JudikaturJustizBsw24117/08

Bsw24117/08 – AUSL EGMR Entscheidung

Entscheidung
14. März 2013

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer I, Beschwerdesache Bernh Larsen Holding AS u.a. gg. Norwegen, Urteil vom 14.3.2013, Bsw. 24117/08.

Spruch

Art. 8 EMRK - Kopieren eines mehreren Unternehmen gemeinsamen Servers zur Steuerprüfung eines dieser Unternehmen.

Zulässigkeit der Beschwerde (einstimmig).

Keine Verletzung von Art. 8 EMRK (5:2 Stimmen).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Bei den drei bf. Unternehmen Bernh Larsen Holding AS (»B.L.H.«), Kver AS und Increased Oil Recovery AS (»IOR«) handelt es sich um norwegische GmbHs, die ihre gemeinsame Geschäftsadresse auf dem Gelände der Kver AS hatten. Die Unternehmen nutzten einen gemeinsamen Server und Email-Server, der im Eigentum der Kver AS stand und auf dem sich die elektronischen Archive der Bf. sowie private Informationen von Angestellten der Bf. und von anderen für sie tätigen Personen befanden.

Im Januar 2003 wies die Steuerbehörde Bergen die B.L.H. darauf hin, dass sie einer Steuerprüfung unterzogen würde. Am 9.3.2004 fand ein Treffen zwischen Vertretern der B.L.H. und der Steuerbehörde in den Büros der B.L.H. in Bergen statt. Dabei wurde die B.L.H ersucht, den Prüfern eine Kopie von allen Daten des gemeinsamen Servers zu erlauben, da sich darunter Informationen über die Konten der B.L.H. befanden. Die Vertreter der B.L.H. gewährten den Prüfern zwar Zugang zum Server, weigerten sich allerdings, eine spiegelbildliche Kopie des gesamten Servers bereitzustellen. Sie verwiesen darauf, dass die B.L.H. nicht Eigentümerin des Servers war, sondern diesen lediglich (gemeinsam mit anderen) nutzte. Der Geschäftsführer der Kver AS erteilte dem Wunsch der Steuerbehörde gleichfalls eine Absage. Daraufhin kündigten die Vertreter der Steuerbehörde an, die Kver AS auch einer Steuerprüfung zu unterziehen.

Am Ende willigten die beiden Unternehmen ein, der Behörde ein Sicherungs-Bandlaufwerk mit den Daten der vorigen Monate zu übergeben. Dieses sollte jedoch versiegelt bleiben, bis eine Entscheidung über die Beschwerde erfolgte, die sie sofort bei der zentralen Steuerbehörde beim Finanzministerium einbrachten und mit der sie die Rückgabe des Bandlaufwerks verlangten.

Nachdem die Steuerbehörde angekündigt hatte, auch die IOR einer Steuerprüfung zu unterziehen, beschwerte sich diese ebenfalls bei der zentralen Steuerbehörde.

Die zentrale Steuerbehörde zog am 1.6.2004 die Mitteilung der Steuerbehörde zurück, dass auch die Kver AS und die IOR einer Prüfung unterzogen würden, bestätigte aber, dass die B.L.H. den Behörden Zugang zum gemeinsamen Server geben müsse. Ein Vertreter des Unternehmens könne bei der Überprüfung anwesend sein. Der Zugang der Behörde zum Server solle zudem auf jene Bereiche beschränkt bleiben, die (auch) von der B.L.H. verwendet wurden.

Das Stadtgericht Oslo wies eine Berufung der Bf. am 10.6.2005 zurück. Die betreffenden gesetzlichen Bestimmungen würden die Kopie von Daten zur näheren Untersuchung im Finanzamt im selben Ausmaß erlauben wie den Zugang zum Server vor Ort. Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Stadtgerichts am 30.4.2007. Der Oberste Gerichtshof erhielt das Urteil des Berufungsgerichts mit Entscheidung vom 20.11.2007 aufrecht.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Die Bf. rügen eine Verletzung von Art. 8 EMRK (hier: Recht auf Achtung des Privatlebens, der Wohnung und des Briefverkehrs), da der Eingriff durch die »Beschlagnahme« des Sicherungs-Bandlaufwerks nicht gesetzlich vorgesehen gewesen sei, weil er nicht vom Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen gedeckt gewesen sei und das fragliche Gesetz zudem nicht die vom GH geforderten Qualitätserfordernisse erfülle. Der Eingriff sei zudem nicht verhältnismäßig gewesen, da ein bedeutender Teil des Sicherungs-Bandlaufwerks für die Steuerprüfung irrelevante Informationen sowie auch privates Material von Beschäftigten der Unternehmen enthielt.

Zur Zulässigkeit der Beschwerde

Das Vorbringen der Regierung, die Bf. hätten den innerstaatlichen Instanzenzug nicht erschöpft, ist zurückzuweisen. Die Rügen der Bf. wurden von diesen in ausreichendem Maß vor dem Obersten Gerichtshof substantiiert. Auch der Einwand der Regierung, den Bf. als Unternehmen käme keine Opfereigenschaft zu, da die Rügen der Bf. lediglich die für sie arbeitenden natürlichen Personen, nicht aber sie selbst betreffen würden, ist zurückzuweisen.

Da die Beschwerde zudem nicht offensichtlich unbegründet und auch nicht aus anderen Gründen unzulässig ist, muss sie für zulässig erklärt werden (einstimmig).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 8 EMRK

Hinsichtlich des Vorliegens eines Eingriffs wiederholt der GH zunächst, dass der in Art. 8 EMRK enthaltene Begriff »Wohnung« auch Berufs- oder Geschäftsräumlichkeiten umfassen kann. Darunter fallen nicht nur registrierte Büros eines Unternehmens eines privaten Individuums, sondern auch jene einer juristischen Person und ihrer Zweigstellen sowie sonstige Geschäftsräumlichkeiten.

Im vorliegenden Fall haben Vertreter der Steuerbehörde bei einem Treffen mit Vertretern der B.L.H. in deren Räumlichkeiten am 9.3.2004 nach § 4-10 Abs. 1 lit. b Steuerveranlagungsgesetz (StVerG) angeordnet, dass diese ihnen Zugang zu allen Daten auf einem von allen drei Bf. gemeinsam genutzten Server gewähren und es ihnen ermöglichen sollte, eine Kopie derselben anzufertigen. Der Server stand im Eigentum der Kver AS, die B.L.H. und die IOR mieteten Speicherplatz auf diesem Server. Alle drei Firmenbüros befanden sich im selben Gebäude. Auch wenn die streitige Maßnahme keiner Konfiskation in einem Strafverfahren gleichkam oder unter Androhung strafrechtlicher Sanktionen durchsetzbar war, befanden sich die Bf. dennoch unter einer gesetzlichen Verpflichtung, der Anordnung, einen solchen Zugang zu gewähren, nachzukommen. Die Auferlegung dieser Verpflichtung gegenüber den Bf. stellte einen Eingriff in ihre »Wohnung« dar und betraf unzweifelhaft ihren »Briefverkehr«.

Weiters stellt sich die Frage, ob es auch zu einem Eingriff in das Recht der Bf. auf Achtung ihres Privatlebens kam. Die Bf. gaben an, dass die Sicherungskopie des Servers Kopien von persönlichen Emails und Korrespondenz von Beschäftigten enthielt. Da sich allerdings keines dieser Individuen über die Verletzung ihres Privatlebens beschwert hat, erachtet es der GH nicht für notwendig zu entscheiden, ob im vorliegenden Fall auch ein Eingriff in das »Privatleben« gegeben war. Die Bf. hatten jedoch ein legitimes Interesse, den Schutz der Privatsphäre von Einzelnen sicherzustellen, die für sie arbeiteten. Diese Interessen sollten bei der Beurteilung, ob die Bedingungen des Art. 8 Abs. 2 EMRK erfüllt wurden, berücksichtigt werden.

Der GH hat zunächst zu untersuchen, ob der Eingriff eine ausreichende gesetzliche Grundlage im innerstaatlichen Recht hatte. § 4-10 Abs. 1 lit. a StVerG bezeichnete die Art der Dokumente, welche die Steuerbehörden vom Steuerzahler verlangen konnten, nämlich solche, die »hinsichtlich der Steuerveranlagung des Steuerzahlers und der diesbezüglichen Überprüfungen von Bedeutung sind«. Nach lit. b konnten die genannten Behörden gegenüber dem Steuerzahler anordnen, ihnen »Zugang für eine Vorort-Inspektion, eine Untersuchung oder eine Überprüfung der Archive von Unternehmen zu gewähren«. Der GH sieht angesichts des Zwecks der genannten Bestimmungen wie der Oberste Gerichtshof keinen Grund dafür, eine Auslegung in Zweifel zu ziehen, welche elektronisch gespeicherte Dokumente von dieser Bestimmung erfasst sieht.

Der Zugang nach lit. b erstreckte sich auf alle Archive, die möglicherweise Informationen von Bedeutung für die Steuerveranlagung enthielten. Wäre das Archiv mit klarer Trennung zwischen den einzelnen Unternehmen organisiert gewesen, hätten die Steuerbehörden die Bereiche des Servers mit einschlägigen Informationen identifizieren können. Den Behörden zu erlauben, auf den gesamten Server zuzugreifen, wäre daher im Einklang mit dem Zweck der Bestimmung gewesen, den Steuerbehörden eine Grundlage zu bieten, um beurteilen zu können, ob ein Steuersubjekt Dokumente besaß, die von ihm nach lit. a verlangt werden konnten. Gleiches würde nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs für eine Vorgabe gelten, welche es den Behörden ermöglicht, Kopien von Dokumenten zu erlangen, wo eine Überprüfung dieser Kopien zweckmäßig erschien. Nichts in den einschlägigen Bestimmungen verhinderte solche Kopien oder die Anfertigung einer Sicherungskopie des Servers zur Überprüfung in den Räumlichkeiten der Steuerbehörde. Der GH akzeptiert daher, dass der angefochtene Eingriff eine gesetzliche Grundlage im nationalen Recht hatte.

Was die weiteren Erfordernisse anbelangt, die vom Begriff »gesetzlich vorgesehen« abgeleitet werden können, ist unbestritten, dass das fragliche Gesetz zugänglich war. Zweifelhaft war hingegen, ob es auch vorhersehbar war.

Die Hauptfrage im vorliegenden Fall ist mit dem Umstand verbunden, dass die Steuerbehörden durch die Mitnahme einer Sicherungskopie, die alle auf dem Server existierenden Dokumente enthielt, die Möglichkeit erhielten, auf eine große Zahl an Daten zuzugreifen, die keine Information von Bedeutung für Zwecke der Steuerveranlagung boten und daher aus dem Bereich von § 4-10 Abs. 1 StVerG herausfielen. Das betraf private Dokumente und Korrespondenz von Beschäftigten der Unternehmen sowie vertrauliche geschäftliche Informationen der betroffenen und anderer Unternehmen. Es handelte sich um Dokumente, welche Rechte und Interessen von Einzelnen und Unternehmen betrafen, die durch Art. 8 EMRK geschützt waren.

Der GH beobachtet zunächst, dass das Ziel der Maßnahme nach lit. b war, den Steuerbehörden eine Grundlage für die Beurteilung zu geben, ob das Steuersubjekt Dokumente besaß, deren Vorlage nach lit. a verfügt werden konnte. Überlegungen zur Effizienz der Steuerprüfung legen nahe, dass die Handlungsmöglichkeiten der Steuerbehörden im Vorbereitungsstadium recht weit sein sollten. Die Steuerbehörden konnten daher nicht durch die Angaben des Steuersubjekts gebunden sein, welche Dokumente relevant waren, selbst wenn das fragliche Archiv Dokumente umfasste, die anderen Steuersubjekten gehörten. Wenn der Anwendungsbereich einer Anordnung nach § 4-10 Abs. 1 StVerG somit zwar potenziell sehr weit war, verlieh sie den Steuerbehörden doch kein uneingeschränktes Ermessen, da der Gegenstand einer solchen Anordnung klar im Gesetz festgelegt war.

Daher konnten die Behörden keinen Zugang zu Archiven verlangen, die vollumfänglich anderen Steuersubjekten gehörten. Wenn das Archiv dem betroffenen Steuersubjekt gehörte, konnte der Zugang nicht zu Dokumenten verlangt werden, die anderen Steuersubjekten gehörten, um Informationen über diese zu erhalten, außer die Dokumente enthielten Informationen, die für die Steuerveranlagung des fraglichen Steuersubjekts von Bedeutung waren.

Dort, wo mehrere Betriebe Archive teilten und ihre jeweiligen Teile der Archive klar getrennt waren, musste der Zugang außerdem auf den Bereich des betroffenen Steuersubjekts begrenzt werden. Der GH sieht keinen Grund dafür, von der Feststellung des Obersten Gerichtshofs abzugehen, wonach die gegenständlichen Archive nicht klar getrennt waren, sondern so genannte »gemischte« Archive darstellten. Es konnte daher vernünftigerweise vorhergesehen werden, dass die Steuerbehörden sich nicht auf die Angaben der Steuersubjekte verlassen mussten, wo relevantes Material zu finden war, sondern in der Lage sein mussten, auf alle Daten des Servers zuzugreifen, um die Sache selbst zu bewerten.

Angesichts des Vorgesagten waren die Auslegung und Anwendung von § 4-10 Abs. 1 StVerG durch die nationalen Verwaltungsbehörden und Gerichte als eine Bestimmung, welche zur Anfertigung einer Sicherungskopie des Servers zur Untersuchung in den Räumlichkeiten der Behörden ermächtigte, vernünftigerweise vorhersehbar für die Bf. Das fragliche Gesetz war daher zugänglich und ausreichend präzise und vorhersehbar, um die Erfordernisse des Begriffs »gesetzlich vorgesehen« nach Art. 8 Abs. 2 EMRK zu erfüllen.

Die gegenständlichen Maßnahmen lagen im Interesse des wirtschaftlichen Wohls des Landes und verfolgten daher ein legitimes Ziel nach Art. 8 Abs. 2 EMRK.

Bei der Beurteilung, ob die strittige Maßnahme »in einer demokratischen Gesellschaft notwendig« war, ist zu berücksichtigen, dass den nationalen Behörden ein gewisser Ermessensspielraum zukommt. Dessen Umfang hängt von Faktoren wie der Natur und der Ernsthaftigkeit der berührten Interessen und der Schwere des Eingriffs ab. Ein Faktor, der im vorliegenden Fall für eine genaue Überprüfung spricht, ist, dass die Sicherungskopie alle auf dem Server existierenden Dokumente umfasste. Andererseits konnte, da die Maßnahme gegen juristische Personen gerichtet war, ein größerer Ermessensspielraum zur Anwendung kommen als das der Fall gewesen wäre, hätte sie ein Individuum betroffen.

Eine Steuerprüfung nach § 4-10 Abs. 1 StVerG ergänzte die Pflicht des Steuersubjekts, den Steuerbehörden richtige Informationen zu liefern, um es diesen zu ermöglichen, eine korrekte Steuerveranlagung durchzuführen. Der Zweck der Maßnahmen nach lit. b war, den Behörden die Beurteilung zu ermöglichen, ob das Steuersubjekt Dokumente besaß, deren Vorlage nach lit. a verfügt werden konnte. Es kann nicht bezweifelt werden, dass die Überprüfung von Archiven ein notwendiges Mittel war, um ein wirksames Kontrollieren von Informationen, die Steuersubjekte den Behörden vorlegten, sowie eine größere Richtigkeit der so vorgelegten Informationen und der Steuerveranlagung sicherzustellen. Die Rechtfertigung der Behörden für den Erhalt des Zugangs zum Server und einer Sicherungskopie zur Überprüfung seines Inhalts in ihren Räumlichkeiten wurde von Gründen gestützt, die sachlich und hinreichend im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK waren.

Zur Verhältnismäßigkeit der Maßnahme ist zu sagen, dass der Eingriff besonders weitreichend war, da die Sicherungskopie alle auf dem Server befindlichen Dokumente enthielt und daher auch eine große Menge an Material, das für die Steuerveranlagung nicht relevant war, wie unter anderem private Korrespondenz und andere Dokumente, die Beschäftigten der Unternehmen gehörten. Eine wichtige Überlegung ist daher, ob das Verfahren im Zusammenhang mit dem Zugang für die Behörden zu einer Sicherungskopie des Servers, um diese in ihrem Büro zu prüfen, von wirksamen Schutzmechanismen gegen Missbrauch begleitet wurde.

Der GH erinnert daran, dass § 4-10 Abs. 1 StVerG den Behörden kein unbegrenztes Ermessen einräumte, insbesondere, was die Natur der Dokumente, die sie berechtigt waren zu prüfen, anbelangt. Außerdem wurde die B.L.H. von der Absicht der Behörden, eine Steuerprüfung vorzunehmen, ein Jahr im Voraus informiert. Weiters waren sowohl ihre Vertreter als auch jene der Kver AS anwesend und in der Lage, ihre Ansichten darzulegen, als die Steuerbehörden am 9.3.2004 ihren Vorort-Besuch vornahmen.

Insbesondere war nicht nur nach § 3-6 Abs. 1 StVerG ein Beschwerderecht gegeben, sondern wurde die Sicherungskopie, nachdem die B.L.H. und die Kver AS sich über die Maßnahme beschwert hatten – was sie offensichtlich sofort taten –, in einen versiegelten Umschlag gegeben, der im Finanzamt bis zur Entscheidung über die Beschwerde hinterlegt wurde.

Der GH hat auch die übrigen Schutzmechanismen in den einschlägigen Vorschriften berücksichtigt, wie das Recht des Steuersubjekts, anwesend zu sein, wenn das Siegel gebrochen wird, die Verpflichtung der für die Prüfung Verantwortlichen, einen Bericht zu erstellen, das Recht des Steuersubjekts, eine Kopie des Berichts zu erhalten und die Verpflichtung der Behörden, unerhebliche Dokumente so bald als möglich zurückzugeben.

Nach dem rechtskräftigen Urteil des Obersten Gerichtshofs entschieden die Steuerbehörden, das fragliche Material zu untersuchen und informierten die Bf. daher am 28.1.2008 von ihrer Absicht, den versiegelten Umschlag mit dem Bandlaufwerk zu öffnen, um die Vorlage von Dokumenten anzuordnen. Sie informierten die Bf. von Zeit und Ort der Überprüfung, deren Gegenstand, bestimmten vorbereitenden Bearbeitungen, die nicht das Durchsuchen oder Öffnen von Dokumenten umfassten, und der Identität der betroffenen Unternehmen. Die Behörden luden die Bf. ein, einen gemeinsamen Vertreter zu benennen, der den Vorbereitungen sowie dem Öffnen und der Überprüfung des Bandlaufwerks beiwohnen konnte.

Der GH hat die von den Bf. geäußerte Kritik hinsichtlich der praktischen Maßnahmen, die für die Prüfung der Dateien im Beisein ihres Vertreters ins Auge gefasst wurden, zur Kenntnis genommen. Insbesondere ging es um die fehlende Möglichkeit, auf den Computerbildschirm zu sehen. Dies gibt jedoch keinen ernsthaften Anlass zur Sorge, da die Beschränkung in dieser Hinsicht ihre Ursache im Wesentlichen im gemischten Charakter der Archive hatte und dazu diente, dem eigenen Wunsch der Bf. nach Achtung der Vertraulichkeit Rechnung zu tragen. Es wurde von den Behörden darauf hingewiesen, dass jedes ausgewählte Dokument  in eine Liste aufgenommen, ausgedruckt, nach Unternehmen geordnet und dann dem betreffenden Unternehmen zur Äußerung zugänglich gemacht würde.

Außerdem würde die Kopie nach Abschluss der Überprüfung gelöscht bzw. zerstört werden und alle Spuren der Inhalte würden von den Computern und Speichergeräten der Steuerbehörden gelöscht werden. Die Behörden würden nicht ermächtigt sein, vom entnommenen Material Dokumente zurückzuhalten, außer das Steuersubjekt akzeptierte diese Maßnahme. Es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln, dass die Steuerbehörden im Fall der Bf. entsprechend vorgehen würden.

Im Lichte der obigen Ausführungen stellt der GH fest, dass der Eingriff in die Rechte der Bf. auf Achtung ihres Briefverkehrs und ihrer Wohnung wesentlichen Einschränkungen unterlag und von wirksamen und angemessenen Schutzmaßnahmen gegen Missbrauch begleitet war – auch wenn es kein Erfordernis einer vorherigen richterlichen Genehmigung gab.

Es sollte auch berücksichtigt werden, dass die Natur des gerügten Eingriffs nicht von der gleichen Schwere und dem gleichen Grad war wie dies gewöhnlich bei Durchsuchungen und Beschlagnahmungen nach Strafrecht der Fall ist. Wie der Oberste Gerichtshof aufgezeigt hat, waren die Folgen der Verweigerung einer Kooperation durch das Steuersubjekt ausschließlich verwaltungsrechtlich. Zudem wurde die gerügte Maßnahme zum Teil durch die Entscheidung der Bf. selbst für ein gemischtes Archiv auf einem gemeinsamen Server notwendig gemacht. Dies machte die Trennung von Benutzerbereichen und die Identifizierung von Dokumenten für die Steuerbehörden schwieriger.

Unter Berücksichtigung der Umstände des Falls als Ganzem befindet der GH, dass die angefochtene Maßnahme nach § 4-10 Abs. 1 StVerG gegenständlich durch stichhaltige und ausreichende Gründe gestützt wurde. Er sieht auch keinen Grund, daran zu zweifeln, dass die Steuerbehörden einen gerechten Ausgleich zwischen den Rechten der Bf. auf Achtung ihres Briefverkehrs und ihrer Wohnung und ihren Interessen daran, die Privatsphäre von für sie tätigen Personen zu schützen, auf der einen Seite und dem öffentlichen Interesse an der Sicherstellung einer wirksamen Überprüfung der von den Bf. für Steuerberechnungszwecke angebotenen Informationen andererseits geschaffen haben. Keine Verletzung von Art. 8 EMRK (5:2 Stimmen; Sondervotum der Richterinnen Berro-Lefèvre und Laffranque).

Vom GH zitierte Judikatur:

Klass u.a./D v. 6.9.1978 = EuGRZ 1979, 278

Leander/S v. 26.3.1987

Niemietz/D v. 26.12.1992 = NL 1993/1, 17 = EuGRZ 1993, 65 = ÖJZ 1993, 389

Miailhe/F v. 25.2.1993

Wieser und Bicos Beteiligungen GmbH/A v. 16.10.2007 = NL 2007, 258 = ÖJZ 2008, 246

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 14.3.2013, Bsw. 24117/08 entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NL 2013, 103) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/13_2/Bernh.pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

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