JudikaturJustiz7Ob134/20m

7Ob134/20m – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. September 2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon. Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. N***** R*****, vertreten durch Dr. Gerhard Krammer, Rechtsanwalt in Horn, gegen die beklagte Partei R*****AG *****, vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, wegen 6.000 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 24. Februar 2020, GZ 3 R 3/20p 14 womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 27. November 2019, GZ 26 Cg 24/19f 10, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 626,52 EUR (darin enthalten 104,42 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 iVm § 500 Abs 2 Z 3 ZPO; RS0042392) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Lassen sich – wie im vorliegenden Fall – die vom Revisionswerber für erheblich erachteten Rechtsfragen durch Anwendung der bestehenden Rechtsprechung klären, dann liegt keine erhebliche Rechtsfrage vor (vgl RS0118640). Die Zurückweisung der Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

1. Der Kläger ist bei der Beklagten rechtsschutzversichert. Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung 2010 (ARB 2010, Stand 01/2010) zugrunde, die auszugsweise lauten:

Art 17

Schadenersatz , Herausgabe , Straf und Führerschein Rechtsschutz (Fahrzeug-Rechtsschutz) – je nach Vereinbarung – mit oder ohne Fahrzeug-Vertrags-Rechtsschutz

[…]

4. Wann entfällt der Versicherungsschutz?

4.1 Als Obliegenheiten, deren Verletzung die Leistungsfreiheit des Versicherers bewirken, gelten,

4.1.1 dass der Lenker die behördliche Befugnis besitzt, das Fahrzeug zu lenken;

4.1.2 dass der Lenker sich im Zeitpunkt des Versicherungsfalls nicht in eine m durch Alkohol, Suchtgift oder Medikamentenmissbrauch beeinträchtigten Zustand befindet und dass er seiner gesetzlichen Verpflichtung entspricht, seine Atemluft auf Alkohol untersuchen, sich einem Arzt vorführen, sich untersuchen oder sich Blut abnehmen zu lassen;

4.1.3 dass der Lenker nach einem Verkehrsunfall seinen gesetzlichen Verständigungs oder Hilfeleistungspflichten entspricht.

[…]

4.2 Leistungsfreiheit wegen Verletzung der Obliegenheiten nach den Pkt 4.1.2 und 4.1.3 besteht nur dann, wenn der angeführte Umstand im Spruch oder in der Begründung einer im Zusammenhang mit dem Versicherungsfall ergangenen rechtskräftigen Entscheidung eines Gerichts oder einer Verwaltungsbehörde festgestellt worden ist. Vom Versicherer erbrachte Leistungen sind zurückzuzahlen.

[…]“

2. Gemäß § 4 Abs 5 iVm Abs 1 StVO haben, wenn bei einem Verkehrsunfall nur Sachschaden entstanden ist, alle Personen, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht, die nächste Polizeidienststelle vom Verkehrsunfall ohne unnötigen Aufschub zu verständigen. Eine solche Verständigung darf jedoch unterbleiben, wenn die in Abs 1 genannten Personen oder jene, in deren Vermögen der Schaden eingetreten ist, einander ihren Namen und ihre Anschrift nachgewiesen haben.

3.1 Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs trifft den Versicherer die Beweislast für das Vorliegen des objektiven Tatbestands einer Obliegenheitsverletzung (RS0081313).

3.2 Bereits nach dem völlig klaren Wortlaut des Art 17.4.2 ARB ist die Verletzung der Obliegenheit nach Art 17.4.1.3 ARB von der weiteren Voraussetzung abhängig, dass der Umstand, dass der Lenker nach einem Verkehrsunfall seiner gesetzlichen Verständigungs oder Hilfeleistungspflichten nicht entsprochen hat, im Spruch oder in der Begründung einer im Zusammenhang mit dem Versicherungsfall ergangenen rechtskräftigen Entscheidung eines Gerichts oder einer Verwaltungsbehörde festgestellt wurde. Die für die Leistungsfreiheit des Rechtsschutzversicherers geforderte Voraussetzung der Verletzung des § 4 Abs 5 StVO durch den Lenker und die Voraussetzung der Feststellung dieser Verletzung in einer rechtskräftigen Entscheidung eines Gerichts oder einer Verwaltungsbehörde im Spruch oder in der Begründung müssen damit kumulativ vorliegen (vgl 7 Ob 36/06d, 7 Ob 4/08a zu den insoweit wortidenten Art 18.4.2 ARB/Gen 99 und Art 17.4.2 ARB 2002 sowie 7 Ob 70/02y, 7 Ob 116/04s, 7 Ob 158/08y, 7 Ob 57/12a, RS0108216 zu inhaltsgleichen Bestimmungen in den Bedingungen für die Kraftfahrzeug Haftpflichtversicherung – jeweils im Zusammenhang mit der Alkoholklausel).

3.3 Das Berufungsgericht des Vorprozesses (Verfahren des Klägers gegen seinen Kaskoversicherer) brachte in seiner Entscheidung eindeutig zum Ausdruck, dass es sich mit den Beweisrügen, die sich auf die Feststellungen zur Verletzung nachträglicher Obliegenheiten – wie die Verständigungspflicht – beziehen, inhaltlich nicht auseinandersetze, weil es die Leistungsfreiheit der dort Beklagten bereits vor dem Hintergrund bejahe, dass der Kläger den Verkehrsunfall grob fahrlässig im Sinn des § 61 VersVG herbeigeführt hatte. Auch die Rechtsrügen, die sich mit der Verletzung nachträglicher Obliegenheiten befassten, blieben mangels Erheblichkeit unbehandelt.

3.4 Vor dem Hintergrund, dass das Berufungsgericht des Vorprozesses die Feststellungen zu den nachträglichen Obliegenheitsverletzungen ausdrücklich nicht übernahm, ist die Beurteilung des Berufungsgerichts im vorliegenden Verfahren, bereits die zweite Voraussetzung der Feststellung der Verletzung der Verständigungspflicht in einer rechtskräftigen Entscheidung eines Gerichts sei hier nicht erfüllt, weshalb sich die Beklagte nicht auf Leistungsfreiheit gemäß Art 17.4.1.3 iVm Art 17.4.2 ARB 2010 berufen könne, nicht zu beanstanden.