JudikaturJustiz9ObA30/06m

9ObA30/06m – OGH Entscheidung

Entscheidung
07. Juni 2006

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Peter Ammer und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Walter K*****, Kraftfahrer, *****, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl Rechtsanwaltgesellschaft mbH in Graz, gegen die beklagte Partei Manuela K*****, Unternehmerin, *****, vertreten durch Dr. Manfred Rath ua, Rechtsanwälte in Graz, wegen EUR 1.664,37 sA (Revisionsinteresse EUR 824,39), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. Dezember 2005, GZ 8 Ra 92/05v-13, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 2. Mai 2005, GZ 9 Cga 16/05k-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 266,69 (darin EUR 44,45 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war ab 7. 9. 2004 bei der Beklagten als Arbeiter im Expedit beschäftigt. Am 2. 12. 2004 wurde er ungerechtfertigt entlassen. Die Beklagte war dabei in Unkenntnis des Umstands, dass der Kläger seit 11. 2. 1993 mit einem Grad der Behinderung von 50 vH dem Kreis der begünstigten Behinderten iSd Behinderteneinstellungsgesetzes (BEinstG), BGBl 1970/22, angehörte. Dies war vom Kläger weder vor noch während aufrechten Arbeitsverhältnisses mitgeteilt worden. Das Arbeitsverhältnis unterlag dem Kollektivvertrag für das Kleintransportgewerbe. Nach dessen Pkt XII. kann das Arbeitsverhältnis nach einmonatiger Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber nur zum Ende einer Lohnwoche gelöst werden; die Kündigungsfrist beträgt bei einer ununterbrochenen Betriebszugehörigkeit von mehr als einem Monat bis zu einem Jahr eine Woche.

Der Kläger begehrte mit seiner Klage restlichen Lohn, Kündigungsentschädigung, Urlaubsersatzleistung und Sonderzahlungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.664,37 sA. Da er dem Kreis der begünstigten Behinderten angehöre, komme bei der Berechnung der Kündigungsentschädigung infolge ungerechtfertigter Entlassung die vierwöchige Kündigungsfrist gemäß § 8 Abs 1 BEinstG zum Tragen. Die Beklagte bestritt, beantragte Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, dass die Kündigungsentschädigung auf der Grundlage der einwöchigen Kündigungsfrist gemäß anzuwendendem Kollektivvertrag zu ermitteln sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren hinsichtlich des Betrags von EUR 839,98 sA statt, wohingegen es das Mehrbegehren des Klägers von EUR 824,39 sA abwies. Der Arbeitnehmer sei verpflichtet, dem Arbeitgeber mitzuteilen, dass er begünstigter Behinderter sei. Mache er dies nicht, könnten Ansprüche nach § 1155 ABGB nicht geltend gemacht werden. Nach dieser Bestimmung gebühre dem Arbeitnehmer auch für Dienstleistungen, die nicht zustandekommen, das Entgelt, wenn er zur Leistung bereit gewesen sei und durch Umstände, die auf Seite des Arbeitgebers liegen, daran gehindert worden sei. "Aus diesem Grund" sei als möglicher Beendigungszeitpunkt des Arbeitsverhältnisses die Auflösungsmöglichkeit nach Pkt XII des Kollektivvertrags heranzuziehen.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil über Berufung des Klägers gegen den klageabweisenden Teil im Sinne der Vollstattgebung des Klagebegehrens ab. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig sei, weil eine gesicherte Rechtsprechung zur Frage der Auswirkungen der Verletzung der Mitteilungspflicht hinsichtlich der Behinderteneigenschaft auf die Kündigungsentschädigung fehle. Verschweige ein Arbeitnehmer dem Arbeitgeber seine Eigenschaft als begünstigter Behinderter, dann nehme er in Kauf, dass das Arbeitsverhältnis durch Kündigung ohne Zustimmung des Behindertenausschusses erfolge. Bis zum Beweis des Gegenteils sei davon auszugehen, dass der Arbeitgeber die Kündigung in Kenntnis des Bestehens der Begünstigung nicht in dieser Form ausgesprochen hätte. Ein derartiger Fall liege hier aber nicht vor. Auf die Leistungsbereitschaft des Arbeitnehmers komme es nicht an, weil das gegenständliche Arbeitsverhältnis durch Entlassung beendet worden sei. Eine gerechtfertigte Entlassung wäre durch das BEinstG nicht geschützt gewesen. Die Beklagte hätte daher - ausgehend von ihrer Annahme, die Entlassung des Klägers sei gerechtfertigt, - ohnehin keine Überlegungen in Bezug auf den Behindertenausschuss oder die Kündigungsfrist anstellen müssen. Im Fall der ungerechtfertigten Entlassung stehe dem Arbeitnehmer Schadenersatz nach § 1162b ABGB zu. Eine Möglichkeit des Arbeitnehmers, den Arbeitgeber auf die längere Kündigungsfrist nach § 8 Abs 1 BEinstG hinzuweisen, habe hier ebenso wenig bestanden, wie eine Möglichkeit der Beklagten, auf diesen Hinweis zu reagieren. § 8 Abs 1 BEinstG normiere zum Schutz begünstigter Behinderter eine Mindestkündigungsfrist; dieser Schutz dürfe nicht umgangen werden.

Gegen den abändernden Teil der Berufungsentscheidung (Stattgebung auch hinsichtlich EUR 824,39 sA) richtet sich die Revision der Beklagten wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das insoweit abweisende Ersturteil wiederherzustellen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zugeben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt. Im Revisionsverfahren geht es ausschließlich um die Frage, ob die dem Kläger zufolge ungerechtfertigter Entlassung gebührende Kündigungsentschädigung unter Zugrundelegung der Kündigungsfrist laut Pkt XII des Kollektivvertrags für das Kleintransportgewerbe oder unter Zugrundelegung der vierwöchigen Kündigungsfrist nach § 8 Abs 1 BEinstG zu berechnen ist. Das Berufungsgericht nahm zutreffend letzteres an. Zusammenfassend stellt sich die Rechtslage wie folgt dar:

Der Kläger ist seit 1993 begünstigter Behinderter iSd Behinderteneinstellungsgesetzes (BEinstG). Der besondere Bestandschutz nach diesem Gesetz verfolgt den Zweck, die Nachteile der geschützten Personengruppe begünstigter Behinderter auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszugleichen, nicht aber diese praktisch unkündbar zu machen (Ernst/Haller, BEinstG6 § 8 Erl 4; Weiß, Der besondere Bestandschutz Rz 238 ua). Der Schutz eines begünstigten Behinderten nach dem BEinstG beginnt grundsätzlich mit jenem Zeitpunkt, für den das Vorliegen einer Behinderung festgestellt wurde (Weiß aaO Rz 241 ua). Ob der Arbeitgeber bei der Einstellung von der Begünstigung wusste, ist hingegen unerheblich (Ernst/Haller aaO § 8 Erl 49; Weiß aaO Rz 242; RIS-Justiz RS0077684 ua).

§ 8 BEinstG enthält in seinem Abs 1 eine Mindestkündigungsfrist (arg „sofern keine längere Frist einzuhalten ist") von vier Wochen. Den eigentlichen Kern des Kündigungsschutzes (Erfordernis der Zustimmung des Behindertenausschusses) bilden jedoch die Abs 2 bis 4 leg cit (Weiß aaO Rz 253 ua). Der darin geregelte besondere Kündigungsschutz findet jedoch keine Anwendung, wenn das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung - wie im Fall des Klägers - noch nicht länger als sechs Monate bestanden hat (Abs 6 lit b leg cit; Löschnigg, Arbeitsrecht10 499 ua). Die Mindestkündigungsfrist von vier Wochen gilt aber auch schon innerhalb der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses (Ernst/Haller aaO § 8 Erl 7 ua). Es besteht eine Pflicht des Arbeitnehmers, die ihm bekannte Eigenschaft als begünstigter Behinderter dem Arbeitgeber mitzuteilen, weil es sich dabei um eine Angelegenheit handelt, die infolge gesetzlicher Bestimmungen unmittelbaren Einfluss auf die Gestaltung des Arbeitsverhältnisses hat (8 ObA 41/97f, ZAS 1999/3 [Tinhofer]; RIS-Justiz RS0107830 ua). Insbesondere wenn der Arbeitgeber in Unkenntnis der Behinderteneigenschaft eine Kündigung ausgesprochen hat, hat ihn der Arbeitnehmer binnen angemessener Zeit darüber zu informieren, weil davon auszugehen ist, dass der Arbeitgeber die Kündigung in Kenntnis der Behinderteneigenschaft und der deshalb erforderlichen Zustimmung des Behindertenausschusses nicht ausgesprochen hätte. Tut dies der behinderte Arbeitnehmer nicht, so verliert er nach herrschender Auffassung seinen Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 1155 ABGB, weil die Arbeitsleistung aus Gründen entfällt, die auf Seiten des Arbeitnehmers liegen. An der Unwirksamkeit der Kündigung ändert sich jedoch nichts (Ernst/Haller aaO § 8 Erl 51 f; Löschnigg aaO 501; Weiß aaO Rz 242; 8 ObA 41/97f, ZAS 1999/3 [Tinhofer] ua). Darum geht es hier jedoch nicht. Der Kläger wurde von der Beklagten nicht unwirksam gekündigt, sondern wirksam entlassen: Im Fall der Entlassung eines begünstigten Behinderten ist zunächst zu beachten, dass das BEinstG keinen besonderen Entlassungsschutz vorsieht. Es finden daher im Fall der begründeten Entlassung grundsätzlich die allgemeinen Entlassungsvorschriften Anwendung (Ernst/Haller aaO § 8 Erl 119 ff, 137; Weiß aaO Rz 265; RIS-Justiz RS0108889 ua). Wegen der Gefahr der Umgehung des besonderen Kündigungsschutzes begünstigter Behinderter ist aber eine Entlassung ohne wichtigen Grund rechtsunwirksam (Kuderna, Entlassungsrecht² 43; Ernst, DRdA 1997, 1 [3 f]; Grillberger in Floretta/Spielbüchler/Strasser, Arbeitsrecht I4 417, 429; Weiß aaO Rz 266; Marhold/Friedrich, Arbeitsrecht 337; RIS-Justiz RS0052360 ua). Da der besondere Kündigungsschutz nach § 8 Abs 2 bis 4 BEinstG aber wie erwähnt erst dann einsetzt, wenn das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung bereits länger als sechs Monate bestanden hat (Abs 6 lit b leg cit; Löschnigg, Arbeitsrecht10 499 ua), was beim Kläger nicht der Fall war, konnte in seinem Fall der besondere Kündigungsschutz durch eine unbegründete Entlassung auch nicht umgangen werden, weil noch gar kein besonderer Kündigungsschutz bestand. Der Kläger hatte daher auch kein Wahlrecht, die Unwirksamkeit der Entlassung mit Klage auf Feststellung des aufrechten Bestands des Arbeitsverhältnisses (Ernst/Haller aaO § 8 Erl 119, 137; Weiß aaO Rz 471 ua) oder stattdessen finanzielle Ersatzansprüche bei Inkaufnahme der Auflösung des Arbeitsverhältnisses geltend zu machen (Ernst/Haller aaO § 8 Erl 120, 138; Weiß aaO Rz 472 ua). Er war von vornherein auf Geldansprüche beschränkt, weil das Arbeitsverhältnis von der Beklagten - wenn auch zu Unrecht - wirksam beendet wurde. § 1162b ABGB (ebenso § 29 AngG, § 84 GewO 1859 ua) sieht im Fall ungerechtfertigter Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber einen Anspruch des Arbeitnehmers auf Kündigungsentschädigung vor. Danach hat der Arbeitnehmer einen Schadenersatzanspruch (iSd herrschenden Schadenersatzprinzips) auf das Entgelt für jenen Zeitraum, der bei ordnungsgemäßer Kündigung durch den Arbeitgeber bis zu Beendigung des Arbeitsverhältnisses hätte verstreichen müssen (Krejci in Rummel, ABGB³ §§ 1162a, 1162b Rz 22 ff; Kuderna aaO 37; Ernst/Haller aaO § 8 Rz 138; Weiß aaO Rz 473 f, je mwN, ua). Beruht der besondere Bestandschutz - wie bei begünstigten Behinderten - auf der geschwächten Position auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, so ist der Zeitraum des besonderen Bestandschutzes nach seinem Schutzzweck bei der Bemessung der Kündigungsentschädigung zu berücksichtigen (vgl Weiß aaO Rz 479). Dieser beträgt gemäß der in § 8 Abs 1 BEinstG normierten Mindestkündigungsfrist vier Wochen. Eine längere Kündigungsfrist war hier nicht vereinbart; eine kürzere konnte nicht wirksam vereinbart werden. Kündigungsfristen sind ihrem Zweck nach Mindestfristen (Grillberger aaO 372 ua). Es handelt sich insoweit um (relativ) zwingendes Recht (vgl Krejci aaO §§ 1158-1159c Rz 78 ua). Aus Überlegungen der Beklagten, der Kläger habe mangels Bekanntgabe seiner Behinderteneigenschaft den Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 1155 ABGB verloren, ist nichts zu gewinnen. Die Arbeitsleistung entfiel nicht bei aufrechtem Arbeitsverhältnis aus Gründen, die auf Seiten des Klägers lagen; das Arbeitsverhältnis wurde vielmehr (von der Beklagten) wirksam beendet. Die Arbeitsleistung des Klägers konnte daher auch nicht im vorgenannten Sinn „entfallen". Der Kläger macht demzufolge auch keine Entgeltfortzahlung nach § 1155 ABGB geltend, sondern verlangt Kündigungsentschädigung nach § 1162b ABGB wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch ungerechtfertigte Entlassung. Im Einzelfall kann es durchaus zu Abgrenzungsproblemen zwischen den §§ 1155, 1162b ABGB kommen (vgl Krejci aaO § 1155 Rz 40 ff ua), die hier jedoch keine Rolle spielen. Eine weitere Arbeitsbereitschaft des Klägers war nicht erforderlich, weil das Arbeitsverhältnis von der Beklagten mit sofortiger Wirkung beendet wurde. Dass es bei der Entscheidung, den Kläger zu entlassen, nicht auf die der Beklagten damals unbekannte Behinderteneigenschaft ankam, bekräftigte die Beklagte selbst in erster Instanz, indem sie trotz Hinweises des Klägers auf seine Eigenschaft als begünstigter Behinderter iSd BEinstG auf dem Standpunkt beharrte, dass ihr seinerzeit die Weiterbeschäftigung des Klägers auch nur bis zum Ende der Kündigungsfrist "absolut unzumutbar" gewesen sei. Soweit sie dies nun in der Revision abzuschwächen versucht, verletzt sie das Neuerungsverbot (§ 504 Abs 2 ZPO). Hierauf ist daher nicht weiter einzugehen. Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens zufolge "überschießender Feststellungen" des Berufungsgerichts liegt insoweit nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

Der unbegründeten Revision der Beklagten muss daher ein Erfolg versagt bleiben. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.