JudikaturJustiz8Os113/61

8Os113/61 – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. März 1961

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. März 1961 unter dem Vorsitz des Rates des Obersten Gerichtshofs Dr. Prinz und in Gegenwart der Räte des Obersten Gerichtshofs Dr. Heidrich, Dr. Mayer, Dr. Bröll und Dr. Möller als Richter, dann des Richteramtsanwärters Dr. Oberhammer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Paul P***** wegen des Verbrechens der Verführung zur Unzucht nach dem § 132 III StG und der Übertretung gegen die öffentliche Sittlichkeit nach dem § 516 StG über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 29. September 1960, GZ 7 b Vr 3047/60 36, und gegen die Erlassung der Strafvollzugsanordnung dieses Gerichts vom selben Tage erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrags des Berichterstatters, Rat des Obersten Gerichtshofs Dr. Mayer, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Staatsanwalt Dr. Klee, zu Recht erkannt:

Spruch

Durch den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 29. 9. 1960, GZ 7 b Vr 3047/60 36, womit die von dem Verurteilten vom 22. 8. 1960 bis 20. 9. 1960 in Haft zugebrachte Zeit als andere als in Strafhaft zugebrachte Haft zur Gänze gemäß § 400 StPO auf die Freiheitsstrafe angerechnet wurde, sowie durch die am gleichen Tage erlassene Strafvollzugsanordnung, womit der Beginn des Strafvollzugs mit dem 20. 9. 1960 bestimmt wurde, ist das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 397 und 400 StPO verletzt.

Dieser Beschluss und die erwähnte Strafvollzugsanordnung werden aufgehoben. Es wird erkannt, dass die von Paul P***** in der Zeit vom 22. 8. 1960, 8 Uhr, bis 30. 8. 12 Uhr, in anderer Haft als Strafhaft zugebrachte Zeit gemäß § 400 StPO auf die erkannte Freiheitsstrafe angerechnet wird. Gleichzeitig wird das Landesgericht für Strafsachen Wien angewiesen, eine dem angeführten Zeitraum der Haftanrechnung entsprechende Strafvollzugsanordnung (mit dem Strafantritt 30. 8. 1960, 12 Uhr) zu erlassen.

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 13. 7. 1960, GZ 7 b Vr 3047/60 25, wurde Paul P***** wegen Verbrechens der Verführung zur Unzucht nach dem § 132 III StG sowie wegen der Übertretung gegen die öffentliche Sittlichkeit nach dem § 516 StG schuldig erkannt und hiefür nach dem § 133 StG unter Anwendung der §§ 35 und 55 StG und unter Bedachtnahme gemäß § 265 StPO auf die Urteile des Jugendgerichtshofs Wien vom 14. 10. 1959, AZ 7 U 861/59, und vom 10. 3. 1960, AZ 9 U 26/60, zu einer schweren verschärften Kerkerstrafe in der Dauer eines Jahres verurteilt. Die Vorhaft vom 20. 4. 960, 12 Uhr, bis 22. 6. 1960, 12 Uhr, wurde gemäß § 55a StG auf die Strafe angerechnet. Vom 22. 6. 1960 bis 22. 8. 1960 hat Paul P***** die mit Urteil des Jugendgerichtshofs Wien vom 10. 3. 1960 zu 9 U 26/60 wegen § 1 USchG verhängte strenge Arreststrafe in der Dauer von zwei Monaten verbüßt.

Am 30. 8. 1960 zog der Angeklagte Paul P***** die in der Hauptverhandlung am 13. 7. 1960 angemeldete Nichtigkeitsbeschwerde zurück (ON 31), hielt jedoch die gleichzeitig angemeldete Berufung punkto Strafe aufrecht, wobei er ersuchte, die Strafe sofort antreten zu können. Seiner Berufung wurde mit Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 20. 9. 1960, AZ 10 Bs 558/60 (ON 34 dA) nicht Folge gegeben. Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien ON 36 dA - wurde Paul P***** die „nach der Fällung des Urteils erster Instanz in anderer als Strafhaft unverschuldet zugebrachte Haft“ vom 22. 8. 1960, 8 Uhr, bis 20. 9. 1960, 12 Uhr, auf die Strafe angerechnet (§ 400 StPO).

Dieser Beschluss und die daraufhin am gleichen Tage erlassene Strafvollzugsanordnung, in der als Tag des Strafantritts der 20. 9. 1960 bestimmt wird, stehen mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Nach dem § 397 Abs 1 StPO ist jedes Strafurteil ungesäumt in Vollzug zu setzen, sobald feststeht, dass der Vollstreckung - unter anderem - kein rechtzeitig und von einem hiezu Berechtigten ergriffenes Rechtsmittel entgegensteht, dem das Gesetz aufschiebende Wirkung beimisst.

Im vorliegenden Falle hat Paul P***** am 30. 8. 1960 das den Strafvollzug bis dahin hindernde Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde (§ 284 Abs 3 StPO) zurückgezogen. Da sich die weiterhin gegen das Urteil aufrecht gebliebene Berufung nach dem Berufungsantrag und wie sich auch aus der besagten Erklärung des Paul P***** vom 30. 8. 1960 unzweifelhaft entnehmen lässt nur gegen das Strafausmaß richtete, kam diesem Rechtsmittel im Hinblick auf die weitere Erklärung des Angeklagten, die Strafe einstweilen antreten zu wollen, gleichfalls aufschiebende Wirkung nicht zu (§ 294 Abs 1 StPO). Der Anordnung des Strafvollzugs mit 30. 8. 1960 wäre mithin nichts im Wege gestanden. Unter diesem Gesichtspunkt wäre aber des Weiteren bei richtiger Anwendung der Bestimmung des § 400 StPO lediglich die von dem Verurteilten vom 22. 8. 1960 bis 30. 8. 1960 in Haft zugebrachte Zeit auf die Freiheitsstrafe anzurechnen gewesen; denn nur für diesen Fall wäre der in der erwähnten Bestimmung getroffenen Anordnung - bei Zutreffen der hier vorliegenden Voraussetzung, dass die Untersuchungshaft nicht verschuldet wurde - entsprochen worden, wonach allein die Zeit, die der Verurteilte nach Fällung des Urteils I. Instanz in anderer Haft als Strafhaft zugebracht hat, auf die Freiheits- oder Geldstrafe anzurechnen ist.

Bei der gegebenen Sach- und Rechtslage war es mithin verfehlt, die gesamte Zeit, während welcher sich der Verurteilte nach Fällung des Urteils I. Instanz vom 22. 8. 1960 bis 20. 9. 1960 in Haft befand, als eine andere denn als Strafhaft zugebrachte Haft auf die Freiheitsstrafe anzurechnen und demzufolge auch unrichtig mit der diesem Beschluss folgenden Strafvollzugsanordnung den Tag des Strafantritts mit 20. 9. 1960 anstatt richtig mit 30. 8. 1960 zu bestimmen. Zwar ändert dies einerseits nichts an der Dauer des den Verurteilten treffenden Freiheitsentzugs, kann aber andererseits gemessen an der bloßen Aussicht auf schließliche Anrechnung der fortdauernden Haft auf die Strafe - wesentliche Interessen des Verurteilten, die Strafe ungesäumt anzutreten, beeinträchtigen, wie sich beispielsweise auch aus § 12 BedVerurtG 1949 in der Fassung des Strafrechtsänderungsgesetzes 1960 über die Mindestdauer der eigentlichen Strafhaft ergibt (vgl SSt VI/93).

Der von der Generalprokuratur erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war daher Folge zu geben und wie im Spruche zu erkennen.