JudikaturJustiz9ObA129/21t

9ObA129/21t – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. Dezember 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Hon. Prof. Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Prof. Dr. Klaus Mayr (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei R*, vertreten durch Klein, Wuntschek Partner RAe GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei H* GmbH, *, vertreten durch Mag. Doris Braun, Rechtsanwältin in Graz, wegen 2.690,66 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 24. August 2021, GZ 7 Ra 30/21t 39, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits und Sozialgericht vom 15. Oktober 2020, GZ 28 Cga 145/19s 32, nicht Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 418,78 EUR (darin enthalten 69,80 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzten.

Text

Begründung:

[1] Der Kläger war seit 21. 9. 1988 bei der A* GmbH beschäftigt. Diese wurde 2011 mit der Beklagten verschmolzen und im Firmenbuch gelöscht. Das Dienstverhältnis des Klägers ging per 1. 1. 2011 auf die Beklagte über.

[2] Sämtliche Mitarbeiter der A* GmbH unterlagen den Kollektivverträgen der Sparte der Chemischen Industrie, die keine Regelungen über eine Dienstalterszulage aufweisen. Die Beklagte unterliegt dem Kollektivvertrag für Dienstnehmerin/Innen der Versorgungsbetriebe und des zentralen Bereichs der H* GmbH (im Folgenden KV-VSB). Dessen § 15 sieht für jeden/jede Dienstnehmer/in mit Eintritt vor dem 1. 1. 1999 nach einer ununterbrochenen Dienstzeit bei der Beklagten in der Dauer von 20 Jahren einen Anspruch auf Dienstalterszulage vor. Dabei handelt es sich um eine Regelung für jene schon vor 1999 bei der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer, die nicht in das 1998 zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern ausgehandelte neue (günstigere) Gehaltsschema gewechselt sind.

[3] Der Kläger begehrt 2.690,66 EUR brutto an Entgeltdifferenz (Dienstalterszulage) für den Zeitraum 1. 1. 2019 bis 31. 12. 2019 und stützt seinen Anspruch auf § 15 KV VSB. Da sein Dienstverhältnis auf die Beklagte mit allen Rechten und Pflichten übergegangen sei und die Zeiten seiner Beschäftigung bei seinem vormaligen Dienstgeber als Dienstzeiten beim Erwerber (der Beklagten) zu betrachten seien, sei auch sein Anspruch auf Dienstalterszulage gegeben.

[4] Die Beklagte bestreitet und wendet ein, drei Jahre nach der Verschmelzung – somit zum 1. 1. 2014 – sei der Kollektivvertragswechsel im Einverständnis aller Vertragsparteien vereinbart und umgesetzt worden. Im damals mit dem Kläger abgeschlossenen (neuen) Dienstvertrag seien alle Vordienstzeiten zur A* GmbH zur Einstufung in das Gehaltsschema angerechnet und Entgeltdifferenzen durch Zulagen ausgeglichen worden. Die Dienstalterszulage stehe dem Kläger aber nicht zu. § 15 KV VSB stelle eine im Jahr 1999 im Betrieb der Beklagten getroffene Stichtagsregelung dar und begünstige nur mehr jene Dienstnehmer, die vor 1999 bereits bei der Beklagten beschäftigt gewesen und in dem alten Gehaltsschema verblieben seien („Stammarbeiter“). Dieser Gruppierung gehöre der Kläger nicht an.

[5] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Die den Betriebsübergang regelnden Bestimmungen des AVRAG und die dazu ergangene Rechtsprechung sei auch im Fall der Verschmelzung zu beachten. Der Umstand, wonach infolge der Eintrittsautomatik des § 3 Abs 1 AVRAG die beim Veräußerer verbrachten Dienstzeiten so zu beurteilen seien, wie wenn sie beim neuen Arbeitgeber erbracht worden wären, sei nicht mit Stichtagsregelungen für Begünstigungen zu verwechseln. Auch wenn die Dienstzeit des Klägers scheinbar gleich sei wie die eines seit 1988 unmittelbar bei der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmers, verschaffe dies dem Kläger keinen Anspruch auf stichtagsabhängige Begünstigungen der Stammbelegschaft, deren Entlohnung sich noch aus dem alten Gehaltsschema ergebe.

[7] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil der Frage, ob ein Arbeitnehmer dann als Dienstnehmer mit Eintritt vor dem 1. 1. 1999 im Sinn des § 15 KV VSB anzusehen sei, wenn der Betriebsübergang aufgrund einer Verschmelzung zweier Unternehmen erfolgt sei, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.

Rechtliche Beurteilung

[8] Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[9] 1. Nach Art 1 Abs 1 lit a der BetriebsübergangsRL 2001/23/EG ist diese auf den Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber durch „vertragliche Übertragung“ oder „Verschmelzung“ anwendbar. Die §§ 3–6 iVm §§ 1, 16 und 17 AVRAG transformieren die BetriebsübergangsRL in das nationale Recht ( Binder/Mair in Binder/Burger/Mair, AVRAG 3 § 3 Rz 1). Dass von § 3 AVRAG auch die Verschmelzung erfasst ist, ergibt sich explizit aus den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 1077 BlgNR 18. GP 11) und entspricht der herrschenden Lehre ( Maier , Restrukturierung und Arbeitsrecht 2 [2019], Rz 2.41; Binder/Mair in Binder/Burger/Mair , AVRAG 3 § 3 Rz 23). Die Regelungen des AVRAG (als lex specialis gegenüber den allgemeinen zivil und gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen) und die dazu ergangene Rechtsprechung sind daher auch im Fall einer Verschmelzung zu beachten.

[10] 2.1 Mit Stichtagsregelungen werden für – in den Geltungsbereich einer alten Regelung fallende – Arbeitnehmer bestimmte Ansprüche weiter aufrecht erhalten. Stichtagsregelungen können als Fortwirken einer vormals abstrakt abgefassten begünstigenden Regelung verstanden werden und bewirken, dass die von ihnen betroffene Arbeitnehmergruppe bestimmbar und abgeschlossen ist (8 ObA 19/06m). Die Zulässigkeit von Stichtagsregelungen wird nach ständiger Rechtsprechung bejaht, weil der Gleichbehandlungsgrundsatz den Arbeitgeber nicht daran hindert, in zeitlicher Hinsicht zu differenzieren und Vergünstigungen ab einem bestimmten Zeitpunkt den in Betracht kommenden Arbeitnehmern nicht mehr zu gewähren (RS0060204).

[11] 2.2 Die Ansicht, dass die Arbeitnehmer der übernommenen Belegschaft dieses Regelungsziel der Aufrechterhaltung eines bisher zustehenden höheren Entgelts nicht für sich in Anspruch nehmen können, entspricht der bisherigen Rechtsprechung (9 ObA 145/16p mit Hinweisen auf 8 ObA 19/06m und 8 ObA 53/06m). Wie bereits das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, sind zwar auch im vorliegenden Fall die beim Veräußerer verbrachten Dienstzeiten aufgrund des § 3 Abs 1 AVRAG so zu berücksichtigen, wie wenn sie beim neuen Arbeitgeber verbracht worden wären. Davon zu unterscheiden ist aber, ob eine bestimmte Gruppe von Arbeitnehmern im Rahmen der Neuordnung eines Gehaltsschemas eines Kollektivvertrags aus Gründen des Vertrauensschutzes mittels einer Stichtagsregelung besser gestellt werden kann („Stammarbeiter“) als neu eintretende Arbeitnehmer. Die §§ 3 ff AVRAG sollen lediglich vor dem Verlust bestehender Ansprüche schützen, weshalb diese Regelungen und die dazu ergangene Rechtsprechung nicht erfolgreich zur Begründung eines Anspruchs herangezogen werden können, der dem Kläger ohne Betriebsübergang im Betrieb des Veräußerers nicht zugestanden wäre.

[12] 3. Da die Revision des Klägers keine Gründe aufzeigt, die ein Abweichen von den bisherigen Vorentscheidungen erfordern würde, ist sie mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

[13] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.