JudikaturJustizBsw28475/12

Bsw28475/12 – AUSL EGMR Entscheidung

Entscheidung
26. Oktober 2017

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer V, Beschwerdesache Ratzenböck und Seydl gg. Österreich, Urteil vom 26.10.2017, Bsw. 28475/12.

Spruch

Art. 14 EMRK iVm. Art. 8 EMRK - Ausschluss verschiedengeschlechtlicher Paare von der eingetragenen Partnerschaft.

Zulässigkeit der Beschwerde (einstimmig).

Keine Verletzung von Art. 14 EMRK iVm. Art. 8 EMRK (5:2 Stimmen).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Frau Ratzenböck und Herr Seydl leben seit Jahren in einer dauerhaften Beziehung. Im Februar 2010 beantragten sie die Begründung einer eingetragenen Partnerschaft nach dem EPG (Anm: Eingetragene Partnerschaft-Gesetz, BGBl. I 2009/135 idF. BGBl. I 2017/59.). Dieser Antrag wurde am 17.3.2010 vom Bürgermeister der Stadt Linz mit der Begründung abgewiesen, dass die eingetragene Partnerschaft gleichgeschlechtlichen Paaren vorbehalten sei. Der Landeshauptmann von Oberösterreich wies die dagegen erhobene Berufung am 18.8.2010 ab.

In ihren dagegen erhobenen Beschwerden an den VfGH und den VwGH brachten die Bf. gestützt auf ihre Rechte auf Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung aufgrund des Geschlechts und der sexuellen Orientierung vor, dass die ihnen offenstehende Ehe kein passender Ersatz für eine eingetragene Partnerschaft sei, da diese in mehrfacher Hinsicht moderner und lockerer sei als die Ehe. Sie verwiesen vor allem auf die Voraussetzungen für eine Auflösung wegen unheilbarer Zerrüttung, die Unterhaltspflichten nach einer Ehescheidung bzw. Auflösung der eingetragenen Partnerschaft und die jeweils vorgesehenen wechselseitigen Rechte und Pflichten.

Der VfGH wies die Beschwerde am 22.9.2011 als unbegründet ab (Anm: VfGH 22.9.2011, B 1405/10, VfSlg. 19.492 = iFamZ 2012, 10 (Anm. Pesendorfer) = EF-Z 2012, 31.). Da Personen verschiedenen Geschlechts die Ehe offenstehe, die eingetragene Partnerschaft nur geschaffen wurde, um der Diskriminierung homosexueller Paare entgegenzuwirken, diese im Wesentlichen die gleichen Wirkungen entfalte wie die Ehe, es sich bei verschiedengeschlechtlichen Paaren um keine (historisch) diskriminierte Gruppe handle und es keinen europäischen Konsens auf diesem Gebiet gebe, verstoße es nicht gegen Art. 14 iVm. Art. 8 EMRK, wenn der Gesetzgeber verschiedengeschlechtlichen Paaren keinen Zugang zur eingetragenen Partnerschaft eröffne.

Der VwGH wies die Beschwerde am 27.2.2013 als unbegründet ab.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Die Bf. behaupteten eine Verletzung von Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot) iVm. Art. 8 EMRK (hier: Recht auf Achtung des Familienlebens).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 14 iVm. Art. 8 EMRK

(17) Die Bf. behaupteten [...] eine Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts und ihrer sexuellen Orientierung durch den Ausschluss von der Möglichkeit, eine eingetragene Partnerschaft einzugehen. Sie behaupteten, die Ehe wäre für sie keine passende Option. [...]

Zulässigkeit

(18) Die Regierung wandte ein, die innerstaatlichen Entscheidungen [...] hätten ausschließlich auf § 2 EPG beruht, der verschiedengeschlechtliche Paare von eingetragenen Partnerschaften ausschließe. Die unterschiedlichen Rechtsfolgen von Ehe und eingetragener Partnerschaft , über die sich die Bf. beschwerten, beruhten – sofern sie überhaupt bestünden – auf Bestimmungen, die nicht Gegenstand der innerstaatlichen Verfahren gewesen wären. [...] Die Regierung bestritt damit die Opfereigenschaft der Bf. und behauptete, die Beschwerde wäre insofern unzulässig, als sie eine abstrakte Prüfung rechtlicher Bestimmungen anstrebe, von denen die Bf. nicht direkt betroffen wären.

(20) Was das Argument der Regierung hinsichtlich der Opfereigenschaft der Bf. betrifft, stellt der GH fest, dass sie seit vielen Jahren als Mann und Frau in einer stabilen Beziehung zusammenleben und sich die innerstaatlichen Verfahren im vorliegenden Fall auf die Weigerung der Behörden bezogen, ihnen die Begründung einer eingetragenen Partnerschaft zu erlauben. Nach Ansicht des GH waren die Bf. daher von der Situation, durch die ihnen der Zugang zur eingetragenen Partnerschaft verwehrt wurde [...], direkt betroffen. Sie hatten daher ein legitimes persönliches Interesse an einer Beendigung dieser Situation.

(21) Folglich [...] sind die Bf. iSv. Art. 34 EMRK als »Opfer« der behaupteten Verletzung anzusehen.

(22) Der GH stellt fest, dass die Beschwerde nicht offensichtlich unbegründet [...] ist. Sie ist auch nicht aus einem anderen Grund unzulässig und muss folglich für zulässig erklärt werden (einstimmig).

In der Sache

Anwendbarkeit

(29) Der GH erinnert an seine ständige Rechtsprechung zu verschiedengeschlechtlichen Paaren, wonach der Begriff »Familie« nach Art. 8 EMRK nicht auf eheliche Beziehungen beschränkt ist, sondern auch andere de facto bestehende familiäre Bindungen umfasst [...].

(30) Folglich fällt der vorliegende Sachverhalt unter den Begriff des »Familienlebens« iSv. Art. 8 EMRK. Demnach sind sowohl Art. 8 EMRK alleine als auch Art. 14 iVm. Art. 8 EMRK anwendbar.

Vereinbarkeit mit Art. 14 iVm. Art. 8 EMRK

(31) Damit sich eine Frage unter Art. 14 EMRK ergibt, muss eine unterschiedliche Behandlung von Personen in gleichen oder vergleichbaren Situationen vorliegen. [...] Allerdings begründet nicht jede unterschiedliche Behandlung eine Verletzung von Art. 14 EMRK. Erstens [...] können nur unterschiedliche Behandlungen, die auf einem bestimmten Merkmal oder »Status« beruhen, eine Diskriminierung iSv. Art. 14 EMRK darstellen. Zweitens ist eine unterschiedliche Behandlung nur dann diskriminierend, wenn sie keine objektive und vernünftige Rechtfertigung hat, wenn sie also mit anderen Worten kein legitimes Ziel verfolgt oder wenn die eingesetzten Mittel unverhältnismäßig zum verfolgten Ziel sind. [...]

(32) Die sexuelle Orientierung ist ein von Art. 14 EMRK erfasstes Konzept. Wie der GH wiederholt festgestellt hat, können Unterschiede aufgrund der sexuellen Orientierung [...] nur durch besonders gewichtige und überzeugende Gründe gerechtfertigt werden. [...]

(33) Der GH hatte bislang keine Gelegenheit, die Frage einer unterschiedlichen Behandlung aufgrund des Geschlechts und der sexuellen Orientierung, die sich aus dem Ausschluss von einem rechtlichen Institut zur Anerkennung einer Beziehung ergibt, aus der Sicht eines verschiedengeschlechtlichen Paares zu prüfen. Bislang rührte die einschlägige Rechtsprechung zu solchen Angelegenheiten von Beschwerden her, die von gleichgeschlechtlichen Paaren erhoben wurden und die den fehlenden Zugang zur Ehe und das Fehlen alternativer Möglichkeiten zur rechtlichen Anerkennung betrafen. Die Prüfung einer behaupteten diskriminierenden Behandlung wurde in solchen Fällen vom GH daher vom Standpunkt einer Minderheit aus durchgeführt, deren Zugang zu rechtlicher Anerkennung immer noch ein Gebiet der sich entwickelnden Rechte ohne gefestigten Konsens zwischen den Mitgliedstaaten des Europarats betraf. Der GH wird daher prüfen müssen, inwiefern sich die in seiner Rechtsprechung zu gleichgeschlechtlichen Paaren entwickelten Grundsätze auf den vorliegenden Fall anwenden lassen.

(35) Im Fall Schalk und Kopf/A prüfte der GH die Situation der rechtlichen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paare in Österreich, insbesondere ihren Ausschluss von der Ehe und ihren Zugang zur eingetragenen Partnerschaft als alternative Form der rechtlichen Anerkennung im selben rechtlichen Rahmen, auf dem auch die innerstaatlichen Verfahren im vorliegenden Fall beruhten. Der GH bemerkte, dass die Ehe tief verwurzelte gesellschaftliche und kulturelle Konnotationen habe, die sich von einer Gesellschaft zur anderen stark unterscheiden könnten, und er stellte fest, dass weder Art. 12 EMRK noch Art. 14 iVm. Art. 8 EMRK die Vertragsstaaten verpflichte, gleichgeschlechtlichen Paaren den Zugang zur Ehe zu öffnen. Zur Beschwerde [...] betreffend die Unterschiede im Status zwischen Ehe und eingetragenen Partnerschaften bemerkte der GH, dass die Staaten einen gewissen Ermessensspielraum hinsichtlich des genauen Status hatten, der durch alternative Formen der Anerkennung gewährt wird. Überdies nahm er zur Kenntnis, dass das EPG gleichgeschlechtlichen Paaren die Möglichkeit bot, einen rechtlichen Status zu erlangen, der jenem der Ehe in vielerlei Hinsicht gleich oder ähnlich war. [...]

(38) Die Bf. behaupteten, als verschiedengeschlechtliches Paar diskriminiert worden zu sein, weil sie keine eingetragene Partnerschaft begründen könnten [...]. Der GH muss daher zunächst prüfen, ob die Bf. [...] in einer vergleichbaren Situation wie gleichgeschlechtliche Paare waren, die Zugang zu eingetragenen Partnerschaften haben, und wenn ja, ob eine unterschiedliche Behandlung gerechtfertigt war.

(39) [...] Verschiedengeschlechtliche Paare sind hinsichtlich ihres generellen Bedürfnisses nach rechtlicher Anerkennung und Schutz ihrer Beziehung grundsätzlich in einer ähnlichen oder vergleichbaren Situation wie gleichgeschlechtliche Paare.

(40) [...] Der Ausschluss verschiedengeschlechtlicher Paare von der eingetragenen Partnerschaft muss im Licht des gesamten gesetzlichen Rahmens, der die rechtliche Anerkennung von Beziehungen regelt, beurteilt werden. Die eingetragene Partnerschaft wurde als Alternative zur Ehe eingeführt, um gleichgeschlechtlichen Paaren, die von der Ehe ausgeschlossen bleiben, ein im Wesentlichen ähnliches Institut zur rechtlichen Anerkennung zur Verfügung zu stellen. Das EPG gleicht somit den Ausschluss gleichgeschlechtlicher Paare hinsichtlich des Zugangs zu einer rechtlichen Anerkennung ihrer Beziehungen aus, der vor Inkrafttreten des Gesetzes 2010 bestand. Im Fall Schalk und Kopf/A stellte der GH fest, dass das EPG den Bf. als gleichgeschlechtlichem Paar die Möglichkeit einräumte, einen rechtlichen Status zu erlangen, der jenem der Ehe in vielerlei Hinsicht entsprach oder ähnlich war. Der GH kam zum Schluss, dass der belangte Staat mit seiner Wahl der mit einer eingetragenen Partnerschaft verbundenen Rechte und Pflichten seinen Ermessensspielraum nicht überschritten hätte. Die Einrichtungen der Ehe und der eingetragenen Partnerschaft sind somit im österreichischen Recht im Wesentlichen komplementär. In diesem Zusammenhang bemerkt der GH weiters, dass [...] der vom EPG anfänglich vorgesehene rechtliche Status jenem der Ehe in vielerlei Hinsicht gleich oder ähnlich war und es hinsichtlich der materiellen Folgen nur geringe Unterschiede gab. [...] Überdies wurden nach Erlass des Urteils im Fall Schalk und Kopf/A und nach Erhebung der vorliegenden Beschwerde die rechtlichen Rahmen weiter harmonisiert, sodass heute keine erheblichen Unterschiede mehr bestehen.

(41) Als verschiedengeschlechtliches Paar haben die Bf. Zugang zur Ehe. Anders als bei gleichgeschlechtlichen Paaren vor Inkrafttreten des EPG befriedigt dies ihr grundsätzliches Bedürfnis nach rechtlicher Anerkennung. Ein spezifischeres Befürfnis wurde von ihnen nicht vorgebracht. Ihre Ablehnung der Ehe beruht auf ihrer Ansicht, wonach eine eingetragene Partnerschaft ein moderneres und lockereres Institut wäre. Sie haben allerdings nicht behauptet, durch irgendeinen der rechtlichen Unterschiede zwischen den beiden Instituten konkret betroffen gewesen zu sein.

(42) Angesichts dessen ist der GH der Ansicht, dass sich die Bf. als verschiedengeschlechtliches Paar, dem das Institut der Ehe offensteht, während es von der Begründung einer eingetragenen Partnerschaft ausgeschlossen ist, nicht in einer ähnlichen oder vergleichbaren Situation wie gleichgeschlechtliche Paare befinden, die nach dem geltenden Recht kein Recht zu heiraten haben und auf die eingetragene Partnerschaft als alternatives Mittel der rechtlichen Anerkennung ihrer Beziehung angewiesen sind. Folglich hat keine Verletzung von Art. 14 iVm. Art. 8 EMRK stattgefunden (5:2 Stimmen; gemeinsames abweichendes Sondervotum von Richterin Tsotsoria und Richter Gronzev; im Ergebnis übereinstimmendes Sondervotum von Richter Mits).

Vom GH zitierte Judikatur:

Schalk und Kopf/A v. 24.6.2010 = NLMR 2010, 185 = EuGRZ 2010, 445 = ÖJZ 2010, 1089

Vallianatos u.a./GR v. 7.11.2013 (GK) = NLMR 2013, 399

Oliari u.a./I v. 21.7.2015 = NLMR 2015, 338

Fábián/H v. 5.9.2017 (GK) = NLMR 2017, 457

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 26.10.2017, Bsw. 28475/12, entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NL 2017, 465) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/17_5/Ratzenböck.pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Rechtssätze
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