JudikaturJustiz7Ob138/97p

7Ob138/97p – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. Juni 1997

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** AG *****, vertreten durch Dr.Walter Pfliegler, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Heidi A*****, vertreten durch Dr.Peter Reitschmied, Rechtanwalt in Neulengbach, wegen S 100.000,-- sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 24.Februar 1997, GZ 35 R 44/97y-25, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 23.Oktober 1996, GZ 27 C 285/96f-21, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Am 5.3.1993 gegen 3,35 Uhr verursachte die Beklagte als Lenkerin ihres bei der klagenden Partei haftpflichtversicherten PKWs in der Lainzer Straße in Wien einen Verkehrsunfall, bei dem neben ihrem eigenen PKW vier parkende PKWs beschädigt wurden. Dem Versicherungsvertrag lagen die AKHB 1988 zugrunde. Die klagende Partei hatte den geschädigten PKW-Eigentümern Ersatz in einer S 100.000,-- übersteigenden Höhe zu leisten. Über die Beklagte wurde mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien vom 16.12.1993 eine Geldstrafe verhängt. Sie wurde schuldig erkannt, das Kraftfahrzeug gelenkt zu haben, obwohl sie sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befunden habe, wodurch sie § 5 Abs 1 StVO verletzt habe. Mit Berufungsbescheid vom 10.8.1995 bestätigte der Unabhängige Verwaltungssenat Wien das von der Beklagten angefochtene Straferkenntnis in der Schuldfrage und setzte die verhängte Geldstrafe herab.

Die klagende Partei begehrte von der Beklagten in Regreßweg S 100.000,-- für die von ihr erbrachten Leistungen an die geschädigten Dritten mit der Behauptung, die Beklagte sei zum Unfallszeitpunkt alkoholisiert gewesen und deshalb auch rechtskräftig verurteilt worden.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Sie wendete ein, daß der Blutalkoholwert zum Zeitpunkt des Unfalles die 0,8 %o-Grenze nicht überschritten habe. Die Unfallsursache sei nicht ihre Alkoholisierung, sondern die eisglatte Fahrbahn gewesen. Die von den erhebenden Polizeibeamten festgestellten Symptome, nämlich ihr schwankender Gang und die undeutliche Sprache, seien entgegen der Annahme der Beamten nicht auf ihre Alkoholisierung, sondern auf ihre beim Unfall erlittenen Verletzungen zurückzuführen gewesen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es vertrat die Auffassung, an das verurteilende, vom Unabhängigen Verwaltungssenat bestätigte Straferkenntnis gebunden zu sein, sodaß jedenfalls von einer Obliegenheitsverletzung der Beklagten im Sinn des § 6 Abs 2 Z 2 AKHB 1988 auszugehen sei.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte dieses Urteil in der Hauptsache und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. An der Bindungswirkung der Entscheidungen der Unabhängigen Verwaltungssenate könne kein Zweifel bestehen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist jedoch zulässig und im Sinn einer Aufhebung der Vorentscheidungen berechtigt.

Nach § 6 Abs 2 Z 2 AKHB 1988 trifft den versicherten Lenker die Obliegenheit gemäß § 6 Abs 2 VersVG, daß er sich nicht in einem nach den Verkehrsvorschriften bedeutsamen durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand befinde. Diese Leistungsfreiheit darf nur geltend gemacht werden, wenn der Lenker im Zusammenhang mit dem Schadenereignis durch rechtskräftige Entscheidung eines Strafgerichtes oder rechtskräftigen Bescheid einer Verwaltungsbehörde schuldig erkannt worden ist und im Spruch oder in der Begründung dieser Entscheidung der angeführte Umstand festgestellt wird.

Eine Obliegenheitsverletzung darf demnach nicht angenommen werden, wenn die Beeinträchtigung durch Alkoholisierung zwar im Regreßverfahren festgestellt werden könnte, aber eine Entscheidung der angeführten Art nicht vorliegt. Allerdings ist der Gegenschluß, daß bereits aus der Tatsache einer positiven Entscheidung auf das Vorliegen der Obliegenheitsverletzung geschlossen werden müsse, verfehlt. Der Oberste Gerichtshof hat schon zur früheren, in den hier maßgeblichen Punkten gleichen Rechtslage mehrfach ausgesprochen, daß die Leistungsfreiheit und der Regreßanspruch des Versicherers von der doppelten Voraussetzung eines Nachweises der Alkoholisierung im Regreßprozeß und überdies der rechtskräftigen Entscheidung eines Strafgerichtes oder der Verwaltungsbehörde abhängen. Da bei anderer Rechtsansicht der erste Satz des § 6 Abs 2 Z 2 AKHB 1988 überflüssig wäre, muß das Gericht auch die tatsächliche Alkoholbeeinträchtigung feststellen, wobei es an den zusätzlich erforderlichen Verwaltungsbescheid nicht gebunden ist (ZVR 1984/247 mwN).

Die Frage, ob die Feststellung des durch Alkohol beeinträchtigen Zustandes im Spruch eines Strafurteiles für einen solchen Regreßprozeß auch nach Aufhebung des § 268 ZPO durch den Verfassungsgerichtshof bindend ist (für die Rechtslage davor bejahend: SZ 49/140), stellt sich hier nicht. Die in der Entscheidung des verstärkten Senates des Obersten Gerichtshofes vom 17.10.1995, 1 Ob 612/95 (JBl 1996, 117) dargelegten Erwägungen für die Bejahung der Bindungswirkung verurteilender Strafurteile berücksichtigen die Besonderheiten des strafgerichtlichen Verfahrens und haben keinerlei Aussagekraft hinsichtlich der Frage der Bindungswirkung verwaltungsbehördlicher Erkenntnisse. Insbesondere hatte diese Entscheidung keinen Bezug zur zitierten Sonderbestimmung der AKHB, die, wie bereits ausgeführt, im Sinn einer doppelten Voraussetzung des Nachweises einer Alkoholisierung, also jedenfalls auch durch eine entsprechende Feststellung im Regreßprozeß, ausgelegt wird.

Es bleibt daher zu prüfen, ob (auch) im vorliegenden Verfahren als erwiesen anzunehmen ist, daß bei der Beklagten eine Alkoholbeeinträchtigung im Sinn des § 6 Abs 2 Z 2 AKHB - die nichts anderes bedeutet als eine Alkoholbeeinträchtigung im Sinn des § 5 Abs 1 StVO - vorlag.

Nach § 5 Abs 1 StVO darf, wer sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befindet, ein Fahrzeug weder lenken noch in Betrieb nehmen. Bei einem Blutalkoholgehalt von 0,8 %o und darüber gilt der Zustand einer Person als von Alkohol beeinträchtigt. Der Versicherer hat den objektiven Tatbestand der Obliegenheitsverletzung zu beweisen: Er hat also zu beweisen, daß die Fahrtüchtigkeit des Lenkers durch Alkohol beeinträchtigt war. Eine derartige Beeinträchtigung ist bei einem Blutalkoholgehalt von 0,8 %o jedenfalls anzunehmen (§ 5 Abs 1 StVO: "gilt als beeinträchtigt"). Ein Gegenbeweis fehlender Beeinträchtigung ist in diesem Fall nicht möglich (ZVR 1989/97 mwN). Erreicht der Blutalkoholwert nicht 0,8 %o, so ist die Frage zu prüfen, ob sich der Lenker im Unfallszeitpunkt infolge seines Alkoholgenusses nicht mehr in einer solchen körperlichen und geistigen Verfassung befand, in der er ein Fahrzeug zu beherrschen und bei dessen Lenkung von ihm zu beachtenden Vorschriften zu befolgen vermochte (SZ 49/140 ua), wobei die Beweislast den Versicherer trifft (7 Ob 30/95).

Da das Erstgericht aufgrund seiner unrichtigen und vom Gericht zweiter Instanz gebilligten Rechtsansicht keine eigenen Feststellungen zur Frage der Alkoholisierung der Beklagten getroffen und sich mit den aufgezeigten Fragen in keiner Weise befaßt hat, waren die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben.

Der Vorbehalt der Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

Rechtssätze
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