JudikaturJustiz8ObA48/22z

8ObA48/22z – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. November 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr. Andreas Grad (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Alexander Hanika (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Arbeiterbetriebsrat der * GmbH, *, vertreten durch die bfp Brandstetter Feigl Pfleger Rechtsanwälte GmbH in Amstetten, gegen die beklagte Partei * GmbH, *, vertreten durch die Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Feststellung gemäß § 54 Abs 1 ASGG, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. März 2022, GZ 7 Ra 99/21m 19, womit das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 8. März 2021, GZ 6 Cga 46/20f 13, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts einschließlich seiner Kostenentscheidung zur Gänze wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.740,72 EUR (darin 290,12 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 1.253,88 EUR (darin 208,98 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] R* K*, M* W*, K* G* und L* H* sind seit mehreren Jahren bei der Beklagten in deren Betrieb am Standort * als Umbauschlosser beschäftigt. Im Betrieb werden mittels sieben Glasformungsmaschinen Glasflaschen hergestellt. Diese Produktionsmaschinen werden je nach Marktbedarf regelmäßig – beinahe täglich – umgerüstet, um unterschiedliche Flaschentypen zu produzieren. Aus den Produktionsabläufen resultiert, dass pro Tag maximal drei Maschinen umzubauen sind, wobei an manchen Tagen aber auch nur eine einzige Maschine umgebaut wird.

[2] Ein rascher Umbau ist im Interesse der Beklagten, weil er dazu führt, dass die Maschine zur Produktion des neuen Flaschentyps möglichst zeitnahe (wieder) zur Verfügung steht. Bis zum 31. 12. 2019 wurde für die als „Umbau“ bezeichnete Tätigkeit eine sogenannte „Umbauprämie“ an die Umbauschlosser zur Auszahlung gebracht, die wie folgt ermittelt wurde: Für jeden Umbau einer Produktionsmaschine wurde eine vorgegebene – auf Schätzung aufgrund bloßen Erfahrungswissens beruhende (Schriftsatz der Beklagten ON 7 Pkt 6.14; unstrittig) – Soll Zeit fixiert, von der die von den Arbeitern tatsächlich benötigte Ist Zeit abgezogen wurde. Die Differenz wurde monatlich aufsummiert und mit dem in diesem Monat gebührenden Stundenlohn multipliziert. So erwarb zB (Schriftsatz der Beklagten ON 7 Pkt 1.10 ff; unstrittig) K* G* im Monat November 2018 eine Prämienzeit von 41,70 Stunden, was multipliziert mit dem Stundenlohn eine Prämie von 649,83 EUR brutto ergab.

[3] Beim Umbau wurde in der sogenannten „Karawane“ gearbeitet. Die Umbauschlosser führten hintereinander an den Stationen arbeitsteilig einzelne Handgriffe durch. Die Anzahl der Mitarbeiter in der Karawane war beschränkt (Schriftsatz der Beklagten ON 3 Pkt 1.10; unstrittig).

[4] Ein Umbauschlosser hatte keine Möglichkeit, durch die Geschwindigkeit seiner Arbeitsvorgänge bzw Arbeitsschritte (oder in sonstiger Weise) Einfluss darauf zu nehmen, wie viele Maschinen umgebaut wurden. Selbst besonders schnelles Arbeiten eines Umbauschlossers führte nicht dazu, dass er mehr Maschinen umbaut (Schriftsatz des Klägers ON 6a Pkt 2.1; unstrittig). Waren alle Umbaumaßnahmen abgeschlossen, hatten sich die Umbauschlosser anderen Arbeitstätigkeiten, wie insbesondere Revisions- und Vorbereitungsarbeiten, zuzuwenden, die in keinem besonderen Entlohnungssystem erfasst wurden.

[5] Das Vergütungssystem für den Umbau wurde über mehrere Jahre, betreffend manche Arbeiter teilweise seit 1990 und früher, praktiziert. Bei der Auszahlung der Umbauprämie wurden die Arbeiter niemals ausdrücklich oder schlüssig darüber informiert, dass sie von der Beklagten jederzeit widerrufen werden könnte. Über die Prämie gab es keine Betriebsvereinbarung.

[6] Die Beklagte begann gegen Ende 2017, den gesamten Umbauprozess neu zu strukturieren. Zum einen bearbeitet im neuen System ein Mitarbeiter im Wesentlichen eine Station der Glasformungsmaschine vollständig und in allen Schritten alleine; am Umbau sind nunmehr in der Regel mehr Personen direkt beteiligt als im Karawanensystem (Schriftsatz der Beklagten ON 3 Pkt 1.13; unstrittig). Zum anderen strebte die Beklagte an, das Umbauprämiensystem zu modifizieren, um diversen technischen Änderungen und weiterentwickelten Arbeitsweisen Rechnung zu tragen. Die neue „Umbauvergütung“ soll aus einer fixen Umbauzulage und einer Umbauprämie bestehen, die bei Einhaltung des Qualitätsstandards gewährt werden. Sie soll eine starke Qualitätskomponente und einen Anreiz zur kontinuierlichen Prozessverbesserung beinhalten. Zur konkreten Ausgestaltung in Form einer Betriebsvereinbarung gab es Verhandlungen, eine Einigung konnte aber nicht erzielt werden. Dennoch informierte die Beklagte am 28. 10. 2019 den Betriebsrat über die Einstellung der alten Umbauprämie zum 31. 12. 2019 und über die neu konzipierte Umbauvergütung. Ab 8. 11. 2019 erfolgte die individuelle Information aller 22 betroffenen Umbauschlosser durch die Beklagte. Diesen wurden am 6. 12. 2019 Einzelvereinbarungen übergeben, die ein Anbot der „Umbauprämie neu“ enthielten, welche ab 1. 1. 2020 zur Anwendung gelangen sollte, auf die aber kein wie immer gearteter Rechtsanspruch bestehen soll. Die vier eingangs genannten Arbeiter lehnten es ab, diese Vereinbarung abzuschließen. Die Beklagte stellte ab 1. 1. 2020 die Zahlung der alten „Umbauprämie“ an sie ein.

[7] Der Kläger begehrt nach § 54 Abs 1 ASGG zwischen den Parteien festzustellen, dass die als Umbauschlosser tätigen Arbeitnehmer der Beklagten, die bereits vor dem 1. 1. 2020 laufend eine Umbauprämie erhalten haben, auch nach (iSv ab; Anm des Senats) dem 1. 1. 2020 ein Recht auf deren Erhalt im bisherigen vor dem 1. 1. 2020 gewährten Ausmaß haben, soweit sie mit der Beklagten nicht einzelvertraglich eine abweichende Vereinbarung getroffen haben. Da die Umbauprämie von der Beklagten über viele Jahre hinweg vorbehaltlos ausbezahlt worden sei, sei insbesondere durch entsprechende betriebliche Übung ein Anspruch der betroffenen Arbeitnehmer auf ihren Erhalt in der konkreten Form und Berechnungsweise erwachsen. Die Umbauprämie falle nicht in den Anwendungsbereich des § 96 Abs 1 Z 4 ArbVG.

[8] Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Sie wandte im Wesentlichen ein, dass der Umbauablauf im Unternehmen umgestellt worden sei und dies eine Neugestaltung der Entlohnung des Umbaus erfordere. Durch das neue Entlohnungssystem werde die Verteilung zu Gunsten der fixen Lohnanteile erhöht. Die alte Umbauprämie hätte für ihre Gültigkeit nach § 96 Abs 1 Z 4 ArbVG eine Betriebsvereinbarung vorausgesetzt. Bei ihr habe es sich um eine Form des Zeitakkordlohns in Form des Gruppenakkords gehandelt. Die Prämie sei akkordähnlich gewesen und habe auf einer Entgeltfindungsmethode iSd § 96 Abs 1 Z 4 ArbVG beruht, zumal die Vorgabezeiten aus dem Erfahrungswissen abgeleitet (geschätzt) worden seien. Mangels einer Betriebsvereinbarung habe die Prämie auch nicht Vertragsbestandteil der Arbeitsverträge der betroffenen Arbeitnehmer werden können bzw seien diese insofern unwirksam.

[9] Das Erstgericht gab der Klage statt. Es stellte im Wesentlichen den eingangs angeführten und dabei vom Obersten Gerichtshof um unstrittige, aus dem Akt ersichtliche Aspekte ergänzten Sachverhalt fest. Diesen beurteilte es rechtlich zusammengefasst dahin, dass in der alten Umbauprämie kein Akkordentlohnungssystem zu erblicken sei, welches einer zwingenden Betriebsvereinbarung bedurft hätte. Die Prämie falle nicht unter § 96 Abs 1 Z 4 ArbVG, weil sie als Zusatzentgelt zum jeweiligen Zeitlohn der Arbeitnehmer gewährt worden und ihre Höhe durch die maximale Zahl von an einem Tag umzubauenden Produktionsmaschinen beschränkt gewesen sei. Das Prämienmodell habe bloß für einen gewissen Arbeitsprozess einen Anreiz zu erhöhter Arbeitsgeschwindigkeit geboten. Es sei den Dienstnehmern nur möglich gewesen, bis zu einem gewissen Grad ihr Zeitentgelt aufzustocken. Eine Gefahr einer übermäßigen, gesundheitsgefährdenden Anspannung habe nicht bestanden, da ein erhöhtes Arbeitstempo lediglich zur schnelleren Vollendung des vorgegebenen Arbeitspensums geführt habe. Die Prämie sei durch Betriebsübung und vorbehaltlose Gewährung zum Inhalt der einzelvertraglichen Dienstverhältnisse der vier Arbeitnehmer geworden.

[10] Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil im klageabweisenden Sinn ab. Die alte Umbauprämie sei eine Akkordentlohnung oder zumindest akkordähnliche Prämie und falle damit unter § 96 Abs 1 Z 4 ArbVG. Akkordentgelte und akkordähnliche Prämien oder Entgelte seien nämlich so charakterisiert, dass durch ein erhöhtes Arbeitstempo ein Mehr an individueller Leistung zugleich ein Mehr an Arbeitsentgelt bringe; genau ein solcher Fall sei hier gegeben. Weil vereinfacht betrachtet das Entgelt, je schneller der Umbau vorgenommen wurde, desto höher sei, weise die Prämie eine klare „Arbeit-Entgelt-Relation“ auf; sie sei nicht an sogenannte „weiche“ Faktoren, wie die Qualität der Arbeitsleistung oder rationelles Arbeiten und dergleichen, geknüpft. Die Prämie habe auch auf einem Entgeltfindungsverfahren iSd § 96 Abs 1 Z 4 ArbVG beruht. Damit hätte es zur rechtswirksamen Einführung und Regelung der Prämie der Zustimmung des Betriebsrats bedurft. Eine entsprechende faktische Übung, die im Sinn einer rechtsgeschäftlichen Verpflichtung gedeutet werden könnte, sei, weil sie gegen den Schutzzweck des § 96 Abs 1 Z 4 ArbVG, den Schutz der Arbeitnehmer und ihrer Gesundheit vor der Gefahr einer Selbstausbeutung, verstoße, unzulässig und daher ungültig. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision mangels einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig sei.

[11] Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers aus dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung.

[12] Die Beklagte beantragt in ihrer vom Senat freigestellten Revisionsbeantwortung , die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[13] Die Revision ist wie vom Kläger im Rechtsmittel ausgeführt zulässig, weil zur Unterscheidung der Tatbestände § 96 Abs 1 Z 4 und § 97 Abs 1 Z 16 ArbVG (jeweils idF BGBl I 2010/101) keine ausreichende höchstgerichtliche Rechtsprechung vorhanden ist. Die Entscheidung 9 ObA 150/13v (= DRdA 2014/51 [ Reissner ]) betraf allein die Zurückweisung einer außerordentlichen Revision und nicht die hier maßgebliche Abgrenzungsfrage.

[14] Die Revision ist auch berechtigt.

[15] 1. Von der gegenständlichen Rechtssache sind unstrittig mindestens drei Arbeitnehmer der Beklagten betroffen. Die Klagelegitimation des Klägers nach § 54 Abs 1 ASGG und die Feststellungsfähigkeit des aus dem Begehren ersichtlichen Rechts wurden zu Recht nicht in Zweifel gezogen.

[16] 2.1. Gemäß § 96 Abs 1 ArbVG idgF (BGBl I 2010/101) bedürfen bestimmte Maßnahmen des Betriebsinhabers zu ihrer Rechtswirksamkeit der Zustimmung des Betriebsrats, und zwar nach Z 4, „insoweit eine Regelung durch Kollektivvertrag oder Satzung nicht besteht, die Einführung und die Regelung von Akkord-, Stück- und Gedinglöhnen sowie akkordähnlichen Prämien und Entgelten – mit Ausnahme der Heimarbeitsentgelte –, die auf statistischen Verfahren, Datenerfassungsverfahren, Kleinstzeitverfahren oder ähnlichen Entgeltfindungsmethoden beruhen, sowie der maßgeblichen Grundsätze (Systeme und Methoden) für die Ermittlung und Berechnung dieser Löhne bzw Entgelte“ .

[17] Die von § 96 Abs 1 ArbVG geforderte Zustimmung hat – argumento § 97 Abs 1 Z 24 ArbVG – in Form einer Betriebsvereinbarung zu erfolgen ( Felten/Preiss in Gahleitner/Mosler , Arbeitsverfassungsrecht 6 III [2020] § 96 Rz 4 und § 97 Rz 11 mwH). Fehlt eine solche, so kann dies nicht durch eine (sei es ausdrückliche, sei es konkludente) Regelung im Einzelarbeitsvertrag ersetzt werden; der Vertrag wäre – wegen Umgehung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats nach § 96 Abs 1 Z 4 ArbVG – insofern unwirksam ( Felten/Preiss aaO Rz 2; Löschnigg , Arbeitsrecht 13 [2017] Rz 3/220 ua). Eine auf Grundlage eines ohne die erforderliche Zustimmung des Betriebsrats eingeführten Leistungslohnsystems (sei es konkludent, sei es ausdrücklich) getroffene Einzelvereinbarung ist mit anderen Worten (teil )nichtig ( Marhold/Brameshuber/Friedrich , Österreichisches Arbeitsrecht 4 [2021] 762).

2.2. Ob diese Nichtigkeit ex tunc oder ex nunc wirkt und wer sich auf sie berufen kann, war in der Vergangenheit wiederholt Gegenstand eingehender literarischer Darstellungen:

[18] 2.2.1. Strasser vertrat die Ansicht, die Nichtigkeit der Entgeltvereinbarung wirke zurück. Er begründete dies insbesondere damit, dass Zweck des § 96 Abs 1 ArbVG die zwingend vorgeschriebene Mitwirkung des Betriebsrats sei und dass bei deren Umgehung auf Nichtrückwirkung zu erkennen hieße, „dieser Mitbestimmungsform die einzige, wenngleich nur indirekte, im Arbeitsvertragsrecht angesiedelte Sanktion zu nehmen“. Für die notwendige Rückabwicklung seien die bereicherungsrechtlichen Regeln heranzuziehen ( Strasser in Floretta/Strasser , Kommentar zum Arbeitsverfassungsgesetz [1975] 542).

[19] 2.2.2. Bereits W. Schwarz trat hingegen zugunsten des Arbeitnehmers für eine Differenzierung ein. Er vertrat die Ansicht, die auf Ebene der Betriebsverfassung etablierte „Rechtsunwirksamkeit“ könne nicht bedeuten, dass etwa individuelle Akkordabreden überhaupt nur als negotium claudicans zustande kämen, solange Betriebsinhaber und Betriebsrat nicht die entsprechende Betriebsvereinbarung abschlössen. Gerade der Arbeitnehmer müsse auf das ihm erwachsene Individualrecht vertrauen können, es sei denn, er habe gewusst oder hätte wissen müssen, dass die Mitbestimmung umgangen werden sollte. Andernfalls sei es Sache des Betriebsinhabers, die Zustimmung des Betriebsrats einzuholen oder aber die Akkordverträge aus dem Wege zu räumen. Es sei dies eine aus der Betriebsverfassung erfließende Verpflichtung. Dem gutgläubigen Arbeitnehmer, der im Nachhinein von der Umgehung der Mitbestimmung erfahre, werde man überdies das Recht einräumen müssen, einseitig vom Akkordvertrag abzustehen, wenn die Weigerung des Betriebsrats auf kollektiver Ebene feststehe. Die Frage, ob auch der Betriebsinhaber wegen Fehlens der notwendigen Betriebsvereinbarung fortan wieder vom Akkord abgehen könne, wurde von Schwarz nicht behandelt ( W. Schwarz , Probleme sozialer und personeller Mitbestimmung im Betrieb, DRdA 1975, 65 [70]).

[20] 2.2.3. Auch Holzer plädierte für eine Differenzierung. Im Rahmen der Mitbestimmung stünden zwar meist die kollektiven Interessen der Belegschaft im Vordergrund, gerade bei der notwendigen Mitbestimmung trete aber die der Mitbestimmung innewohnende Schutzfunktion deutlich zu Tage. Verstehe man § 96 ArbVG auch als Schutzgesetz zugunsten des einzelnen Belegschaftsmitglieds, so seien Modifikationen der Nichtigkeitsfolgen in jenen Fällen, in denen rückwirkende Nichtigkeit dem Arbeitnehmer selbst schade, geboten. Es sei von der ex nunc Wirkung der Nichtigkeit auszugehen, um dem Arbeitnehmer die Rückabwicklung nach Bereicherungsrecht und damit verbundene mögliche finanzielle Einbußen zu ersparen. Nur im Falle, dass der Arbeitnehmer bewusst an der Umgehung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats mitwirkte, habe es bei der Nichtigkeit ex tunc zu verbleiben und sei nur ein Bereicherungsanspruch und dieser nur nach Maßgeblichkeit des verschafften Nutzens zu gewähren. Auf die ex nunc eintretende Nichtigkeit könne sich jedenfalls der Arbeitnehmer berufen. Gegen eine Geltendmachung durch den Arbeitgeber hegte Holzer Bedenken. Im Falle einer „beiderseits unbewusst“ abgeschlossenen rechtsunwirksamen Akkordabrede trat er aber dafür ein, dass sich auch der Arbeitgeber auf die Nichtigkeit der Abrede ex nunc zur Herstellung des gesetzmäßigen Zustands berufen könne ( Holzer , Die zustimmungspflichtige Maßnahme – zur Struktur eines neuen Rechtsinstitutes, ZAS 1976, 206 [211 f]).

[21] 2.2.4. Nach Schnorr „soll nicht bestritten werden, dass sich jede Partei jederzeit auf die Nichtigkeit eines solchen Akkordvertrages berufen kann“ . Die Rückabwicklung müsse aber als ausgeschlossen angesehen werden. Eine solche Ansicht würde mit § 1152 ABGB in Widerspruch geraten, der für die Arbeitsleistung ein angemessenes Entgelt vorschreibe. Die im Akkord geleistete Arbeit und die damit verbundenen größeren Anstrengungen des Arbeitnehmers könnten nicht mehr rückgängig gemacht werden. Infolgedessen könne auch nur die wenn auch rechtswidrig getroffene Akkordvereinbarung als angemessenes Entgelt i Sd § 1152 ABGB angesehen werden. Der Arbeitsvertrag als solcher sei ja gültig, sodass gegen die Anwendung des § 1152 ABGB aus rechtstheoretischer Sicht keine Bedenken bestünden. Die Möglichkeit zur Umgehung des § 96 ArbVG durch eine Reihe von Einzelverträgen sei gewiss der wunde Punkt im Mitbestimmungsrecht. Aber da sollte der Betriebsrat auf Grund seiner allgemeinen Kontrollrechte besser aufpassen. Man könne so etwas nicht auf Kosten der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers austragen ( Schnorr , Grundfragen des Arbeitsverfassungsgesetzes, DRdA 1976, 112 [119]).

[22] 2.2.5. Jabornegg vertritt bei der Lösung der Frage der Sanktionierung von Verstößen gegen das Mitbestimmungsgebot mit Holzer , dass man jedenfalls nicht nur den Schutz der Mitbestimmung als Normzweck sehen dürfe, sondern auch den Zweck, den die Mitbestimmung selbst verfolge, also den Schutz der einzelnen Arbeitnehmer vor der faktischen und rechtlichen Übermacht des Arbeitgebers. Dies möge durchaus Modifikationen in den Nichtigkeitsfolgen nach sich ziehen. Gerade im Zusammenhang mit der unzulässigen Akkordvereinbarung müsse aber davor gewarnt werden, auf der Seite des einzelnen Arbeitnehmers ausschließlich den Entgeltaspekt zu sehen und allein deshalb jegliche bereicherungsrechtliche Rückabwicklung auszuschließen. Auf diese Weise könne nämlich sehr leicht der eigentliche Sinn der zwingenden Mitbestimmung bei Leistungsentgelten verlorengehen, der darin liege, den einzelnen Arbeitnehmer vor inhumanen Entgeltfindungsmethoden zu schützen, ungeachtet der Tatsache, dass er auf diese Weise unter Umständen weniger Entgelt erhalte. Soweit die Annahme einer ex-tunc-Wirkung geeignet erscheine, dieses Ziel zu fördern, sollte von dieser Sanktion Gebrauch gemacht werden ( Jabornegg , Probleme des Arbeitsverfassungsrechtes – Eine Zwischenbilanz zum ArbVG, DRdA 1977, 200 [207 FN 48]).

[23] 2.2.6. Nach Schrank hat jedenfalls der Arbeitnehmer das Recht, sich gegen das Arbeiten in einem betriebsverfassungsrechtlich nicht gedeckten Leistungssystem zur Wehr zu setzen. Ein Recht des Arbeitgebers zur „Einstellung“ des nicht durch eine notwendige Betriebsvereinbarung nach § 96 Abs 1 Z 4 ArbVG gedeckten Entgeltsystems sei problematischer, doch wohl gleich zu behandeln. Einer auch pro futuro wirkenden teleologischen Einschränkung der Rechtsunwirksamkeitssanktion auf relative Nichtigkeit zugunsten des Arbeitnehmers und Betriebsrats stehe entgegen, dass es gerade bei der sozialen Mitbestimmung um generelle Angelegenheiten gehe, die einen auf den Arbeitnehmer individuell verengten Blick nicht zuließen. Hier seien auch dem einzelnen übergeordnete Interessen der Arbeitnehmerschaft in einem Maße angesprochen, das eine auf den Willen des einzelnen Arbeitnehmers abstellende Betrachtung teleologisch ausschließe. Nicht zuletzt deshalb dürfte das Gesetz die dem Schutz des Arbeitnehmers dienende Nachwirkung bei den § 96-Betriebsvereinbarungen ausdrücklich ausgeschlossen haben. Diese Wertung dürfe nicht auf dem Weg einer Reduktion der Nichtigkeit auf eine auch für die Zukunft wirkende relative Nichtigkeit unterlaufen werden. Dazu komme, dass man dem Arbeitgeber in jedem Stadium, unabhängig von bisheriger Rechtsverletzung, ein rechtlich relevantes Interesse an der Einhaltung der Mitbestimmungs- und damit der betriebsverfassungsrechtlichen Friedensordnung zubilligen müsse. Man könne ihm nicht zumuten, wegen individualrechtlich anzunehmender Fortdauer betriebsverfassungsrechtlich unwirksamer Bindungen pro futuro ständig Konfrontationen mit dem auf die Einhaltung dieser Mitbestimmungsordnung pochenden Betriebsrat hilflos ausgesetzt zu sein. Zumindest pro futuro sei daher an der absoluten Nichtigkeit betriebsverfassungsrechtlich unzulässiger Leistungsentlohnung festzuhalten. Der Arbeitnehmer könne dem Arbeitgeber somit für die Zukunft nicht die Günstigkeit seiner bisherigen Leistungsentlohnung entgegenhalten. Hinsichtlich schon geleisteter Arbeit tritt Schrank der Ansicht bei, dass die Nichtigkeit grundsätzlich nur ex nunc wirke. Die ansonsten gebotene bereicherungsrechtliche Rückabwicklung würde keine präventive Wirkung dahin entfalten, dass sich der Arbeitgeber gesetzeskonform verhalte. Eine präventive Wirkung, die Umgehungsversuchen besser vorbeugen und damit den betriebsverfassungsrechtlichen Möglichkeiten des Betriebsrats eine adäquate zivilrechtliche Begleitmaßnahme zur Seite stelle, könne allein die auf die Vergangenheit beschränkte relative Nichtigkeit entfalten; dies deshalb, weil der betriebsverfassungswidrig handelnde Arbeitgeber mit dieser relativen Nichtigkeit de facto im Wege des „Rosinenprinzips“ belastet wäre ( Schrank , Betriebsvereinbarungen über die Leistungsentgelte – Zugleich ein Beitrag zu grundlegenden Strukturfragen der notwendigen Mitbestimmung, in Tomandl , Probleme des Einsatzes von Betriebsvereinbarungen [1983] 81 [118 ff]).

[24] 2.2.7. Binder/Mayr lehren, dass sich der Arbeitnehmer gegen den Vollzug eines Leistungsentgeltsystems, das unter Außerachtlassung des installierten Betriebsrats eingeführt wurde, dadurch zur Wehr setzen könne, dass er darauf beharrt, (weiter) im Zeitlohnsystem zu arbeiten. Aber auch der Arbeitgeber könne das betriebsverfassungswidrig in Vollzug gesetzte Leistungsentgeltsystem „jederzeit abbrechen, zumal die bestehenden Abgrenzungsprobleme durchaus zu einer (entschuldbaren) Fehlbeurteilung geführt haben können“ . Der Betriebsrat habe einen Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch bei rechtswidrig eingeführtem Entgeltsystem. Der Entlohnungsanspruch des Arbeitnehmers für die schon erbrachte (Leistungslohn )Arbeit bleibe aufrecht, da er nicht im Nachhinein in seinem Vertrauen auf die Gültigkeit der (Leistungslohn )Abrede enttäuscht werden dürfe. Diese Rechtsfolge gebiete nicht zuletzt der Präventionszweck des § 96 Abs 1 Z 4 ArbVG, weil andernfalls die sanktionslose Umgehungsgefahr zu groß wäre ( Binder/Mayr in Tomandl , ArbVG [2013] § 96 Rz 121 f; s auch Binder ebenda § 96 Rz 5 aE).

[25] 2.2.8. Nach Rebhahn kann der Arbeitgeber, wenn ein Lohnsystem ohne die nach § 96 ArbVG erforderliche Zustimmung des Betriebsrats eingeführt wurde, „das System jederzeit wieder beseitigen“ . Für die Zeit bis dahin könnten die Arbeitnehmer wohl die Differenz zum „früheren“ Entgelt verlangen, müssten einen Mehrbetrag aber wohl nicht zurückzahlen ( Rebhahn in Neumayr/Reissner , ZellKomm 3 [2018] § 1152 ABGB Rz 35).

[26] 2.2.9. Felten/Preiss vertreten, dass ein Akkordlohn, der ohne Zustimmung des Betriebsrats im Betrieb Anwendung findet, absolut unzulässig ist. Der Betriebsrat sei folglich berechtigt, den Betriebsinhaber auf Unterlassung dieser Praxis zu klagen. Ein entsprechender Unterlassungsanspruch komme auch dem Arbeitnehmer zu. Der Arbeitgeber könne nicht mit dem Argument, der Akkordlohn sei mangels Zustimmung des Betriebsrats rechtswidrig, die Auszahlung des Entgelts für noch nicht entlohnte Akkordarbeit verweigern. Der Arbeitgeber würde ansonsten aus seiner eigenen Unredlichkeit einen Vorteil ziehen. Aus diesem Grund sei davon auszugehen, dass die Nichtigkeit eines ohne Zustimmung des Betriebsrats durchgeführten Akkordlohnes nur für die Zukunft (ex nunc) und nicht für die Vergangenheit (ex tunc) wirke ( Felten/Preiss in Gahleitner/Mosler , Arbeitsverfassungsrecht 6 III [2020] § 96 Rz 93 f).

[27] 2.2.10. Der Senat sieht es aufgrund dieser Stellungnahmen als jedenfalls gesichert an, dass es auch dem Arbeitgeber gestattet ist, sich pro futuro auf die Unwirksamkeit einer Entgeltvereinbarung wegen Fehlens einer nach § 96 Abs 1 Z 4 ArbVG notwendigen Betriebsvereinbarung zu berufen.

[28] Hierfür sprechen insbesondere die von Schrank vorgetragenen Argumente. Könnte sich der Arbeitgeber nicht zumindest pro futuro darauf berufen, dass das von ihm ohne die notwendige Betriebsvereinbarung eingeführte Entgeltsystem samt der mit dem einzelnen Arbeitnehmer ausdrücklich oder konkludent geschlossenen Entgeltabrede unwirksam sei, würde ihm drohen, von einem Arbeitnehmer auf dessen Weitergeltung in Anspruch genommen und gleichzeitig vom Betriebsrat auf Unterlassung und/oder Beseitigung des rechtswidrig eingeführten Entgeltsystems geklagt zu werden. Auch lässt der Ausschluss der Nachwirkung einer gekündigten notwendigen Betriebsvereinbarung gemäß § 96 Abs 2 Satz 2 (iVm § 32 Abs 3 Satz 2) ArbVG erkennen, dass der Gesetzgeber nur bei Vorliegen einer notwendigen Betriebsvereinbarung das jeweilige Regime als verbindlich ansieht, nicht aber nach deren Aufkündigung, und umso weniger wenn die Betriebsvereinbarung zwar erforderlich gewesen wäre, aber gar nicht abgeschlossen wurde. Die zwingende Mitbestimmung nach § 96 ArbVG ist durch die distanzierte Haltung des Gesetzgebers gegenüber den in dieser Vorschrift aufgenommenen Regelungsgegenständen entscheidend geprägt ( Jabornegg in Strasser/Jabornegg/Resch , ArbVG [2012] § 96 Rz 20). Dies wird daraus erklärt, dass auch Entlohnungsregime iSd § 96 Abs 1 Z 4 ArbVG vom Gesetzgeber bis zu einem gewissen Grad als „inhuman“ betrachtet werden (vgl Holzer , ZAS 1975, 207 f; Jabornegg , DRdA 1977, 207 FN 48; Pačić in Gruber-Risak/Mazal , Das Arbeitsrecht – System und Praxiskommentar [39. Lfg 2022] Kap IV Rz 39).

[29] 2.3. Gemäß § 97 Abs 1 ArbVG können Betriebsvereinbarungen iSd § 29 ArbVG in den in Z 1 ff angeführten Angelegenheiten abgeschlossen werden, und zwar nach Z 16 „Systeme der Gewinnbeteiligung sowie die Einführung von leistungs- und erfolgsbezogenen Prämien und Entgelten nicht nur für einzelne Arbeitnehmer, soweit diese Prämien und Entgelte nicht unter § 96 Abs 1 Z 4 fallen“ .

[30] In einer Angelegenheit des § 97 Abs 1 Z 16 ArbVG kann zwar eine Vereinbarung mit normativer Wirkung zwischen dem Betriebsinhaber und dem Betriebsrat abgeschlossen werden, der Abschluss einer Betriebsvereinbarung ist jedoch nicht Wirksamkeitsvoraussetzung für den Einsatz der konkreten Maßnahme. Kommt eine Vereinbarung auf freiwilliger Basis nicht zustande, so richten sich die rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten in dieser Angelegenheit nach den allgemeinen Grundsätzen des Arbeitsvertragsrechts. Eine durch fakultative Betriebsvereinbarung nach § 97 Abs 1 Z 16 ArbVG regelbare Maßnahme kann mit anderen Worten auch einzelvertraglich zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbart werden ( Felten/Preiss aaO § 97 Rz 14; Friedrich , Die Änderungen des ArbVG durch BGBl I 2010/101, ZAS 2011, 60 [64]).

[31] 2.4. Zwischen den Parteien ist im Anlassfall einzig strittig, ob die „Umbauprämie alt“ einer sogenannten „notwendigen“ oder „zwingenden“ Betriebsvereinbarung nach § 96 Abs 1 Z 4 ArbVG bedurfte (sodass ihre langjährige Übung nicht zu einer konkludenten individualvertraglichen Vereinbarung des jeweiligen Arbeitnehmers mit der Beklagten geführt haben kann), oder ob die Prämie einer (sogenannten „fakultativen“) Betriebsvereinbarung nach § 96 Abs 1 Z 16 ArbVG zugänglich war (was ermöglichen würde, dass sie durch lange Übung konkludent iSd § 863 ABGB Bestandteil der Einzelarbeitsverträge wurde). Es ist damit zu klären, ob die Umbauprämie alt wie von § 96 Abs 1 Z 4 ArbVG verlangt eine „Regelung von Akkord-, Stück- und Gedinglöhnen sowie akkordähnlichen Prämien und Entgelten – mit Ausnahme der Heimarbeitsentgelte –, die auf statistischen Verfahren, Datenerfassungsverfahren, Kleinstzeitverfahren oder ähnlichen Entgeltfindungsmethoden beruhen“, darstellt (Standpunkt der Beklagten), oder der Wendung des § 97 Abs 1 Z 16 ArbVG „leistungs- und erfolgsbezogenen Prämien und Entgelten nicht nur für einzelne Arbeitnehmer, soweit diese Prämien und Entgelte nicht unter § 96 Abs 1 Z 4 fallen“ unterliegt (Standpunkt des Klägers).

[32] 3. Für die Abgrenzung zwischen notwendiger (§ 96 Abs 1 Z 4 ArbVG) oder fakultativer (§ 97 Abs 1 Z 16 ArbVG) Mitwirkung des Betriebsrats kommt es seit der ArbVG Novelle BGBl I 2010/101 darauf an, ob ein Entgelt oder eine Prämie wenn nicht unmittelbar Akkordlohn, so doch zumindest „akkordähnlich“ ist und in diesem Fall zudem auf einem Verfahren oder auf einer Methode beruht, die in dem in § 96 Abs 1 Z 4 ArbVG enthaltenen Relativsatz genannt ist ( Winter/Wolf , Kein Vetorecht des Betriebsrats bei leistungsbezogenem Entgelt, ecolex 2010, 1178 [1180 f]; Ritzberger-Moser , Neues aus der Gesetzgebung, ZAS 2011, 141 [143] ua).

[33] 3.1. Für den Akkordlohn ist charakteristisch, dass die erbrachte Arbeitsleistung im Sinne tatsächlich erreichter Arbeitsergebnisse („Arbeitsoutput“) unmittelbar die Höhe des Entgeltanspruchs bestimmt (idS zB Jabornegg in Strasser/Jabornegg/Resch , ArbVG [2012] § 96 Rz 197 iVm Rz 204; Binder/Mair in Tomandl , ArbVG [2013] § 96 Rz 101; Winter/Wolf aaO 1180), sei es, dass die vom einzelnen Arbeitnehmer erbrachte Leistung (sogenannter Einzelakkord), sei es, dass die von einer Arbeitnehmergruppe erbrachte Gesamtleistung (sogenannter Gruppenakkord) maßgeblich ist ( Rebhahn aaO Rz 34; Schneeberger in Reissner/Neumayr , Zeller Handbuch Betriebsvereinbarungen [2014] Rz 4.10 und 4.14). Es besteht eine „Arbeit-Entgelt-Relation“ (zB Mair , Leistungsentge lte – betriebsverfassungsrechtlich betrachtet, ecolex 2013, 449 [450 ]). Maßgeblich sind nicht Faktoren wie Qualität der Arbeitsleistung, Umfang des Ausschusses, sparsame Nutzung betrieblicher Ressourcen usw, sondern allein das quantitative Arbeitsergebnis. Der Akkord ist ein rein mengenbezogenes Leistungssystem; u mso mehr produktiv gearbeitet wird, desto höher ist das dem Arbeitnehmer gebührende Entgelt (vgl Binder/Mair aaO Rz 101; Jabornegg aaO Rz 204; Reissner in Neumayr/Reissner , Zeller Kommentar 3 [2018] § 96 ArbVG Rz 32 ). Zur Erhöhung der produktiven Arbeit kommt es vor allem durch ein erhöhtes Arbeitstempo; es wird schneller gearbeitet ( Mosler , Mitbestimmung der Belegschaft bei leistungs- und erfolgsbezogenen Entgelten, in FS Cerny [2001] 433 [435]; Körber-Risak in Reissner/Neumayr , Zeller Handbuch Betriebsvereinbarungen [2014] Rz 25.14; Jabornegg , Akkord und Zeitarbeit im Rahmen des § 96 Abs 1 Z 4 ArbVG, in FS Marhold [2020] 101 [103] ua).

[34] M it dem Akkord geht die Gefahr eines die eigene Gesundheit hintansetzenden („selbstausbeuterischen“) Verhaltens der Arbeitnehmer einher. Dies rechtfertigt, zum Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer die Einführung eines solchen Entgeltfindungssystems von der Zustimmung des Betriebsrats abhängig zu machen (vgl ErläutRV 901 BlgNR 24. GP 6; Mosler in FS Cerny 436; Binder/Mair in Tomandl , ArbVG § 96 Rz 101; Mair , ecolex 2013, 450; Marhold , Variable Entgeltgestaltung – kollektivarbeitsrechtliche Analyse, in Brodil , Entgeltliches im Arbeitsrecht [2013] 21 [22 und 28 ff]).

[35] 3.2. Akkordähnlich ist eine Prämie oder ein Entgelt dann, wenn zwar ihre/seine Höhe nicht nur vom quantitativen Arbeitsergebnis, sondern auch von anderen Faktoren (Qualität der Arbeitsleistung etc) beeinflusst wird, der Einfluss des quantitativen Arbeitsergebnisses aber überwiegt (vgl Winter/Wolf , ecolex 2010, 1180; Binder/Mair in Tomandl , ArbVG § 96 Rz 104; Mair , ecolex 2013, 450; Reissner in ZellKomm 3 § 96 ArbVG Rz 33). Von keinem Akkordlohn sondern einer „akkordähnlichen Prämie“ ist aber auch dann auszugehen, wenn der Arbeitnehmer an sich einen Zeitlohn erhält und dieser bloß – wie hier – von einer Prämie ergänzt wird, deren Höhe vom quantitativen Arbeitsergebnis abhängt (vgl dazu Mosler in FS Cerny 439 f).

[36] Auch bei bloßer Akkordähnlichkeit geht der Gesetzgeber von einer Gesundheitsgefährdung aus und verlangt aus diesem Grund eine Mitwirkung des Betriebsrats (ErläutRV 901 BlgNR 24. GP 6). Dies spricht wohl dafür, dass dieser Prämie auch auf Grund ihrer Höhe ein entsprechendes Gewicht zukommen muss.

[37] 3.3. Bei Akkordähnlichkeit verlangt § 96 Abs 1 Z 4 ArbVG für die Betriebsrats-Mitbestimmungspflicht zudem, dass die Prämie oder das Entgelt auf einer der im Relativsatz genannten Verfahren oder Methoden beruht ( Binder/Mair in Tomandl , ArbVG § 96 aaO Rz 104; Reissner in ZellKomm 3 § 96 ArbVG Rz 33 f; vor der Novelle 2010 bezog sich der Relativsatz nach hA nur auf die damals in der Vorschrift noch angeführten „sonstigen leistungsbezogenen Prämien und Entgelte“: Mosler in FS Cerny 438 f mwN). Notwendige (aber wie unten noch gezeigt werden wird nicht hinreichende) Voraussetzung hierfür ist die Objektivität (sachliche Nachvollziehbarkeit) der Entgeltfindung (vgl – weniger streng – Reissner in ZellKomm 3 § 96 ArbVG Rz 37). Zweck der Gesetzesbestimmung ist es, der Belegschaft Einfluss auf Entgeltbestimmungen zu geben, die systematisch auf gewissen Bewertungskriterien aufbauen (9 ObA 144/07b DRdA 2009/22 [ Jabornegg ] = ZAS 2009/38 [ Schrank ]). Es geht dabei darum, diese Kriterien gerecht auszuformulieren ( Reissner in ZellKomm 3 § 96 ArbVG Rz 38).

[38] Liegt die Bestimmung der Höhe des Entgelts bzw der Prämie allein im subjektiven Ermessen des Arbeitgebers (oder eines von ihm Beauftragten), kann von einer „Entgeltfindungsmethode, wie sie § 96 Abs 1 Z 4 ArbVG voraussetzt, keinesfalls gesprochen werden und ist damit die Betriebsratspflichtigkeit zu verneinen (4 Ob 135/80 = DRdA 1982/17 [ Holzer ]). Dies erklärt sich wohl auch daraus, dass bei offenkundiger Abhängigkeit der Entgeltfindung rein von der subjektiven Einschätzung des Arbeitgebers die Arbeitnehmer keine sichere Erwartung haben können, die Auslöser für ganz besondere Anstrengungen sein könnte.

[39] Ein „statistisches Verfahren“ iSd § 96 Abs 1 Z 4 ArbVG soll nach einem Teil der Literatur bereits dann vorliegen, wenn Daten (Vorgabezeiten) aus dem bloßen Erfahrungswissen abgeleitet (geschätzt) werden ( Schneeberger in ZellHB-BV Rz 4.19). Dies wird auf die Überlegung gestützt, dass anderenfalls – verlangte man eine streng arbeitswissenschaftliche Fundierung – der Normzweck unterlaufen werden könnte (idS Jabornegg in Strasser/Jabornegg/Resch , ArbVG Rz 194; Schneeberger in ZellHB-BV Rz 4.19 ff).

Der Senat hat dazu erwogen:

[40] Die Einordnung unter „akkordähnlichen Prämien …, die auf statistischen Verfahren, Datenerfassungsverfahren, Kleinstzeitverfahren oder ähnlichen Entgeltfindungsmethoden beruhen“ bedeutet im Ergebnis für Arbeitnehmer zweierlei. Einerseits wird den Arbeitnehmern in Betrieben mit Betriebsrat insoweit jede Dispositionsmöglichkeit entzogen. Sie können also keinerlei wirksame vertragliche Vereinbarungen dazu treffen und Entgeltansprüche erwerben. Andererseits kann der Arbeitgeber diese Entgeltleistung jederzeit einstellen, entweder weil sie nicht auf einer Betriebsvereinbarung iSd § 96 Abs 1 Z 4 ArbVG beruht oder weil er die Betriebsvereinbarung jederzeit ohne Frist und Nachwirkung aufkündigen kann (vgl § 96 Abs 2 iVm § 32 ArbVG).

[41] Dies ergibt eine massive Einschränkung der Dispositionsfähigkeit der Arbeitnehmer (vgl im Übrigen VfSlg 18.115) bei der Gestaltung ihrer Entgeltansprüche.

[42] Die Rechtfertigung dieser Einschränkung der Dispositionsfähigkeit der Arbeitnehmer wird vom Gesetzgeber im Gesundheitsschutz gesehen und dadurch abgesichert, dass es sich um „akkordähnliche“ Prämien handeln muss, die auf den im Gesetz genannten V erfahren oder M ethoden beruhen. Deren Gefährlichkeit sieht der Gesetzgeber offenbar darin, dass es bei diesen Verfahren und Methoden möglich ist, die normale Leistungsmöglichkeit unter Berücksichtigung der konkreten Betriebsabläufe zu ermitteln und der Entgeltgestaltung zugrunde zu legen und damit die Arbeitnehmer, gerade auch in der Gruppe, zu außerordentlichen Leistungen so anzuspornen, dass daraus auch Gesundheitsgefährdungen entstehen können. Eine Rechtfertigung könnte allenfalls auch darin gesehen werden , dass anders als bei bloß vagen, also stark auf der bloßen Einschätzung des Arbeitgebers oder dem bloßen Erfolg beruhenden Prämiengestaltungen (vgl § 97 Abs 1 Z 16 ArbVG) eine starke Verbindung zur Gestaltung des Arbeitsablaufs gegeben ist, der ja typischerweise der Dispositionsbefugnis des Arbeitgebers unterliegt .

[43] Jedenfalls ist die für Prämien vorgesehene Voraussetzung der Erfassung durch das Regelungssystem, dass diese also auf statistischen Verfahren, Datenerfassungsverfahren, Kleinstzeitverfahren oder ähnlichen Entgeltfindungsmethoden beruhen und damit die Gefahr der Gesundheitsgefährdung besteht, strikt auszulegen und muss diese Prämie auch von ihrem „Gewicht“ eine dem Akkord ähnliche Gefährdung darstellen. Dies wird auch von den meisten Autoren nicht in Frage gestellt. Soweit vereinzelt die Ansicht vertreten wird, dass auch bloße „Schätzungen“ erfasst wären, weil ja bei einer bloßen Einschätzung der Spielraum des Arbeitgebers noch größer wäre, berücksichtigt dies auch nicht die mit der Verschiebung der leistungsbezogenen Prämien in den § 97 Abs 1 Z 16 ArbVG bewusst vorgenommene Einschränkung. Diese führt ja dazu, dass frei nach der Einschätzung des Arbeitgebers gestaltete Prämien nur der Mitbestimmung nach § 97 Abs 1 Z 16 ArbVG unterliegen, den Arbeitnehmern also insoweit nicht die Dispositionsbefugnis entzogen ist.

[44] Inwieweit daraus aber zu schließen ist, dass dem Arbeitgeber bei einer einzelvertraglich zugesagten Prämie iSd § 97 Abs 1 Z 16 ArbVG jegliche Gestaltungsbefugnis entzogen ist, bedarf einer genaueren Analyse des wahren Vertragsinhalts. Hier hatten die Arbeitnehmer etwa keinen Einfluss darauf, wie der Betriebsinhaber den Betriebsablauf gestaltet – etwa wie häufig „Umbauarbeiten“ vorkommen und welche Schätzzeiten vorgegeben werden. Insoweit könnte davon auszugehen sein, dass dem Arbeitgeber bei der Gestaltung dieser Entgeltbestandteile jedenfalls im Rahmen des billigen Ermessens ein gewisser Spielraum zukommt, der nicht überschritten ist, wenn im Zuge sachlicher Umstrukturierungen den Arbeitnehmern in etwa ähnliche Verdienstmöglichkeiten geboten werden.

[45] 4. Im zu beurteilenden Fall kam es auf den fertigen Umbau einer Produktionsmaschine an. Für jeden Umbau war eine bestimmte Bearbeitungsdauer vorgesehen. Die Arbeitnehmer wurden umso höher für den Umbau entlohnt, je mehr sie die vorgesehene Bearbeitungsdauer (Sollzeit) unterschritten. Es lag damit – wie bereits vom Berufungsgericht erkannt – eine „Arbeit-Entgelt-Relation“ vor.

[46] Dass die „Umbauprämie alt“ nicht von der Arbeitsleistung des einzelnen Arbeitnehmers, sondern von der „Karawane“ abhing, also einer Gruppe von Arbeitnehmern, die gemeinsam den Umbau der Maschine vornehmen, steht wie bereits ausgeführt einer Annahme von Akkord oder zumindest Akkordähnlichkeit nicht entgegen (Gruppenakkord).

[47] Der Kläger hält in der Revision der Anwendung des § 96 Abs 1 Z 4 ArbVG entgegen, es bestehe vorliegend keine Gefahr der Selbstausbeutung, weil die Zahl der vorzunehmenden Umbauten nach den Feststellungen von den Arbeitnehmern nicht beeinflussbar war. Dem ist entgegenzuhalten, dass bereits der Umstand, dass der Lohn höher ist, wenn schneller als vom Arbeitgeber an sich vorgegeben gearbeitet wird, mit einer Gefährdung der Gesundheit einhergehen kann. Bei Akkord und Akkordähnlichkeit geht der Gesetzgeber von einer (insoweit keiner Widerlegung zugänglichen) Eignung zur Gesundheitsgefährdung aus (ErläutRV 901 BlgNR 24. GP 6), weshalb bei Erfüllung eines Tatbestands nach § 96 Abs 1 Z 4 ArbVG eine Mitwirkung des Betriebsrats für die Einführung eines solchen Systems erforderlich ist. Der Aspekt einer allenfalls fehlenden oder geringen Gefahr einer Gesundheitsgefährdung durch ein bestimmtes Akkord- oder akkordähnliches System kann im Einzelfall für die Entscheidung des Betriebsrats, ob er der Einführung des Systems zustimmt, Bedeutung haben.

[48] Der Kläger führt in der Revision weiters ins Treffen, die Beklagte agiere rechtsmissbräuchlich, wenn sie sich auf die Unwirksamkeit des bisherigen Systems für die Entlohnung des Umbaus iSd § 96 Abs 1 Z 4 ArbVG beruft. Dem ist nicht beizupflichten, weil wie bereits ausgeführt der Arbeitgeber ein ohne die nach § 96 ArbVG erforderliche Zustimmung des Betriebsrats eingeführtes Lohnsystem jederzeit wieder beseitigen kann.

[49] Die Prämie ergänzte den den Arbeitnehmern an sich zustehenden Zeitlohn. Es lag damit eine „akkordlohnähnliche Prämie“ vor.

[50] Akkordlohnähnliche Prämien unterfallen aber – und in diesem Punkt erweist sich die Revision, wenn sie die Anwendbarkeit des § 96 Abs 1 Z 4 ArbVG in Abrede stellt, als berechtigt – nur dann dem § 96 Abs 1 Z 4 ArbVG, wenn sie „auf statistischen Verfahren, Datenerfassungsverfahren, Kleinstzeitverfahren oder ähnlichen Entgeltfindungsmethoden beruhen“. Diese Voraussetzung ist wie dargestellt nach Ansicht des Senats strikt auszulegen. Die Beklagte hat die Vorgabezeiten nur „aus dem bloßen Erfahrungswissen abgeleitet (geschätzt)“ (Schriftsatz der Beklagten ON 7 Pkt 6.14). Dass ein Verfahren im dargestellten Sinne angewendet wurde, hat die Beklagte gar nicht konkretisiert vorgebracht. Es lag aus diesem Grund kein Fall einer notwendigen Betriebsvereinbarung vor.

[51] Vielmehr war die „Umbauprämie alt“ nur fakultativ (§ 97 Abs 1 Z 16 ArbVG) einer Betriebsvereinbarung zugänglich und es damit möglich, die Prämie konkludent durch Betriebsübung individualvertraglich zu vereinbaren.

[52] Wie bereits erörtert ist die Gestaltung des hier für die Höhe des Entgelts maßgeblichen Betriebsablaufs dem Arbeitgeber überlassen und könnte dies dahin zu verstehen sein, dass diesem im Zuge notwendiger Änderungen des Betriebsablaufs auch bei der durch Betriebsübung begründeten individualrechtlichen Vereinbarung der „Umbauprämie alt“ im Rahmen des billigen Ermessens Anpassungen zustehen, insbesondere wenn auch in dem adaptierten System ähnliche Verdienstmöglichkeiten geboten werden.

[53] Gerade dies ist aber hier bereits deshalb zu verneinen, weil den Arbeitnehmern auf die „Umbauprämie neu“ kein wie immer gearteter Rechtsanspruch zustehen soll.

[54] Es erweist sich daher die Revision als berechtigt. Das im Ergebnis richtige Ersturteil ist wiederherzustellen.

[55] Die Kostenentscheidung für das Rechtsmittelverfahren gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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