JudikaturJustiz8ObA53/08i

8ObA53/08i – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. Oktober 2008

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Spenling und die Hofrätin Dr. Lovrek und die fachkundigen Laienrichter Dr. Lukas Stärker und Mag. Manuela Majeranowski als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. Guntram E*****, vertreten durch Dr. Karl-Heinz Plankel, Dr. Herwig Mayrhofer, Dr. Manuela Schipflinger, Mag. Stefan Ganahl, Rechtsanwälte in Dornbirn, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen Feststellung, über die außerordentliche Revision der Beklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 20. Mai 2008, GZ 15 Ra 29/08i-16, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Die über viele Seiten ungewohnt polemischen und unsachlichen, da nicht fallbezogen argumentierenden Ausführungen in der außerordentlichen Revision der Beklagten, die sich gegen die Rechtsprechung der Gerichte (in Arbeitsrechtssachen) im Allgemeinen und gegen das Berufungsgericht im Besonderen richten, entziehen sich per se einer Rechtsfragenprüfung nach § 502 Abs 1 ZPO; sie zeigen vielmehr, dass die Verfasser der Rechtsmittelschrift den eigentlichen (und ausschließlichen) Rechtsgrund für die Stattgebung des Feststellungsbegehrens durch die Vorinstanzen weiterhin verkennen:

Es geht nämlich im vorliegenden Verfahren gerade nicht darum, dass das Verhalten des Klägers - dem vorgeworfen wird, sich im Rahmen einer Projektwoche im Ausland vom 18. bis 24. 3. 2007, an der er als Begleitlehrer teilgenommen hat, Alkoholmissbrauch betrieben und im Zuge dessen Schülerinnen sexuell belästigt zu haben - den Kündigungsgrund des § 32 Abs 2 Z 1 VBG nicht verwirklichte. Weder das Erstgericht noch das Berufungsgericht haben eine entsprechende Rechtsauffassung zum Ausdruck gebracht. Die Vorinstanzen haben das Klagebegehren vielmehr ausschließlich aufgrund folgender maßgeblicher Fakten abgewiesen:

Nach den gegen den Kläger erhobenen Vorwürfen wurden fünf Schülerinnen und ein Schüler, die an der Projektwoche teilnahmen, von der Leiterin der Rechtsabteilung im Landesschulrat für V***** im Beisein des Landesschulinspektors und einer Psychologin am 29. 3. 2007 befragt. Am 30. 3. 2007 wurde der Kläger mit den erhobenen Vorwürfen konfrontiert und der Leiter der Projektwoche befragt. Zum Zeitpunkt der Befragung war sowohl der Leiterin der Rechtsabteilung als auch dem Landesschulinspektor der Bericht des Schuldirektors bekannt, der ebenfalls mit den betroffenen Schülerinnen und dem Kläger Gespräche geführt hatte, wobei der Schuldirektor durch einen Bericht des Projektleiters über die Vorkommnisse bereits am 26. 3. 2007 informiert worden war. Die Angaben der Genannten bei den Befragungen am 29. und 30. 3. 2007 wurden umfassend dokumentiert. In einem am 4. 4. 2007 abgefertigten, mit 30. 3. 2007 datiertem Schreiben, das mit „Ermahnung" überschrieben ist, hielt die Leiterin der Rechtsabteilung im Landesschulrat dem Kläger gegenüber ua fest:

„Auf Grund der Mitteilung seitens der Direktion der Schule sowie auf Grund der vom zuständigen Landesschulinspektor ... und Frau ... [Leiterin der Rechtsabteilung] mit Ihnen, dem Leiter der Projektwoche, den betroffenen Schüler/innen sowie der Psychologin ... am 29. und 30. März 2007 im Landesschulrat geführten Gespräche ist festzustellen, dass Sie während der Rom-Woche der 6. Klassen wiederholt offen vor den Schüler/innen übermäßig Alkohol konsumiert und in der Folge verbale sowie auch körperliche Übergriffe und Distanzlosigkeiten gegenüber den Schüler/innen gesetzt haben. Dies haben Sie im Gespräch vom 30. März nicht bestritten, auf Grund der starken Alkoholisierung konnten Sie sich jedoch nicht mehr an alle Übergriffe erinnern.

Durch Ihr Verhalten haben Sie Ihre Aufgaben und Pflichten als Lehrer nach §§ 17 Abs 1 und 51 des Schulunterrichtsgesetzes sowie Ihre Dienstpflichten gemäß § 5 des Vertragsbedienstetengesetzes gröblich verletzt. Der Landesschulrat sieht sich daher veranlasst, Ihnen eine Ermahnung auszusprechen. Sie werden nachdrücklich darauf hingewiesen, dass Sie sich sowohl im Dienst wie auch außerhalb des Dienstes Ihrer Stellung als Lehrer entsprechend angemessen und ehrenhaft zu betragen haben. Es wird klargestellt, dass ein weiteres Fehlverhalten dienstrechtliche Konsequenzen und eine Kündigung des Dienstverhältnisses nach sich ziehen wird."

Ferner nimmt das Schreiben Bezug auf anlässlich des Gesprächs im Landesschulrat am 30. 3. 2007 vereinbarte weitere Schritte (ua Entschuldigung des Klägers bei Schülern und Eltern; Inanspruchnahme professioneller Hilfe und Therapie).

Nach einer am 13. 4. 2007 verfügten vorläufigen Suspendierung, sprach der Landesschulrat für V***** mit Schreiben vom 30. 8. 2007 die Kündigung des Dienstverhältnisses des Klägers zum 30. 11. 2007 aus. Die auf diesen Sachverhaltsfeststellungen basierende Rechtsauffassung des Berufungsgerichts - die im Rechtsmittel ua als „Faustschlag ins Gesicht", „niederschmetternd" und „Skandal der österreichischen Gerichtsbarkeit" tituliert wird -, dass die Beklagte durch die (zunächst bloße) Ermahnung vom 30. 3. 2007 auf ihr Kündigungsrecht wegen der Vorfälle während der Projektwoche verzichtet habe, beruht entgegen der in der außerordentlichen Revision vertretenen Auffassung nicht bloß auf einer vertretbaren Rechtsmeinung, sondern auf gefestigter Rechtsprechung: Hat nämlich der Dienstgeber ihm zur Kenntnis gelangte Vorfälle (bloß) zum Anlass für eine Ermahnung genommen, kann diese Erklärung nach herrschender Lehre und ständiger Rechtsprechung nur dahin verstanden werden, dass der Dienstgeber auf das Recht, den Dienstnehmer wegen dieses Verhaltens zu entlassen (bzw wie hier nach dem VBG zu kündigen), verzichtet hat (RIS-Justiz

RS0029023; RIS-Justiz RS0082268 [T1]; 4 Ob 137/65 = Arb 8161; 14 Ob

64/86 = DRdA 1987/20 [Wachter]; 9 ObA 74/89; 9 ObA 186/98p = DRdA

1999, 144; 9 ObA 277/01b; 9 ObA 122/06s; Grassl-Palten, Der Untergang des Entlassungsrechts, ZAS 1989, 1 [3 f]; Kuderna, Entlassungsrecht² [1994] 27; Krejci in Rummel ABGB³ § 1162 Rz 165; Pfeil in ZellKomm § 25 AngG Rz 44; Grillberger in Löschnigg, Angestelltengesetz Band II8 [2007] § 25 Rz 45). Nur ein danach eingenommenes oder allenfalls ein dem vorgesetzten Dienstgeber erst später zur Kenntnis gelangtes Verhalten könnte in einem solchen Fall die Kündigung rechtfertigen (9 ObA 74/89). Davon kann hier entgegen der in der Revision vertretenen Auffassung nicht gesprochen werden, weil sowohl der Vorwurf des Alkoholmissbrauchs als auch der sexuellen Belästigung vom zuständigen Landesschulrat zum Anlass für umfassende Erhebungen genommen worden war, sodass die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass dem Dienstgeber jedenfalls die wesentlichen Vorwürfe bei Ausspruch der Ermahnung bekannt waren und daran auch der Umstand nichts ändert, dass bei einer nachfolgenden polizeilichen Befragung der Schülerinnen graduelle Differenzen im Gehalt einzelner Äußerungen bzw Handlungen des Klägers hervortraten, zumindest vertretbar ist und damit auch keiner oberstgerichtlichen Korrektur aus Gründen der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung (§ 502 Abs 1 ZPO) bedarf. Tatsache ist also (wiederum nach dem maßgeblichen und der rechtlichen Beurteilung ausschließlich zugrundezulegenden Sachverhalt), dass die Beklagte trotz umfassender Information der Leiterin der Rechtsabteilung des zuständigen Landesschulrats und des Landesschulinspektors von den gegen den Kläger erhobenen Vorwürfen, die auch zum Anlass umfassender Erhebungen durch die Genannten genommen wurden, eine bloße Ermahnung aussprach, die im Hinblick auf ihren Inhalt nach dem maßgeblichen objektiven Erklärungswert (9 ObA 277/01b) sogar mit kaum zu überbietender Deutlichkeit zum Ausdruck brachte, dass sie wegen der Vorfälle auf der Projektwoche gerade keine Kündigung des Dienstverhältnisses erklären wird („... ein weiteres Fehlverhalten dienstrechtliche Konsequenzen und eine Kündigung des Dienstverhältnisses nach sich ziehen wird"). Schlichtweg unrichtig ist auch, dass die Beklagte erst nach Durchführung polizeilicher Erhebungen „sicher" sein konnte, dass der Kläger die ihm vorgeworfenen Handlungen setzte: Dies ergibt sich bereits (geradezu zwingend) daraus, dass ja in der Ermahnung deutlich zum Ausdruck gebracht wurde, dass die Beklagte von der Richtigkeit der gegen den Kläger erhobenen Anschuldigungen tatsächlich überzeugt war („... ist festzustellen, dass ..."). Schließlich ist auch noch daran zu erinnern, dass hier gerade nicht die Verletzung des arbeitsrechtlichen Unverzüglichkeitsgrundsatzes zu prüfen ist: Die Unwirksamkeit der Kündigung resultiert vielmehr daraus, dass die Ermahnung als Verzicht auf die Ausübung des Kündigungsrechts zu werten ist. Die davon zu unterscheidende Frage, ob die Kündigung verspätet erklärt wurde, stellt sich daher gar nicht (9 ObA 277/01b). Die in der Revision weiters erwähnte Suspendierung des Klägers vom 13. 4. 2007 vermag den bereits erklärten und dem Kläger unstrittig zugegangenen Verzicht auf die Geltendmachung des Kündigungsrechts ebenfalls nicht nachträglich zu beseitigen. Die Behauptung in der Revision, der „Irrtum" der Beklagten (offenbar gemeint: die Rechtsunkenntnis der Beklagten von der zitierten, bereits jahrzehntelangen und damit ständigen oberstgerichtlichen einschlägigen Rechtsprechung, wonach eine bloße Ermahnung bei Kenntnis des Sachverhalts als schlüssiger Verzicht auf die Geltendmachung eines Entlassungs- bzw Kündigungsgrundes zu werten ist) sei „durch die Suspendierung rechtzeitig aufgeklärt" worden, wird durch die weiteren Revisionsausführungen selbst widerlegt, in denen zugestanden wird, dass der Kläger zwischen Zugang der Ermahnung und der Suspendierung an drei Tagen unterrichtete. Ob das erstinstanzliche Vorbringen der Beklagten (S 47 in ON 10) überhaupt als Erklärung der Irrtumsanfechtung des Verzichts auszulegen wäre, kann daher dahinstehen.

Weder hat somit, wie die Revision meint, das Berufungsgericht sich bloß „oberflächlich und geradezu mit Häme" über diese aktenkundigen Gegebenheiten hinweggesetzt und mit seinem Urteil zur „Verrohung der Gesellschaft" beigetragen, noch handelt es sich um einen „Skandal der österreichischen Gerichtsbarkeit", der geeignet ist, „das Ansehen der staatlichen Gerichtsbarkeit der Republik Österreich insgesamt zu gefährden" - Vorwürfe, die sich ob ihrer Wortwahl und Ausdrucksweise selbst richten und wovon sich der erkennende Senat daher nachdrücklich distanziert. Vielmehr ist ausschließlich die Beklagte selbst dafür verantwortlich, dass die für sie handelnden Personen - in offenbarer Verkennung der wiedergegebenen Rechtslage - trotz der überaus massiven Vorwürfe gegen den Kläger zunächst lediglich eine Ermahnung aussprachen und weitere 5 Monate später die Kündigung erklärten.

Die darauf fußende rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dieses Verhalten stelle einen Verzicht auf die Geltendmachung des Kündigungsgrundes dar, entspricht der dargestellten ständigen, auch von der Lehre gebilligten, Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs und wirft damit keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.