Act 1997. Die Richtlinien des Innenministeriums (Home Office Guidelines) waren weder verbindlich noch öffentlich zugänglich. Der Eingriff war demnach nicht gesetzlich vorgesehen. Verletzung von Art. 8 EMRK (einstimmig).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 6 (1) EMRK:

Die Aufgabe des GH besteht gemäß Art. 19 EMRK darin, dass die von den vertragschließenden Staaten übernommenen Verpflichtungen eingehalten werden. Er ist dagegen nicht zuständig, nationale Gerichtsentscheidungen auf ihre Rechtmäßigkeit oder die Richtigkeit der Tatsachenfeststellung hin zu untersuchen, es sei denn, dass von der EMRK geschützte Rechte und Freiheiten verletzt wurden. Art. 6 EMRK garantiert das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren, enthält aber keine grundsätzlichen Bestimmungen über die Zulässigkeit von Beweismitteln. Dies ist daher in erster Linie eine Angelegenheit des Gesetzgebers. Va. verlangt keine der Bestimmungen der EMRK ausdrücklich, dass nach nationalem Recht rechtswidrig erlangte Beweise nicht zugelassen werden dürften. Das gegen den Bf. verwendete Beweismittel wurde zwar in Verletzung von Art. 8 EMRK erlangt, widersprach jedoch nicht dem innerstaatlichen Strafrecht. Die beanstandete Tonbandaufnahme war tatsächlich der einzige Beweis gegen den Bf., der jedoch die Möglichkeit gehabt hätte, die Authentizität des Tonbandes in Frage zu stellen. Er bekämpfte jedoch nicht die Authentizität des Tonbandes, sondern seine Zulassung als Beweismittel in dem gegen ihn geführten Strafverfahren. Die Zulässigkeit des Beweismittels im Strafverfahren wurde durch die innerstaatlichen Gerichte in jeder Instanz geprüft. Wären sie der Ansicht gewesen, dass die Zulassung der Tonbandaufnahme Anlass zu substantieller Unfairness gäbe, hätten sie gemäß des ihnen eingeräumten Ermessensspielraums die Möglichkeit gehabt, den Beweis nicht zuzulassen. Keine Verletzung von Art. 6 (1) EMRK (6:1 Stimmen, Sondervotum von Richter Loucaides).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 13 EMRK:

Keine der dem Bf. zur Verfügung gestandenen Rechtsmittel waren geeignet, den behaupteten Mangel einer angemessenen rechtlichen Basis zu bekämpfen. Eine wirksame Bsw. iSv. Art. 13 EMRK muss der zuständigen nationalen Behörde erlauben, sich mit dem wesentlichen Inhalt einer behaupteten Konventionsverletzung zu beschäftigen und gegebenenfalls angemessene Abhilfe zu schaffen. Verletzung von Art. 13 EMRK (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK:

GBP 11.500,-- für Kosten und Auslagen, abzüglich der im Wege der Verfahrenshilfe des Europarates gewährten FRF 11.090,30 (6:1 Stimmen, Sondervotum von Richter Loucaides).

Anm.: Vgl. die vom GH zitierten Fälle Malone/GB, Urteil v. 8.2.1984,

A/82 (= EuGRZ 1985, 17); Schenk/CH, Urteil v. 12.7.1988, A/140 (=

EuGRZ 1998, 390 = ÖJZ 1989, 27); Halford/GB, Urteil v. 25.6.1997 (=

ÖJZ 1998, 311).

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 12.5.2000, Bsw. 35394/97, entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 2000, 99) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/00_3/Khan.pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Rechtssätze
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