JudikaturJustiz7Ob142/23t

7Ob142/23t – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. September 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C*, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei U* AG, *, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 20. April 2023, GZ 60 R 112/22h 31, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 17. Oktober 2022, GZ 12 C 191/21g 24, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 751,92 EUR (darin enthalten  125,32 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Dem Rechtsschutzversicherungsvertrag zwischen de r Klägerin als Versicherungsnehmerin und der Beklagten liegen deren Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 20 08 ) zugrunde, die auszugsweise wie folgt lauten:

Artikel 2

Was gilt als Versicherungsfall und wann gilt er als eingetreten?

[...]

3. In den übrigen Fällen gilt als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften; der Versicherungsfall gilt in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem eine der genannten Personen begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. [...]

[...]

Artikel 7

Was ist vom Versicherungsschutz ausgeschlossen?

1. Sofern nichts anderes vereinbart ist, besteht kein Versicherungsschutz für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen

[...]

1.6 aus dem Bereich des Kartell- oder sonstigen Wettbewerbsrechtes;

[...]

Artikel 8

Welche Pflichten hat der Versicherungsnehmer zur Sicherung seines Deckungsanspruches zu beachten? (Obliegenheiten)

1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, ist er verpflichtet,

1.1 den Versicherer unverzüglich, vollständig und wahrheitsgemäß über die jeweilige Sachlage aufzuklären und ihm alle erforderlichen Unterlagen auf Verlangen vorzulegen;

[...]

Artikel 9

Wann und wie hat der Versicherer zum Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers Stellung zu nehmen? [...]

[...]

2. Davon unabhängig hat der Versicherer das Recht, jederzeit Erhebungen über den mutmaßlichen Erfolg der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzustellen. Kommt er nach Prüfung des Sachverhaltes unter Berücksichtigung der Rechts- und Beweislage zum Ergebnis,

[...]

2.2 dass diese Aussicht auf Erfolg nicht hinreichend, d. h. ein Unterliegen in einem Verfahren wahrscheinlicher ist als ein Obsiegen, ist er berechtigt, die Übernahme der an die Gegenseite zu zahlenden Kosten abzulehnen;

2.3 dass erfahrungsgemäß keine Aussicht auf Erfolg besteht, hat er das Recht, die Kostenübernahme zur Gänze abzulehnen.“

Rechtliche Beurteilung

[2] Da die Beklagte in ihrer Revision das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu begründen vermag, ist die Revision entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):

[3] 1.1. Für das Vorliegen des Versicherungsfalls trifft nach der allgemeinen Risikoumschreibung den Versicherungsnehmer die Beweislast ( RS0043438 ). Der Versicherungsnehmer, der eine Versicherungsleistung behauptet, muss daher die anspruchsbegründenden Voraussetzungen des Eintritts des Versicherungsfalls beweisen ( RS0080003 ).

[4] 1.2. Die Versicherungsnehmerin hat während des versicherten Zeitraums einen gebrauchten Diesel-PKW erworben und begehrt Rechtsschutzdeckung für die Geltendmachung eines deliktischen Anspruchs auf Ersatz des Minderwerts wegen des Kaufs eines Fahrzeugs, dessen Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgeliefert worden sei. Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach dargelegt, dass der damit behauptete deliktische Anspruch gegen die Herstellerin eines Kraftfahrzeugs von Art 19.1.2 ARB umfasst ist. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, damit habe die Klägerin den Versicherungsfall schlüssig dargelegt, entspricht der Rechtsprechung des Fachsenats (vgl etwa 7 Ob 91/22s; 7 Ob 61/22d; 7 Ob 130 /22a; 7 Ob 45/23b; 7 Ob 89/23y; 7 Ob 116/23v; 7 Ob 119/23v).

[5] 2. In der Rechtsschutzversicherung ist bei Beurteilung der Erfolgsaussichten kein strenger Maßstab anzulegen (RS0081929). Eine nicht ganz entfernte Möglichkeit des Erfolgs genügt (RS0117144).

[6] 2.1. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass das anspruchsbegründende Vorbringen der Klägerin nicht unschlüssig sei, eine nicht ganz entfernte Möglichkeit des Erfolgs bestehe und dass die von der Beklagten erhobenen Einwände als Tatfragen im Haftpflichtprozess zu beurteilen und für die Deckungspflicht unbeachtlich seien, ist nicht korrekturbedürftig (vgl 7 Ob 61/22d ; 7 Ob 129/22d ; 7 Ob 130/22a; 7 Ob 116/23v; 7 Ob 119/23v ).

[7] 2.2. Dass die Klägerin eine Anrechnung von Vorteilen auch nicht bereits in ihrer Klage vorwegnehmen muss, hat der Fachsenat auch bereits mehrfach ausgesprochen (jüngst etwa 7 Ob 119/23v). Generell ist die schadenersatzrechtliche Vorteilsausgleichung nur über Einwendung vorzunehmen und setzt voraus, dass Schaden und Vorteil im selben Tatsachenkomplex wurzeln und das schädigende Ereignis nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge auch einen Vorteil im Vermögen des Geschädigten verursacht hat. Zeitlich und sachlich kongruente Vorteile, die durch das pflichtwidrige Handeln entstehen oder wenigstens im selben Tatsachenkomplex wurzeln, sind anzurechnen, sofern die Anrechnung dem Zweck des Schadenersatzes entspricht und nicht zu einer unbilligen Entlastung des Schädigers führt. Der Eintritt von Vorteilen aus dem Schadensereignis unter dem Titel des Vorteilsausgleichs fällt nicht in die Beweispflicht des Geschädigten, vielmehr hat der Schädiger die Vorteile zu behaupten und zu beweisen, dies betrifft auch die Höhe des Vorteils und die Kongruenz der Leistung ( vgl 7 Ob 65/22t mwN ). Das Klagebegehren ist daher auch nicht aus diesem Grund als unschlüssig anzusehen, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat.

[8] 3. Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 7 Ob 9 5 /21b ausgesprochen, dass der Ausschluss nach Art 7.1.6 ARB 2009 (hier Art 7.1.6 ARB 2008) für einen durchschnittlich verständigen Verbraucher dahin zu verstehen ist, dass der Rechtsschutzversicherer für die Verfolgung von nach Kartell-oder sonstigem Wettbewerbsrecht (einschließlich UWG) zustehenden Ansprüche keine Deckung übernimmt (vgl RS0109433 [T4] ). Anders als in der zitierten Entscheidung stützt die Klägerin ihren Anspruch im vorliegenden Fall aber nicht auf Kartell oder sonstiges Wettbewerbsrecht. Entgegen der Ansicht der Beklagten beurteilte der EuGH in seiner Entscheidung C 100/21 Art 5 Abs 2 der Verordnung (EG) Nr 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) nicht dahingehend, dass diese Bestimmung den fairen Wettbewerb regle (7 Ob 86/23g; 7 Ob 131/23z). Der Versicherer hat auch keinen Anspruch darauf, dass nicht behauptete und daher bloß hypothetische Anspruchsgrundlagen explizit vom Feststellungsbegehren (7 Ob 86/23g; 7 Ob 131/23z) oder vom Feststellungsurteil (7 Ob 89/23y; 7 Ob 131/23z) ausgenommen werden.

[9] 3.1. Die Klägerin hat hier Deckung für das in Pkt 1.2. dargestellte Begehren beansprucht und zusätzlich im für diese Beurteilung relevanten erstgerichtlichen Verfahren ausdrücklich klargestellt, dass sie sich im Haftpflichtprozess weder auf kartellrechtliche noch auf wettbewerbsrechtliche Anspruchsgrundlagen stützen werde. Damit ist auch klargestellt, dass die Verfolgung der letztgenannten Ansprüche vom vorliegenden Deckungsbegehren und daher dem auf dessen Grundlage ergangenen Feststellungsurteil nicht umfasst sind.

[10] 3.2. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die Klägerin im Deckungsprozess nicht verpflichtet, allfällige – vom beklagten Versicherer erst einzuwendende – Risikoausschlüsse zu berücksichtigen und ihrem Begehren insoweit eine einschränkende Formulierung zu geben (auch keine entsprechende Pflicht des Gerichts [vgl 7 Ob 89/23y; 7 Ob 131/23z]). Dies gilt umso mehr, als die Klägerin im vorliegenden Fall auch keine Deckung für die von der Beklagten in Art 7.1.6 ARB ausgeschlossenen Risiken begehrt (7 Ob 86/23g; 7 Ob 131/23z).

[11] 4.1. Die Auskunftsobliegenheit (§ 34 Abs 1 VersVG; Art 8.1.1 ARB 2008) endet mit der Ablehnung des Entschädigungsanspruchs durch den Versicherer, weil sich das der Vereinbarung zugrunde liegende Ziel, die Leistung des Versicherers zu ermöglichen oder zu erleichtern, danach nicht mehr erreichen lässt. Mit anderen Worten bringt der Versicherer mit der Deckungsablehnung zum Ausdruck, dass er weiterer Auskünfte zur Beurteilung seiner Leistungspflicht nicht mehr bedarf ( 7 Ob 190/22z mwN). Dies gilt freilich nicht, wenn der Versicherer nach der Ablehnung zu erkennen gibt, er lege gleichwohl noch Wert auf Erfüllung der Obliegenheiten, und diese zumutbar erscheint (7 Ob 60/86; 7 Ob 319/01i; 7 Ob 153/20f). Dies setzt aber jedenfalls voraus, dass der Versicherer klarmacht, inwieweit er noch ein Aufklärungsbedürfnis hat ( 7 Ob 190/22z mwN). Die Beweislast dafür, dass der Versicherungsnehmer eine Aufklärungs- und/oder Belegobliegenheit verletzt hat, trifft den Versicherer ( RS0081313 ; RS0043510 ; RS0043728 ).

[12] 4.2. Dieser Beweis ist der Beklagten nicht gelungen: Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass die Klägerin mit ihrer Schadensmeldung vom 16. 9. 2020 ihren Auskunftsobliegenheiten ausreichend entsprochen habe, ist auch vor dem Hintergrund, dass die Beklagte die Deckungsanfrage der Klägerin vom 16. 9. 2020 mit Schreiben vom 1. 10. 2020 bereits unter Hinweis auf den Risikoausschluss des Art 7.2.4 der ARB 2008 ablehnte – weil aufgrund des Kaufs eines Gebrauchtwagens hier ein abgetretener Anspruch vorliege – und in diesem Schreiben keine weiteren Informationen abforderte, nicht korrekturbedürftig.

[13] 4.3. Auf die in der Revision thematisierte Aufklärungsobliegenheit nach Deckungsablehnung hat sich die Beklagte in erster Instanz gar nicht berufen, weshalb ihre diesbezüglichen Ausführungen gegen das Neuerungsverbot verstoßen.

[14] 5. Die Revision ist daher zurückzuweisen.

[15] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Rechtssätze
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