JudikaturJustiz8ObS9/12z

8ObS9/12z – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Dezember 2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofräte Hon. Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann und Harald Kohlruss als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei J***** F*****, gegen die beklagte Partei IEF Service GmbH, Geschäftsstelle St. Pölten, 3100 St. Pölten, Grenzgasse 11/4, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17 19, wegen 1.532,37 EUR netto (Insolvenz Entgelt), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12. April 2012, GZ 7 Rs 180/11h 11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 29. September 2011, GZ 6 Cgs 228/10a 6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom 1. 7. 2003 bis zu seinem vorzeitigen Austritt am 13. 7. 2010 als Arbeiter bei der späteren Gemeinschuldnerin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis war der Kollektivvertrag für Arbeiter im eisen und metallverarbeitenden Gewerbe (KV) anzuwenden. Über das Vermögen der Gemeinschuldnerin wurde am 8. 7. 2010 das Insolvenzverfahren als Konkursverfahren eröffnet. Schon früher war es zu Zahlungsverzögerungen gekommen, sodass der Kläger mit einer am 29. 3. 2010 bei Gericht eingelangten Klage unter anderem auch den noch im Revisionsverfahren zu behandelnden Anspruch auf Weihnachtsremuneration für das Jahr 2009 geltend machte. Der infolge der Mahnklage erlassene Zahlungsbefehl erwuchs unangefochten in Rechtskraft.

Der Kläger begehrte Insolvenz-Entgelt im Ausmaß von 1.634 EUR an Weihnachtsremuneration für den Zeitraum 1. 1. 2009 bis 28. 9. 2009 zuzüglich Zinsen und anteiligen Prozesskosten. Er brachte dazu vor, dass der Anspruch auf Weihnachtsremuneration erst mit Ablauf des Jahres 2009 entstanden sei und gemäß Art XVIII Abs 2 KV nicht vor dem 4. 12. 2009 geltend gemacht hätte werden können. Durch die am 29. 3. 2010 bei Gericht eingebrachte Mahnklage sei daher die Frist des § 3a Abs 1 Satz 2 IESG betreffend den gesamten Anspruch auf Weihnachtsremuneration 2009 gewahrt worden.

Die Beklagte wandte gegen das der Höhe nach nicht strittige Begehren des Klägers zusammengefasst ein, dass § 3a Abs 1 Satz 2 IESG nicht auf die Fälligkeit, sondern auf das Entstehen eines Anspruchs abstelle. Ansprüche auf Sonderzahlungen entstünden jedoch nicht an einem bestimmten Stichtag, sondern laufend und aliquot zur Dauer der zurückgelegten Dienstzeit. Infolge der am 29. 3. 2010 bei Gericht eingebrachten Klage sei die Weihnachtsremuneration für das Jahr 2009 daher nur für den Zeitraum 29. 9. 2009 bis 31. 12. 2009 gesichert.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren in Höhe von 1.532,37 EUR netto statt und wies das Mehrbegehren von 101,63 EUR ab. Die Abweisung des Mehrbegehrens erwuchs mangels Anfechtung in Rechtskraft. Eine Sicherung des Anspruchs auf Weihnachtsremuneration komme hier lediglich gemäß § 3a Abs 1 Satz 2 1. Fall IESG in Frage. Danach seien alle Ansprüche gesichert, die binnen sechs Monaten nach ihrem Entstehen gerichtlich geltend gemacht werden. Gemäß Art XVIII Z 1 KV hätten alle am 1. Dezember beschäftigten Arbeitnehmer Anspruch auf eine Weihnachtsremuneration im Ausmaß von 4 1/3 Wochenverdiensten. Nach dieser Bestimmung entstehe der Anspruch auf Weihnachtsremuneration daher nicht „schrittweise“ mit fortlaufender Dauer des Arbeitsverhältnisses, sondern zur Gänze am 1. Dezember eines Jahres. Ausgehend davon sei die arbeitsgerichtliche Klage am 29. 3. 2010 fristgerecht im Sinn des § 3a Abs 1 Satz 2 IESG, sodass die Ansprüche des Klägers gesichert seien.

Das Berufungsgericht gab der von der Beklagten gegen dieses Urteil erhobenen Berufung nicht Folge. Maßgeblich für die hier zu prüfende Sicherung gemäß § 3a Abs 1 Satz 2 IESG sei nicht die Fälligkeit, sondern das Entstehen eines Anspruchs. Sonderzahlungen könnten nach dem Anwartschafts oder Stichtagsprinzip konstruiert sein. Welches dieser Prinzipien anzuwenden sei, unterliege der Vertragsfreiheit der Kollektivvertragsparteien. Der hier anzuwendende Kollektivvertrag sehe ein gemischtes System vor, weil gemäß Art XVIII Z 3 KV der Anspruch anteilig erworben werde, während er gemäß Art XVIII Z 1 KV mit Erreichen des 1. Dezember fällig werde und als zur Gänze entstanden anzusehen sei. Mit der Änderung des § 3a Abs 1 IESG mit dem BBG 2001, BGBl I 2000/142, habe der Gesetzgeber sicherstellen wollen, dass mehr als sechs Monate vor dem Stichtag entstandene Ansprüche bei zeitgerechter gerichtlicher Geltendmachung weiterhin gesichert seien. Eine sachlich nicht gerechtfertigte Verlagerung des wirtschaftlichen Risikos auf den Insolvenz Entgelt Fonds solle verhindert werden. Gemäß Art XVIII KV habe der Kläger den Anspruch auf Weihnachtsremuneration erst am 1. 12. 2009 erworben, sodass die gerichtliche Geltendmachung im Sinn des § 3a Abs 1 Satz 2 IESG fristgerecht erfolgt sei. Vor diesem Zeitpunkt hätte der Kläger den Anspruch gar nicht gerichtlich geltend machen können. Es könne nicht von zeitlichen Zufälligkeiten abhängen, ob der Anspruch auf Weihnachtsremuneration zur Gänze geltend gemacht werden könne, sodass der vom Kläger geltend gemachte Anspruch zur Gänze gesichert sei.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung zur Frage des Entstehens von Ansprüchen auf Weihnachtsremuneration unter Berücksichtigung des § 3a Abs 1 IESG fehle.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Kläger nicht beantwortete Revision der Beklagten.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.

1. Die Revisionswerberin vertritt auch in der Revision die Ansicht, dass § 3a Abs 1 Satz 2 IESG nicht auf die Fälligkeit, sondern auf das Entstehen des Anspruchs abstelle und wie jede Ausnahmebestimmung eng auszulegen sei. Da der Anspruch auf Weihnachtsremuneration nach dem Anwartschaftsprinzip aliquot mit der vom Arbeitnehmer erbrachten Arbeitsleistung entstehe, was sich hier insbesondere auch aus Art XVIII Z 3 KV ergebe, seien ausgehend vom Zeitpunkt der Einbringung der Mahnklage am 29. 3. 2010 nur die ab dem 29. 9. 2009 noch entstandenen Ansprüche auf Weihnachtsremuneration 2009 gesichert.

2. Gemäß § 3a Abs 1 IESG gebührt Insolvenz Entgelt für das dem Arbeitnehmer gebührende Entgelt einschließlich der gebührenden Sonderzahlungen, das in den letzten sechs Monaten vor dem Stichtag (§ 3 Abs 1 IESG) oder, wenn das Arbeitsverhältnis vor dem Stichtag geendet hat, in den letzten sechs Monaten vor dessen arbeitsrechtlichem Ende fällig geworden ist. Diese Voraussetzungen liegen hier unstrittig nicht vor. Nach dem für dieses Verfahren wesentlichen ersten (Ausnahme )Fall des § 3a Abs 1 Satz 2 IESG gilt die Frist von sechs Monaten nicht, soweit Ansprüche auf Entgelt binnen sechs Monaten nach ihrem Entstehen (8 ObS 206/02f mwH; 8 ObS 7/10b) gerichtlich (vgl 8 ObS 11/10s) oder im Rahmen eines in Normen der kollektiven Rechtsgestaltung vorgesehenen Schlichtungsverfahrens oder eines Verfahrens vor der Gleichbehandlungskommission zulässigerweise geltend gemacht wurden und das diesbezügliche Verfahren gehörig fortgesetzt wird.

3. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Weihnachtsremuneration für das Jahr 2009 hat seine Grundlage in Art XVIII KV. Diese Bestimmung lautet (in der ab 1. 1. 2009 geltenden Fassung) auszugsweise:

XVIII WEIHNACHTSREMUNERATION

1. Alle am 1. Dezember beschäftigten Arbeitnehmer haben Anspruch auf eine Weihnachtsremuneration im Ausmaß von 4 1/3 Wochenverdiensten.

2. Die Auszahlung der Weihnachtsremuneration hat spätestens am Ende jener Arbeitswoche zu erfolgen, in die der 1. Dezember fällt.

3. Arbeitnehmer, die am 1. Dezember noch nicht ein Jahr im Betrieb beschäftigt sind oder deren Arbeitsverhältnis vor dem 1. Dezember endet, haben Anspruch auf einen ihrer Dienstzeit entsprechenden Teil der Weihnachtsremuneration (je Woche ein Zweiundfünfzigstel). [...]“

4. Die arbeitsrechtliche Qualifikation eines Anspruchs, etwa bei der Beurteilung des Aliquotierungsgebots gemäß § 16 AngG, ist von der nach dem IESG zu beantwortenden Frage der Sicherung eines solchen Anspruchs im Hinblick auf die nicht unbedingt deckungsgleichen Interessenlagen, Zielsetzungen und Wertungen des Gesetzgebers in diesen verschiedenen Rechtsbereichen zu unterscheiden (so bereits 8 ObS 1/10w). Das Berufungsgericht hat zutreffend auf den Sicherungszweck des § 3a Abs 1 IESG hingewiesen und ausgeführt, dass der Gesetzgeber mit der in § 3a Abs 1 Satz 2 1. Fall IESG (idF BBG 2001, BGBl I 2000/142) normierten Ausnahme von der Regel des § 3a Abs 1 Satz 1 IESG die Absicht verfolgte, dass die Ansprüche des Arbeitnehmers vor der Insolvenz dann begrenzt sein sollen, wenn der Arbeitnehmer keinerlei zeitgerechte Maßnahmen zu deren Rechtsdurchsetzung setzt (8 ObS 7/10b; 369 BlgNR XXI. GP 14). Nach dieser für die Frage der Sicherung seines Anspruchs maßgebenden Sichtweise hat aber der Kläger seine Klage zeitgerecht eingebracht: Aus Art XVIII Z 2 KV, der die Fälligkeit des Anspruchs auf Weihnachtsremuneration regelt, ergibt sich, dass die Geltendmachung des gesamten Anspruchs für ein Kalenderjahr vor dem Ende der Arbeitswoche, in die der 1. Dezember fällt, für den Arbeitnehmer gar nicht möglich ist. Ausgehend vom Zeitpunkt seiner Fälligkeit hat aber der Kläger seinen Anspruch innerhalb der in § 3a Abs 1 Satz 2 IESG genannten Frist geltend gemacht.

Die Vorinstanzen sind daher zutreffend zum Ergebnis gelangt, dass die hier noch verfahrensgegenständlichen Ansprüche des Klägers zur Gänze gesichert sind.

Der Revision war daher nicht Folge zu geben.

Verfahrenskosten wurden nicht geltend gemacht, sodass eine Kostenentscheidung zu entfallen hatte.