JudikaturJustiz7Ob99/21s

7Ob99/21s – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. September 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Stefula und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D* AG *, vertreten durch Mag. Joachim Pfeiler, Rechtsanwalt in Brunn am Gebirge, gegen die beklagte Partei M* M*, vertreten durch Dr. Stefan Gloß und andere, Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen 11.000 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 27. Jänner 2021, GZ 21 R 217/20z 18, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts St. Pölten vom 30. September 2020, GZ 4 C 123/20p 13, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

[1] Am 24. Mai 2017 verursachte der Beklagte mit seinem bei der Klägerin haftpflichtversicherten PKW einen Verkehrsunfall. Die Klägerin leistete aufgrund dieses Unfalls Ersatzzahlungen an den Geschädigten von mehr als 11.000 EUR. Dem zwischen den Parteien bestehenden Haftpflichtversicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (AKHB 2013) zugrunde, die auszugsweise wie folgt lauten:

Artikel 9

Was ist vor bzw. nach Eintritt des Versicherungsfalles zu beachten?

(Obliegenheiten)

[…]

2 Als Obliegenheiten, die zum Zweck der Verminderung der Gefahr oder der Verhütung einer Erhöhung der Gefahr dem Versicherer gegenüber zu erfüllen sind und deren Verletzung im Zeitpunkt des Versicherungsfalles die Freiheit des Versicherers von der Verpflichtung zur Leistung gemäß den Voraussetzungen und Begrenzungen des § 6 Abs. 2 VersVG (siehe Anhang) bewirkt, werden bestimmt,

[...]

2.2 dass sich der Lenker nicht in einem durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand im Sinn der Straßenverkehrsvorschriften befindet;

[...]

Eine Verletzung der Obliegenheit gemäß Pkt. 2.2 liegt nur vor, wenn im Spruch oder in der Begründung einer rechtskräftigen verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Entscheidung festgestellt wird, dass das Fahrzeug in einem durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand gelenkt wurde.

[…]

Artikel 11

Inwieweit ist die Leistungsfreiheit des Versicherers bei Verletzung einer Obliegenheit oder einer Erhöhung der Gefahr beschränkt?

1 Die Leistungsfreiheit des Versicherers wegen Verletzung einer Obliegenheit oder einer Erhöhung der Gefahr ist mit je 11.000 Euro, für jeden Versicherungsfall insgesamt maximal 22.000 Euro, beschränkt.

[…]“

[2] Die Staatsanwaltschaft St. Pölten legte dem Beklagten zur Last, er habe, nachdem er sich vor der Tat, wenn auch nur fahrlässig, durch den Genuss von Alkohol in einen die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließenden Rauschzustand (relevanter Messwert: 0,64 mg/l Atemluft-Alkoholgehalt) versetzt habe, obwohl er vorhergesehen habe oder vorhersehen hätte können, dass ihm eine Tätigkeit bevorstehe, deren Vornahme in diesem Zustand eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit eines anderen herbeizuführen oder zu vergrößern geeignet gewesen sei, unter Außerachtlassung der im Straßenverkehr gebotenen Sorgfalt und Aufmerksamkeit einen Verkehrsunfall verursacht, indem er beim Einfahren in eine Kreuzung einen bevorrangten PKW-Lenker übersehen habe, wodurch er diesen fahrlässig am Körper verletzt habe. Der Beklagte habe dadurch das Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 3 (§ 81 Abs 2) StGB verwirklicht. Mit Urteil des Bezirksgerichts St. Pölten wurde der Beklagte gemäß § 259 Z 3 StPO mangels Schuldbeweises rechtskräftig freigesprochen.

[3] Die Bezirkshauptmannschaft St. Pölten erließ hierauf ein an den Beklagten gerichtetes Straferkenntnis wegen Übertretung des § 5 Abs 1 StVO, weil er das Fahrzeug gelenkt habe, obwohl er sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befunden habe und der Alkoholgehalt der Atemluft 0,64 mg/l, somit 0,6 mg/l oder mehr, aber weniger als 0,8 mg/l betragen habe. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich gab der Beschwerde des Beklagten Folge, hob das angefochtene Straferkenntnis wegen Verstoßes gegen das Doppelverfolgungsverbot auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren ein.

[4] Mit Bescheid vom 11. Juli 2017 entzog die Bezirkshauptmannschaft St. Pölten dem Beklagten die Lenkberechtigung bis 24. Dezember 2017. In der Begründung des Bescheids wird ausgeführt: „Sie lenkten am 24. 5. 2017 […] den PKW […] in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand. Dabei verursachten Sie einen Verkehrsunfall mit Sach- und Personenschaden, […]. Ihre Alkoholisierung ist aufgrund des positiv verlaufenden Alkotests mittels Alkomat, der einen Atemluftalkoholwert von 0,64 mg/l ergab, erwiesen.“ Der Bescheid ist in Rechtskraft erwachsen.

[5] Die Klägerin begehrt Zahlung von 11.000 EUR sA. Sie habe einen Regressanspruch gemäß § 5 Abs 1 Z 5 iVm Abs 4 KHVG und Art 9.2.2 AKHB 2013, weil der Beklagte zum Unfallzeitpunkt alkoholisiert (0,64 mg/l Atemluft) gewesen und im rechtskräftigen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten festgestellt worden sei, dass er das Fahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt habe.

[6] Der Beklagte beantragt Klagsabweisung. Weder sei er alkoholisiert gewesen noch liege eine rechtskräftige Entscheidung eines Strafgerichts oder einer Verwaltungsbehörde vor. Der im Führerschein-entzugsverfahren ergangene Bescheid erfülle nicht die von § 5 KHVG und Art 9 AKHB 2013 geforderten Voraussetzungen.

[7] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. § 5 Abs 1 Z 5 KHVG und Art 9.2.2 AKHB 2013 würden ausdrücklich auf einen durch Alkohol beeinträchtigten Zustand „nach den Straßenverkehrsvorschriften“ abstellen. Mangels Bestrafung des Beklagten nach einer konkreten Bestimmung der StVO vermöge die Entscheidung nach dem FSG die zwingenden Vorgaben des § 5 KHVG bzw Art 9 AKHB 2013 nicht zu erfüllen, weshalb der Regress der Klägerin scheitere.

[8] Das Berufungsgericht gab der dagegen von der Klägerin erhobenen Berufung nicht Folge und ließ die ordentliche Revision zu. Ein sekundärer Feststellungsmangel wegen fehlender Feststellungen zur Alkoholisierung des Beklagten im Unfallzeitpunkt liege nicht vor, weil schon die von der Rechtsprechung geforderte Entscheidung einer Verwaltungsbehörde nach § 99 StVO oder eines Strafgerichts nicht vorliege. Den Bescheid, mit dem dem Beklagten der Führerschein entzogen worden sei, habe die Behörde auf die Verkehrsunzuverlässigkeit des Beklagten im Sinne des § 7 FSG gestützt. § 7 Abs 3 FSG stelle aber nicht ausdrücklich auf einen durch Alkohol beeinträchtigten Zustand nach den Straßenverkehrsvorschriften ab, sondern zähle lediglich beispielhaft eine Übertretung gemäß § 99 Abs 1 bis 1b StVO bzw eine in die Zuständigkeit der Gerichte fallende strafbare Handlung auf. Der Bescheid erfülle daher die zwingenden Vorgaben von § 5 KHVG und Art 9 AKHB 2013 nicht.

[9] Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Klägerin mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[10] Der Beklagte beantragt in seiner Revisionsbeantwortung , die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[11] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist auch im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.

[12] 1. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass für den Regressanspruch des Versicherers nach den hier unstrittig anzuwendenden Bestimmungen (§ 5 Abs 1 Z 5, Abs 4 iVm § 7 Abs 1 KHVG und Art 9.2.2 iVm Art 11.1 AKHB 2013) zwei Voraussetzungen erfüllt sein müssen: Es muss im Regressprozess einerseits der Nachweis der Alkoholisierung („im Sinne der Straßenverkehrsvorschriften“) erbracht werden, andererseits muss eine rechtskräftige Entscheidung einer Verwaltungsbehörde oder eines Gerichts vorliegen, in deren Spruch oder Begründung festgestellt wird, dass das Fahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt wurde (7 Ob 158/08y; RS0108216).

[13] 2. Die Beweislast für das Vorliegen des objektiven Tatbestands einer Obliegenheitsverletzung trifft den Versicherer (RS0081313). Hier geht es um die Verletzung der Obliegenheit nach Art 9.2.2 AKHB 2013, also (unter anderem) darum, ob die Verwaltungsbehörde rechtskräftig festgestellt hat, dass der Lenker sich zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls in einem „durch Alkohol beeinträchtigten Zustand“ befand. Zu den in diesem Punkt inhaltsgleichen Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (Art 18.4.2. ARB/GEN 99) sprach der Oberste Gerichtshof bereits aus, Sinn dieser (zweiten) Voraussetzung für die Leistungsfreiheit des Versicherers sei nicht die Bestrafung, sondern nur eine entsprechende (sohin gesicherte) behördliche Feststellung, die Zweifel am inkriminierten Verhalten des Versicherungsnehmers beseitige (7 Ob 36/06d; RS0121223). Diese Wertung gilt gleichermaßen für die hier relevanten AKHB 2013, ist doch auch diesen nicht zu entnehmen, dass ein Strafausspruch Voraussetzung für den Regress wäre. Warum wegen der „Beschuldigtenrechte“ eine Differenzierung zwischen verwaltungstrafrechtlichen Bescheiden und Bescheiden, mit denen die Lenkberechtigung entzogen wird, notwendig sei, legt die Revision nicht nachvollziehbar dar.

[14] Der Oberste Gerichtshof kam in der Entscheidung 7 Ob 298/06h zum gleichlautenden Art 9.2.2 AKHB 2001 zum Ergebnis, dass die Feststellung in der Begründung eines Bescheids in einem Führerscheinentzugsverfahren die (zweite) Voraussetzung erfülle. Er stellte in dieser Entscheidung nur deshalb das klagsabweisende Ersturteil wieder her, weil er das Tatsachenvorbringen des Versicherers betreffend die erste Voraussetzung des Regressanspruchs (Alkoholisierung im Sinne der Straßenverkehrsvorschriften) für nicht ausreichend befand.

[15] Auch der im vorliegenden Fall im Rahmen eines Führerscheinentzugsverfahrens ergangene Bescheid erfüllt somit die Voraussetzungen des § 5 Abs 4 KHVG bzw Art 9.2.2 AKHB 2013, zumal in dessen Begründung konkret festgestellt wird, dass der Beklagte den PKW in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand lenkte, was sich aus dem bei ihm durchgeführten positiven Alkomattest (0,64 mg/l Atemluft Alkoholwert) ergebe. Demgemäß kann sich die Klägerin, entgegen der Auffassung der Vorinstanzen mit Erfolg auf die rechtskräftige Entscheidung der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten berufen, mit der dem Beklagten der Führerschein befristet nach § 24 FSG iVm § 7 FSG entzogen wurde.

[16] 3. Aus der Tatsache einer positiven Entscheidung kann aber noch nicht auf das Vorliegen der Obliegenheitsverletzung geschlossen werden ( 7 Ob 138/97p ; 7 Ob 298/06h ). Es bleibt daher noch zu prüfen, ob die Klägerin auch den erforderlichen Nachweis erbracht hat, dass sich der Beklagte zum Unfallzeitpunkt in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand im Sinne der Straßenverkehrsvorschriften befunden hat, wie dies in § 5 Abs 1 Z 5 KHVG und Art 9.2.2 AKHB 2013 als weitere Voraussetzung für den Regress (vgl RS0080834 ) gefordert wird. Anders als in dem der Entscheidung 7 Ob 298/06h zugrundeliegenden Verfahren hat die Klägerin hier eine 0,8 Promille übersteigende Alkoholisierung des Beklagten im Unfallzeitpunkt und damit eine Alkoholisierung im Sinne der Straßenverkehrsvorschriften behauptet. Zu diesem Vorbringen hat das Erstgericht jedoch keine Feststellungen getroffen, sodass ein sekundärer Feststellungsmangel vorliegt.

[17] 4. Die Revisionswerberin hat in ihrem Eventualantrag nur eine Aufhebung der Entscheidung des Berufungsgerichts und nicht auch des Erstgerichts beantragt. Dies würde aber voraussetzen, dass lediglich das Berufungsverfahren und das Berufungsurteil mit dem sekundären Feststellungsmangel behaftet ist oder die erforderliche Ergänzung gemäß § 496 Abs 3 ZPO vom Berufungsgericht vorzunehmen ist (vgl 10 ObS 166/88 ; Lovrek in Fasching/Konecny 3 § 510 ZPO Rz 8 ; A. Kodek in Rechberger/Klicka 5 § 510 ZPO Rz 2 ). Beide Voraussetzungen liegen hier nicht vor, sodass die Sache an das Erstgericht zurückzuverweisen ist. Dies ist vom (primären) Revisionsantrag umfasst, schließt doch bei Vorliegen eines sekundären Feststellungsmangels ein Abänderungsantrag einen Aufhebungsantrag in sich ( RS0041774 ).

[18] 5. Die Rechtssache ist somit an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückzuverweisen. Schon jetzt sei darauf hingewiesen, dass nach ständiger Rechtsprechung bei einem Blutalkoholgehalt von 0,8 Promille und darüber der Zustand einer Person als von Alkohol beeinträchtigt gilt, sodass der Gegenbeweis fehlender Beeinträchtigung nicht möglich ist ( RS0080834 [T2, T3]).

[19] 5. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.