JudikaturJustiz9ObA130/05s

9ObA130/05s – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. September 2006

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Krüger und Mag. Thomas Maurer-Mühlleitner als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Betriebsrat Elektrizitätswerke R***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Heinz Mildner, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Elektrizitätswerke R***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Greiter Pegger Kofler Partner, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Entsendung von Arbeitnehmervertretern gemäß § 110 Abs 5 ArbVG (Streitwert EUR 21.800), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. April 2005, GZ 13 Ra 26/05d-14, womit das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 6. Dezember 2004, GZ 42 Cga 164/04w-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.189,44 (darin EUR 198,24 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte, deren Unternehmensgegenstand der Betrieb eines Elektrizitätswerks ist, hat insgesamt sechs Gesellschafter, nämlich die Marktgemeinde R***** als Hauptgesellschafterin mit einer Stammeinlage von EUR 10,909.500 sowie fünf weitere Gesellschafter, nämlich den Bürgermeister sowie Gemeinderäte bzw Gemeindevorstände der Marktgemeinde R***** mit Stammeinlagen von je EUR 100. Die Beklagte hat zu keiner Zeit im Durchschnitt mehr als 300 Arbeitnehmer beschäftigt. Im Betrieb der Beklagten ist ein gemeinsamer Arbeiter- und Angestelltenbetriebsrat eingerichtet, von dem die Mitglieder B*****, W***** und H***** in den „Verwaltungsrat" der beklagten Partei entsendet wurden. Seitens der Beklagten wird diesen Personen aber Sitz und Stimme im Verwaltungsrat verwehrt.

Der (zuletzt in der außerordentlichen Generalversammlung vom 8. 11. 2004 angepasste) Gesellschaftsvertrag vom 5. 10. 1994 sieht folgende - für die weitere Beurteilung relevante - Regelungen vor:

„§ 6 Organe der Gesellschaft. Organe der Gesellschaft sind: a) Geschäftsführer, b) Generalversammlung."

§ 9 des Gesellschaftsvertrags lautet: „§ 9 Gesellschafterausschuss (Verwaltungsrat). Die Generalversammlung ist verpflichtet, einen Ausschuss (Verwaltungsrat) einzusetzen, der sie in allen Angelegenheiten berät und dem sie die Zustimmung zu Maßnahmen der Geschäftsführung übertragen kann. Dieser Verwaltungsrat besteht aus mindestens drei, höchstens sechs Mitgliedern, die auch Mitglieder des Gemeinderates der Marktgemeinde Reutte sein müssen. Der Gesellschafter Marktgemeinde Reutte ist, solange er mehr als 70 % des eingezahlten Stammkapitals als Stammeinlage hält, berechtigt, die Mitglieder in den Verwaltungsrat zu entsenden und aus diesem abzuberufen. Dieses Recht der Entsendung und Abberufung üben die einzelnen im Gemeinderat vertretenen Parteien aus. Hiefür ist die Unterschrift der Mehrheit der Gemeinderatsmitglieder der betreffenden Gemeinderatspartei erforderlich. Die Gemeinderatsparteien haben im Verhältnis ihrer Stärke Anspruch auf Vertretung im Verwaltungsrat. Der Verwaltungsrat wählt den Vorsitzenden und dessen Stellvertreter aus seiner Mitte. Der Verwaltungsrat entscheidet mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen, es sei denn, die Generalversammlung setzt für bestimmte Beschlüsse und Maßnahmen qualifizierte Mehrheiten fest. Die Generalversammlung hat für den Verwaltungsrat eine Geschäftsordnung zu beschließen, die insbesondere Regelungen über den Zeitpunkt und die Einberufung der Sitzungen, Tagesordnung, Anwesenheit, Rechte der Mitglieder, Beschlussfähigkeit sowie Anwesenheits- und Berichtspflichten der Geschäftsführung enthält."

§ 10 des Gesellschaftsvertrags lautet:

„§ 10 zustimmungspflichtige Maßnahmen.

a) Außer den im Gesetz und Gesellschaftsvertrag der Generalversammlung zur Beschlussfassung zugewiesenen Gegenständen, bedürfen folgende Geschäfte und Maßnahmen der Zustimmung der Generalversammlung, wobei eine Mehrheit von drei Viertel der gültig abgegebenen Stimmen erforderlich ist:

1. Zustimmung zur Teilung, Belastung und Übertragung von Gesellschaftsanteilen.

2. Änderung des Gesellschaftsvertrages einschließlich der Änderung des Unternehmensgegenstandes.

3. Erwerb und Veräußerung von Beteiligungen sowie Erwerb, Veräußerung und Stilllegung von Unternehmen und Betrieben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht aufgezeigten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

Zur behaupteten Mangelhaftigkeit:

Diese wurde geprüft, sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Die Marktgemeinde R***** hat ihren Elektrizitätswerks-Betrieb im Jahr 1994 in die Beklagte eingebracht. Ab diesem Zeitpunkt ist jedenfalls GmbH-Recht anzuwenden. Ob und inwieweit schon vorher ein „Gesellschafterausschuss" bestanden hat, ist ohne Relevanz. Wesentlich ist vielmehr die durch den Gesellschaftsvertrag und die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung vorgenommene Ausgestaltung des „Verwaltungsrats".

Zur Rechtsrüge:

In der herrschenden Lehre (Kastner/Doralt/Nowotny, Grundriss des österreichischen Gesellschaftsrechts5, 402; Reich-Rohrwig, „Der Beirat der GmbH" in ÖJZ 1981, 509 f; derselbe, Das österreichische GmbH-Recht I² Rz 4/132; Jabornegg, „Aufsichtsratsmitwirkung im Konzern mit Untergesellschaften in der Rechtsform der GmbH" in DRdA 1999, 433; Floretta/Strasser, Kommentar zum ArbVG 1975, 728; Löschnigg, „Die Entsendung der Betriebsräte in den Aufsichtsrat - organisationsrechtliche Probleme des § 110 ArbVG" 53 f; Preiss in Cerny/Gahleitner/Preiss/Schneller ArbVG III³ Anm 44; Putzer, „Mitwirkung der Arbeitnehmerschaft im Aufsichtsrat" 27 f) besteht Einigkeit dahin, dass dort, wo ein Aufsichtsrat nicht auf gesetzlicher, sondern nur auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage besteht (sei es obligatorisch oder nur fakultativ), die Bestimmungen über die Vertretung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat im Sinn des § 110 Abs 5 Z 1 ArbVG zwingend Anwendung zu finden haben. Zweifel an dieser Auffassung (Huber, „Fakultativer Aufsichtsrat, Beirat und Arbeitnehmermitwirkung in der GmbH" in ecolex 1995, 807 f) sind vereinzelt geblieben und überzeugen nicht.

Die überwiegende Meinung, welche insbesondere aus § 20 Abs 2 GmbHG abgeleitet wird, geht dahin, dass es den Gesellschaftern einer GmbH unbenommen ist, neben einem Aufsichtsrat oder dort, wo ein solcher nicht besteht, „Beiräte" zu gründen, wobei jedoch hinsichtlich des Umfangs und der Kompetenzen eines solchen Beirats unterschiedliche Auffassungen bestehen (stellvertretend für viele:

Kastner/Doralt/Nowotny aaO 401; Kastner, „Beiräte im österreichischen Gesellschaftsrecht" in RdW 1983, 98 f; Reich-Rohrwig ÖJZ 1981, 509 f; derselbe, Das österreichische GmbH-Recht I² Rz 4/497; Löschnigg aaO 106 f; Koppensteiner GmbHG § 20 Rz 18; Heidinger, „Aufgaben und Verantwortlichkeit von Aufsichtsrat und Beirat der GmbH" 376 f). Ein Meinungsstreit besteht besonders dort, wo von den Gesellschaftern einer nicht aufsichtsratspflichtigen GmbH ein „Beirat" eingesetzt wurde, der „Kernkompetenzen" eines Aufsichtsrats ausübt, nicht aber als solcher bezeichnet wird.

Reich-Rohrwig vertrat in ÖJZ 1981, 509 (aaO) noch folgende Meinung:

Sieht das Gesetz keine Aufsichtsratspflicht vor, so steht es der Gesellschaft frei, ob sie im Gesellschaftsvertrag die Bestellung eines Aufsichtsrats vorsieht. Wenn sie aber ein Organ vertraglich einrichtet, auf das die gesetzlich typisierten Funktionsmerkmale des gesetzlichen Organs „Aufsichtsrat" zutreffen, dann ist es auch den diesbezüglichen gesetzlichen Vorschriften zu unterstellen. Denn die Entscheidungsfreiheit der Gesellschafter, ob ein Aufsichtsrat installiert wird, impliziert nicht die Freiheit, wenn einer eingerichtet wird, die daran anknüpfenden zwingenden Rechtsfolgen vertraglich abzubedingen. Eine weitergehende Wahlfreiheit der Gesellschafter, ein Organ mit der Funktion des Aufsichtsrats unter Umgehung der daran anknüpfenden Rechtsfolgen zu installieren, besteht nicht; insofern besteht Typenzwang bei den Organen. Eine anders lautende Bezeichnung eines Organs mit Aufsichtsratsfunktion, auch wenn sie zur Täuschung Dritter keinen Anlass geben könnte, hindert nicht die Unterstellung unter die zwingenden Vorschriften über den Aufsichtsrat. Demnach sind auf einen Beirat, dem dieselben Mindestkompetenzen wie einem Aufsichtsrat zukommen, die Vorschriften über den Aufsichtsrat anzuwenden, da es sich insoweit um zwingendes Recht handelt, das nicht durch die Bestellung eines „Beirats" umgangen werden darf. Eine solche Beiratsgestaltung ist gleichzeitig eine Umgehung der Arbeitnehmermitbestimmung (§ 110 ArbVG) und auch aus diesem Grunde unzulässig.

Nach Löschnigg (aaO 108 f) stellen die Mindestkompetenzen, die dem Aufsichtsrat aufgrund des Gesetzes zustehen, den sachlichen Kern auch der Arbeitnehmermitwirkung dar. Die Drittelparität an sich und der Entsendungsmechanismus bestimmen nur den Grad der Intensität bzw die organisationsrechtliche Ausgestaltung der Befugnis. Sei die Errichtung des Aufsichtsrats obligatorisch, so könnten dessen Aufgaben keinem Beirat übertragen werden. Die Mitwirkung der Arbeitnehmer sei in diesem Fall von vornherein gesichert. Fehle es hingegen an einer gesetzlichen Verpflichtung zur Errichtung eines Aufsichtsrats, so stelle sich die Frage, ob nicht die Funktion eines fakultativen Aufsichtsrats von einem anderen Gremium, zB einen Beirat übernommen werden könne. Der Autor wendet sich ausdrücklich gegen die Meinung, dass es Gesellschaftern freistehe, einen Beirat mit Funktionen auszustatten, die den Kernkompetenzen eines Aufsichtsrats entsprächen. Wenngleich zuzugeben sei, dass die Vertragsfreiheit im Handelsrecht einen breiteren Raum einnimmt als in manch anderen Privatrechtsdisziplinen, so sei der Größenschluss in dieser generalisierenden Form auch im Gesellschaftsrecht nicht haltbar. Typenzwang und zwingendes Recht tauchten im Privatrecht in abgestufter Intensität, die von der Schutzwürdigkeit und Schutznotwendigkeit des betroffenen Personenkreises abhänge, immer wieder auf. Wenn zB ein Hauseigentümer mit einem Wohnungsmieter einen Bestandvertrag abschließe, dann sei die Ausgestaltung und insbesondere die Beendigung des Mietvertrags von einer Reihe gesetzlicher Regelungen beschränkt, wenngleich das „ob" des Abschlusses völlig den Vertragsparteien anheimgestellt werde. Vor allem der fakultative Aufsichtsrat stehe der kritisierten Meinung diametral gegenüber. Wenn nämlich ein Aufsichtsrat gebildet werde, dann seien die Bestimmungen des GmbH-Gesetzes zwingend. Werde also ein Beirat mit Kernkompetenz eines Aufsichtsrats gebildet, komme es auch zur Anwendung der Bestimmungen über die Entsendung von Arbeitnehmervertreter in dieses Gremium.

Nach der von Heidinger in seiner Dissertation (aaO 383 f) vertretenen Ansicht ist die Einrichtung eines Beirats zur Umgehung einer gesetzlichen Aufsichtsratspflicht unzulässig. Dies müsse aber auch für einen gesellschaftsvertraglichen Aufsichtsrat gelten. Denn hier herrsche zwingende Aufgabenzuweisung an den Aufsichtsrat. Dieser habe die Geschäftsführung zu überwachen sowie Jahresabschluss, Gewinnvorschlag und Geschäftsbericht zu überprüfen und darüber zu berichten. Diese Kontrollfunktion könne nur von einem Aufsichtsrat wahrgenommen werden, wobei die sorgfältige Überwachung durch die Haftungsbestimmungen des GmbHG gesichert werden solle. Die Zuweisung der Kernkompetenzen eines Aufsichtsrats an einen „Beirat" sei eine Umgehung des Aufsichtsrats, sodass ein solcher Beirat als Aufsichtsrat zu qualifizieren sei.

Einen in diesem Zusammenhang weitergehenden Standpunkt vertritt Putzer (aaO 104), nach dessen Auffassung jede Auslagerung von Aufsichtsratskompetenzen - unabhängig von Gegenstand und Umfang - an ein anderes Gremium zur Mitwirkung der Arbeitnehmer im Rahmen der Drittelparität führen müsse.

Den vorgenannten Literaturstimmen sind andere Autoren entgegengetreten:

Koppensteiner (aaO Rz 54, 55 zu § 35 GmbHG) wendet sich zunächst gegen die Meinung, dass Beiräte mit den Funktionen eines Aufsichtsrats allgemein für unzulässig gehalten und/oder als Aufsichtsrat qualifiziert werden. Das in diesem Zusammenhang gebrachte Argument des Täuschungspotenzials, welches einem solchen Organ innewohne, sei nicht begründet. Im Unterschied zum fakultativen Aufsichtsrat, von dem wegen der Identität seiner Bezeichnung mit dem gesetzlich zwingenden Aufsichtsrat angenommen werde, ihm stünden auch dessen Befugnisse zu, treffe dies für ein „Beirat" genanntes Organ gerade nicht zu. Über Beiräte sage das Gesetz nichts und ihnen werden in der Praxis die unterschiedlichsten Aufgaben zugewiesen. Mit einem so bezeichneten Organ könne das Publikum also keine konkrete Funktionsvorstellung verbinden. Ein weiteres Argument werde nach Koppensteiner zu Unrecht aus der Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat hergeleitet. Wenn ein Aufsichtsrat von Gesetzes wegen nicht eingerichtet werden müsse, dann bedeute dies, dass die Gesellschafter darüber entscheiden könnten, ob Mitbestimmung stattfinde oder nicht. Deshalb könne es ihnen auch nicht verwehrt werden, unbestreitbar eigene Zuständigkeiten auf ein Organ zu übertragen, an dem die Arbeitnehmer nicht beteiligt seien. Aus diesen Gründen sei anzunehmen, dass ein Beirat mit Aufsichtsratsfunktion jedenfalls dann eingerichtet werden könne, wenn es keinen Rechtszwang zur Errichtung eines Aufsichtsrats gebe. Bei Fehlen eines Aufsichtsrats könnten dem Beirat daher im Rahmen des zwingenden Rechts Kompetenzen in grundsätzlich beliebigem Umfang zugewiesen werden.

Mit ähnlichen Argumenten hält Huber (aaO) in der nicht aufsichtsratspflichtigen GmbH die Schaffung eines Beirats mit Kompetenzen eines Aufsichtsrats für zulässig. Gesellschafter, welche einen solchen Beirat einrichteten, seien keine „Normumgeher", sondern machten von einem Recht auf betriebswirtschaftlich begründete abweichende Gestaltung Gebrauch.

Auch Reich-Rohrwig (Das österreichische GmbH-Recht I² Rz 4/498) hat sich nunmehr den Meinungen von Koppensteiner und Huber angeschlossen. Im Wesentlichen begründet er seine von der früher vertretenen Auffassung abweichende Meinung damit, dass das Publikum mit einem „Beirat" keine konkrete Funktionsvorstellung verbinde, sodass Täuschungs- bzw Verkehrsschutzargumente nicht überzeugen können. Koppensteiner, Huber und Reich-Rohrwig ist darin zu folgen, dass das Argument des Verkehrsschutzes bzw der Vermeidung von Täuschungen nicht das tragende ist. Abgesehen davon, dass die Existenz eines Beirats Personen außerhalb der Gesellschaft in der Regel gar nicht bekannt sein wird, kann den Teilnehmern am Rechtsverkehr wegen der unterschiedlichen Ausgestaltungsmöglichkeiten eines Beirats nicht zugesonnen werden, damit bestimmte Vorstellungen zu verbinden. Wesentliche Bedeutung kommt hingegen den Argumenten Löschniggs (aaO) zu, dass aus der Freiheit, einen Aufsichtsrat einzurichten, nicht auch darauf geschlossen werden kann, es dürfe die Kernkompetenz eines Aufsichtsrats einem „Beirat" zugewiesen werden, ohne dass diesen auch die sonstigen gesetzlichen Auflagen treffen. Das von Löschnigg genannte Beispiel des Mietvertrags veranschaulicht genauso den Typenzwang, wie er zutreffend von Reich-Rohrwig früher (ÖJZ 1981, 509) für den freiwilligen Aufsichtsrat aufgezeigt und auch in der Folge nicht entkräftet wurde. Ist daher bei einem nur auf gesellschaftsvertraglicher Basis beruhenden Aufsichtsrat die Teilnahme der Arbeitnehmervertreter zwingend, muss dies auch dann gelten, wenn ein solcher Aufsichtsrat nicht besteht, stattdessen jedoch ein als „Beirat" bezeichnetes Gremium durch Gesellschaftsvertrag gebildet wird und diesem die Kernkompetenzen eines Aufsichtsrats zugewiesen werden (Heidinger aaO). Zu weitgehend ist wohl die Meinung Putzers (aaO 104), wonach selbst geringfügige Kompetenzzuweisungen an einen Beirat zur Arbeitnehmer-Drittelparität führen. Seine Begründung, die Gesellschafter könnten sonst für jede Aufsichtsratskompetenz eigene Gremien schaffen, ist insbesondere unter dem Blickwinkel der Wirtschaftlichkeit wenig realistisch. Für die „Aufsichtsratsähnlichkeit" (Preiss aaO 543) ist vielmehr auf die Zuweisung von Kernkompetenzen eines Aufsichtsrats abzustellen. Nur dann wird von einer „Umgehung" gesprochen werden können, die nach dem wahren Willen der Gesellschafter bei Schaffung des Organs zu beurteilen ist.

Trotz der von der Beklagten in ihrer Revision vorgebrachten Einwände ist im Ergebnis davon auszugehen, dass die Beklagte ihrem „Verwaltungsrat" diese Kernkompetenzen zugewiesen hat. Dazu zählen neben der Kontroll- und Überwachungsfunktion sowie der ausnahmsweisen Vertretungstätigkeit der Gesellschaft (insbesondere gegenüber den Geschäftsführern) (Putzer aaO 29 ua) insbesondere die Zustimmungsvorbehalte des § 30j GmbHG (Koppensteiner aaO § 29 Rz 18). Zunächst fällt auf, dass die Gesellschafterversammlung der Beklagten in § 1 der Geschäftsordnung bestimmte, dass der Verwaltungsrat seine Tätigkeit „nach den Vorschriften des Gesetzes über Gesellschaften mit beschränkter Haftung" auszuüben hat. Da das GmbHG die Funktionen eines „Beirats" bzw „Verwaltungsrats" überhaupt nicht regelt, den Gesellschaftern jedoch zu unterstellen ist, dass sie mit dieser Formulierung eine bestimmte Absicht verfolgten, ergibt sich schon daraus ein Hinweis auf die - im Gesetz geregelte - Funktion als Aufsichtsrat. Entgegen der Auffassung der Beklagten spricht auch der Bestellmodus nicht gegen diese Absicht. § 30c GmbHG sieht nämlich ausdrücklich vor, dass durch Gesellschaftsvertrag bestimmten Gesellschaftern oder den jeweiligen Inhabern bestimmter Geschäftsanteile das Recht eingeräumt werden kann, Mitglieder in den Aufsichtsrat zu entsenden. Dies wird von der herrschenden Lehre (Koppensteiner aaO § 30c Rz 1; Kastner/Doralt/Nowotny aaO 401 f, Reich-Rohrwig GmbH-Recht I² Rn 4/99) dahin interpretiert, dass der Gesellschaftsvertrag bezüglich aller von den Kapitaleignern zu besetzenden Aufsichtsratssitze die Entsendung anstelle der Bestellung durch Beschluss vorsehen kann. Im vorliegenden Fall wurde dieses Recht betreffend den „Verwaltungsrat" in § 9 des Gesellschaftsvertrages ausdrücklich der Hauptgesellschafterin Marktgemeinde R***** eingeräumt. Die Nominierung durch die Gemeinderatsfraktionen ist als gemeinde(=gesellschafter)interne Willensbildung zu beurteilen, die an der Entsendung durch die Gesellschafterin nichts ändert.

Unterzieht man zunächst die auf dem Gesellschaftsvertrag beruhende, von den Gesellschaftern beschlossene Geschäftsordnung des Verwaltungsrats einer näheren Prüfung, ergibt sich folgendes Bild:

§ 6 Z 3 entspricht § 30j Abs 5 Z 2 iVm Abs 6 GmbHG; die Ziffern 4 und 5 haben ihre Entsprechung in § 30 Abs 5 Z 4 GmbHG; die Z 6 findet in § 30j Abs 5 Z 5 GmbHG Deckung; Z 7 entspricht sogar wörtlich § 30 Abs 5 Z 6 GmbHG. Z 8 findet in § 30j Abs 6 2. Satz GmbHG Deckung. Z 9 (Bestellung, Abberufung des Abschlussprüfers) scheint zwar eine untypische Funktion zu sein, doch kann auch eine solche Funktion im Gesellschaftsvertrag einem Aufsichtsrat zugewiesen werden (Koppensteiner aaO § 22 Rz 25). Z 12 der Geschäftsordnung geht in ihrem Wortlaut noch über die Kompetenz des § 30j Abs 5 Z 9 GmbHG hinaus. Auch die Funktion der Z 13 (Abschluss der Geschäftsführerdienstverträge) ist durch Gesellschaftsvertrag einem Aufsichtsrat übertragbar (Koppensteiner aaO § 15 Rz 21). § 14 (Erlassung einer Geschäftsordnung für die Geschäftsführer) geht zwar über die ausdrücklich im Gesetz genannten Kompetenzen eines Aufsichtsrats hinaus, doch ist es nach § 30 l Abs 4 GmbHG möglich, dem Aufsichtsrat weitere Funktionen zu übertragen (Koppensteiner aaO § 30 l Abs 4 GmbHG Rz 10 f). Lediglich folgende Kompetenzen haben sich die Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag (§ 10 lit a) ausdrücklich vorbehalten, nämlich den Erwerb und die Veräußerung von Beteiligungen, sowie den Erwerb, die Veräußerung und die Stilllegung von Unternehmen und Betrieben (§ 10 lit a Z 3 des GV = § 30j Abs 5 Z 1 GmbHG), die Errichtung und Schließung von Zweigniederlassungen (§ 10 lit a Z 4 des GV = § 30j Abs 5 Z 3 GmbHG), die Aufnahme und Aufgabe von Geschäftszweigen und Produktionsarten (§ 10 lit a Z 5 des GV = § 30j Abs 5 Z 7 GmbHG) sowie die Festlegung allgemeiner Grundsätze der Geschäftspolitik (§ 10 lit a Z 6 des GV = § 30j Abs 5 Z 8 GmbHG).

Es kann aber nicht übersehen werden, dass dem „Verwaltungsrat"

Aufgaben (- für einen Aufsichtsrat zulässig gemäß § 30 l Abs 4 GmbHG:

Koppensteiner aaO § 30 l Abs 4 Rz 10 f; derselbe § 20 Rz 18 -) zugewiesen wurden, welche in ihrer Bedeutung das scheinbare Manko hinsichtlich der bei der Gesellschafterversammlung verbliebenen Kompetenzen jedenfalls kompensieren. So sieht § 6 Z 1 der Geschäftsordnung ein umfassendes Weisungsrecht des „Verwaltungsrats" gegenüber dem Geschäftsführer vor; Z 2 bindet den jährlich von den Geschäftsführern zu erstellenden Wirtschafts- und Investitionsplan an die Zustimmung des „Verwaltungsrats". Das Informationsrecht nach § 10 der Geschäftsordnung entspricht im Wesentlichen § 30j Abs 2 GmbHG. So können sich der Vorsitzende und sein Stellvertreter jederzeit bei den Geschäftsführern über jede Angelegenheit der Gesellschaft informieren. Das Verlangen einzelner Mitglieder betreffend Berichterstattung an den Verwaltungsrat (§ 10 zweiter Satz des Geschäftsordnung) findet in § 30j Abs 2 zweiter Satz GmbHG seine Entsprechung. Soweit die Beklagte die ausdrückliche Zuweisung eines weitergehenden Überwachungsrechts, insbesondere auch durch Bucheinsicht bzw der sonst einem Aufsichtsrat zukommenden Vertretungsrechte vermisst, übersieht sie, dass diese Kompetenzen nicht der Gesellschafterversammlung vorbehalten wurden. Kommen aber, wovon nach obiger Darstellung auszugehen ist, dem „Verwaltungsrat" der Beklagten Kernkompetenzen eines Aufsichtsrats zu, kann kein Zweifel daran bestehen, dass durch die Gleichstellung mit einem Aufsichtsrat auch diese nicht ausdrücklich genannten Kompetenzen von Gesetzes wegen diesem Gremium zukommen.

Die - wegen der Umgehung zwingender Normen insbesondere der Arbeitnehmermitbestimmung - unzulässige Gestaltung führt dazu, dass der „Verwaltungsrat" als Aufsichtsrat zu werten ist und demzufolge auch die Bestimmungen über die Arbeitnehmervertretung (§ 110 ArbVG) Anwendung zu finden haben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.