JudikaturJustiz8ObA297/99f

8ObA297/99f – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. April 2000

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Langer und Dr. Rohrer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Heinz Nagelreiter und Dr. Eberhard Piso als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Zeljko P*****, vertreten durch Dr. Gustav Teicht und Dr. Gerhard Jöchl, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Johann L***** GesmbH, ***** vertreten durch Dr. Gerfried Höfferer, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 169.596,12 brutto abzüglich S 12.268,-- netto sA infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. Juli 1999, GZ 10 Ra 113/99g-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 14. Dezember 1998, GZ 19 Cga 50/98f-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der am 17. 11. 1978 geborene Kläger ist österreichischer Staatsbürger. Er befand sich bei der Beklagten in einer Lehre als Kfz-Mechaniker. Im Lehrvertrag wurde unter Zugrundelegung einer dreieinhalbjährigen Lehrzeit der Lehrzeitbeginn mit 4. 7. 1994 und das Lehrzeitende mit 3. 1. 1998 festgelegt.

Am 22. 9. 1997 wurde der Kläger mündlich entlassen und nach Hause geschickt. Eine schriftliche Entlassungserklärung erfolgte - auch in weiterer Folge - nicht. Am 24. 9. 1997 richtete der Kläger ein von ihm persönlich unterfertigtes Schreiben folgenden Inhalts an die Beklagte:

"Sie haben mich am Montag, den 22. 9. 1997 mit der Begründung langdauernder Krankenstände meinerseits, mangelnder Arbeitssorgfalt nach Hause geschickt. Ich widerspreche den oben angeführten Entlassungsgründen. Da ich für eine Auflösung meines Lehrverhältnisses keine Gründe gesetzt habe, betrachte ich Ihre Weigerung, mich weiter auszubilden, als bezahlte Dienstfreistellung. Ich erkläre mich ausdrücklich arbeitsbereit, bin nicht bereit, Gebührenurlaub zu konsumieren und warte auf weitere Weisungen Ihrerseits!"

Mit Schreiben vom 27. 10. 1997 teilte die Arbeiterkammer in Vertretung des Klägers der Beklagten mit:

"Herr ... (Kläger) hat die Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien beauftragt, in folgender Angelegenheit tätig zu werden: ...

Nach vorliegender Sachverhaltsdarstellung wurde das Lehrverhältnis mit 22. 9. 1997 Ihrerseits unberechtigt vorzeitig gelöst. Auf Grund dessen sind folgende Ansprüche ausständig: Lehrlingsentschädigung für den Zeitraum vom 1. 9. 1997 bis 22. 9. 1997, Urlaubsentschädigung im Ausmaß von 59 Werktagen, Weihnachtsremuneration für den Zeitraum vom 1. 1. 1997 bis 22. 9. 1997, Schadenersatz nach § 1162b ABGB, Arbeitspapiere (Lehrzeugnis, Arbeitsbescheinigung für das Arbeitsmarktservice, Endabrechnung, Abmeldung von der Wiener Gebietskrankenkassa, Lohnzettel für 1997). ...

Die Arbeiterkammer Wien ersucht Sie, die aushaftenden Arbeitspapiere zu übermitteln sowie die Endabrechnung im obigem Sinn zu erstellen und den sich daraus ergebenden Betrag auf das Ihnen bekannte Konto des Lehrlings zu überweisen bzw der Arbeiterkammer Wien eine schriftliche Stellungnahme zukommen zu lassen!"

Mit Schreiben vom 5. 11. 1997 machte die Arbeiterkammer Weihnachtsremuneration und Urlaubszuschuss für den Zeitraum des gesamten Dienstverhältnisses geltend und ersuchte in dem Zusammenhang die Beklagte nochmals, die ausständigen Arbeitspapiere zu übermitteln sowie die Endabrechnung zu erstellen und den sich daraus ergebenden Betrag auf das Konto des Arbeitnehmers zu überweisen bzw eine schriftliche Stellungnahme an die Arbeiterkammer Wien zu erstatten. Mit Schreiben vom 18. 11. 1997 teilte die Arbeiterkammer der Beklagten Folgendes mit:

"Trotz Schreibens der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien vom 5. 11. 1997 steht eine positive Erledigung in der gegenständlichen Rechtssache noch aus. Für eine solche Erledigung wird daher eine letzte Frist von 10 Tagen eingeräumt."

Mit Schreiben vom 21. 11. 1997 unterbreitete die für die Beklagte einschreitende Wirtschaftskammer der den Kläger vertretenden Arbeiterkammer einen Vergleichsvorschlag, der dahin zusammenzufassen ist, dass die Beklagte die Entlassung zurückziehe und den Kläger weiter ausbilde, wogegen sich dieser damit einverstanden erkläre, dass die zwischen dem Entlassungstag und dem Beginn seiner Weiterbeschäftigung liegende Zeit als Gebührenurlaub gewertet wird. Für die Dauer der gesetzlichen Behaltefrist werde ein befristetes Dienstverhältnis abgeschlossen. Am 29. 1. 1998 beantwortete die Arbeiterkammer im Namen des Klägers dieses Schreiben wie folgt:

"Bezugnehmend auf ihr Schreiben vom 21. 11. 1997 teilt die Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien nach nochmaliger Erörterung der Angelegenheit mit ... (Kläger) mit, dass dieser an seiner ursprünglichen Intervention vom 24. 9. 1997 (Arbeitsbereiterklärung) festhält. Darin hat er bereits ausgeführt, dass keinerlei Entlassungsgrund zur vorzeitigen Auflösung seines Lehrverhältnisses vorliegt und die erfolgte Auflösung somit rechtsunwirksam ist. Herr ... (Kläger) erklärt sich hiemit nochmals ausdrücklich arbeitsbereit.

Wir ersuchen daher um Mitteilung, wann der Lehrling seinen Dienst wieder antreten soll. Weiters wird festgehalten, dass der Lehrling dem Vergleichsanbot vom 21. 11. 1997 nicht zustimmt. Dass der Lehrling seit 22. 9. 1997 keinen Dienst verrichtet hat, ist gemäß § 1155 ABGB ein Umstand, der vom Lehrberechtigten zu vertreten ist. Der Lehrling ist daher keinesfalls damit einverstanden, sich für diesen Zeitraum Gebührenurlaub anrechnen zu lassen.

Derzeit haften aus dem Lehrverhältnis Lehrlingsentschädigung seit 1. 9. 1997 sowie die Weihnachtsremuneration für 1997 unberichtigt aus.

Sie werden daher aufgefordert, die entsprechende Abrechnung zu erstellen und den sich daraus ergebenden Betrag binnen 10 Tagen an Herrn ... (Kläger) zu bezahlen. Anderenfalls behält sich der Lehrling vor, von seinem Recht auf vorzeitigen Austritt Gebrauch zu machen."

Mit vom Kläger eigenhändig gefertigtem Schreiben vom 10. 2. 1998 erklärte er, das Lehrverhältnis mit heutigem Tag gemäß § 15 Abs 4 lit b BAG berechtigt vorzeitig aufzulösen, weil die Beklagte nicht mehr bereit sei, ihrer Ausbildungsverpflichtung nachzukommen.

Mit seiner am 6. 3. 1998 beim Erstgericht überreichten Klage begehrte der Kläger, die Beklagte zur Zahlung eines Betrages von S 169.596,12 brutto abzüglich einer Akontozahlung von S 12.268 netto sA an Lehrlingsentschädigung vom 1. 9. 1997 bis 10. 2. 1998, Urlaubsentschädigung für 40 Werktage, Weihnachtsremuneration 1997, aliquote Sonderzahlung 1998, Kündigungsentschädigung vom 11. 2. 1998 bis 3. 7. 1998 sowie Sonderzahlungen zur fälligen Kündigungsentschädigung schuldig zu erkennen. Er sei vom 4. 7. 1994 bis 22. 9. 1997 im Unternehmen der Beklagten als Lehrling im Lehrberuf Kfz-Mechaniker beschäftigt gewesen. Das Lehrverhältnis sei vom Lehrberechtigten am 22. 9. 1997 unberechtigt ohne Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Schriftform vorzeitig gelöst worden. Mit Schreiben vom 24. 9. 1997 habe der Kläger das ihm zustehende Wahlrecht im Sinn "des aufrechten Bestandes des Dienstverhältnisses" ausgeübt. Da sich die Beklagte nach der eingangs wiedergegebenen Korrespondenz weiterhin geweigert habe, den Kläger auszubilden und die zwischenzeitig fällig gewordenen Beträge zu bezahlen, habe der Kläger berechtigt seinen vorzeitigen Austritt erklärt. Der Kläger habe keine Entlassungsgründe gesetzt.

Die Beklagte wendete dagegen ein, dass das Lehrverhältnis am 22. 9. 1997 durch gerechtfertigte Entlassung beendet worden sei. Die für den Kläger einschreitende Arbeiterkammer habe im Schriftverkehr und im Rahmen von Vergleichsgesprächen immer wieder Ansprüche aus dieser Entlassung geltend gemacht. Die Korrespondenz habe von der Beklagten nur dahin verstanden werden können, dass der Kläger von seiner ursprünglichen Forderung auf Aufrechterhaltung des Lehrverhältnisses abgerückt sei und die Auflösungserklärung gegen sich habe gelten lassen. Das Schreiben vom 26. 1. 1998, in dem der Kläger neuerlich den Standpunkt des Weiterbestandes des Dienstverhältnisses vertreten habe, habe daher Treu und Glauben widersprochen. Der Kläger habe seine Ansprüche zwar ausdrücklich auf den am 10. 2. 1998 erklärten Austritt gestützt, sollte er jedoch Ansprüche auf die am 22. 9. 1997 erfolgte Entlassung gründen, werde eingewendet, dass diese gerechtfertigt erfolgt sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen und führte zur rechtlichen Beurteilung aus, dass durch eine nicht dem Gesetz entsprechende vorzeitige Auflösung das Lehrverhältnis grundsätzlich nicht beendet würde. Dem Lehrling stehe allerdings nach ständiger Rechtsprechung das Wahlrecht zu, das Lehrverhältnis aufrecht zu erhalten oder aber die auch unberechtigte vorzeitige Auflösung zu akzeptieren und Kündigungsentschädigung im Sinn des § 1162b ABGB zu begehren. Ungeachtet der Frage der Bindung an die einmal getroffene Wahl und der Eigenberechtigung des Klägers im Zeitpunkt der Abgabe der einzelnen Erklärungen stünden dem Kläger die geltend gemachten Ansprüche deshalb nicht zu, weil der vorzeitige Austritt des Klägers aus dem Lehrverhältnis mangels vollständigen Vorliegens eines der in § 15 Abs 3 BAG genannten Gründe unberechtigt gewesen sei. Im Ergebnis leite der Lehrling die Berechtigung seines vorzeitigen Austritts daraus ab, dass ihn der Lehrberechtigte nicht weiter ausbilde und ihm die Lehrlingsentschädigung nicht weiter auszahle, weil er auf dem Standpunkt stehe, das Lehrverhältnis wäre bereits beendet. Wie der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung DRdA 1983, 109 ausgesprochen habe, stelle sich das Verhalten des Lehrberechtigten als notwendige Folge der Auflösungserklärung dar und könne ohne Hinzutreten weiterer Umstände eine vorzeitige Vertragsauflösung durch den Lehrling wegen gröblicher Pflichtverletzung nicht rechtfertigen. Das materiell- und prozessrechtlich gesehen richtige Mittel wäre eine Klage auf Feststellung des aufrechten Bestandes des Lehrverhältnisses oder nach Ablauf der Behaltefrist eine Klage auf Entgelt und Lehrlingsentschädigung oder Kündigungsentschädigung gemäß § 1162b ABGB gewesen, in deren Rahmen die strittige Frage, ob die vorzeitige Auflösungserklärung gerechtfertigt war, zu prüfen gewesen wäre.

Das Gericht zweiter Instanz gab der dagegen erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge. Es sprach aus, dass die Revision zulässig sei. Ausgehend von den erstinstanzlichen Feststellungen führte es zur Rechtsrüge aus, dass dem Lehrling das Wahlrecht zukomme, im Fall der unberechtigten Entlassung entweder die vom Gesetz angeordnete Rechtsunwirksamkeit geltend zu machen oder die unberechtigte Auflösungserklärung zu akzeptieren und damit das Lehrverhältnis rückwirkend mit dem Zeitpunkt des Zugehens dieser Erklärung vorzeitig zu beenden. Der Lehrling übe sein Wahlrecht durch eine einseitige Gestaltungserklärung aus. Entscheide sich der Lehrling für die "Unwirksamkeitslösung", bleibe es bei der gesetzlichen Regelung des aufrechten Bestandes des Lehrverhältnisses. Nur mit der "Schadenersatzlösung" übe der Lehrling ein Gestaltungsrecht aus, da er die ihm zustehende Rechtsposition durch eine andere ersetze und somit eine ursprünglich unwirksame Erklärung des Lehrberechtigten rückwirkend wirksam mache. Es sei logisch und rechtsdogmatisch konsequent, dass der Lehrling an die einmal gewählte "Schadenersatzlösung" gebunden bleibe. Erkläre der Lehrling hingegen, zunächst am aufrechten Dienstverhältnis festzuhalten, spreche nichts dagegen, eine spätere Meinungsänderung im Sinn der "Schadenersatzlösung" dann als rechtswirksam zu beurteilen, wenn dies vom Lehrherrn akzeptiert werde. Es bestehe keinerlei Rechtsschutzbedürfnis dahingehend, eine nachträgliche Wahl der "Schadenersatzlösung" auszuschließen. Die äußere Grenze für die Ausübung des Wahlrechts im Sinn der "Schadenersatztheorie" bilde die Sechsmonatsfrist des § 1162b ABGB. Abgesehen davon sei der Kläger im Zeitpunkt seiner ersten Erklärung im Sinn der "Unwirksamkeitslösung" noch minderjährig gewesen. Mangels Zustimmung der Erziehungsberechtigten sei das Wahlrecht daher nicht wirksam ausgeübt worden und könne somit auch nicht untergegangen sein. Das Schreiben vom 27. 10. 1997 bringe insbesondere durch die Forderung einer Endabrechnung, der Abmeldung bei der Krankenkasse und der Ausstellung eines Lehrzeugnisses den Beendigungswillen des Klägers deutlich zum Ausdruck. Im Zeitpunkt des letzten Urgenzschreibens vom 18. 11. 1997 sei der Kläger bereits volljährig gewesen. Mit Übermittlung dieses Schreibens sei die "hinkende" Erklärung vom 27. 10. 1997 wirksam geworden. Das Dienstverhältnis habe daher rückwirkend mit dem Entlassungstag 22. 9. 1997 geendet. Da ein bereits aufgelöstes Lehrverhältnis nachträglich nicht mehr durch vorzeitigen Austritt - sei er berechtigt oder nicht - gelöst werden könne, komme der Erklärung des Klägers vom 10. 2. 1998 keinerlei rechtliche Relevanz zu. In Übereinstimmung mit der bereits vom Erstgericht zitierten Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bestehe in Anbetracht des Wahlrechts des Lehrlings kein unmittelbarer Bedarf dafür, ihm die weitere Möglichkeit eines vorzeitigen berechtigten Austritts aus dem Dienstverhältnis wegen "Vorenthaltens der Lehrlingsentschädigung bzw Nichtausbildung" ohne das Hinzutreten weiterer Umstände einzuräumen. Auch sei darauf zu verweisen, dass zum Zeitpunkt der Erklärung des vorzeitigen Austritts am 10. 2. 1998 das Lehrverhältnis bereits durch Zeitablauf mit 3. 1. 1998 beendet gewesen sei. Daran ändere auch die "Behaltepflicht" des § 18 BAG nichts, weil diese Gesetzesstelle keinen automatischen Vertragsabschluss bewirke, sondern lediglich einen Kontrahierungszwang des Lehrberechtigten anordne. In Anbetracht dieser rechtlichen Beurteilung bedürfe es nicht der vom Berufungswerber begehrten Feststellungen über die von der Beklagten behaupteten Entlassungsgründe. Obwohl das Lehrverhältnis somit auf Grund der Gestaltungserklärung des Klägers rückwirkend mit dem Entlassungstag 22. 9. 1997 geendet habe, habe der Kläger sein Begehren auf den "berechtigten vorzeitigen Austritt" gestützt. An diese ausdrücklich vorgenommene rechtliche Qualifikation sei das Berufungsgericht gebunden, sodass es ihm verwehrt sei, auf die Frage einzugehen, ob dem Kläger allenfalls einzelne der geltend gemachten Ansprüche auf Grund der Entlassung vom 22. 9. 1997 zustünden.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision des Klägers ist berechtigt.

Gemäß § 15 Abs 1 Berufsausbildungsgesetz (BAG) kann das Lehrverhältnis rechtswirksam nur bei Vorliegen einer der Voraussetzungen der Abs 2 bis 5 vorzeitig aufgelöst werden. Die Auflösung bedarf ferner zur Rechtswirksamkeit der Schriftform. Lehrlinge können daher rechtswirksam nur schriftlich entlassen werden. Eine rechtsunwirksame Entlassung löst das Arbeitsverhältnis - selbst wenn sie gerechtfertigt ist - grundsätzlich nicht auf (Kuderna, Einige Probleme des besonderen Kündigungsschutzes, DRdA 1990, 1, hier: 7). In der Rechtsprechung wurde wiederholt ausgesprochen, dass bei Lehrverträgen eine grundlose oder ungerechtfertigte Entlassungserklärung nicht die Auflösung des Vertrages zur Folge habe (ArbSlg 5851; ArbSlg 6598; ArbSlg 9344; SZ 53/120), sowie dass im Falle sondergesetzlichen Kündigungsschutzes während der Schutzfrist die Kündigung nicht rechtswirksam ausgesprochen werden könne (SZ 64/115; SZ 69/207; 9 ObA 274/99f ua). Es ist nunmehr gesicherte Rechtsprechung, dass der Bestandschutz genießende ungerechtfertigt entlassene Arbeitnehmer das Wahlrecht hat, auf der Fortsetzung des Lehrverhältnisses zu beharren, oder die ungerechtfertigte Entlassung gegen sich gelten zu lassen und Ersatzansprüche nach § 1162b ABGB geltend zu machen. Der Lehrling kann also wahlweise auf seinem besonderen Entlassungsschutz bestehen oder darauf verzichten und an Stelle der Fortsetzung des Lehrverhältnisses die beendigungsabhängigen Ansprüche geltend machen (Kuderna aaO 9 ff; SZ 53/120; ArbSlg 10.176; ArbSlg 10.360; 8 ObS 2264/96s ua). Berger/Fida/Gruber, Berufsausbildungsgesetz, Lose Blattsammlung, § 15 BAG Erl 51, verweisen darauf, dass weder Rechtsprechung noch Lehre bisher dazu Stellung genommen haben, ob dieses Modell der Wahlmöglichkeit zwischen "Unwirksamkeitslösung" und "Schadenersatzlösung" auch in jenen Fällen zur Anwendung gelangt, in denen zwar ein Entlassungsgrund vorliegt, die Entlassung allerdings nicht in Schriftform ausgesprochen wurde. Sie gelangen diesbezüglich zu dem Schluss, dass bei einem wertenden Vergleich keine wesentlichen Einwände gegen die Anwendung der Konzeption der Wahltheorie auch auf diesen Fall der Unwirksamkeit der Lehrvertragsauflösung zu erblicken sei. Dieser Meinung ist beizupflichten, unterscheidet doch § 15 Abs 1 BAG nicht zwischen der durch das Vorhandensein materieller Auflösungsgründe bedingter Rechtswirksamkeit und jener, die auf das Vorliegen der Schriftform gegründet ist. Den Vorinstanzen ist daher darin beizupflichten, dass es in Anbetracht des Umstandes, dass der Lehrberechtigte die Entlassung unbestrittenermaßen nur mündlich ausgesprochen hat, nicht mehr darauf ankommt, ob diese Erklärung rechtfertigende Entlassungsgründe vorlagen oder nicht und dass dem Kläger auch bei dieser Fallkonstellation das Recht zustand, die Unwirksamkeit der Entlassungserklärung geltend zu machen und auf der Fortsetzung des Lehrverhältnisses zu beharren oder sich dieser zu unterwerfen und die aus der vorzeitigen Beendigung resultierenden Ansprüche geltend zu machen.

Gemäß § 152 ABGB, § 12 Abs 1 BAG bedarf der minderjährige Lehrling zum Abschluss des Lehrvertrags der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters. Diese Zustimmung ist auch für Abänderungen des Lehrvertrages erforderlich (Berger/Fida/Gruber aaO § 12 BAG Erl 36). Gemäß § 154 Abs 2 ABGB, § 15 Abs 1 BAG bedarf auch die vorzeitige Auflösung des Lehrverhältnisses der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters. Berger/Fida/Gruber aaO § 15 BAG Erl 50 führen aus, es sei davon auszugehen, dass die minderjährigen Lehrlinge ihr - oben dargestelltes - Wahlrecht durch eine Gestaltungserklärung gültig nur mit Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters ausüben könnten. Entgegen der vom Berufungsgericht vertretenen Ansicht kann aber dieses Zustimmungserfordernis nur für die Gestaltungserklärung des Lehrlings angenommen werden, die durch das Akzeptieren der rechtsunwirksamen Entlassung zur (rückwirkenden) Beendigung des Lehrverhältnisses führt (vgl dazu auch Jabornegg in seiner Glosse zu 4 Ob 129/79, DRdA 1982/5, 105 ff hier: 112). Macht der Lehrling von dieser Gestaltungsmöglichkeit nicht Gebrauch, bleibt es bei der im Gesetz vorgesehenen Unwirksamkeit der Entlassungserklärung, ohne dass der Lehrvertrag in seinem Bestand auf irgend eine Weise berührt würde. In diesem Fall kann das Erfordernis der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters weder aus dem Gesetz noch aus einem besonderen Schutzbedürfnis des Minderjährigen abgeleitet werden. Die Erklärung des Lehrlings gibt lediglich die dem Gesetz entsprechende Lage wieder und lässt seine ihm bereits vor der Erklärung zugestandene Rechtsposition unverändert weiter bestehen. Die Erklärung des Klägers war daher trotz fehlender Zustimmung des gesetzlichen Vertreters rechtswirksam.

Entgegen der vom Berufungsgericht vertretenen Ansicht kann aber die Tatsache, dass durch diese Erklärung lediglich die nach dem Gesetz ohnehin gegebene Rechtsunwirksamkeit der Entlassung manifestiert wurde, nicht zu dem Schluss führen, sie sei in dem Sinne nicht bindend, dass der Kläger später berechtigt gewesen wäre, nunmehr von der Beendigung des Lehrverhältnisses durch die ausgesprochene Entlassung auszugehen. Es darf nämlich nicht übersehen werden, dass die Erklärung des Klägers ihrem Wesen nach auch zum Ausdruck brachte, der Kläger übe sein ihm nach den obigen Ausführungen zustehendes einseitiges Gestaltungsrecht nicht aus. Der Oberste Gerichtshof hat daher bereits in seiner Entscheidung 9 ObA 40/92 (dort zu § 12 MSchG) ausgesprochen, dass es zwar der Entscheidung der Arbeitnehmerin unterliege, die unberechtigte Entlassung hinzunehmen und die daraus resultierenden Ersatzansprüche geltend zu machen oder auf dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zu bestehen, sie jedoch, habe sie sich in der einen oder anderen Richtung erklärt, daran gebunden sei. An dieser Rechtsauffassung ist schon aus Gründen der Rechtssicherheit festzuhalten, weil anderenfalls dem Dienstgeber die als ihm zustehend erachtete (Berger/Fida/Gruber aaO § 15 BAG Erl 50; Jabornegg aaO 111) Möglichkeit genommen würde, dem Lehrling in sinngemäßer Anwendung des § 865 letzter Satz ABGB eine angemessene Frist zur Erklärung zu stellen. Dem Lehrling wäre es in einem solchen Fall nämlich unbenommen, trotz der Erklärung am Arbeitsverhältnis festhalten zu wollen, zumindest innerhalb der Sechsmonatsfrist des § 1162b ABGB sich jederzeit gegenteilig zu erklären.

Ist aber die Erklärung des Klägers vom 24. 9. 1997 rechtswirksam und bindend, kommt den nachfolgenden Schreiben, aus denen das Berufungsgericht die Bekundung eines Beendigungswillens abgeleitet hat, ungeachtet einer nachfolgenden Genehmigung des volljährig gewordenen Klägers keine Bedeutung mehr zu. Sie konnten den Weiterbestand des Lehrverhältnisses nicht in Frage stellen.

Gemäß § 15 Abs 4 lit b BAG ist der Lehrling unter anderem zur vorzeitigen Auflösung des Lehrverhältnisses berechtigt, wenn der Lehrberechtigte oder der Ausbilder die ihm obliegenden Pflichten gröblich vernachlässigt. Die Vorinstanzen zitieren in diesem Zusammenhang die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes 4 Ob 99/81 = ArbSlg 10.176 = DRdA 1983/8, wonach das Unterbleiben der Fortsetzung der Ausbildung des Lehrlings eine notwendige Folge der Auflösungserklärung des Lehrberechtigten gewesen sei und daher - ohne Hinzutreten weiterer Umstände - eine vorzeitige Vertragsauflösung durch den Lehrling wegen gröblicher Pflichtverletzung des Lehrberechtigten (§ 15 Abs 4 lit b BAG) nicht rechtfertigen könne. Dieser Teil der Begründung wurde von Tögl in seiner Entscheidungsbesprechung DRdA 1983, 112 f kritisiert. Eine Differenzierung danach, ob der Ausschluss von der Ausbildung vor oder nach einer rechtsunwirksamen Auflösungserklärung von Seiten des Lehrberechtigten erfolgt, gerate mit den Grundsätzen des Bestandschutzes in Widerspruch und sei daher abzulehnen. Dieser Lehrmeinung ist uneingeschränkt beizupflichten, sodass der erkennende Senat sich nicht in der Lage sieht, die in der zitierten Entscheidung vertretene Rechtsansicht aufrecht zu erhalten. Liegt eine - wie hier - unbestritten rechtsunwirksame Entlassungserklärung vor und weigert sich der Lehrberechtigte dennoch, den dieses ausdrücklich begehrenden Lehrling weiter auszubilden, so besteht für den Zeitraum des aufrecht erhaltenen rechtswidrigen Zustandes des Ausschlusses von der Ausbildung das Recht zur vorzeitigen Lösung wegen grober Pflichtverletzung im Sinne des § 15 Abs 4 lit b BAG.

Die Tatsache schließlich, dass die Austrittserklärung nach dem vereinbarten Ende der Lehrzeit abgegeben wurde, vermag die gänzliche Klagsabweisung nur aus dem Grunde, der Kläger habe seine Ansprüche ausschließlich mit diesem vorzeitigen Austritt begründet, nicht zu rechtfertigen. Der Kläger hat mit diesem Vorbringen jedenfalls mit hinreichender Deutlichkeit zu erkennen gegeben, dass er seine Ansprüche nicht auf die Entlassungserklärung, sondern den Weiterbestand des aufrechten Lehrverhältnisses stütze, sodass ihm ein allfälliger Irrtum über das Ende der Lehrzeit nicht zum Nachteil gereichen kann.

Der Revision ist Folge zu geben. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche meritorisch zu prüfen haben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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