JudikaturJustiz9Ob53/19p

9Ob53/19p – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. Oktober 2019

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.

Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte Hon. Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Stefula als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj K*****, geboren ***** 2006, wegen Unterhalts, infolge Revisionsrekurses der Minderjährigen, vertreten durch die Wiener Kinder- und Jugendhilfe, Bezirke 2, 20, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 29. Mai 2019, AZ 45 R 272/19m, mit dem der Rekurs der Minderjährigen, vertreten durch die Wiener Kinder- und Jugendhilfe, Bezirke 2, 20, gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 21. März 2019, GZ 5 Pu 169/09a 98, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird ersatzlos behoben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung unter Abstandnahme vom herangezogenen Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Text

Begründung:

Die Minderjährige ist die Tochter von M***** und H*****. Mit Beschluss des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 3. 8. 2016 wurde für die Mutter unter anderem für die Vertretung vor Gerichten ein Sachwalter bestellt.

Mit Beschluss des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 21. 8. 2017 wurde ausgesprochen, dass die Obsorge für die Minderjährige in den Teilbereichen der Vermögensverwaltung und der gesetzlichen Vertretung dem Kinder- und Jugendhilfeträger zusteht.

Am 30. 1. 2019 stellte der Vater den Antrag, seine Unterhaltsverpflichtung von zuletzt 375 EUR monatlich ab Dezember 2018 herabzusetzen. Der Antrag wurde der nunmehrigen Erwachsenenvertreterin der Mutter zur Äußerung zugestellt. Die Wiener Kinder- und Jugendhilfe wurde dem Verfahren nicht beigezogen.

Mit Beschluss des Erstgerichts vom 21. 3. 2019 wurde die Unterhaltsverpflichtung des Vaters ab 1. 12. 2018 bis auf weiteres, längstens jedoch bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes, auf 368 EUR monatlich herabgesetzt und der darüber hinausgehende Antrag des Vaters, seine Unterhaltsverpflichtung für den Monat März 2019 auf 347 EUR herabzusetzen, abgewiesen.

Dieser Beschluss wurde zunächst nur dem Erwachsenenvertreter der Mutter und dem Vater zugestellt, erst auf ausdrücklichen Antrag auch der Wiener Kinder- und Jugendhilfe.

Den gegen diesen Beschluss von der Minderjährigen, vertreten durch die Wiener Kinder- und Jugendhilfe, erhobenen Rekurs wies das Rekursgericht zurück. Gemäß § 1503 Abs 9 Z 5 ABGB sei § 158 ABGB in der Fassung des 2. Erwachsenenschutz-Gesetzes, BGBl I /2017/59 (2. ErwSchG) auf die Ausübung und Betrauung mit der Obsorge nach dem 30. 6. 2018, sohin auch auf den vorliegenden Fall, anzuwenden. Nach der Neuregelung sei ein nicht voll geschäftsfähiger Elternteil nicht mehr ex lege von der gesetzlichen Vertretung für sein Kind ausgeschlossen. Vielmehr habe das Gericht bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 181 Abs 1 ABGB die zur Sicherung des Wohles des Kindes nötigen Verfügungen zu treffen. Solche Verfügungen seien im konkreten Fall nach Inkrafttreten des 2. ErwSchG aber nicht erfolgt. Daher sei seit 1. 7. 2018 die Wiener Kinder- und Jugendhilfe nicht mehr zur Vertretung der Minderjährigen befugt. Sie sei daher auch nicht rekurslegitimiert.

Den Revisionsrekurs erachtete das Rekursgericht für zulässig, weil noch keine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage bestehe, ob durch Inkrafttreten des 2. ErwSchG ein Elternteil, der durch einen Erwachsenenvertreter vertreten sei, zur Gänze obsorgeberechtigt sei, obwohl vor Inkrafttreten des 2. ErwSchG der Kinder- und Jugendhilfeträger gemäß § 158 Abs 2 ABGB aF beschlussmäßig mit der Obsorge in den Teilbereichen Vermögensverwaltung und gesetzliche Vertretung betraut worden sei.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Revisionsrekurs der Minderjährigen, vertreten durch die Wiener Kinder- und Jugendhilfe, mit dem Antrag den Beschluss des Rekursgerichts aufzuheben und dem Rekursgericht die inhaltliche Entscheidung über den Rekurs unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.

Der Vater beteiligte sich nicht am Revisionsrekursverfahren.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus den vom Rekursgericht genannten Gründen zulässig. Er ist auch berechtigt.

Nach § 158 Abs 2 ABGB idF vor dem 2. ErwSchG hatte ein Elternteil, solange er nicht voll geschäftsfähig war, nicht das Recht und die Pflicht, das Vermögen des Kindes zu verwalten und das Kind zu vertreten. Dies galt unabhängig davon, für welchen Bereich der Sachwalter bestellt war ( Deixler Hübner/Schauer , Erwachsenenschutzrecht Handbuch 219). Dieser Ausschluss trat kraft Gesetzes ein und war amtswegig zu berücksichtigen (vgl 7 Ob 185/02k).

Durch das 2. ErwSchG wurde die Regelung dahingehend novelliert, dass grundsätzlich nur mehr ein minderjähriger Elternteil von der Vermögensverwaltung und Vertretung des Kindes ausgeschlossen ist. Ein volljähriger Elternteil muss, um sein Kind vertreten und dessen Vermögen verwalten zu können, über jene Entscheidungsfähigkeit verfügen, die ein Handeln in eigenen Angelegenheiten erfordert; § 181 ABGB ist sinngemäß anzuwenden (§ 158 Abs 2 ABGB nF).

In der Regierungsvorlage (ErläutRV 1461 der BlgNr 25. GP 11) heißt es dazu: „Die gesetzliche Beschränkung der Obsorge in Abs. 2 soll nur noch für minderjährige Eltern gelten. Ein volljähriger Elternteil muss dagegen jene Entscheidungsfähigkeit aufweisen, die er für ein Handeln in eigenen Angelegenheiten benötigen würde. Fehlt einem Elternteil etwa die Entscheidungsfähigkeit für Entscheidungen in medizinischen Angelegenheiten, so kann er in diesem Bereich auch nicht sein Kind vertreten. Fehlt ihm dagegen lediglich in Vermögensangelegenheiten die Geschäftsfähigkeit, so kann er in medizinischen Angelegenheiten wirksam für das Kind auftreten. Diese Vorschrift des Abs. 2 zweiter Satz führt jedoch nicht 'ex lege' zur Beschränkung der Obsorge des betroffenen Elternteils, es bedarf vielmehr der gerichtlichen Entscheidung nach § 181 ABGB. Festzuhalten ist, dass der Umstand allein, dass eine Vorsorgevollmacht oder Erwachsenenvertretung wirksam ist, bei dieser Entscheidung keine Rolle spielen kann. (...) Fehlt einem volljährigen Elternteil in bestimmten Angelegenheiten die Entscheidungsfähigkeit, soll – der UN Behindertenrechtskonvention Rechnung tragend – an die Stelle eines automatischen Ausschlusses von der Obsorge eine Einzelfallentscheidung treten: Ist durch dessen mangelnde Vertretungs- und Vermögensverwaltungsbefugnis das Kindeswohl gefährdet, so hat ihm das Pflegschaftsgericht – von wem immer es angerufen wird – insoweit die Obsorge zu entziehen und diese entweder nach § 178 Abs. 1 ABGB dem anderen Elternteil, einem Großelternteil oder einem Pflegeelternteil oder nach § 209 dem Kinder- und Jugendhilfeträger zu übertragen.“

Die §§ 158 und 207 ABGB in der Fassung nach dem 2. ErwSchG sind nach § 1503 Abs 9 Z 5 ABGB auf die Ausübung und Betrauung mit der Obsorge nach dem 30. 6. 2018 anzuwenden.

Das bedeutet nach der Regierungsvorlage (ErläutRV 1461 der BlgNr 25. GP 58), „dass ein Elternteil, der unter Sachwalterschaft oder Erwachsenenvertretung steht, ab 1. Juli 2018 sein Kind vertreten kann, soweit er in eigenen Angelegenheiten für sich rechtswirksam handeln kann. Da ab dem 1. Juli 2018 § 207 in der neuen (reduzierten) Fassung anzuwenden ist, ist der Kinder- und Jugendhilfeträger in Fällen, in denen einem volljährigen Elternteil die Entscheidungsfähigkeit fehlt, nicht mehr kraft Gesetzes mit der Obsorge im Bereich der Vermögensverwaltung und der Vertretung betraut, sondern – unmittelbar aufgrund des Gesetzes – dieser Elternteil. Bis zum 1. Juli 2018 wäre daher das Pflegschaftsgericht anzurufen, das – im Fall einer durch die mangelnde Entscheidungsfähigkeit des Elternteils resultierenden Kindeswohlgefährdung – diesem die Obsorge zu entziehen und damit entweder nach § 178 Abs. 1 den anderen (unverheirateten) Elternteil, einen Großelternteil oder einen Pflegeelternteil oder nach § 209 den Kinder- und Jugendhilfeträger zu betrauen hat.“

Grundsätzlich ist daher dem Rekursgericht darin zuzustimmen, dass die nach § 158 Abs 2 ABGB idF vor dem 2. ErwSchG ex lege gegebene Beschränkung der Vertretungsbefugnis des unter Sachwalterschaft stehenden Elternteils mit Inkrafttreten der Novelle (1. 7. 2018) ex lege wegfällt. Die dadurch bestehende (volle) Vertretungsbefugnis kann dann nur durch gerichtliche Entscheidung im Fall einer durch die mangelnde Entscheidungsfähigkeit des Elternteils resultierenden Kindeswohlgefährdung beschränkt werden (vgl dazu auch Gitschthaler in Schwimann/Kodek , Praxiskommentar 5 § 158 ABGB Rz 11; Zierl/Schweighofer , Wimberger , Erwachsenenschutzrecht 2 Rz 697; Barth/Ganner , Handbuch Erwachsenenschutzrecht 3 361).

Der vorliegende Fall ist jedoch dadurch gekennzeichnet, dass die Vermögensverwaltung und gesetzliche Vertretung mit Beschluss der Wiener Kinder- und Jugendhilfe ausdrücklich eingeräumt wurde. Dass ein solcher Beschluss nach der Intention des Gesetzgebers nicht allein durch das Inkrafttreten des 2. ErwSchG an Wirksamkeit verlieren sollte, kann schon daraus abgeleitet werden, dass in der Regierungsvorlage ausdrücklich auf die Notwendigkeit verwiesen wird, im Fall der mangelnden Entscheidungsfähigkeit des besachwalteten Elternteils vor dem 1. 7. 2018 eine Beschlussfassung über die Entziehung der Obsorge und Übertragung auf eine geeignete Person herbeizuführen, damit es nicht durch Inkrafttreten des Gesetzes zu einer vollen Vertretungsbefugnis kommt.

Damit ergibt sich aber, dass in den Fällen, in denen nach der Rechtslage vor Inkrafttreten des 2. ErwSchG die Vertretungsbefugnis für das Kind einer besachwalteten Person mit Beschluss einer dritten Person eingeräumt wurde, deren Vertretungsbefugnis auch nach Inkrafttreten des 2. ErwSchG aufrecht bleibt, solange diese Befugnis nicht durch gerichtliche Verfügung aufgehoben wurde.

Inwieweit daneben aufgrund der Gesetzesänderung auch eine Vertretungsbefugnis der Mutter besteht, muss im vorliegenden Fall, in dem es nur um die Berechtigung der Wiener Kinder- und Jugendhilfe zur Vertretung der Minderjährigen im Unterhaltsverfahren geht, nicht geklärt werden.

Dem Revisionsrekurs war daher Folge zu geben, die Entscheidung des Rekursgerichts ersatzlos zu beheben und ihm die Entscheidung über den Rekurs unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.