JudikaturJustiz8Ob108/22y

8Ob108/22y – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. November 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn sowie die Hofräte Dr. Stefula und Dr. Thunhart als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. S*, vertreten durch Bartl Partner Rechtsanwälte KG in Graz, gegen die beklagte Partei Lic. M* P*, Spanien, vertreten durch Mag. Martin Divitschek, Mag. Andreas Sauer, Mag. Wolfgang Sieder und Dr. Andrea Peter, Rechtsanwälte in Deutschlandsberg, wegen 12.390,37 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 14. Juni 2022, GZ 70 R 18/22i 31, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Graz Ost vom 21. Februar 2022, GZ 223 C 427/20w 25, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Einrede der mangelnden internationalen Zuständigkeit zur Gänze verworfen wird. Dem Erstgericht wird die Durchführung des gesetzmäßigen Verfahrens über die Klage unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 3.352,20 EUR (darin 558,70 EUR USt) bestimmten Kosten des Zwischenstreits über die Zuständigkeit binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Die Streitteile sind Eltern eines Sohnes, der im Jahr 2017 bei der allein obsorgeberechtigten Beklagten lebte. Dem Kläger st and als Vater aufgrund eines Beschlusses des Erstgerichts ein geregeltes Kontaktrecht zum Kind zu. Darin war vorgesehen, dass der in Wien wohnhafte Vater das Kind zu den vereinbarten Zeiten nach der Schule – in Graz – abholen sollte (232 Ps 148/12a 178, verlesen AS 92).

[2] Am 5. 7. 2017 verzog die Beklagte, ohne den Vater davon zu informieren, mit dem Kind von Graz nach Spanien. Der Kläger begab sich am 7. 7. 2017 nach Graz, um sein nach dem Gerichtsbeschluss an diesem Tag beginnendes Ferienkontaktrecht wahrzunehmen. Dazu kam es jedoch nicht, sondern die Beklagte teilte ihm per SMS mit, dass sie eine ernste Gefahr für das Kind sehe und es nicht mit dem Vater in den Urlaub fahren werde.

[3] Der Kläger brachte daraufhin am 13. 7. 2017 beim Erstgericht einen Antrag auf Zuteilung der alleinigen Obsorge ein und beauftrage einen Privatdetektiv mit der Ermittlung des Aufenthalts des Kindes. Er führte in der Folge in Spanien ein Verfahren zur Erlangung des Kontaktrechts.

[4] In seiner Mahnklage brachte er vor, er habe zur Auffindung seines Sohnes und zur Durchsetzung seines Kontaktrechts Fahrt-, Detektiv , Übersetzungs , Gerichts und Vertretungskosten in Höhe des Klagsbetrags aufwenden müssen. Die Beklagte schulde ihm diesen Aufwand aus dem Titel des Schadenersatzes wegen Verletzung der Wohlverhaltensklausel nach § 159 ABGB sowie nach den allgemeinen Regeln der §§ 1295 ff ABGB.

[5] Die Zuständigkeit österreichischer Gerichte für diesen Anspruch ergebe sich auch aus Art 7 Nr 2 EuGVVO, in eventu Nr 1 leg cit. Sowohl der Ort der schädigenden Handlung der Beklagten als auch des ersten Schadenseintritts seien im Sprengel des Erstgerichts gelegen. Sofern die Kontaktrechtsvereinbarung als Vertrag zwischen den Streitteilen anzusehen wäre, sei auch der Erfüllungsort nach Art 7 Nr 1 EuGVVO in Graz gelegen, weil das Kind dem Vater zu den Kontaktzeiten dort übergeben werden sollte. Die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts sei ferner aus Art 8 Nr 1 EuEheVO ableitbar, da bei Klagseinbringung ein Obsorge und Kontaktrechtsverfahren beim Erstgericht anhängig gewesen sei und das Klagebegehren mit den dort vom Vater geltend gemachten Ansprüchen im untrennbaren Zusammenhang stehe.

[6] Die Beklagte erhob gegen den erlassenen Zahlungsbefehl fristgerecht Einspruch und wandte die Unzuständigkeit des Erstgerichts ein.

[7] Nach Durchführung einer Verhandlung wies das Erstgericht „den Antrag auf Erlassung eines Zahlungsbefehls“ wegen internationaler und örtlicher Unzuständigkeit zurück.

[8] Der Anwendungsbereich der EuEheVO sei nicht eröffnet, weil das Verfahren keine Regelung elterlicher Verantwortung, sondern einen Schadenersatz zum Gegenstand habe. Es liege auch keine Streitigkeit aus einem Vertrag iSd Art 7 Nr 1a EuGVVO vor, weil die verletzte Kontaktrechtsregelung auf einer hoheitlichen Anordnung beruht habe. Schließlich sei auch der Deliktsgerichtsstand iSd Art 7 Nr 2 EuGVVO zu verneinen, weil die Beklagte bei Eintritt des Erstschadens am 7. 7. 2017 mit dem Kind bereits im Ausland gewesen sei. Das ihr vorgeworfene deliktische Verhalten habe sie nur in Spanien gesetzt. Der Umzug selbst sei eine bloße Vorbereitungshandlung und nicht zuständigkeitsbegründend.

[9] Bei reinen Vermögensschäden genüge für eine Zuständigkeit aufgrund des Erfolgsorts die Vermögensminderung am Wohnort des Geschädigten nicht, sondern müsse noch ein weiteres Element der unerlaubten Handlung an diesem Ort oder in diesem Staat gesetzt worden sein. Der eingeklagte Vermögensschaden sei örtlich nicht im Sprengel des Erstgerichts, sondern am Wohnort des Klägers eingetreten. Überdies liege kein weiteres Zurechnungselement vor, das eine Zuständigkeit österreichischer Gerichte begründen könnte.

[10] Das Rekursgericht gab dem Rechtsmittel des Klägers teilweise Folge und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens über die Klagspositionen der Unkosten vom 7. 7. 2017 und der Detektivkosten unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund auf. Hinsichtlich der übrigen Klagspositionen bestätigte es den angefochtenen Beschluss.

[11] Zutreffend habe das Erstgericht eine Anwendbarkeit der EuEheVO und eine internationale Zuständigkeit nach Art 7 Nr 1 EuGVVO verneint. Für alle Aufwendungen, die der Kläger zur Durchsetzung seines Kontaktrechts in Spanien getätigt habe, liege auch kein Deliktsort nach Art 7 Nr 2 EuGVVO im Inland vor.

[12] Eine Zuständigkeit bestehe aber – sowohl nach Art 7 Nr 1a als auch Nr 2 EuGVVO – für die im Zusammenhang damit aufgewendeten Kosten, dass die Beklagte den Kläger am 5. 7. 2017 pflichtwidrig nicht von ihrem Wegzug informiert habe. Dieses Verhalten sei für die frustrierten Fahrtkosten und die Detektivkosten kausal gewesen und am Deliktsort Graz verwirklicht worden.

[13] Der ordentliche Revisionsrekurs sei zuzulassen, weil die Frage, ob bereits der Wegzug der Beklagten am 5. 7. 2017 die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts nach Art 7 Z 2 EuGVVO auch für alle damit in Zusammenhang stehenden späteren Folgekosten begründe, die Kriterien des § 528 Abs 1 ZPO erfülle.

[14] Mit seinem Revisionsrekurs strebt der Kläger die Fortsetzung des ordentlichen Verfahrens über sein gesamtes Klagebegehren an. Die Beklagte beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen, jedenfalls aber ihm keine Folge zu geben.

[15] Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[16] 1. Nach Art 7 Nr 2 EuGVVO kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, und zwar vor dem Gericht des Orts, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht. Delikte im Sinn dieser Bestimmung sind unerlaubte Handlungen, die eine Schadenshaftung des Beklagten nach sich ziehen und nicht an einen Vertrag iSd Art 5 Nr 1 EuGVVO anknüpfen (RIS Justiz RS0109078).

[17] Maßgeblich ist immer jener Ort, an dem es zu einem direkten Eingriff in das Rechtsgut des Geschädigten kommt und wo sich der Schadenseintritt zuerst auswirkt. Auf den Ort des Eintritts allfälliger Folgeschäden kommt es nicht an (RS0109078 [T28]).

[18] Der Kläger gründet seinen Anspruch zusammengefasst darauf, dass die Beklagte durch ihren Wegzug ins Ausland das Kontaktrecht zu seinem Sohn widerrechtlich vereitelt habe. Da der Beklagten als allein Obsorgeberechtigter auch gegen den Vater grundsätzlich das Recht zustand, den Wohnort des Kindes im In oder Ausland zu bestimmen (RS0047936 [insb T5]), liegt der Kern des Klagsvorwurfs rechtswidrigen Verhaltens nicht in einer Handlung, nämlich dem Wohnsitzwechsel nach Spanien, sondern einer Unterlassung, weil die Beklagte ihre gültig gerichtlich festgelegte Verpflichtung, das Kind jeweils nach der Schule in Graz zwecks Ausübung des Kontaktrechts des Vaters bereitzuhalten, nicht mehr erfüllt hat.

[19] Für den Gerichtsstand nach Art 7 Nr 2 EuGVVO wegen Ansprüchen aus verbotenen Unterlassungen ist der Ort maßgeblich, an dem die Handlung zu setzen gewesen wäre bzw der Schädiger pflichtwidrig nicht gehandelt hat (vgl 2 Ob 27/21s; Garber/Mayr/Neumayr/Wittwer in Mayr , Europäisches Zivilverfahrensrecht² Kap 3 Rz 3.339; Czernich in Czernich/​Kodek/​Mayr 4 Art 7 Rz 127).

[20] Der Ort an dem die Beklagte handeln, nämlich das Kind übergeben hätte sollen, lag unabhängig von ihrem geänderten ständigen Wohnsitz bis zu einer Neuregelung des Kontaktrechts in Graz. Der Revisionsrekurswerber kann sich daher nach Art 7 Nr 2 EuGVVO erfolgreich auf Graz als den Gerichtsstand des Orts, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, berufen.

[21] Die Einrede der mangelnden internationalen Zuständigkeit war daher zu verwerfen und dem Erstgericht die Durchführung des gesetzmäßigen Verfahrens über die Klage unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.

[22] Der Ausspruch über die Kosten des Zwischenstreits über die Zuständigkeit gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO. Im erstinstanzlichen Verfahren sind nur die ab der Tagsatzung vom 25. 2. 2021, in der das Verfahren auf die Prüfung der Zuständigkeit eingeschränkt wurde, angefallenen Kosten dem Zwischenstreit zuzurechnen (in Summe 1.630,08 EUR inklusive USt). Die Mitteilung des Klägers vom 8. 3. 2021 war entgegen den Einwendungen der Beklagten vom Gericht aufgetragen und daher zweckentsprechend, aber ihrer Kürze wegen nur nach TP1 RATG zu entlohnen. Pauschalgebühren sind im Rekursverfahren nicht angefallen.