JudikaturJustiz7Ob527/88

7Ob527/88 – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. März 1988

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Hella T***, Pensionistin, Innsbruck, Glasmalereistraße 6, und 2. Dr. Walter T***, Pensionist, Innsbruck, Ampfererstraße 6, beide vertreten durch Dr. Heribert Schar und Dr. Andreas Oberhofer, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei Robert S***, Pensionist, Innsbruck, Glasmalereistraße 6, vertreten durch Dr. Arne Markl, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Aufkündigung, infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 7. Dezember 1987, GZ 1 a R 502/87-15, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 19. Juni 1987, GZ 11 C 250/86-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der beklagten Partei die mit S 2.991,12 (darin S 271,92 an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte ist seit 1952 Mieter einer Wohnung in Innsbruck, bestehend aus 3 Zimmern, Kabinett, Küche und Nebenräumen. Die Kläger kündigten dem Beklagten diese Wohnung zum 1. August 1986 unter Geltendmachung der Kündigungsgründe nach § 30 Abs 2 Z 6 und 8 MRG gerichtlich auf. Der Beklagte lebe den Großteil des Jahres in einem Gästehaus in Reith bei Seefeld und benütze die Wohnung in Innsbruck nicht mehr als einen Monat im Jahr. Die Vermieter benötigten die Wohnung für Dr. Martin T***, den Sohn des Zweitklägers und Neffen der Erstklägerin, der 1985 bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt worden, und seit 3. September 1985 ohne Arbeit sei. Es sei nicht abzusehen, wann Dr. Martin T*** eine Wiederaufnahme der Arbeit möglich sei. Dr. Martin T***, der derzeit nur ein kleines Zimmer in der elterlichen Wohnung benütze, werde in den nächsten Monaten Hemma K*** ehelichen, die ein Kind erwarte und aus diesem Grund ihre Wohnung im Schwesternheim Innsbruck verlassen müsse. Der Beklagte wendete ein, er benütze die aufgekündigte Wohnung zumindestens viermal wöchentlich und überdies während jenes Zeitraumes, in dem das seit 1965 von seiner Frau und ihm betriebene Gästehaus geschlossen sei. Der Beklagte und seine Frau müßten, sobald das Gästehaus nicht mehr von ihnen betrieben werde, in die Wohnung in Innsbruck zurückkehren, weil sie dann nicht im Gästehaus bleiben könnten. Die Kläger hätten die berufsbedingte, vorübergehende Abwesenheit des Beklagten seit 1965 niemals geltend gemacht und damit auf eine Kündigung verzichtet. Dr. Martin T*** sei in der Lage, sich eine andere Wohnung zu besorgen. Er habe auch die Möglichkeit, in der elterlichen Wohnung zu wohnen. Das Erstgericht hob die Aufkündigung auf und wies das Räumungsbegehren ab. Es traf folgende Feststellungen:

Die nunmehr 67 Jahre alte Frau des Beklagten betreibt seit 20 Jahren ein Gästehaus in Reith bei Seefeld, das über 17 Fremdenzimmer verfügt und jeweils für einen Monat im Frühjahr sowie in der Zeit zwischen Oktober und Weihnachten eines jeden Jahres geschlossen wird. In diesen Monaten halten sich der Beklagte und seine Frau in der Wohnung in Innsbruck auf. Das Gästehaus steht dann vollkommen leer. Im übrigen befindet sich die Frau des Beklagten ständig in Reith. Der jetzt 74-jährige Beklagte ist auch noch nach seiner vor 7 Jahren erfolgten Pensionierung fallweise für ein Unternehmen in Innsbruck tätig und hält sich dann des öfteren untertags in der aufgekündigten Wohnung auf, um Telefonate und ähnliches zu erledigen. Da er jedoch auch seiner Frau bei den in der Pension anfallenden Arbeiten behilflich ist, übernachtet er während der Saison fast immer in Reith.

Vor 7 Jahren wurden in der aufgekündigten Wohnung erhebliche Investitionen getätigt. So wurden die Böden neu verlegt. Es wurde eine Elektroheizung eingebaut und alles neu ausgemalt; das WC wurde verfliest und ein komplett neuer Küchenblock eingerichtet. Die Frau des Beklagten beabsichtigt, das Gästehaus an ihre Tochter oder ihre Enkelin weiterzugeben. Über einen konkreten Zeitpunkt der Übergabe wurde noch nicht gesprochen, doch war die Rede davon, daß dies in etwa 5 Jahren der Fall sein werde. Die bisher vom Beklagten und seiner Frau benützten beiden Räume des Gästehauses müssen dann dem zukünftigen Betreiber übergeben werden, so daß für sie keine Möglichkeit mehr besteht, in Reith zu bleiben. Der Beklagte und seine Frau werden dann für ständig nach Innsbruck zurückkehren.

Dr. Martin T*** promovierte im März 1985 und leistete dann den Zivildienst ab. Er war nach einem schweren Verkehrsunfall im September 1985 bis zum 1. April 1986 im Krankenstand, doch ist eine gänzliche Besserung nicht abzusehen.

Im April 1986 hatte Dr. T*** eine Stellung als unbezahlter Gastarzt an der Universität Innsbruck. Er war ab 1. Mai 1986 Vertragsassistent an der Universität Innsbruck und hat seit 1. August 1986 eine bis Juli 1988 befristete Stellung als Assistent an der Universitätsklinik Innsbruck. Dr. Martin T***, der seit 7. Februar 1985 für eine Turnusstelle an den Landeskrankenhäusern Tirols vorgemerkt ist - die Wartezeit beträgt derzeit 25 Monate -, verdient monatlich S 12.000,-- bis 13.000,--.

Dr. Martin T*** und Hemma K*** kennen einander seit 1981. Die haben Anfang 1986 beschlossen, zu heiraten. Die Eheschließung erfolgte am 10. Mai 1986. Die Geburt ihres Kindes sollte am 8. November 1986 stattfinden. Hemma T*** wohnte bis zum 31. Juli 1986 im Krankenschwesternheim Innsbruck und mußte dann wegen ihrer Verehelichung und Schwangerschaft ausziehen. Dr. Martin T*** wohnte bis zu diesem Zeitpunkt in der Eigentumswohnung seiner Eltern. Es handelt sich um eine 110 m2 große 4-Zimmer-Wohnung. Seit August 1986 wohnt er mit seiner Frau in der Wohnung seines Bruders, der sich bis Jänner 1987 im Ausland aufhält. Hemma T*** bezieht bis zur Geburt ihres Kindes Mutterschutzgeld von etwa S 15.000,-- monatlich und wird anschließend Karenzgeld von S 4.000,-- monatlich erhalten.

Dr. Martin T*** und seine Frau haben sich nach ihrer Verehelichung bemüht, eine preisgünstige Wohnung zu erhalten. In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht aus, der Beklagte benütze die aufgekündigte Wohnung zwar nicht regelmäßig, doch habe er am Fortbestand des Mietverhältnisses ein schutzwürdiges Interesse, weil seine Frau in wenigen Jahren die Pension aus Altersgründen an ihre Tochter oder Enkelin weitergeben und dann auf die Wohnung in Innsbruck angewiesen sein werde. Dringender Eigenbedarf liege vor, wenn das Wohnbedürfnis des Vermieters oder seiner Verwandten in absteigender Linie überhaupt nicht oder nur unzureichend gedeckt sei. Er setze einen Notstand, nämlich die unabweisliche Notwendigkeit voraus, den vorhandenen Zustand so bald als möglich zu beseitigen, wobei die Heranziehung des aufgekündigten Bestandgegenstandes das einzige Mittel zur Erreichung dieses Zieles sein müsse. Das Wohnbedürfnis der Familie des Dr. Martin T*** könne jedoch durch eine entsprechende Neuverteilung der Eigentumswohnung des Zweitklägers befriedigt werden. Außerdem sei es Dr. T*** bei seinem Einkommen durchaus möglich und zuzumuten, auch eine weniger preisgünstige Wohnung zu mieten.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, S 300.000,-- übersteigt. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und teilte im Ergebnis dessen rechtliche Beurteilung. Es war jedoch der Ansicht, daß der Beklagte, der die Wohnung mit seiner Frau etwa vier Monate jährlich bewohne, diese doch regelmäßig benütze und zu Wohnzwecken verwende, so daß das Vorliegen eines schutzwürdigen Interesses - die Frage, ob und bis wann der Beklagte die Übergabe des Gästehauses an seine Tochter oder Enkelin plane - nicht mehr zu prüfen sei.

Die Kläger bekämpfen das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es dahin abzuändern, daß die Aufkündigng als wirksam erkannt werde und der Beklagte verpflichtet sei, den Bestandgegenstand zu übergeben; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Nach § 30 Abs 2 Z 6 MRG ist es als wichtiger Kündigungsgrund insbesondere anzusehen, wenn die vermietete Wohnung nicht zur Befriedigung eines dringenden Wohnbedürfnisses des Mieters oder der eintrittsberechtigten Personen regelmäßig verwendet wird, es sei denn, daß der Mieter zu Kur- und Unterrichtszwecken oder aus beruflichen Gründen abwesend ist.

Zu Unrecht bekämpfen die Kläger die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß der Beklagte - dessen Abwesenheit von der aufgekündigten Wohnung während des überwiegenden Teils des Jahres beruflich, durch den Betrieb eines Gästehauses in Reith, bedingt ist - bei einer Verweildauer von 3 1/2 Monaten jährlich die Wohnung zur Befriedigung eines regelmäßigen Wohnbedürfnisses verwende und daß ein schutzwürdiges Interesse des Beklagten an der Wohnung weiterhin bestehe. Eine regelmäßige Benützung ist anzunehmen, wenn der Mieter die aufgekündigte Wohnung wenigstens während eines beachtlichen Zeitraumes im Jahr als wirtschaftlichen und familiären Mittelpunkt ausnützt (Würth in Rummel, ABGB, Rz 32 zu § 30 MRG; MietSlg 34.468). Bei einer regelmäßigen Benützung der Wohnung zu Wohnzwecken während einer Dauer von dreieinhalb bis vier Monaten im Jahr kann nicht davon ausgesprochen werden, daß die Wohnung etwa nur als Absteigequartier verwendet werde, und daß das Interesse des Beklagten an der Wohnung über das der bloßen Bequemlichkeit nicht hinausgehe (vgl. MietSlg 21.574 und MietSlg 34.468). Liegt der wirtschaftliche und familiäre Schwerpunkt zumindest zum Teil noch in der aufgekündigten Wohnung, erfüllt auch die Benützung zweier Wohnungen für sich allein noch nicht den Kündigungstatbestand (Würth aaO, MietSlg 31.422). Stehen dem Mieter zwei Wohnungen zur Verfügung, kann die Aufkündigung einer regelmäßig benützten Wohnung nicht darauf gestützt werden, daß die Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses auch in einer anderen Wohnung erfolgen könnte. Es genügt für die Aufrechterhaltung des Mietverhältnisses, daß die aufgekündigte Wohnung zumindest in mancher Beziehung noch Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit und des Familienlebens des Mieters ist (MietSlg 28.356, 24.352). Abzustellen ist auf die gegebenen Umstände. Danach ist ein schutzwürdiges Interesse des Beklagten an der aufgekündigten Wohnung einerseits zu bejahen, weil er sie alljährlich während eines beachtlichen Zeitraumes regelmäßig benützt und sie dann für ihn den wirtschaftlichen und familiären Schwerpunkt bildet, und andererseits, weil die derzeitige nicht weitergehende Benützung der Wohnung durch berufliche Gründe bedingt ist und die vom Beklagten und seiner Frau beabsichtigte dauernde Rückkehr in die aufgekündigte Wohnung nach Aufgabe des Betriebes des Gästehauses in Reith in etwa fünf Jahren schon nach dem Alter der Ehegatten als ein Ereignis anzusehen ist, das in absehbarer Zeit mit Sicherheit zu erwarten ist (MietSlg 34.470, MietSlg 31.423). Der Kündigungstatbestand des § 30 Abs 2 Z 8 MRG ist gegeben, wenn der Vermieter die gemieteten Wohnräume für sich selbst oder für Verwandte in absteigender Linie dringend benötigt und ihm oder der Person, für die der Mietgegenstand benötigt wird, aus der Aufrechterhaltung des Mietvertrages ein unverhältnismäßig größerer Nachteil erwüchse als dem Mieter aus der Kündigung. Nach Ansicht der Kläger dürfe die Beurteilung des von der Rechtsprechung geforderten "Notstandes des Vermieters" nicht mehr so streng erfolgen wie in der Nachkriegszeit, da sich die Verhältnisse am Wohnungsmarkt geändert hätten. Bei einem monatlichen Einkommen von S 13.000,-- zuzüglich Karenzgeldes seiner Ehegattin von monatlich S 3.000,-- könne Dr. Martin T*** bei Anmietung einer entsprechenden Wohnung am Wohnungsmarkt seine Lebensbedürnisse nur schwer befriedigen, da für eine adäquate Wohnung eine Nettomiete von etwa S 6.000,-- zu leisten sei.

Ein dringender Eigenbedarf liegt vor, wenn die unabweisliche Notwendigkeit gegeben ist, den bestehenden Zustand so bald als möglich zu beseitigen, und dies nur durch die Aufkündigung des Mietgegenstandes möglich ist (MietSlg 38.474; Würth aaO, Rz 36 zu § 30 MRG). Die Rechtsprechung legt an das Erfordernis des dringenden Eigenbedarfs trotz leichter Entspannung auf dem Wohnungsmarkt weiterhin einen strengen Maßstab an (MietSlg 38.474). Allerdings ist auf die gegenüber der Kriegs- und Nachkriegszeit veränderten Verhältnisse Bedacht zu nehmen und auch bei Beurteilung der Frage, ob der Eigenbedarf durch Neuverteilung vorhandener Räume befriedigt werden kann, nicht in kleinlicher Weise der Nachkriegsstandard zugrundezulegen ist (vgl. Würth aaO). Das Gesetz läßt jedoch die Kündigung des Mieters wegen Eigenbedarfs nicht schon zu, um hiedurch einen den derzeitigen Vorstellungen entsprechenden durchschnittlichen Wohnungsstandard zu erreichen, sondern nur, um einem Notstand abzuhelfen (MietSlg 37.448, MietSlg 37.449). Die Eltern des Dr. Martin T*** verfügen über eine 4-Zimmer-Wohnung im Ausmaß von 110 m2, die Dr. Martin T*** auch schon vor seiner Verehelichung mitbenützt hat. Ohne daß die hiedurch entstehenden Unbequemlichkeiten übersehen werden, ermöglicht es die Größe dieser Wohnung doch ohne weiteres, das Wohnbedürfnis der Familie des Sohnes des Zweitklägers durch eine entsprechende Verteilung der vorhandenen Räume zu befriedigen (MietSlg 37.448). Kann aber das Wohnbedürfnis durch eine entsprechende Neuverteilung bereits zur Verfügung stehender Räume befriedigt werden, liegt dringender Eigenbedarf nicht vor (MietSlg 36.436).

Da zur Annahme eines dringenden Eigenbedarfes erforderlich ist, daß dieser nur durch die Aufkündigung des Mietgegenstandes beseitigt werden kann (MietSlg 38.474), ist es nicht ohne Belang, ob der Eigenbedarf etwa auch durch Anmietung einer anderen Wohnung behoben werden kann. Der Aufwand für eine einfachen Anforderungen entsprechende Wohnung ist Dr. Martin T*** auch bei seinen derzeitigen Einkommensverhältnissen zumutbar.

Mit Recht haben deshalb die Vorinstanzen das Vorliegen auch des Kündigungstatbestandes nach § 30 Abs 2 Z 8 MRG verneint. Die Kostenentscheidung erfolgte nach den §§ 41, 50 ZPO.

Rechtssätze
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