JudikaturJustiz7Ob287/01h

7Ob287/01h – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. April 2002

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein für Konsumenteninformation, 1060 Wien, Linke Wienzeile 18, vertreten durch Dr. Heinz Kosesnik-Wehrle, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei U*****versicherung AG, ***** vertreten durch Schönherr Barfuss Torggler Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert S 300.000,-- = EUR 21.801,85) und Urteilsveröffentlichung (Streitwert S 60.000,-- = EUR 4.360,37; Gesamtstreitwert: S 360.000,-- = EUR 26.162,22), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 4. Juli 2001, GZ 4 R 113/01v-12, womit das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 1. Februar 2001, GZ 39 Cg 19/00p-8, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden abgeändert, sodass sie zu lauten haben wie folgt:

"Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, 1) es im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern zu unterlassen, sich auf die Klausel "Der Versicherer ist berechtigt, Änderungen der Allgemeinen Versicherungsbedingungen und der Tarife vorzunehmen, wenn sie auf Grund von Veränderungen der im Tarif angeführten Faktoren, des Gesundheitswesens oder der dafür geltenden gesetzlichen Bestimmungen erforderlich sind." oder sinngleiche Klauseln zu berufen, soweit diese in Allgemeinen Geschäftsbedingungen und/oder Vertragsformblättern in von der beklagten Partei bis zum 5. 3. 2000 geschlossenen Verträgen unzulässigerweise vereinbart worden seien, und 2) der klagenden Partei werde die Ermächtigung erteilt, den Spruch dieser Entscheidung binnen drei Monaten ab Rechtskraft des Urteils einmal in einer Samstagsausgabe des redaktionellen Teils der "Neuen Kronen Zeitung" auf Kosten der beklagten Partei mit gesperrt geschriebenen Prozessparteien und in Fettdruckumrandung in Normallettern zu veröffentlichen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR

3.367,79 = S 46.341,80 (darin enthalten EUR 560,33 = S 7.710,30 an

USt und die mit EUR 5,81 = S 80 an Barauslagen) bestimmten

Prozesskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR

2.386,94 = S 32.845,-- (darin enthalten EUR 269,43 = S 3.707,50 an

USt und EUR 770,33 = S 10.600.-- an Barauslagen) bestimmten Kosten

des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR

2.376,53 = S 32.701,80 (darin enthalten EUR 219,13 = S 3.015,30 an

USt und EUR 1.061,75 = S 14.610 an Barauslagen) bestimmten Kosten des

Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist ein Konsumentenschutzverein und gesetzlich für Verbandsklagen nach dem Konsumentenschutzgesetz legitimiert. Die Beklagte gehört in Österreich zu den größten Krankenversicherungsunternehmen, für die der Abschluss von entsprechenden Versicherungsverträgen ein Massengeschäft darstellt. Im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern verwendete die Beklagte jedenfalls bis 5. 3. 2000 in ihren Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) für die Krankheitskosten- und Krankenhaus-Tagegeldversicherung unter Punkt 18 "Änderungen der Allgemeinen Versicherungsbedingungen und der Tarife" folgende Klauseln:

"18.1. Der Versicherer ist berechtigt, Änderungen der Allgemeinen Versicherungsbedingungen und der Tarife vorzunehmen, wenn sie auf Grund von Veränderungen der im Tarif angeführten Faktoren des Gesundheitswesens oder der dafür geltenden Bestimmungen erforderlich sind.

18.2. Sofern im Tarif nicht anders geregelt, gelten die im § 178f Abs 2 VersVG angeführten Faktoren als vereinbart:

VersVG § 178f

(2) Als für Änderungen der Prämie oder des Versicherungsschutzes maßgebende Umstände dürfen nur die Veränderungen folgender Faktoren vereinbart werden:

Rechtliche Beurteilung

In § 178f Abs 1 VersVG wird festgelegt, dass eine Vereinbarung, nach der der Versicherer berechtigt ist, die Prämie nach Vertragsabschluss einseitig zu erhöhen oder den Versicherungsschutz einseitig zu ändern, etwa einen Selbstbehalt einzuführen, nur mit den sich aus den folgenden Abs 2 und 3 ergebenden Einschränkungen wirksam sei, dies unbeschadet des § 6 Abs 1 Z 5 KSchG bzw § 6 Abs 2 Z 3 KSchG. In Abs 2 leg cit werden jene Umstände genannt, die als Faktoren für die Änderung der Prämie oder des Versicherungsschutzes vereinbart werden dürfen, während andere Faktoren ausdrücklich zur Klarstellung ausgeschlossen werden. Nach dem eindeutigen Gesetzestext (arg. "unbeschadet") gilt neben dem § 178f VersVG der § 6 Abs 1 Z 5 und Abs 2 Z 3 KSchG (vgl auch GP XVIII RV 1553, S 32). Nach dem im Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 178f VersVG geltenden § 6 Abs 1 Z 5 KSchG (vor der Novelle BGBl I 1997/6) waren Vertragsbestimmungen, nach denen dem Unternehmer auf sein Verlangen ein höheres Entgelt als bei Vertragsschluss vereinbart (hier Prämienerhöhung) zustehen soll, unwirksam, wenn die für die Erhöhung maßgebenden Umstände nicht im Vertrag umschrieben sind und ihr Eintritt nicht vom Willen des Unternehmers abhängt. § 6 Abs 2 Z 3 KSchG regelt (unverändert), dass Vertragsbestimmungen die dem Unternehmer das Recht einräumen, eine von ihm zu erbringende Leistung (hier: den Versicherungsschutz) einseitig zu ändern oder von ihr abzugehen, unzulässig sind, wenn sie im Einzelnen nicht ausgehandelt wurden, es sei denn, die Änderung bzw Abweichung ist dem Verbraucher zumutbar, besonders weil sie geringfügig und sachlich gerechtfertigt ist.

In GP XVIII RV 1553, S 23 f wird zu § 178f VersVG klargelegt, dass die Krankenversicherung als "lebenslanges" Vertragsverhältnisses konzipiert besondere Probleme aufwerfe. Während der langen Dauer des Versicherungsverhältnisses im Hinblick auf § 178i VersVG könnten sich eine Vielzahl von Rahmenbedingungen ändern, die das vom Versicherer übernommene Risiko beeinflussen (siehe den im Abs 2 enthaltenen Katalog von Anpassungsfaktoren). Vor allem könnten - auf lange Frist schwer abzusehende - Änderungen im Gesundheitssystem enorme Auswirkungen auf die Deckungspflicht des Versicherers haben, sei es, dass neue Behandlungsmethoden eingeführt werden, sei es, dass sich die Kosten bekannter Behandlungsmöglichkeiten ändern. Bei realistischer Betrachtung dieser Situation sei anzuerkennen, dass es dem Versicherer unmöglich sei, für einen derartigen, auf Jahrzehnte angelegten Versicherungsschutz im Vorhinein eine bestimmte Prämie - oder einen bestimmten Prämienverlauf - endgültig festzusetzen. Es sei grundsätzlich verständlich, dass die Versicherungsunternehmen bisher stets versucht haben, durch die Vereinbarung von Anpassungsklauseln diesem Dilemma zu entrinnen und sich über die darin enthaltenen Gestaltungsrechte einen Einfluss auf die künftige Entwicklung der vereinbarten Prämien zu sichern. Zunächst solle (siehe Abs 1) klargestellt werden, dass vertragliche Anpassungsklauseln im Anwendungsbereich des KSchG dem § 6 Abs 1 Z 5 (Prämienänderung) und dem § 6 Abs 2 Z 3 (Leistungsänderung) dieses Gesetzes unterliegen. Zusätzlich lege Abs 2 - bei Verbrauchergeschäften in Konkretisierung des § 6 Abs 1 Z 5 KSchG - diejenigen Anpassungsfaktoren fest, die zulässigerweise in einer Anpassungsklausel enthalten sein dürften; die Vereinbarung anderer Umstände wäre unwirksam. Durch diese Konkretisierung werde auch die Judizibilität von Anpassungsklauseln bedeutend verbessert.

In den Erläuternden Bemerkungen wird nur auf die Prämienerhöhung Bezug genommen. § 178f Abs 2 VersVG soll danach ausdrücklich jedenfalls eine Konsumentenschutzbestimmung konkretisieren, nämlich § 6 Abs 1 Z 5 KSchG. Die andere zitierte Bestimmung, nämlich § 6 Abs 2 Z 3 KSchG, bleibt unerwähnt. Es wird aber nicht - was zu erwarten wäre - ausgeführt, dass nicht und aus welchen Gründen nicht auch diese Konsumentenschutzbestimmung eine Konkretisierung in § 178f Abs 2 VersVG erfährt. Damit ist dem Gesetzgeber aber eher zu unterstellen, dass die ausdrückliche Erwähnung des § 6 Abs 2 Z 3 KSchG als in § 178f Abs 2 VVG konkretisiert in der RV übersehen wurde, als dass hier zwar in Abwägung der beiderseitigen - in der Krankenversicherung besonders gelagerten - Interessen aufwändig Faktoren festgelegt worden seien (abweichende Vereinbarungen ausschließend), die aber nur der einen zitierten Konsumentenschutzbestimmung, nicht jedoch der anderen a priori entsprächen. Wie könnte sonst auch die angestrebte Judiziabilität erreicht werden. Es ist also nach Ansicht des erkennenden Senates davon auszugehen, dass ex ante dem Konsumentenschutzgesetz widersprechende Vertragsbestimmungen hier abschließend geregelt werden sollten (so auch Schauer in Fenyves/Kronsteiner/Schauer, VersVG-Novellen, § 178f, Rz 5ff).

Diese Gesetzesauslegung widerspricht nicht den Zielsetzungen des Konsumentenschutzgesetzes. § 6 Abs 2 Z 3 KSchG unterliegt einer ex ante vorzunehmenden Inhaltskontrolle, nämlich dahingehend, ob die Klauseln auf Veränderungen abzielen, von denen a priori gesagt werden kann, dass sie dem Verbraucher im voraussichtlichen Annahmezeitpunkt nicht zumutbar sein werden (Welser in Krejci, Handbuch zum Konsumentenschutzgesetz, S 359 f, Krejci in Rummel II2, § 6 KSchG, Rz 186). Im besonderen Fall der Krankenversicherung ist die ungewöhnliche Länge des Leistungszeitraums zu berücksichtigen. Es können an eine ex ante-Kontrolle naturgemäß nicht dieselben Anforderungen gestellt werden wie zum Beispiel an die relativ kurzfristige Lieferung eines Kaufgegenstandes. Wird wie hier vom Gesetzgeber im besonderen Fall der Krankenversicherung wegen der Bindung des Versicherers praktisch auf Lebenszeit des Versicherten eine Anpassung an deutlicherer als ohnedies im Gesetz festgelegt nicht absehbare künftige Verhältnisse (sowohl im Gesundheitswesen selbst als auch in den gesetzlichen Bestimmungen) unter Hinweis auf Konsumentenschutzbestimmungen anerkannt, so sind die festgesetzten Umstände ("Faktoren") ex ante betrachtet nicht nur sachlich gerechtfertigt, sondern auch dem Verbraucher grundsätzlich im Sinne des § 6 Abs 2 Z 3 KSchG zumutbar. Es würde entgegen der Ansicht der Vorinstanzen zu keiner Präzisierung für den Verbraucher führen, wenn in den Vertragstext zu den gesetzlich festgelegten Faktoren, notwendigerweise nicht weiter präzisiert, entweder das Wort "geringfügig" oder "zumutbar" aufgenommen würde.

Ex post kann, auf Grund der Bestimmung des § 178g VersVG ebenfalls u. a. vom Verein für Konsumenteninformation zusätzlich zur ex ante Kontrolle konkret für den dann betroffenen Erfüllungszeitraum geprüft werden, ob die dann vom Versicherer gewünschte Änderung des Leistungsumfangs für den Verbraucher in dieser Ausformung zumutbar ist. Das bedeutet also, dass bei der ex ante-Kontrolle der inkriminierten Vertragsklausel nach § 6 Abs 2 Z 3 KSchG vom Faktorenkatalog des § 178f Abs 2 VersVG auszugehen ist. Entspricht die im Krankenversicherungsvertrag enthaltene Anpassungsklausel den dort festgelegten Faktoren, so ist sie nach § 6 Abs 2 Z 3 KSchG auch ohne eine Aushandlung im einzelnen wirksam. Der Grundsatz der vertraglichen Äquivalenz auch im Sinne der Richtlinie 93/13/EWG des Rates (vgl D. Kiendl, Die Richtlinie des Rates über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen in JBl 1995, 98) ist nicht verletzt. Die inkriminierte Klausel entspricht dem Faktorenkatalog des § 178f Abs 2 VersVG. Sie ist aus den oben genannten Gründen auch nicht unklar oder unverständlich im Sinne des § 6 Abs 3 KSchG. Es waren daher die Urteile der Vorinstanzen im Sinne einer Klagsabweisung abzuändern.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO. Die Bemessungsgrundlage beträgt S 360.000,--.

Rechtssätze
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